Protokoll der Sitzung vom 20.06.2013

Ich glaube, wir können dann auch im Gesetzgebungsverfahren viele Dinge besprechen und miteinander diskutieren, wie wir das in Zukunft gestalten sollen. Aber, was wir nicht wollen, ist, dass das Gesetz am Jahresende ausläuft und dass dieses Melde- und Erinnerungsverfahren nicht mehr stattfindet in Thüringen. Denn man muss hier klar sagen, bei allen Fragen nach Kosten, allein wenn es gelingen könnte, ein Kind zu retten, dann hat sich das schon gerechnet.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wollen wir dieses Verfahren auch weiterführen. Wie gesagt, wir sind aber dafür offen, Veränderungen durchzuführen.

Jetzt zu den konkreten Fragen. Zuallererst würde ich jetzt die Ziffer I des Antrags BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abarbeiten und auf die Fragen eingehen.

a) Verbesserung der Teilnahmeraten: Die Entwicklung der Teilnahmeraten an den Früherkennungsuntersuchungen U3 bis U9 für Kinder im Alter bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres ist seit der Arbeitsaufnahme des Vorsorgezentrums am 6. November 2009 gesamtdurchschnittlich gestiegen.

b) Durchführung einer Erfolgskontrolle nach § 7 Abs. 5 Thüringer Landeshaushaltsordnung: Das gegenwärtige Verfahren greift in seinen Gesamtabläufen vollumfänglich im Grunde erst seit dem Jahr 2012. Jedenfalls zeigt dies eine exemplarische Erörterung mit den Zuständigen im Landkreis Altenburger Land. Somit ist es für eine Evaluierung zum jetzigen Zeitpunkt noch deutlich zu früh. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen werden in unserem Haus zu einer Prüfung der Regelung genutzt. Wir beabsichtigen, was ich jetzt gerade schon in meinen Vorworten gesagt habe, einen geänderten Gesetzesvorschlag vorzulegen, der das Verfahren verbessert.

(Abg. Siegesmund)

c) Maßnahme „Ich geh’ zur U! Und du?“: Zu der Frage, ob die Maßnahme „Ich geh’ zur U! Und du?“ Auswirkungen auf die Teilnahmeraten der Früherkennungsuntersuchung hatte, liegen dem TMSFG keine Erkenntnisse vor. Den Sachberichten von 2008 und 2009 zur Projektförderung der thüringenweiten Aktion „Ich geh’ zur U! Und du?“ sind lediglich allgemeine Angaben zu entnehmen.

d) Diskrepanz zwischen der Anzahl der Meldungen an die Jugendämter und den tatsächlichen Zahlen der Nichtteilnahme: Die Meldung nach § 7 des Thüringer Gesetzes zur Förderung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder beruhte auf einem formalistischen Meldeverfahren. Voraussetzung des Erfolgs des Meldeverfahrens ist die rechtzeitige Übermittlung der Meldung über die durchgeführte Früherkennungsuntersuchung der jeweiligen behandelnden Ärzte an das Vorsorgezentrum für Kinder. Erhält das Vorsorgezentrum für Kinder trotz Einladung und einer Erinnerung der Personensorgeberechtigten keine Mitteilung über die Teilnahme an einer Früherkennungsuntersuchung, führt dies zu der Feststellung, dass keine Meldung abgeschickt worden ist und es wird weiter unwiderlegbar vermutet, dass keine Früherkennungsuntersuchung durchgeführt wurde. Die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Meldungen über eine Nichtteilnahme an einer Vorsorgeuntersuchung an die Jugendämter und den tatsächlichen Zahlen einer Nichtteilnahme beruht darauf, dass mehr Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt worden sind als Rückmeldungen an das Vorsorgezentrum für Kinder erfolgten. Diese Diskrepanz löst sich erst bei den Überprüfungen durch die Jugendämter auf, zum einem etwa durch eine Nachmeldung oder doch noch durchgeführte Früherkennungsuntersuchung oder eben erst später entsprechende Kontaktaufnahme des Jugendamts mit den Sorgeberechtigten. Das ist natürlich schon ein Problem, wie ich es am Anfang gesagt habe. Diese Problematik führt zu den sogenannten falsch-negativen Teilnahmemeldungen. Die waren, als wir das Verfahren eingeführt haben, im Jahr 2009 und eigentlich ging es 2010 erst richtig los, noch wesentlich höher. Mittlerweile sind die Zahlen, die Sie genannt haben, Frau Siegesmund, nicht mehr die aktuellen Zahlen, also prozentual gesehen, sondern die liegen deutlich darunter, aber trotzdem gibt es auch hier noch Nachsteuerbedarf.

e) Vereinbarung der Landesregierung zum Verzicht der Landesärztekammer auf Aufwandsentschädigung: Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hatte die zu diesem Zeitpunkt amtierende Gesundheitsministerin intensive Gespräche mit der Landesärztekammer Thüringen geführt. Im Ergebnis hatten sich das TMSFG und die Landesärztekammer gemeinsam darauf verständigt, den die Früherkennungsuntersuchung durchführenden Kinder

und Hausärzten keine Aufwandsentschädigung zu zahlen.

f) Gutachten des Thüringer Rechnungshofs: Der Landesregierung sind bisher nur die Mitteilungen des Thüringer Landesrechnungshofs über die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung beim Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz und der dazugehörige Briefwechsel bekannt. Also beim Landesamt für Verbraucherschutz ist dieses Vorsorgezentrum und dazu gibt es eben eine Mitteilung des Rechnungshofs. Das TMSFG hat dazu umfassend Stellung genommen. Ein Gutachten, ein richtiges Gutachten ist uns nicht bekannt. Ich glaube auch, das wird es auch nicht geben zurzeit, so dass wir das demzufolge auch nicht öffentlich machen können. Aber natürlich ist es unüblich, dass wir jetzt einzelnen Schriftverkehr zwischen dem Rechnungshof und unserem Haus dem Landtag zukommen lassen. Aber ich glaube, wir können durchaus dann in der Debatte zu dem neuen Gesetzentwurf die Argumente, die der Rechnungshof gebracht hat, dann mit in die Diskussion einfließen lassen. Ich hätte jetzt auch nichts dagegen, dass man da eine Ausnahme macht und den Schriftwechsel auch diskutiert. Da müsste aber auch der Rechnungshof dann damit einverstanden sein, so ähnlich wie wir das bei der Stiftung FamilienSinn damals auch gemacht haben. Da soll es jetzt keine Geheimnisse geben. Nur wir müssen uns ja auch nicht mit jedem einzelnen Schriftverkehr beschäftigen. Es geht auch eher darum, die Argumente, die dort gebracht worden sind, mit in die Diskussion einzubringen.

Zu der Ziffer II des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehme ich namens der Landesregierung wie folgt Stellung: Zu diesem Teil des Antrags ist zu bemerken, dass effektiver Kinderschutz sich nicht an reinen Wirtschaftlichkeitserwägungen messen lässt, das hatte ich auch vorhin schon gesagt. Die Landesregierung steht einem derartigen Antrag kritisch, aber offen gegenüber. Das Ergebnis wird dann zu diskutieren sein.

Namens der Landesregierung nehme ich zu Ziffer III des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie folgt Stellung: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert, dass die Landesregierung das Gutachten - das war jetzt auch schon von mir erwähnt - des Rechnungshofs zur Verfügung stellt. Da kann ich nur noch mal sagen, dass es sich um eine Mitteilung handelt und dass wir dann so, wie vorhin schon gesagt, damit umgehen wollen, also sprich, wenn es so gewünscht ist, dass das dann im Ausschuss, wenn wir das Gesetz diskutieren, auch mit einfließen kann.

Zu b) Erfolgskontrolle nach § 7 Abs. 5 Landeshaushaltsordnung für das Thüringer Gesetz zur Förderung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder: Im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Erfolgskontrolle möchte ich auf

(Staatssekretär Dr. Schubert)

die Berichterstattung zu den Einzelfragen verweisen. Für eine Evaluierung zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch deutlich zu früh. Damit meine ich eine umfassende Evaluierung, die sozusagen auch bis in die letzte Erfolgskontrolle geht. Natürlich haben wir in unserem Haus im Prinzip auch eine Evaluierung gemacht und haben uns mit Jugendämtern unterhalten, mit Gesundheitsämtern unterhalten, mit dem Vorsorgezentrum, mit dem Rechnungshof und mit anderen Bundesländern und haben sozusagen unser System damit verglichen. Diese Erkenntnisse, die wir da gewonnen haben, sind für mich auch eine Art Evaluierung, denn wir müssen nicht immer große Gutachten in Auftrag geben, die Geld kosten, wenn wir sozusagen die Erfahrung auch selbst gewinnen können. Das alles, was wir da an Erfahrungen gewonnen haben, ist natürlich jetzt in unsere Erarbeitung des neuen Gesetzentwurfs mit eingeflossen.

Zu c) - das ist die Vorlage der Überarbeitung des Thüringer Gesetzes - hatte ich Ihnen schon gesagt - es steht da, bis zum 31.08. zur Beratung im Landtag -, ich denke, dass wir den Termin einhalten können. Natürlich kann ich jetzt nicht vorweggreifen, wie lange die Beratungen dann im Kabinett noch brauchen, weil wir natürlich auch da eine Anhörung machen müssen. Da müssen wir sehen, wie schnell das alles auf den Weg kommt.

Nun möchte ich zu den im Antrag der FDP, Drucksache 5/6078, formulierten Einzelfragen in Ziffern II a) bis f) den Sofortbericht abgeben.

Zu a) - ähnliche Meldesysteme anderer Bundesländer analog dem Thüringer FKG: Ich hatte schon gesagt, von den 13 Bundesländern, die weitgehend ein analoges Einladungs-, Erinnerungs- und Meldeverfahren eingeführt haben, ziehen 11 von ihnen eine positive Bilanz und bewerten das Verfahren als wirksam sowie gut etabliert und sehen daher keinen Anlass, das aufzugeben. Diese Länder sind Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und eben auch wir, wobei ich ja gesagt habe, wir sind dabei, Änderungen vorzunehmen, aber grundsätzlich wollen wir am System festhalten.

Zu b), ob und wie Erfolg, gegebenenfalls Erstattung des bürokratischen Aufwands bei den Jugendämtern anderer Bundesländer: Diese Frage kann von uns nicht beantwortet werden, da uns keine Angaben darüber vorliegen, wie eine mögliche Erstattung in anderen Ländern vorliegt. Im Rahmen einer Länderabfrage Ende 2012 sind da mal Berlin und Nordrhein-Westfalen gefragt worden. Berlin gibt den Aufwand mit 1,2 Mio. € pro Jahr an und Nordrhein-Westfalen mit 900.000 €.

Zu c), ob und wie erfolgt gegebenenfalls eine Erstattung des bürokratischen Aufwands der Kinderärzte in anderen Bundesländern: Auch zu der

Frage sind der Landesregierung keine detaillierten Angaben bekannt. Im Rahmen der Länderabfrage, die ich vorhin schon mal erwähnt habe, wurden von einigen wenigen Ländern explizit die Kosten für eine Aufwandsentschädigung für Kinderund Hausärzte angegeben, lediglich pauschal vom Saarland mit ca. 160.000 € und von NordrheinWestfalen mit 1,8 Mio. € beziffert.

Zu d) - Anzahl der Fälle von Kindesmisshandlungen aufgrund fehlender Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen seit Inkrafttreten des Thüringer FKG: In Thüringen konnten seit 2010 durch eine Recherche bei den Jugendämtern bei Nichtteilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen 16 Fälle von Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung erkannt werden. Weitere Erkenntnisse zu familiengerichtlichen Entscheidungen sind dem TMSFG nicht bekannt. Auch andere Zahlen liegen uns dazu nicht vor.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich hatte schon am Anfang gesagt, dass man jedem einzelnen Kind möglichst großen Schutz zukommen lassen muss. Deshalb wollen wir unbedingt an diesem Verfahren, wie wir es jetzt haben, festhalten, mit den Änderungen, die ich schon angekündigt habe.

Zu Frage e), Prüfung der Möglichkeit zur Ergreifung von Sanktionsmaßnahmen bei Nichtwahrnehmung von Früherkennungsuntersuchungen sowie deren Bewertung: Die Landesregierung hat bislang darauf gesetzt, dass Familien, welche die Früherkennungsuntersuchungen nicht wahrgenommen haben, überzeugt werden konnten, die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen nachzuholen. Das ist gelungen. Das Ergreifen von Sanktionsmaßnahmen würde diese Überzeugungsarbeit nicht gerade begünstigten, sondern eher

(Beifall DIE LINKE)

dem zuwider laufen. Allerdings ist es so, dass für den Anspruch auf das Thüringer Erziehungsgeld die Teilnahme an der U7-Untersuchung erforderlich ist.

Zu Frage f), Begründung der Aussage in der Antwort auf die Kleine Anfrage in Drucksache 5/5997 bezüglich einer Vereinbarung zwischen der Landesärztekammer Thüringen und dem TMSFG bezüglich der Nichtgewährung einer Aufwandsentschädigung von Kinder- und Jugendärzten: Ich hatte vorhin schon ausgeführt, dass es da keine Vereinbarung gab, sondern dass es da mündliche Absprachen zwischen der Ministerin und der Landesärztekammer gab, und nach dieser Absprache ist auch verfahren worden. Andere Behauptungen, es gäbe eine Vereinbarung, entsprechen nicht der Wahrheit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch mal zu Ziffer III des Antrags der FDP: Wie gesagt, vom

(Staatssekretär Dr. Schubert)

Rechnungshof liegt eben kein Gutachten vor, sondern dieser Schriftverkehr und da kann ich nur noch einmal anbieten, dass wir, wenn der Gesetzentwurf dann den Landtag erreicht, alle die Argumente mit in die Diskussion einbringen, und ich denke, das ist schon gut, dass wir das Thema diskutieren, denn das Gesetz, was jetzt existiert, läuft am Jahresende aus und wir müssen uns jetzt auch anstrengen, dass wir das dann rechtzeitig noch in Kraft setzen können, damit nicht am 1. Januar sozusagen das Melde- und Erinnerungsverfahren ausläuft, weil ich glaube, wir brauchen es auch weiterhin. Danke.

(Beifall SPD)

Vielen herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Gemäß § 29 werden Beratungen zu Berichten der Landesregierung grundsätzlich in langer, also doppelter Redezeit verhandelt. Insgesamt steht für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 12 a und b daher die vierfache Redezeit für alle Fraktionen zur Verfügung. Ich frage jetzt: Wer wünscht die Beratung zum gemeinsamen Sofortbericht zu Nummer I des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zu Nummer II des Antrags der Fraktion der FDP sowie zu Nummer 2 des Alternativantrags der Fraktion DIE LINKE? Gehe ich richtig in der Annahme, dass das alle Fraktionen wünschen? Auf Verlangen aller Fraktionen eröffne ich die Beratung zum gemeinsamen Sofortbericht zu Nummer I des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu Nummer II des Antrags der Fraktion der FDP sowie zu Nummer 2 des Alternativantrags der Fraktion DIE LINKE. Gleichzeitig eröffne ich die Aussprache zu den Nummern II und III des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu den Nummern I, III und IV des Antrags der Fraktion der FDP sowie zu den Nummern 1 und 3 des Alternativantrags der Fraktion DIE LINKE. Als Erster hat der Abgeordnete Matthias Bärwolff für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir beraten heute eine Reihe von Anträgen, die sich rund um das Thema Kinderschutz bewegen, aber eben nicht den Kinderschutz im Großen und Ganzen, leider, sondern nur einen kleinen Teilaspekt. Dabei geht es insbesondere um das Vorsorgezentrum, wie das der Herr Staatssekretär gerade schon ausgeführt hat.

Wenn wir uns mit dem Vorsorgezentrum beschäftigen, wenn wir uns mit den U-Untersuchungen beschäftigen, dann müssen wir uns vielleicht noch einmal ins Gedächtnis rufen, warum wir überhaupt solche Maßnahmen ergreifen müssen bzw. wie es eigentlich zu der Debatte um das Vorsorgezentrum und um das Kinderschutzgesetz kam, denn aus

den Anträgen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP spricht ja tatsächlich eine gewisse Verengung auf die Frage von Effektivität und Effizienz bei diesem Thema und wir als DIE LINKE denken, dass man Kinderschutz nicht mit den Kriterien von Effektivität und Effizienz bewerten sollte, sondern

(Beifall DIE LINKE)

dass man Kinderschutz danach bewerten sollte, dass man möglichst vielen Kindern ein möglichst großes Leid erspart.

Ich will noch einmal einige Stichpunkte nennen. Wir hatten im Jahre 2001 den Fall der kleinen Sophie, die vier Monate alt war und die sozusagen von ihrer 27-jährigen Mutter vernachlässigt wurde und dann verdurstet ist. Im Jahre 2004 gab es zu Ostern den Fall des kleinen Jonny Lee in Erfurt, der von seiner Mutter und ihrem Freund zu Tode getreten wurde, 2006 wurden unter anderem zwei Babyleichen einbetoniert in Altenburg gefunden und 2007 gab es unter anderem in unmittelbarer Nähe zum Landtag den Fund von zwei Babyleichen in Tiefkühltruhen. Nicht zuletzt auch der Fall Kevin hat ja dazu geführt, dass man sich um das Thema Kinderschutz noch einmal wesentlich intensiver gekümmert hat.

Diese Liste ist mit Sicherheit unvollständig und allein in Thüringen fallen mir noch fünf bis sechs weitere Beispiele ein, wo Kindesvernachlässigung und Kindstod uns bewegt haben. In diesem Sinne, denke ich, sollten wir auch die Debatte um die Frage eines Vorsorgezentrums führen und nicht so sehr um die Frage von Effektivität und Effizienz. Ich glaube, das ist in diesem Bereich tatsächlich nicht angezeigt.

Auf Bundesebene gab es eine ganze Reihe von Initiativen nach den vielen Fällen von Kindesvernächlässigung und Kindeswohlgefährdung. Nicht zuletzt auch der Fall Kevin aus Bremen hat hier noch einmal zu bundespolitischen Initiativen geführt. Ich will das ganz kurz ausführen. Beispielsweise gab es eben auf Bundesebene die Einführung des § 8 a, also der Schutzauftrag gilt bei Kindeswohlgefährdung eben nicht nur für das Jugendamt, sondern für alle Einrichtungen auf staatlicher und öffentlich geförderter Ebene. Das bedeutet eben auch, dass der Fussballverein, das bedeutet eben auch, dass der Kindergarten, das bedeutet eben auch, dass die Schule hier ganz intensiv gefordert ist. Das heißt, Lehrerinnen und Lehrer müssen qualifiziert werden, das heißt, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die in Projekten und Einrichtungen tätig sind, wurden qualifiziert und mussten sich Fortbildungen unterziehen und insgesamt hat es doch gerade in der Jugendhilfe, aber auch in der Schule eine große Bewegung gegeben und ich habe den Eindruck gehabt, dass die Debatten, die wir beispielsweise im Landesjugendhilfeausschuss zu diesem Thema geführt haben, als es darum ging, die fachlichen Empfehlungen des Landesjugendhilfe

(Staatssekretär Dr. Schubert)

ausschusses zu diesem Thema zu verabschieden und zu diskutieren, dass doch die Jugendhilfe insgesamt dort diesbezüglich sehr in Bewegung war.

Im Ergebnis wurde dann beispielsweise das Netzwerk für die frühen Hilfen etabliert, beispielsweise wurde auf Thüringer Ebene das Vorsorgezentrum beim Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz etabliert, aber beispielsweise auch Projekte wie die Familienhebammen wurden in diesem Zusammenhang etabliert in Thüringen, wobei natürlich auch da gesagt werden muss, gerade bei den Familienhebammen, dass da nicht alles in Butter ist, sondern dass es eine ganze Zeit gedauert hat, bis beispielsweise die Finanzierungsregelungen mit den Krankenkassen geklärt waren, welche Leistungen der Familienhebammen bezahlen die Krankenkassen, welche Leistungen der Familienhebammen bezahlen die Jugendämter. All dies muss man, glaube ich, in dem Kontext, wenn es um Kinderschutz geht, durchaus noch einmal würdigen.

DIE LINKE, das will ich Ihnen ganz am Anfang sagen, spricht sich natürlich für verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen aus. Für uns als DIE LINKE steht auch die Vorsorgeuntersuchung nicht zur Disposition. Die Einrichtung des Vorsorgezentrums an sich haben wir auch als Arbeitskreis

(Beifall DIE LINKE)

der LINKEN, also als Arbeitskreis Soziales, Gesundheit und Arbeit besucht, haben uns intensiv vor Ort informiert über die Arbeit. Herr Staatssekretär, Sie haben schon ausgeführt, was die Arbeit des Vorsorgezentrums ist, wie das ganze Verfahren ist. Und ja, natürlich, es ist ein bürokratisches Verfahren; es muss registriert werden, welche Kinder nehmen an den Untersuchungen teil, welche nicht und wie werden die Eltern informiert, wie werden die Jugendämter informiert. Aber ein solches Verfahren wird nicht ganz ohne Bürokratie abgehen. Ich denke, dass dieses Verfahren durchaus hinnehmbar und akzeptabel ist, wenn man sich anschaut, aus welchem Grunde wir dieses Verfahren machen. Das ist ein Einzelfall, Frau Siegesmund; auch uns haben natürlich Eltern angesprochen, auch ich habe Kontakt zu jungen Muttis und zu jungen Vätern, die finden die Tonart, die in diesen Einladungsbriefen steht, auch nicht gut. Die finden es auch nicht gut, wenn sie so angeschrieben werden, obwohl sie an einer U-Untersuchung teilgenommen haben. Aber ich denke, dass das Dinge sind, die man tatsächlich akzeptieren und hinnehmen kann.

Schwierig wird es, wenn man sich den Ton und die Tonart durchliest oder anhört, die in diesen Einladungsbriefen stecken. Aber ich glaube, dass eine Erinnerung und ein Antrag von Hilfe- und Unterstützungsangeboten durchaus sinnvoll und wichtig sind. In diesem Sinne kann man da, denke ich, noch einiges an Verbesserungen herbeiführen. Das

ist, denke ich, notwendig und sinnvoll, aber das reicht für uns nicht aus, um das Vorsorgezentrum und die verpflichtende Vorsorgeuntersuchung irgendwie infrage zu stellen. Die U-Untersuchungen sind auch deshalb so wichtig aus unserer Sicht, weil nämlich Fachärzte diejenigen sind, die die körperliche, psychische und physische Gesundheit der Kinder begutachten und beurteilen, und sie sind diejenigen, die da fachlich geschult sind, das sind die Mediziner. Eine Frage, die natürlich im Raum steht, ist: Wer ist überhaupt berechtigt, U-Untersuchungen zu machen? Wenn es nach der Fraktion DIE LINKE ginge, dann wären natürlich ausschließlich die Kinderärzte diejenigen, die berechtigt wären, solche U-Untersuchungen durchzuführen. Das setzt natürlich im Umkehrschluss auch voraus, dass wir eine flächendeckende Versorgung mit Kinderärzten gerade auch im ländlichen Raum haben, was hier in Thüringen leider Gottes ein Problem ist. Wenn wir über Kinderschutz reden, müssen wir auch darüber reden, wie wir eine flächendeckende Versorgung mit Kinderärzten im Lande organisiert bekommen. Auch wieder ein Aspekt, den wir, denke ich, in der Kinderschutzdiskussion nicht vergessen dürfen. Und ja, wir als LINKE sagen natürlich auch ganz klar, dass das Verfahren aufwendig ist, und ja, dieses Verfahren kostet Geld, aber ich kann durchaus sagen, dieses Geld ist gut angelegt. Wenn man sich anschaut, wie viel Geld das insgesamt ist - Herr Koppe hat ja die diesbezügliche Anfrage gestellt -, im Jahre 2012 165.000 € dafür, ich denke, das ist nicht zu viel. Es gibt ja eine ganze Reihe von Kleinen Anfragen, die sich mit dem Vorsorgezentrum beschäftigen, und aus denen geht durchaus deutlich hervor, wie sinnvoll und wie gut das Vorsorgezentrum arbeitet, denn immerhin ist es uns ja gelungen, dass Jugendämter auf Familien aufmerksam werden und Kontakt zu Familien halten. Die Drucksache 5/2145 ist ja schon genannt worden. Das ist eine Anfrage, die ich selber gemacht habe, im Jahr 2010 war das, wo zum Beispiel für die verschiedenen Landkreise aufgeschlüsselt wurde, bei wie vielen Fällen in den einzelnen Landkreisen es Hausbesuche beispielsweise durch die Jugendämter gab. Wenn in Erfurt beispielsweise 291 Hausbesuche in einem Jahr stattfinden, dann ist das erstens eine stolze Leistung derer, die im Jugendamt arbeiten, dann ist es natürlich auch ein Umstand, dass 291 Familien besucht wurden und dass 291 Kinder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wurden und wo man Familien durchaus auch Hilfsangebote und Unterstützungsangebote unterbreiten kann. Ich denke, dass sich das allein schon lohnt, um in Ihrem Sprachgebrauch zu bleiben. Des Weiteren möchte ich auch noch einmal auf die Drucksache 5/5997 aufmerksam machen. Das ist die Kleine Anfrage vom Kollegen Koppe, wo noch einmal die Fachverbände abgefragt wurden, welche Position sie zum Vorsorgezentrum und zu den ganzen Verfahren haben. Da

stellt sich ja ganz klar heraus, dass die Fachverbände eben ausschließlich oder durchweg positiv dem Einladungswesen bzw. dem Anliegen der verbindlichen U-Untersuchung gegenüberstehen. Und ja, auch ich als Mitglied im Deutschen Kinderschutzbund und als stellvertretender Vorsitzender in Erfurt, wir als Kinderschutzbund finden natürlich auch, dass die Vorsorgeuntersuchung verbindlich zu sein hat. Nur so ist es eben möglich, auch tatsächlich Hilfsangebote direkt an die Familien zu geben. Ansonsten haben die Jugendämter nur sehr wenige Möglichkeiten, an die Familien heranzukommen.