Protokoll der Sitzung vom 24.05.2013

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da gibt es keine Noten bis Klasse 8. Da gibt es auch keine überborden- de Jugendarbeitslosigkeit. Das war Ironie, Herr Emde.)

Sie müssen sich die Dinge mal genau ansehen. Sie können auch mal nachsehen, was dann dort passiert, wenn man für das Abitur 66 verschiedene Anforderungsniveaus einführt. Ob das dann zielführend ist, das wage ich aber dringend zu bezweifeln und deswegen kann ich nur dafür plädieren, Klassenwiederholung muss bleiben, Noten müssen bleiben, Prüfungsstandards müssen sein und keine Verwässerung dieser Leistungsanforderungen.

Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu dem zweiten Teil dieses Antrags, zu den Vorschlägen für mehr Personalverantwortung von Schulen. Dazu kann ich nur sagen, der Antragstext zeugt von fachlicher Unkenntnis und politisch halte ich das für völlig untauglich.

Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass wir das Ministerium bitten, Referendare in der Warteschleife als billige Aushilfslehrer in unseren Schulen zu beschäftigen. Es muss doch vielmehr das politische Ziel sein, dass es gelingt, mit dem Ministerium zusammen mit den Hochschulen für die jungen Leute einen durchgängigen Weg zu schaffen, dass sich an das Studium an der Universität sofort ein nahtloser Übergang anschließt hinein in die Schule, in die Referendariatszeit. Deswegen, meine Damen und Herren, ich habe hoffentlich genügend Gründe dafür aufgeführt, weshalb wir diesen Antrag der GRÜNEN rundweg ablehnen.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Abgeordneter Möller das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen hier im Rund, werte Gäste draußen vor den Bildschirmen, ein herzliches Willkommen. Herr Emde, wir wissen beide, was ein Pawlowscher Reflex ist, und der hat hier aber wirklich so was von funktioniert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Emde)

Schon beim Lesen der ersten Zeile geht die Diskussion von Ihnen in eine Richtung, die eigentlich, ja, Pawlowscher Reflex ist. Ideologie lässt grüßen. Ich hatte erst bei Ihren Ausführungen zum Kollegen Dregger die Idee, was soll der Bundespolitiker hier bei einer bildungspolitischen Diskussion. Nein, Sie meinten einen Jörg Dräger, den Sie hier zitierten. Der hat festgestellt, dass beim sogenannten Sitzenbleiben zwar kurzfristig gute Noten gekommen sind. Dann ist es entscheidend, diesen Text und auch diese Aussagen weiter zu lesen. Denn nach der Phase der guten Noten erfolgt ein erneutes Absinken in der Leistung. Wie gesagt, es geht außerdem nicht um die Abschaffung von Noten. Wenn ich mir also noch mal die Überschrift durchlese, auch den Antragstext, und die Reaktion von Herrn Emde zur Kenntnis nehme, komme ich zu meiner Bemerkung vom Anfang zum Pawlowschen Reflex.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die empirische Schulforschung äußert bereits seit Jahrzehnten Kritik am Sitzenbleiben. Diese Kritik ist vor allem mit Namen wie Karlheinz Ingenkamp oder Elfriede Höhn verbunden, die durchaus als Pioniere in der Bildungsforschung zu bezeichnen sind. Man kann aber auch noch weiter, viel weiter zurückgehen und wird feststellen, dass die Kritik am Sitzenbleiben älter als die Existenz der SPD ist. Dennoch wird daran festgehalten. Mein Vorredner hat ein beredtes Beispiel dafür gegeben. Aus der Pädagogik und dem übrigen Leben wissen wir, dass eine positive Motivation immer mehr erreicht als ein Zurücksetzen oder das Kleinmachen von Persönlichkeit. Herr Emde hat Sitzenbleiben als ein pädagogisches Mittel bezeichnet. Für mich ist Sitzenbleiben das Versagen von Pädagogik.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Denn wenn der Schüler das Klassenziel nicht schafft, dann soll er nicht dafür bestraft werden, sondern es müssen ihm die Möglichkeiten eröffnet werden, Gelerntes aufzuarbeiten beziehungsweise seine Wissenslücken zu schließen. Denn wozu muss man erst jemanden sitzenbleiben lassen, um dann erst den ganzen Fächerkanon der pädagogischen Möglichkeiten auszubreiten. Warum nicht vorher schon, um letzten Endes Sitzenbleiben zu verhindern. Die Schlüsselworte heißen hier also Individualisierung und Schülerorientierung und nicht Gleichmacherei, Herr Emde, was Sie diesem Antrag unterstellt haben. Wir reden also hier über eine Veränderung der schulischen Rahmenbedingungen, um Defizite beziehungsweise Unterstützungsbedarf bei den Schülerinnen und Schülern rechtzeitig zu erkennen und rechtzeitig entsprechend zu handeln. Darüber hinaus ist Sitzenbleiben teuer. Mit fast 1 Mrd. € beziffert der Bildungsforscher Klaus Klemm die Kosten, die Deutschland Jahr für Jahr dafür ausgibt. Die GEW hat 2005 einmal festgestellt, dass das ungefähr 4.700 € pro Schulkind

sind. Obwohl dies alles bekannt ist, wird an dieser überholten Praxis festgehalten. Warum? Verwiesen wird in der Regel auf die Entwicklung eines Leistungsbewusstseins bzw. dass eben der Knoten bei manchem später platzt. Fest steht aber, die erhofften positiven Effekte des Sitzenbleibens treten nicht ein, Verweis auf Jörg Dräger. Vielmehr wird Schulversagen produziert und Lernzeit vergeudet. Zugleich werden Lernmotivationen zerstört und gewachsene soziale Bezüge zerschlagen. Das wurde durch eine Vielzahl von Studien in der Vergangenheit bewiesen. Die bereits benannten Veränderungen der Rahmenbedingungen der Schule und längeres gemeinsames Lernen halten wir für die probaten Mittel, um Wissensdefizite auszugleichen und Schulbiografien positiv zu gestalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass meine Fraktion ein Gegner des Sitzenbleibens ist, dürfte dem Hohen Haus keine Neuigkeit sein. Wir unterstützen aus diesem Grund den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir haben nur eine Anmerkung, da aus unserer Sicht ein Aspekt unerwähnt geblieben ist, und zwar die Lehramtsausbildung. Auf die Fortbildung sind Sie eingegangen. Die Ausbildung habe ich leider nicht nachlesen können. Jedoch unterstelle ich Ihrer Fraktion, dass das als Selbstverständlichkeit mit eingeschlossen ist in diesem Antrag. Mit der Abschaffung der Versetzungsentscheidung in Klassenstufen 3, 5 und 7 bzw. von der 1. bis zur 7. Klasse in den Gemeinschaftsschulen ist der erste Teil eines notwendigen Weges gegangen worden. Mit diesem Antrag gehen wir diesen begonnenen Weg konsequent weiter. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die SPD-Fraktion hat Abgeordneter Döring das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im Gegensatz zum Kollegen Emde bin ich eindeutig der Meinung, dass die Bündnisgrünen mit ihrem Antrag wichtige Fragestellungen der künftigen Weiterentwicklung unseres Schulwesens benannt haben. Das gestehe ich auch unumwunden ein. Ich denke auch, dass unsere beiden Fraktionen in der Beurteilung dieser Fragestellungen gar nicht so weit auseinanderliegen. Aber ich sage hier auch ganz offen, dass ich die von den Antragstellern geforderte Umsetzung ihrer zentralen Anliegen binnen Jahresfrist für wenig realistisch und bildungspolitisch auch für nicht gerade zielführend halte. Ich will Ihnen das an der sicherlich wichtigsten Forderung des Antrags deutlich machen.

(Abg. Möller)

Im Punkt 1 der Vorlage heißt es, die Thüringer Schulordnung solle dergestalt abgeändert werden, dass alle allgemeinbildenden Schulen, die dies wünschen, nach dem Schuljahr 2014/15 auf unfreiwillige Klassenwiederholungen bis zum Ende der Sekundarstufe I verzichten können. Gleichzeitig, und das ist der Punkt 2 des Antrags, sollen die für eine Realisierung dieses Projekts und für die damit verbundene verstärkte individuelle Förderung notwendigen konkreten personellen und materiellen Rahmenbedingungen in einem Diskursverfahren mit Schülern, Eltern und Lehrern bis zum Schuljahr 2014/15 ermittelt werden. Punkt 3 der Vorlage besagt, dass die so ermittelten zusätzlichen personellen und materiellen Ressourcen der dann am Projekt teilnehmenden Schulen zum Ausbau der individuellen Förderung zur Verfügung zu stellen sind. So weit, so gut. Beim flüchtigen Lesen kann man damit umgehen. Aber, meine Damen und Herren, der Teufel steckt wie so oft im Detail. Beim genaueren Hinschauen tun sich bei den drei genannten Antragspunkten gravierende Unstimmigkeiten auf. Sie wollen also, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, bereits im kommenden Jahr ein recht ambitioniertes bildungspolitisches Reformprojekt starten. Ich sage jetzt überhaupt nichts dazu, ob sich so etwas inklusive der notwendigen rechtlichen, administrativen oder schulorganisatorischen Veränderungen überhaupt in einem derart kurzen Zeitraum stemmen lässt. Wichtiger ist mir Punkt 2 des Antrags, dem ich frei übersetzt entnehme, dass Sie selbst gar nicht so genau wissen, welcher konkrete personelle und materielle Mehrbedarf sich aus einer Realisierung dieses Projekts eigentlich ergibt, so dass diese Frage erst einmal in einem aufwendigen und breiten gesellschaftlichen Diskurs geklärt werden sollte. Diese Klärung soll zudem bis zum Projektstart dauern, obwohl Punkt 3 der Vorlage besagt, dass die Projektteilnehmer über den ermittelten Mehrbedarf verfügen können, was logischerweise ebenfalls mit dem Projektbeginn umgesetzt werden müsste. Wie soll denn das alles funktionieren? Die Landesregierung soll also binnen kürzester Zeit ein Projekt starten, dessen konkrete Rahmenbedingungen nicht einmal Sie als Antragstellerin kennen und die bestenfalls aufgrund des von Ihnen favorisierten Diskursverfahrens unmittelbar vor dem Projektbeginn feststehen. Gleichzeitig müssten aber die Projektteilnehmer bereits beim Projektstart über den ermittelten Mehrbedarf verfügen können, ja, besser noch, schon im Vorfeld wissen, mit welchen personellen und sächlichen Ausstattungen sie überhaupt rechnen können. Genau dies ist aber mit der von Ihnen gewählten Vorgehensweise nicht möglich, weil Sie das Pferd quasi von hinten aufzäumen.

Ein weiteres Problem, das ich hier aber nur kurz streifen möchte, ist die Tatsache, dass Ihre Ansatzpunkte 1 und 3 nicht logisch aufeinander aufbauen. Im Punkt 1 sagen Sie explizit, dass sich auch freie

Schulen am Projekt beteiligen können. Gemäß Punkt 3 soll das Land dann allen Projekten aber sozusagen den nötigen personellen Mehrbedarf zur Verfügung stellen. Dafür sind wir aber als Land bei freien Schulen nicht zuständig. Die konkreten personellen Bedarfe definiert dort der Schulträger, nicht der Freistaat. Auch in dieser Hinsicht ist, denke ich, Ihr Antrag nicht wirklich durchdacht und so einfach nicht realisierbar.

Meine Damen und Herren, damit verlasse ich die grundsätzliche Auseinandersetzung darüber, ob der vorliegende Antrag überhaupt umsetzbar ist, und komme zu der von den GRÜNEN zu Recht aufgeworfenen Frage nach der Sinnhaftigkeit des Sitzenbleibens. Vielleicht kann auch der Koalitionspartner hier besonders gut zuhören.

Sämtliche empirische Studien der vergangenen Jahrzehnte kommen hier zu einem ebenso eindeutigen wie frappierenden Ergebnis: Klassenwiederholungen sind pädagogisch und entwicklungspsychologisch wirkungslos. Sie führen weder bei den sitzengebliebenen Schülern zu einer Verbesserung ihrer kognitiven Entwicklung, noch profitieren die in die nächste Klassenstufe versetzten Schüler von dieser Maßnahme. Das belegt die Fachwissenschaft nicht allein für Deutschland, sondern in mehr als 60 thematisch einschlägigen Untersuchungen auch für viele andere Länder, die mit dem Instrument der Klassenwiederholung arbeiten. Kollege Möller hat schon Karlheinz Ingenkamp genannt, der schon 1972 in einer empirischen Studie zum Sitzenbleiben zu folgender Einschätzung gelangt: „Die Sitzengebliebenen und überalterten Schüler finden auch durch die Wiederholungsjahre durchschnittlich nicht den Anschluss an die mittleren Leistungen der glatt versetzten Schüler. Je häufiger sie sitzengeblieben sind, desto größer wird ihr durchschnittlicher Leistungsrückstand.“ Schon 1976 heißt es in einer Untersuchung von Belser und Küsel im Hinblick auf die immer wieder zutreffende irrige Annahme, Sitzenbleiber fänden im neuen Klassenverband ein günstigeres Lernumfeld, das ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen angemessen sei und ihnen so dauerhafte Lernerfolge ermögliche, klipp und klar: „Ganz allgemein ist zwar im Wiederholungsjahr eine Leistungsverbesserung zu beobachten, aber schon im nächsten Schuljahr, in dem neue und höhere Anforderungen gestellt werden, sinken die Leistungen wieder ab.“ Exakt den gleichen Befund liefern internationale Studien. Ich zitiere hier nur einmal Wolfgang Tietze und Hans-Günther Roßbach: „Der Vergleich sitzengebliebener Kinder mit gleich leistungsschwachen, aber versetzten Schülern zum gleichen Alterszeitpunkt ergibt deutliche Leistungsunterschiede zuungunsten der Sitzenbleiber.“ Es zeigt sich sogar, dass „... der Leistungsabstand im Verlauf der folgenden Schuljahre noch zunimmt.“

Meine Damen und Herren, die Klassenwiederholung gebietet also dem davon unmittelbar betroffenen Schüler keinerlei nachhaltigen Ertrag. Zudem ist es so, dass auch die leistungsstärkeren, in die nächste Klassenstufe aufrückenden Schüler nicht vom Aussortieren der Schwächeren profitieren. Das zeigen uns alle bisherigen PISA-Runden. Bemühungen Deutschlands, durch ein Instrument des Nichtversetzens an den Schulen möglichst leistungshomogene Lerngruppen zu schaffen, fruchten trotz aller partiellen Verbesserungen des deutschen Abschneidens bei den PISA-Studien nach wie vor nicht. Die Leistungsspitze der deutschen Schüler ist im internationalen Vergleich noch immer viel zu schmal, gleichzeitig liegt das von diesen Leistungen erreichte Kompetenzniveau nach wie vor erheblich unter dem internationalen Durchschnitt. Auch am Ende der Leistungspyramide ist das Bild nicht gerade erhebend. Dort versammeln sich nämlich im internationalen Vergleich viel zu viele Schüler und das von ihnen erzielte Kompetenzniveau erreicht bei Weitem nicht den Level der leistungsschwächsten Schüler in jenen Ländern, die auf heterogene Lerngruppen setzen.

Meine Damen und Herren, die SPD ist sich da ja mit den GRÜNEN einig in der Bewertung, dass Sitzenbleiben keinen Sinn macht. Wir haben uns deshalb in der Koalition darauf verständigt, in den Klassenstufen 3, 5 und 7 der Grund- und Regelschulen sowie der Gymnasien bzw. in den Klassenstufen 1 bis 7 der Gemeinschaftsschulen auf Versetzungsentscheidungen zu verzichten. Für mich ist das ein guter und richtiger Schritt gewesen. Die GRÜNEN behaupten dagegen in ihrem Antrag, wir seien damit auf halbem Wege stehen geblieben. Ich sehe das nicht so, liebe Kollegin Rothe-Beinlich. Sie unterschlagen nämlich bei Ihrer Argumentation die konkreten gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die unseren Reformschritt flankiert haben. Es ist nun einmal so, dass weite Teile der Bevölkerung das Sitzenbleiben allen empirischen Ergebnissen zum Trotz als sinnvoll erst einmal betrachten, als eine Art Warnschuss für den betroffenen Schüler und als probates Mittel, das Leistungsniveau der in die nächste Klassenstufe versetzten anderen Schüler hochzuhalten. Das ist die allgemeine Haltung. Auch wenn diese Denkweise sachlich noch so falsch ist, sie dominiert nun einmal die gesellschaftliche Wahrnehmung der Problematik. Das sagen uns alle repräsentativen Umfragen der letzten Jahre, das haben uns auch die vielen Zuschriften und in der Presse abgedruckten Leserbriefe gezeigt, als wir unseren Reformschritt vor zwei Jahren unternommen haben. Natürlich kann man so etwas als GRÜNE einfach ignorieren und versuchen, der Gesellschaft die eigene Sicht der Dinge aufzuoktroyieren. Ich glaube aber nicht, dass eine derartige Vorgehensweise wirklich Erfolg haben wird. Hier gilt es vielmehr, bestehende Denkmuster durch gute Praxisbeispiele stückweise auf

zubrechen. Wenn uns dies in den kommenden Jahren gelingt, steht einer weitergehenden Reform der Klassenwiederholung aus meiner Sicht nichts im Wege.

Neben den gesellschaftlichen Mentalitäten gilt es auch, die bisherige Berufspraxis der Thüringer Pädagoginnen und Pädagogen im Auge zu behalten. Die allermeisten unserer Lehrer stehen einer individuellen Förderung aufgeschlossen gegenüber. Sie sind aber allerdings oftmals mit der konkreten Umsetzungsmethodik nicht hinreichend vertraut, weil dies früher weder Teil ihrer Ausbildung war, noch ihren Berufsalltag wesentlich geprägt hat. Für die Thüringer Pädagogen ist daher bereits der von uns unternommene Schritt eines partiellen Verzichts auf Klassenwiederholung und die damit einhergehende verstärkte individuelle Förderung eine große Herausforderung, die es erst einmal anzunehmen und zu bewältigen gilt.

Erinnern Sie sich doch bitte an die Anhörung im Bildungsausschuss zur Novellierung der Schulgesetzgebung und der Schulordnung, Frau Rothe-Beinlich, dort ist dieser Punkt von den Vertretern der Lehrerverbände unisono so benannt worden. Auch hier müssen wir folglich das rechte Maß an Veränderung finden, keinen Stillstand zulassen, aber auch die Hauptakteure schulischer Bildung nicht völlig überfordern.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt offen ansprechen. Natürlich ist es so, dass unser Koalitionspartner bei der Bewertung des Sitzenbleibens eine andere politische Grundhaltung hat als die SPD, das haben wir ja hier in aller Klarheit und Deutlichkeit eben vernommen. Allerdings ist es so, dass man das in einer Koalition zu respektieren hat. Deshalb bin ich schon dankbar, auch dem Kollegen Emde, dass wir uns nach langer intensiver Diskussion gemeinsam für diesen Reformschritt entschieden haben. Wir sind uns mit der CDU einig, dass das weitere Vorgehen in dieser Frage auf einer Evaluation der jetzigen Veränderung basieren soll. Da die empirischen Ergebnisse zum Sinn des Sitzenbleibens ja eindeutig sind, bin ich ganz optimistisch, dass die gelebte Praxis des partiellen Verzichts auf Klassenwiederholungen in Thüringen zu weiterem Umdenken bei der Union führen wird. Ich denke, in vielen anderen Bereichen ist das auch geschehen, auch da bin ich noch hoffnungsvoll.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich noch kurz etwas zum vierten Punkt der Vorlage, der Forderung nach einer schulscharfen Stellenbeschreibung bei mindestens der Hälfte der künftig zu besetzenden Lehrerstellen. Auch hier stehe ich grundsätzlich an Ihrer Seite, Frau Rothe-Beinlich, und auch hier sollten wir das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten und die Schulen erst einmal Erfahrungen mit den seit Kurzem gegebenen Mög

lichkeiten einer schulscharfen Stellenausschreibung sammeln lassen. Was nützt uns ein gutes Instrumentarium, wenn die Schulleitungen sich noch gar nicht hinreichend mit dessen sinnvollem Gebrauch vertraut gemacht haben. Daher gilt auch für mich hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Sie sehen also, meine Damen und Herren, dass der vorliegende Antrag eine ganze Reihe wichtiger bildungspolitischer Problemstellungen benennt. Er zieht aus ihnen allerdings nicht die richtigen Konsequenzen, denn er zielt auf bildungspolitischen Aktionismus, auf eine rasche und unzureichend vorbereitete Einführung weitgehender Veränderungen ab, ohne schulische und außerschulische Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen.

Der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, denke ich, würde es guttun, folgende Sentenz von Konfuzius zu reflektieren: „Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern“. Das wollen wir nicht. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Hitzing das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zu Beginn lassen Sie mich einen kleinen Diskurs in die Jugendarbeitslosigkeit in Europa machen, weil vorhin der Einwurf kam von Ihnen, Frau Rothe-Beinlich, in Schweden gäbe es gar keine Jugendarbeitslosigkeit.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine vergleichbar hohe wie in Griechenland oder Spanien!)

2013, ich habe gerade eben noch einmal nachgesehen, 25,1 Prozent

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das ist fast nichts.)

von Jugendlichen zwischen 15 bis 24 Jahren, also junge Erwachsene, Tendenz steigend im Vergleich zum letzten Jahr. Nehmen wir noch Finnland dazu, das ist ja das nächste Land, das dann sofort als Beispiel gebracht wird, 19,8 Prozent, Tendenz steigend. Jetzt nehmen wir mal noch das böse Deutschland, wo es ja immer noch das gegliederte Schulsystem gibt, 7,6 Prozent, Tendenz fallend. So viel dazu.

(Beifall FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für meine Fraktion kann ich sagen, wir empfinden diesen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als inhaltlich unzureichend, zum überwiegenden Teil falsch und mit einem Wort gesagt: überflüssig.

(Beifall FDP)

Genau genommen ist schon die Überschrift falsch. Sie beginnt, wie Sie es vorhin auch ausgeführt haben, mit dem pauschalen Feststellen „unfreiwilliges Sitzenbleiben“. Sie haben ja erwähnt, dass es Ihnen gar nicht darum geht, das ganze Sitzenbleiben abzuschaffen. Das sehen wir dann auch, wenn wir uns nämlich die Punkte 1 und 3 genauer ansehen, dann erfährt man, dass die GRÜNEN das sogenannte unfreiwillige Sitzenbleiben, also letztlich die Versetzungsentscheidung, gar nicht abschaffen wollen. Vielmehr sollen die Schulen entscheiden können. Also es ist halbherzig, was hier in diesem Antrag formuliert worden ist. Wenn Sie das wollen, dann machen Sie das auch wirklich deutlich. Nicht einmal der plakative Titel hält das, was versprochen wird.

Meine Damen und Herren, unfreiwilliges Sitzenbleiben oder unfreiwillige Klassenwiederholung - hier ist wirklich erst einmal die Frage zu stellen: Was verstehen wir denn eigentlich unter unfreiwillig? Freiwillig ist ein ganz einfaches Ding. Das Kind, der Schüler sagt, das hat mir so gut gefallen, ich will das noch mal machen.

(Heiterkeit SPD)

Das ist ganz freiwillig. Das müssen wir jetzt mal definieren. Was ist eigentlich unfreiwillig? Wenn nämlich die Eltern schon mit ihrem Kind, mit dem jungen Menschen reden und sagen, das solltest du noch einmal machen - ist es dann noch freiwillig oder ist es vielleicht schon ein bisschen unfreiwillig?

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Gute Frage.)

Ich glaube, darüber könnte man sehr lange philosophieren. Herr Professor, das könnten wir ja mal machen.

(Zwischenruf Prof. Dr. Merten, Staatssekre- tär: Gern, gern.)