Protokoll der Sitzung vom 25.02.2010

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es gibt keinen Satz, der die Beweggründe für unseren Gesetzentwurf so gut in Worte fassen kann, wie der des Altkanzlers Willy Brandt, der das Motto ausgab oder den Satz prägte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Wir Bündnisgrünen wollen heute mehr Demokratie wagen, indem wir das aktive Wahlalter auf der Ebene der Kommunen auf 16 Jahre absenken.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich will aber auch gleich einen weiteren wichtigen Sozialdemokraten zitieren und das ist Helmut Schmidt, der sagte: „Keine Begeisterung sollte größer sein, als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft.“ Wir GRÜNEN wollen uns aber die Leidenschaft für Politik hier nicht nehmen lassen und wir fühlen uns eigentlich in diesem Haus damit auch sehr gut aufgehoben. „Erst der Enthusiasmus, dann erst der Fleiß“, sagt Stefan Zweig. Damit bin ich auch fast am Ende mit meinen Zitaten. Aber ich finde es wichtig, hier noch mal aufzuzeigen, dass der Begeisterung natürlich die Arbeit folgen muss. Insofern will ich heute nicht nur begeistert sein von mehr Demokratie und mehr Partizipation, sondern dafür fleißig argumentieren und um Ihre Aufmerksamkeit dabei ringen. Uns Bündnisgrünen ist dabei vollkommen klar, dass wir mit unseren sechs Stimmen das Wahlalter in Thüringen nicht absenken werden. Wir brauchen Sie dazu alle und wir wollen das gerne mit Ihnen qualifiziert diskutieren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Beginnen will ich deshalb gleich mit den Gegenargumenten.

Eines der häufigsten Gegenargumente, das ich höre, ist, Jugendliche können diese Wahlentscheidung noch nicht treffen, weil sie noch an Reife einen Mangel haben.

Das zweite Argument, was sehr häufig kommt, ist, Jugendliche neigen zu extremen Positionen und das kann sehr gefährlich werden.

Drittes Argument, dass man häufig hört, ist, Jugendliche seien selbst an einem Absenken des Wahlalters, also an der Möglichkeit mitzubestimmen, gar nicht interessiert, weil politikverdrossen.

Viertens, da sind manchmal Staatsrechtler dabei, dies zu argumentieren, das Wahlalter müsse unbedingt an

die Volljährigkeit gekoppelt sein. Es gibt noch mehr Argumente, man kann sie im Internet nachlesen, aber diese vier scheinen mir ganz zentral und die wichtigsten zu sein, deshalb gehe ich darauf nachher noch mal speziell ein.

Diesen vier Kontra-Argumenten stelle ich unsere ProArgumente gegenüber: Jugendliche interessieren sich sehr wohl für Politik und sind gerade, wenn sie Erstwählerinnen und Erstwähler sind, sehr begeistert davon.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich weiß nicht, was Sie erleben in diesen Besuchergruppen. Meistens sind das Jugendgruppen. Man könnte argumentieren, die freuen sich darüber, dass die Schule mit ihnen einmal wegfährt. Aber wir haben auch oft Besuchergruppen mit älteren Besuchern. Das ist auch nicht selten. Der überwiegende Anteil, das sind allerdings die Jugendlichen. Aber ich weiß nicht, was Sie in diesen Diskussionen erleben. Ich erlebe immer, dass es in einer Gruppe von 20 vier, fünf Menschen gibt, die Lust an der intensiven Diskussion haben. Das hat nie - für meine Beobachtungen - etwas mit dem Alter zu tun, sondern eher mit der Gruppengröße. Insofern bin ich sehr, sehr sicher in der Annahme, dass es nicht um Politikverdrossenheit geht, sondern vielmehr um eine Politikerinnen- und Politikerverdrossenheit. Hier sind wir gefragt. Mit unserem Antrag wollen wir hier ein Angebot machen, mehr Partizipation möglich zu machen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir wollen damit die Distanz auch zwischen Politik und jungen Menschen verringern. Jugendliche sind - und davor dürfen wir die Augen nicht verschließen - viel mehr als alle anderen Altersgruppen von unseren heutigen politischen Entscheidungen betroffen, weil sie am längsten mit ihnen leben müssen. Nachhaltigkeit ist hier ein Schlagwort, und Nachhaltigkeit ist ein Baustein, den wir in eine bessere Politik einbinden wollen. Deshalb sind wir der Meinung, dass junge Menschen besser partizipieren sollen.

Der Autor der Shell-Studie, Prof. Klaus Hurrelmann, stellt immer wieder klar und es ist ihm ganz wichtig, die Sozialisation und die soziale Kompetenz bei 16- und 17-Jährigen, hat er in seinen Forschungen herausgefunden, hat keinen signifikanten Unterschied mehr zu 18-Jährigen. Deshalb stellt sich für uns die Frage, warum wir darauf beharren wollen, dass man erst mit 18 wählen kann.

Wir sind der Meinung, was in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen möglich ist, ist auch in Thüringen möglich. Deshalb wollen wir auch hier das Wahlalter absenken, und wir glauben, dass das gut ist für Thüringen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Argument möchte ich anführen: Politik bleibt jünger, wenn wir uns einer Altersgruppe zuwenden, die agil ist, die ihr Leben gestalten will. Politik bleibt jünger, wenn wir uns darauf einlassen, was junge Menschen, die am Anfang eines Lebens stehen, von Politik erwarten. Ich glaube, wenn wir einfach eine Mengenbetrachtung durchlaufen lassen und uns überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, mehr Menschen in Entscheidungsprozesse einzubinden, dann, denke ich, müssen wir darauf kommen, dass mehr Menschen, die an einer Diskussion beteiligt sind, auch bessere Ergebnisse bringen. Zumindest in meiner Partei erlebe ich das auch so. Auch wenn es ein wenig Zeit nimmt, es ist besser, mit mehr Leuten noch einmal darüber nachzudenken und zu diskutieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Argument soll hier nicht fehlen. Wir als Gesetzgeber im Land Thüringen sind aufgefordert, Gesetze und das Recht fortzuentwickeln. Wir dürfen nicht stehen bleiben und dürfen sagen, das haben wir so einmal gemacht. Bei der Stichwahl haben wir ja auch versucht, zu entwickeln, dann doch entschieden, das zurückzunehmen. Warum sollen wir das beim Wahlalter nicht machen?

Wir sind aufgefordert, uns dem zu stellen, das Recht fortzuentwickeln, so wie es in einigen Ländern schon ist. Ich glaube, diese 5. Legislatur des Thüringer Landtags ist ein guter Zeitpunkt dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So weit zu den Pro-Argumenten. Die Gegenargumente will ich nicht nur einfach nennen, sondern will mich damit auch noch mal auseinandersetzen, weil ich sie sehr ernst nehme und will das schon vorausschicken, mit Ihnen allen sehr gern im Innen- und Justizausschuss natürlich diskutieren möchte.

Das Argument, Reife und Rechtfertigung dieser Altersgrenze: Wichtig ist mir, klarzustellen, dass diese Altersgrenze vollkommen willkürlich gewählt ist. Mit 14 Jahren ist man strafmündig, mit 14 Jahren erlangt man die volle Religionsmündigkeit, mit 14 Jahren kann man Mitglied in einer Partei werden, dort

Ämter bekleiden. Ein Kreuzchen bei einer Wahl soll man nicht machen können, das will mir nicht einleuchten. Mit 14 Jahren oder mit 16 Jahren entscheiden sich sehr viele Menschen für ihren weiteren Lebensweg, nämlich mit der Entscheidung für eine Lehre. Welchen Beruf will ich erlernen? Welchen Weg gehe ich? Das ist eine schwerwiegende Entscheidung. Aber das Kreuzchen für eine Partei machen, das soll man nicht können. Ich glaube, wir unterschätzen da unsere jungen Menschen. Sie können das viel besser, als wir das denken.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns auch eines vor Augen führen: Was ist denn eine reife Wahlentscheidung und was nicht? Das werden wir doch parteipolitisch sehr unterschiedlich beurteilen. Sind wir uns denn darüber einig, dass die Entscheidung für den Atomausstieg eine reife Wahlentscheidung ist? Sind wir uns denn einig, dass es eine reife Entscheidung ist, mit der SPD einen Wechsel in Thüringen wählen zu wollen, um dann nur eine neue CDU-Ministerpräsidentin zu bekommen? Ist es denn reif, Steuersparmodelle zu wählen? Ist es denn reif, eine Partei zu wählen ihres linken weltoffenen Weltbildes wegen und Handlanger eines Unrechtsregimes in das Parlament zu wählen? Ist es denn reif, eine Partei mit christlichem Anspruch zu haben, die die Bewahrung der Schöpfung ganz vorne auf ihrer Agenda haben müsste, die die aber sofort bei jedem noch so fragwürdigen Gewerbegebiet gegen die Investitionen abwägt?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und um das selbstkritisch zu sagen: Ist es denn eine reife Wahlentscheidung, eine pazifistische Partei zu wählen, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu vertreten hat?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, reife Entscheidungen, das hoffe ich, mit diesen Beispielen gezeigt zu haben, sind eine sehr, sehr schwierige Sache - immer und für jeden. Sie haben wenig mit dem Alter zu tun, sondern vielmehr mit dem Anspruch an sich selbst. Dieser Gesetzentwurf, den wir hier heute vorlegen, richtet sich im Übrigen sehr deutlich auf die kommunale Ebene. Das ist jetzt kein Aber und Nur, sondern wir müssen uns doch einmal deutlich machen, wovon denn Wahlentscheidungen auf kommunaler Ebene geprägt sind. Wenn ich an meine Heimatstadt Erfurt denke, dann war sie geprägt von Stadionneubau und antiautoritären Reflexen gegenüber Geschäftsführern von Stadtwerken und Ähnlichem. Jeder wird da sein Beispiel haben. Finden wir das denn illegitim? Ich glaube, wir finden das nicht. Es sind die ganz einfachen Dinge, die wir entscheiden können. Jugendliche können sehr gut entscheiden, welche Partei sie für fünf Jahre in einem Stadtrat

oder in einem Kommunalparlament haben wollen.

(Beifall SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dem Hohen Hause ist es ja in dieser 5. Legislatur gute Mode geworden, Juristen zu zitieren. Ich möchte einen Münchner Politologen und Juristen, Herrn Dr. Merk, zitieren. Der sagt in einem zusammengesetzten Zitat, um das deutlich zu machen: „Staatsgewalt darf nur vom Volk ausgehen. Da die Staatsangehörigkeit mit der Geburt erworben wird, kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass das Staatsvolk aus sämtlichen lebenden Individuen besteht.“ Also jeder kann Staatsgewalt ausüben, jeder sollte an Wahlen beteiligt sein. Wir meinen, dass junge Menschen in Thüringen deshalb beteiligt werden müssen!

Zu den weiteren Argumenten, die ich angesprochen hatte: Jugendliche würden extreme Positionen wählen und bevorzugen. Bei meiner Recherche im Internet und dem Befassen mit den Aufsätzen dazu habe ich eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung gefunden, die sehr deutlich macht, dass Jugendliche gerade in dem Alterssegment, über das wir sprechen, eben nicht zu extremen Positionen, sondern außerordentlich deutlich zu den großen Parteien auch tendieren. Nur 12 Prozent waren andere, der Rest waren die ganz etablierten Parteien. Auch die Beobachtung der Juniorwahlen bei der letzten Bundestagswahl hat gezeigt, dass nur 0,5 Prozent sich dort für extreme Positionen ausgesprochen haben. Das zeigt, Jugendliche entscheiden sehr bewusst, wenn sie zur Wahl gehen. Wir können ihnen das wirklich anvertrauen, wir können ihnen diese Entscheidung auf kommunaler Ebene anvertrauen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage, die von Kritikern aufgeworfen wird: Haben die jungen Menschen denn überhaupt selbst ein Interesse? Gehen die denn zur Wahl? Die sind ja so politikverdrossen. Auch das ist untersucht worden in den vorgenannten Ländern, in denen es diese Regelung schon gibt. Auch da hat sich gezeigt, dass Jugendliche etwas unter dem Durchschnitt, aber immer noch um einiges aktiver als junge Erwachsene im Bereich zwischen 21 und 24 wählen gehen. Das heißt, wenn wir die Wahl ab 16 möglich machen, machen wir ein Angebot in einer frühen Zeit. Wir können nur hoffen, dass wir hiermit Menschen prägen und sagen: Wählen gehen, das macht Spaß. Wir haben es euch gerne in die Hand gegeben und jetzt macht auch etwas aus eurem Recht.

Zum Thema der Altersgrenze habe ich schon, denke ich, genug ausgeführt. Herr Barth, ist noch irgendetwas offen geblieben?

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Nein.)

Ich warte jetzt auf einen Zwischenruf. Eigentlich ist es mir zu langweilig, wenn ich hier meinen Vortrag halte.

(Zwischenruf Carius, Minister für Bau, Landesentwicklung und Verkehr: Uns auch.)

Sie wollen mich nicht glücklich machen? Gut, wir ziehen das ganz einfach durch. Wir GRÜNE sind überzeugt, dass wir mit unseren Pro-Argumenten in einen guten Austausch mit den Kontra-Argumenten kommen können. Wir wollen das mit Ihnen im Justiz- und Innenausschuss diskutieren. Das scheint uns wichtig zu sein. Wir glauben an unsere Pro-Argumente. Obwohl es uns bewusst ist - lassen Sie mich das auch sehr deutlich sagen -, dass die pure Absenkung der Altersgrenze noch nichts an Politikverdrossenheit ändern wird. Damit holen wir keine 17-Jährige hinter dem Ofen vor. Wir müssen das immer kombinieren mit viel mehr anderen Maßnahmen, zum Beispiel bessere Öffentlichkeitsarbeit, eine altersgerechte Sprache hier von diesem Pult aus, Geduld, sich auf altersspezifische - das gilt übrigens nicht nur für junge, sondern Geduld auch für ältere Menschen - Forderungen und Bedürfnisse einzulassen und vieles, vieles mehr. All dieses Hinwenden auf junge oder alte Menschen hilft uns nichts, wenn wir nicht das wirkliche Angebot der Mitbestimmung hier mittransportieren. Deshalb ist es so wichtig, dass junge Leute ab 16 auf der kommunalen Ebene mitbestimmen müssen in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich mit einem Konrad-Adenauer-Zitat - das hatten wir eben schon - schließen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das war ein guter Mann.)

Ja, ich werde schon gerügt. Konrad Adenauer hat gesagt: „Erfahrungen sind wie Samenkörner, aus denen Klugheit emporwächst.“ Lassen Sie uns - das ist mein Appell heute - jede Wahlberechtigte und jeden Wahlberechtigten wie Samenkörner sammeln, das wird der gesamtgesellschaftlichen Klugheit sehr viel dienen und nutzen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vielen herzlichen Dank an Dirk Adams. Das Wort hat jetzt Abgeordneter Jörg Kellner von der CDU-Frak

Sehr geehrte Damen und Herren, ja, wir haben jetzt einen umfangreichen Vortrag gehört von Afghanistan, über Gewerbegebiete, über die Stadt Erfurt und wieder zurück zur Thüringer Kommunalwahlordnung.