Protokoll der Sitzung vom 15.02.2013

um zur Fraktionssitzung, zur Ausschuss-Sitzung, zur Kreistagssitzung zu fahren. Ich sage Ihnen, wer das macht - keiner mehr. Es wird Leute geben, aber das werden die Leute sein, die in den Kreisstädten wohnen. Das werden die Leute sein, die vielleicht noch im Speckgürtel wohnen, und die, die auf dem sprichwörtlichen flachen Land wohnen, werden von den Entwicklungen abgekoppelt, weil natürlich die, die in der Kreisstadt wohnen, auch Politik für die Kreisstadt machen. Das ist ganz menschlich.

(Beifall FDP)

Damit wird der ländliche Raum vernachlässigt und das ist genau die Entwicklung, die wir befürchten, die wir nicht wollen. Deswegen sage ich, Frau Kollegin Kaschuba, auch zu solchen Überlegungen von Herrn Dr. Röhlinger, aus der Sicht eines Oberbürgermeisters einer Großstadt macht es Sinn, insbesondere wenn ich mich so ein bisschen an der 100.000er-Einwohnermarke hangele, wenn ich auch die Orografie, wie das unsere Heimatstadt hat, wenn ich Probleme habe mit Wohnraum, mit zusätzlichen Flächen usw., da hat das alles aus dieser Sicht eine gewisse Begründung. Das heißt noch lange nicht, dass das ein Modell ist, was ich,

(Abg. Dr. Kaschuba)

selbst wenn es für den Einzelfall richtig wäre, 1 : 1 auf Gera, auf Erfurt, auf Suhl, auf Eisenach und auf alle anderen Gebiete in unserem Land übertragen kann. Das wird nicht funktionieren.

(Beifall FDP)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich für die FDP-Fraktion, wir müssen über zukunftsfähige Strukturen in unserem Land natürlich reden an den Stellen, wo wir erkennen, dass es Handlungsbedarf gibt. Eine Struktur, die aus 160 Großgemeinden und sieben oder acht Großkreisen besteht für Thüringen, das ist nicht unser Bild und dem werden wir mit den Mitteln Widerstand entgegensetzen, die uns jeweils zur Verfügung stehen. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Barth. Als Nächster hat jetzt das Wort Abgeordneter Carsten Meyer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Na ja, also ich werde meine 20 Minuten hier nicht vollmachen, aber mehr als die 5 Minuten werde ich dann doch noch mal sprechen müssen hier vorn. Zwei Bemerkungen ganz kurz, erstens zu Herrn Barth: Schade, dass Sie es nicht ganz gelesen haben, unter dem Punkt II c steht drin, dass wir diesen Verfahrensvorschlag gern hätten unter Berücksichtigung der Idee der Bürgerkooperativen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur so viel zum Thema, wir glauben nicht an unsere eigenen Gutachten oder übernehmen die gar nicht erst.

Zweite Bemerkung an Herrn Hey: Ja, Herr Hey, ich bekenne mich schuldig. Ich wohne in Weimar, ich bin sogar freiwillig hingezogen und bin dabei durch Gotha durchgefahren und nicht da wohnen geblieben. Es ist schon übel. Aber um das Ganze dann in den Fokus hier mit hereinzurücken, vielleicht noch mal einige inhaltliche Bemerkungen nach der Debatte, die ich gerade hören durfte.

Nur um mal gleich damit anzufangen, was das Thema Verfahrensvorschlag angeht und was wir damit meinen könnten. Ich will nur einen ganz kleinen Aspekt herausholen, etwas ganz Praktisches, was überhaupt nichts mit inhaltlichen Präferenzen zu tun hat. Dieses schöne „blaue Wunder“ muss einfach schlicht übersetzt werden in mehrfacher Hinsicht. Es muss übersetzt werden für Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Es muss übersetzt werden für Menschen, die über

haupt nicht lesen können. Und es muss übersetzt werden für Menschen, die mit dieser Art von Sprache nicht umgehen können. Wenn ich mir hier schon anhören muss, dass ein Code of conduct eine Fremdsprache wäre, weil ich nur einen Fachterminus benutzt habe, um wie viel mehr erwarten wir denn von unseren Bürgerinnen und Bürgern, dass sie das hier aus dem Internet saugen und auf diese Art und Weise lesen. Das muss übersetzt werden und das muss, entschuldigen Sie bitte, die Landesregierung machen. Das ist nicht Aufgabe von uns als Fraktion oder als Parteien.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sind auch nicht wir es, die diesen Vorschlag machen, Herr Barth, sondern wir schlagen vor, dass die Landesregierung das zu tun hat.

Ganz am Anfang, Herr Fiedler, haben Sie etwas dazu gesagt, dass Sie ja schon ganz lange dabei sind und viel Erfahrung haben. Ich glaube, ich habe das so halbwegs, das Zitat stimmt nicht ganz, aber 1994 gab es Kreise mit 40.000 Einwohnern, da mussten wir was tun, das ging so nicht mehr. Die demografischen Zahlen, die die Landesregierung uns zur Verfügung stellt, weisen aus, dass der Landkreis Sonneberg im Jahr 2030 noch 45.000 Einwohner haben wird. Da muss man doch etwas tun, das geht doch so nicht mehr. Das trauen Sie sich nur nicht laut zu sagen. Das Problem steht jetzt wieder an, das Sie 1994 schon mal hatten und damals nur zur Hälfte gelöst haben. Ich war damals auch schon in Thüringen und kann mich noch gut daran erinnern, welches Klima in Sonneberg und in Hildburghausen geherrscht hat, übrigens auch in Neuhaus am Rennweg. Das will ich also gar nicht verschweigen. Das halte ich auch durchaus für ein Thema, an dem man sich noch abarbeiten sollte.

Die Zustimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, zu dem Problem, dass wir alles so lassen, wie es ist, weil es doch so schön ist, die erodiert doch zunehmend. Ich muss ja bloß mal fünf Minuten meiner Zeit nutzen und ins Netz gehen und finde zum Beispiel vor einen Zeitungsartikel aus der „Thüringer Allgemeine“ von heute in Eisenach, da steht drin: „Die Wirtschaftsinitiative Westthüringen will einen Großkreis.“ Die sind ganz sicherlich nicht GRÜNEN-nah. Aber die sind wahrscheinlich genauso nah an Ihnen dran wie Ihre Untergliederung in Schleusingen, die mittlerweile auch sagt, wir wollen einen Großkreis in Südthüringen, wir halten das für vernünftig. Übrigens nebenbei bemerkt, bei der Gelegenheit können Sie gleich mal in Mellrichstadt anfragen, vielleicht kommen die ja zu uns rüber. Denn die halten sich für Thüringer, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, und würden vielleicht gern näher dran an ihrer Landeshauptstadt wohnen als beispielsweise wenn die Sonneberger das Problem haben, drei Stunden nach München fahren zu müssen.

(Abg. Barth)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Da müssen wir mal … reden.)

Ich kenne Mellrichstädter und die sind der Meinung, das ist so.

Die Debatte, die heute hier geführt wurde seit gut anderthalb Stunden, hat sich sehr stark - und das habe ich befürchtet - auf das Thema der Gebietsreform bezogen. Meiner Ansicht nach ist es ein großer Fehler, wenn man dieses Buch liest. Es ist vor allem deshalb ein großer Fehler, weil da kann man natürlich jetzt wieder auf den Experten rumhacken, aber die eindeutige Aussage am Anfang in den ersten 20 Seiten, die ich mit Begeisterung gelesen habe, heißt: Wir müssen beides gemeinsam denken, wenn wir Strukturen ändern sollen,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und das müssen wir. Weil wir Geld sparen wollen und effizienter werden wollen, dann muss es eine Gebietsreform geben, weil wir diesen Landkreisen das nicht zumuten können, was wir ihnen zumuten wollen, um bei uns mit dem Sparen anzufangen. Wer dieses nicht akzeptiert, muss Alternativvorschläge machen. Der kann natürlich hingehen und sagen, lassen wir das Landesverwaltungsamt so wie es ist, das sitzt doch warm und trocken in Weimar. Wie wir die 11.000 Stellen wegbekommen, wissen wir zwar auch nicht, aber so geht es auf keinen Fall. Nein, so geht es eben nicht. Die Haltung der Fachkommission, die Frau Ministerpräsidentin eingesetzt hat und deren volle Unterstützung sie hat, heißt, ihr müsst beides gleichzeitig machen, Strukturen ändern und Fläche ändern, Gebietsreform und Verwaltungsstrukturreform. Deshalb müssen wir auch über die Verwaltungsstrukturen reden. Deshalb hat Herr Hey mit seinem wirklich fulminanten Auftritt hier vorn in dem Sinne recht, dass ich mich gar nicht in das Thema inhaltlich einbringen will. Aber natürlich kann er mit allem guten Recht, das er hat, sagen, ich will, dass die Bauschule in Gotha erhalten bleibt. Macht doch dieses überflüssige Ding in Weimar zu.

(Beifall Abg. Hey, SPD)

Nur dann muss die SPD in Weimar auch aushalten, was dann in Weimar passiert. Möglicherweise werden irgendwelche SPD-Abgeordnete, die gerade zum Kaffeetrinken draußen sind, ganz andere Meinungen zu dem Thema haben. Das ist ja das Schöne an dem Thema, dass Sie jetzt nicht mehr sagen können, das eine geht nicht und das andere auch nicht, sondern es muss heißen, wir müssen 50 Stellen einsparen und wie geht es, wenn das nicht funktioniert - nur zu.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu will ich als Weimarer weiter gar keine Bemerkung machen, könnte ich aber in diesem inhaltlichen Fall dann trotzdem tatsächlich auch.

Alle Vorschläge lassen Alternativen zu. Ich habe jedenfalls bisher keine gelesen, teilweise werden ja sogar Alternativen vorgeschlagen. Auch die große Frage der Ein- oder Zweistufigkeit der Verwaltung ist nicht ausdrücklich und abschließend geklärt. Auch dazu brauchen wir hier in diesem Haus eine Haltung und nicht nur über die Frage, ob sechs Abgeordnete auf 56 Einwohner nicht möglicherweise etwas viel sind im Verhältnis zu 60 oder, was Erfurt hat, auf 200.000.

Noch einmal - wir werden es sicherlich noch häufiger sagen müssen: Eine Gebietsreform und eine Funktionalreform spart in erster Linie nicht Geld, sondern sie verbessert die Arbeit. Das ist Sinn der Angelegenheit. Auch dazu, Herr Hey, noch eine Bemerkung, die ich mir nicht ersparen kann: Wäre Thüringen eben doch ein bisschen größer - zum Beispiel Mitteldeutschland - dann wäre Aschersleben ein Teil unseres wunderschönen Landes und schlagartig wäre die Frage, warum es denn eigentlich von Altenburg nach Aschersleben nicht weiter ist als nach Meiningen, schon geklärt, wenn es um die Frage geht, wo man sich ausbilden lässt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage der Länderfusion darf hier keiner stellen, die ist ja sakrosankt, ändert aber nichts an der Tatsache, dass Ihr Argument falsch ist. Menschen ziehen nicht dahin, wo sie ausgebildet worden sind. Menschen ziehen dahin, wo sie Arbeit finden. Und ob sie die Arbeit als Polizist in Erfurt finden

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

oder in Meiningen oder meinetwegen auch in Aschersleben, das ist noch die sehr große Frage. Diese Frage so zu stellen, wie Sie sie gestellt haben, ist unredlich, weil es nicht um die Ausbildungsorte geht. Die Ausbildungsorte haben was mit Qualität und Menge zu tun, mit Effizienz und vor allem mit Effektivität. Es ist natürlich sehr effizient, in einer sehr kleinen Schule einen Schüler auszubilden; es ist aber nicht effektiv. Effektiv ist möglicherweise, dass Schulen drei- oder vierzügig sein müssen, und da muss man auch den Mut haben zu sagen, was passiert dann mit denen, die das nicht sein können. Das ist Verwaltungsstrukturreform, die auch noch angegangen werden muss.

Und diese hier doch tatsächlich in der Diskussion bei zwei unserer Kolleginnen und Kollegen wirklich, wie ich finde, sehr unangenehme Dichotomievariante zwischen „die Bürger wissen, was sie wollen“ und „die Experten wollen willkürlich etwas anderes“ sollte man auch versuchen, ein bisschen zurückzufahren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bürgermeinung ernst zu nehmen, da müssen Sie, glaube ich, uns, als jemand, der aus BÜNDNIS

90 kommt, wirklich keine Belehrung geben, das müssen Sie wirklich nicht. Da will ich Sie auch nicht belehren, aber ich möchte Sie doch ein bisschen davor warnen, so zu tun, als wenn diese Expertenkommission so eine willkürliche Variante ist, die sich Frau Ministerpräsidentin so aus dem Telefonbuch zusammengesucht hat und dann aus Eigeninteresse Vorschläge macht, die alle nur dazu dienen, die wirklich vernünftige Meinung von Bürgern, die aber da schon keinerlei Informationen brauchen, ad absurdum zu führen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist auch ein bisschen zu billig. So sollten wir die Debatte hier nicht führen und so sollten wir die Debatte auch nicht mit unseren Bürgerinnen und Bürgern führen. Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen zum Beispiel deshalb größere Kreise, weil sie, wenn sie im Kreistag sitzen, wenigstens was mitbestimmen möchten.

(Beifall Abg. Kuschel, DIE LINKE)

Und entschuldigen Sie bitte, schauen Sie sich die Haushalte Ihrer kleinen Kreise an, da ist nicht mehr viel zu tun.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Von welchen Bürgern reden Sie eigentlich?)

Na ja, von welchen rede ich? Ich rede wahrscheinlich von den 500, die ich kenne, so wie Sie 500 andere kennen, vermute ich mal, die Schnittmenge wird nicht so groß sein.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wir haben mehr. Sie haben nur 500 Mitglieder, da kön- nen Sie nicht mehr kennen.)

Auch dieses Niveau gehört mit zu dem Thema, das ist eben das Problem. Wenn Sie glauben, nur Sie wissen, was der Bürgerwille ist, dann werden Sie in anderthalb Jahren wissen, was der Bürgerwille bei Wahlen mit Ihrer Meinung dann machen wird. Werden wir es einfach abwarten, das ist das Problem, dann haben Sie leider fünf Jahre verschenkt und der Bürgerwille, was das Thema Verwaltungsstrukturreform angeht, ist ziemlich eindeutig.

(Unruhe CDU)

Herr Meyer, Sie haben das Wort.

Danke.