Matthias Bärwolff
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Genau. Die Abgeordnete Stange fragt zum Thema:
Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Thüringen
Am 28. Februar 2012 wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen das Landesgesetz bzw. der Staatsvertrag über die LänderZusammenarbeit Thüringens im Bereich der elektronischen Aufenthaltsüberwachung verkündet und ist so in Thüringen nun anwendbar. In der Strafvollzugskommission des Landtags war der Einsatz der elektronischen Fußfessel schon Thema. In der Antwort der Landesregierung in Drucksache 5/4518 vom 31. Mai 2012 auf die Kleine Anfrage 2272 ist zu lesen, dass „zurzeit keine weiteren Änderungen des Landesrechts geplant sind.“ Entsprechend eines Landtagsbeschlusses vom Januar 2012 berichtete das Thüringer Justizministerium dem Justizund Verfassungsausschuss im Februar 2014 über den Einsatz der elektronischen Fußfessel bzw. die Evaluierung dieses Bereichs. Mit Stand vom 1. Januar 2014 waren in fünf Fällen in Thüringen elektronische Fußfesseln in Gebrauch; sieben Anträge waren seit Inkrafttreten hingegen abgelehnt worden. Das Instrument habe sich bewährt, heißt es im Bericht.
Ich frage die Landesregierung namens Frau Stange:
1. Wie schätzt die Landesregierung die Anordnungspraxis der Thüringer Gerichte in Sachen elektronische Aufenthaltsüberwachung ein?
2. Inwieweit ist der Kriminologische Dienst an der Begleitung und Evaluierung des Einsatzes der elektronischen Fußfessel bzw. an der Erstellung des Berichts an den Landtag beteiligt (gewesen)?
3. Inwieweit sieht die Landesregierung - vor allem mit Blick auf die Öffnungsklausel in Artikel 4 des Staatsvertrags, insbesondere die Möglichkeiten im Bereich Haftvermeidung und Lockerung sowie die Tatsache, dass andere Länder sie hierfür schon einsetzen - die Ausweitung der Anwendung der elektronischen Fußfessel als notwendig bzw. sinnvoll an?
4. Welche Formen des Informations- und Meinungsaustauschs bzw. der gemeinsamen Evaluierungsaktivitäten gibt es zwischen den Mitgliedsländern des Staatsvertrags?
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als ich den Kollegen jetzt zugehört habe, da habe ich mich so ein wenig gefragt, ob sie wirklich wissen, worum es eigentlich geht, denn wir mussten kein neues Maßregelvollzugsgesetz machen, damit wir die Drogenkontrollen beim Einlass infrage stellen und neu regeln, wir mussten kein neues Gesetz machen, um die Therapieabbrüche neu zu regeln, und wir mussten auch kein Gesetz machen, um den Rechtsanspruch auf die Therapie festzulegen. Nein, das ist gar nicht das Thema. Das ist gut, dass wir darüber gesprochen haben im Sozialausschuss und auch im Justizausschuss, aber das Thema ist eigentlich ein ganz anderes. Das Thema ist nämlich, dass das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass der Maßregelvollzug nur unter ganz, ganz engen Bedingungen privatisiert werden kann. Darum geht es heute eigentlich. Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit der Privatisierung des Maßregelvollzugs um? Da gibt es drei Punkte, auf die ich gerne eingehen möchte. Das ist zum einen der Funktionsvorbehalt nach Artikel 33 Grundgesetz. Zum Zweiten geht es aus meiner Sicht um die Frage der Privatisierung an sich und es geht zum Dritten um die Finanzierung. Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz lautet, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich: „Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.“ - also Beamte. Das bekommen wir mit dem heutigen Gesetz nicht so richtig geregelt, denn das Verfassungsgericht sagt, dieser Funktionsvorbehalt gilt, Grundrechtseingriffe darf nur der Staat vornehmen. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert mit der sogenannten durchgehenden Legitimations
und Kontrollkette. Das bedeutet, dass diese Grundrechtseingriffe - so haben sie es formuliert, ich zitiere - „bis in die Tiefe des ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Handelns“, muss diese Legitimationskette gewährleistet sein. Meine Kollegin Stange beispielsweise hatte vor Kurzem einen Brief an einen Insassen in der Maßregelvollzugseinrichtung in Mühlhausen geschrieben. Gestern gab es einen Anruf von dem entsprechenden Empfänger des Briefes und er durfte den Brief öffnen, aber nur im Beisein eines Pflegers, der den Inhalt gleich kontrolliert hat. Das ist die Tiefe des ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Handelns. Bis dahin geht der Grundrechtseingriff und bis dahin muss also auch eine Demokratie- und Legitimationskette gewährleistet werden. Das erreichen Sie aber mit diesem Gesetz nicht. In der Praxis ist es also nicht angekommen. Die Verantwortung für die Grundrechtseingriffe wird also de facto auch mit diesem Gesetz weiterhin auf den Ärzten und Pflegern und Therapeuten belassen und der Interventionsbeauftragte, den die Frau Ministerin ins Gesetz reingeschrieben hat, ist aus unserer Sicht nur eine Hilfskonstruktion, denn der Interventionsbeauftragte sitzt in Weimar, weit weg von den Maßregelvollzugseinrichtungen, und ist nicht an die Praxis angeschlossen, sondern sitzt in Weimar, weit weg von der Praxis.
Hinzu kommt, dass im gesamten Gesetz nichts, überhaupt nichts von Intervention steht, sondern nur, dass der Interventionsbeauftragte dieses und jenes zu genehmigen hat, und wenn er gerade nicht da ist oder gerade nicht genehmigen kann, dann wird es nachträglich genehmigt oder man muss zum Richter und zum Gericht gehen. Von Intervention lese ich an dieser Stelle leider nichts. Ein Grund, warum die Linke diesem Gesetz nicht zustimmen kann, denn den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aufgestellt hat, genügt der Interventionsbeauftragte aus unserer Sicht nicht.
Auch die Frage, ob man die Chefärzte in den Maßregelvollzugseinrichtungen beleiht, heilt dieses Problem nicht, denn auch die Chefärzte sind nicht 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche in den Einrichtungen vorhanden. Die Tiefe des pflegerischen, ärztlichen und therapeutischen Handelns, das ist der Maßstab, worauf es aus unserer Sicht ankommt, diese zu garantieren.
Ich will auf den zweiten Punkt eingehen, die Frage der Privatisierung. An dieser halten Sie fest, Frau Taubert, mit dem Gesetzentwurf halten Sie an der Privatisierung fest. Das Bundesverfassungsgericht hat hohe Hürden aufgesetzt, um die Privatisierung solcher hoheitlichen Aufgaben zu ermöglichen. Da gibt es die Leitsätze des Bundesverfassungsgerich
tes, die will ich Ihnen kurz zitieren, Frau Präsidentin: „1. Art. 33 Abs. 4 GG gilt auch für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben in privatrechtlicher Organisationsform.“, sprich einem privatisierten Maßregelvollzug. „2. Abweichungen vom Grundsatz des Funktionsvorbehalts bedürfen der Rechtfertigung durch einen spezifischen, dem Sinn der Ausnahmemöglichkeit entsprechenden Ausnahmegrund.“ Das zielt ab auf die Qualität, die dort im Maßregelvollzug geleistet werden kann. Der dritte Leitsatz des Urteils: „Die Übertragung von Aufgaben des Maßregelvollzuges auf formell privatisierte Träger kann mit Art. 33 Abs. 4 GG sowie mit dem Demokratieprinzip und den Grundrechten der Untergebrachten vereinbar sein.“ - kann vereinbar sein beim formell privatisierten Maßregelvollzug.
Unser Maßregelvollzug ist nicht nur formell privatisiert, er ist vollinhaltlich privatisiert. Sie haben nicht nur 75 Prozent verkauft, Sie haben alles verkauft.
Der Freistaat Thüringen, Sie sind die Landesregierung, Herr Höhn, und allem Anschein nach haben Sie das gemacht. Sie machen die Gesetze, nicht ich. Also Sie setzen sie um, die Gesetze machen wir hier.
Das heißt also, den Leitsätzen, die das Bundesverfassungsgericht aufstellt, genügen Sie nach Sicht der Linken leider nicht. Private kommen also dann nur infrage, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, für solche hoheitlichen Eingriffe, wenn sie die geforderte Qualität besser erbringen können als die öffentliche Hand. Da machen wir ein großes Fragezeichen dahinter, denn bis 2002 hatte die öffentliche Hand genau die Verantwortung für den Maßregelvollzug und es hat funktioniert. Es ging auch.
Der Leitsatz 147 aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den möchte ich Ihnen auch mitteilen, denn der ist für die Privatisierung ganz, ganz wichtig. Da sagt nämlich das Bundesverfassungsgericht: „Ausnahmen vom Funktionsvorbehalt können danach nicht allein mit dem rein fiskalischen Gesichtspunkt begründet werden, dass eine Aufgabenwahrnehmung durch Nichtbeamte - sei es auch nur durch Ersparnisse, die der Aufgabenwahrnehmung anderweitig zugute kommen...“ Das heißt also, fiskalische Argumente dürfen nicht die Hauptrolle spielen, aber genau das haben Sie getan. Genau das hat bei der Privatisierung eine Rolle gespielt. Auch heute wird wieder mit den fiskalischen Argumenten argumentiert und das Bundesverfassungsgericht hat dazu eindeutig gesagt: Gewinninteressen dürfen bei denjenigen, die die Leistung erbrin
gen, nicht im Fokus stehen. Aber genau das passiert ja, denn die Gewinninteressen sind vorhanden, ausweislich der Anhörung im Sozialausschuss, das, was die drei Träger dort gesagt haben, ausweislich der Berichte des Landesrechnungshofs, die genau diese Thematik immer wieder in den Fokus gestellt haben, ausweislich diverser Zeitungsartikel, ausweislich der Aktionärsversammlung der Rhön-Klinikum AG. Das sind aus unserer Sicht die Argumente, die an dieser Stelle gegen die Privatisierung sprechen.
Ich will zum dritten Argument kommen, nämlich der Frage der Finanzierung. Auch da ändert sich nichts. Das, was man 2002 als Entscheidungsgrundlage genommen hatte, ist der pure Neoliberalismus - Privat vor Staat. Man hat gesagt, wir geben das an die Träger und die machen das für uns. Ich hatte gerade schon den Leitsatz 147 des Urteils zitiert. Selbst wenn man akzeptiert, dass fiskalische Einsparungen oder fiskalische Mehrwerte für die öffentliche Hand ein Argument dafür sein könnten, den Maßregelvollzug zu privatisieren, selbst die werden ja nicht eingehalten. Wenn man sich vor Augen führt, 2014 haben wir insgesamt über 30 Mio. € in den Maßregelvollzug hineingesteckt. Wenn man sich anschaut, wie sich die Kosten entwickelt haben, Frau Taubert, wir sind 1995 bei 6,6 Mio. € gewesen und im Jahr 2014 sind wir schon bei 36,3 Mio. € nach Plan gewesen. Wenn man sich allein die Summen mal vor Augen führt, die von 2002, also dem Beginn der Privatisierung, bis 2014 gezahlt worden sind, sind es 354 Mio. € und für diese 354 Mio. € hätte ich Ihnen auch drei Kliniken gebaut und einen Haufen Personal bezahlt. Das heißt also, auch diese Kostenargumente sind nicht zum Tragen gekommen.
Insgesamt muss ich sagen für die Fraktion: Dem Argument des Funktionsvorbehalts haben Sie nichts entgegenzubringen. An der Privatisierung wird festgehalten und die Finanzierung ist weiterhin ungeklärt.
Für uns als Linke ist dieser Gesetzentwurf nicht zustimmungsfähig. Alle Hürden und alle Forderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat auch hinsichtlich der Privatisierung, werden von Ihnen nicht erfüllt.
Deshalb können wir diesem Gesetz nicht zustimmen, Frau Taubert. Ein kleiner Tipp von mir noch.
Frau Präsidentin?
Ja, ich werde zum Schluss kommen, Frau Präsidentin. Ein kleiner Tipp von mir als dienstältester jüngster Abgeordneter hier im Hohen Haus.
Ich bin also jetzt schon zehn Jahre lang jüngster Abgeordneter. Erstens, Herr Hartung, ja, dieser Landtag ist ein Kontrollgremium, kein Vertrauensgremium. Wenn wir den Verträgen einfach so vertrauen wollen
wir müssen hier das Geld beschließen mit dem Haushalt für Leistungen, für Verträge, die wir nicht kennen. Das ist, glaube ich, ein ganz großes Demokratieproblem.
Und Ihnen, Frau Taubert, möchte ich nur sagen: Dieses Gesetz bitte besser bleiben lassen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es geht, wie von Frau Ministerin Taubert eben vorgestellt, um den neuen Entwurf eines Thüringer Gesetzes über den Maßregelvollzug. Am 18. Januar 2012 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, und zwar über den hessischen Maßregelvollzug. Dort hatte ein Betroffener geklagt, dass Handlungen, die gegen ihn durchgeführt wurden, nicht rechtskräftig seien, da der Maßregelvollzug und die Bediensteten eben keine staatlichen Angestellten seien. Da hat das Bundesverfassungsgericht, wie von Frau Ministerin auch ausgeführt, einige Eckpunkte in seinem Urteil formuliert.
Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Artikel 33 des Grundgesetzes, da ganz genau der Absatz 4, und den darf ich, mit Ihrer Erlaubnis, zitieren, Frau Präsidentin. „Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.“ Darum geht es also, wie kann der Staat organisieren und gewährleisten, dass Grundrechtseingriffe auch in den Einrichtungen des Maßregelvollzugs staatlich legitimiert sind. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz sagt also erstens, die Grundrechtseingriffe sind durch den Staat vorzunehmen, und es braucht auch eine Legitimation. Hier ist vielleicht noch zu erwähnen, dass im Unterschied zu Thüringen der hessische Maßregelvollzug zwar an den Landeswohlfahrtsverband in Hessen ausgegliedert ist, der wiederum aber zu 100 Prozent in öffentlicher Hand ist. Allein dieses Konstrukt erschien dem Bundesverfassungsgericht schon problematisch. In Thüringen haben wir eine andere Situation. Wir haben keinen Landeswohlfahrtsverband und hier ist der Maßregelvollzug auch nicht öffentlich-rechtlicher Hand, sondern er
ist zu 100 Prozent voll privatisiert. Da gibt es Asklepios, die den Maßregelvollzug in Stadtroda unterhalten, da gibt es das Rhön-Klinikum für den Maßregelvollzug in Hildburghausen und da gibt es auch das Ökumenische Hainich Klinikum, welches den Maßregelvollzug in Mühlhausen betreut.
Wie soll ich das sagen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sagt am Ende, es kann privatisiert werden, auch die Aufgaben aus Artikel 33 Grundgesetz, aber das nur in Ausnahmen und diese Beleihungsmodelle sind als Ausnahmen nicht hinreichend. Es sagt im Urteil, dass eine Beleihung oder eine Privatisierung des Maßregelvollzugs nur aufgrund einer angenommenen Kostenersparnis kein hinreichender Grund ist. Das sieht die Linke am Ende genauso, denn - das hat sich auch in der Diskussion um den Maßregelvollzug gezeigt und das ist einer der Punkte, weshalb wir heute hier stehen - die Kosten des Maßregelvollzugs sind in den letzten Jahren explodiert. Freilich wurde viel in den Einrichtungen gemacht, da wurde viel investiert, das sehen wir auch ein, aber man muss vielleicht rekapitulieren, 1996 hat der Maßregelvollzug 5,5 Mio. € gekostet, 2002 waren es schon 15 Mio. €, 2006 waren es 19,5 Mio. € pro Jahr und im Jahre 2013 sind wir mittlerweile bei 35 Mio. € angekommen, die der Maßregelvollzug kostet. Wenngleich die Träger investiert haben, neue Einrichtungen errichtet haben, aber nicht einmal die vom Bundesverfassungsgericht als Hilfsargumentation angenommene Kette einer Sparsamkeit durch Privatisierung, selbst die trifft in Thüringen nicht zu.
Also ist die Frage: Wie kann man den Maßregelvollzug neu regeln? Wie kann man dem Richterspruch aus Karlsruhe gerecht werden? Da haben Sie mit Ihrem Thüringer Maßregelvollzugsgesetz einen Vorschlag, ein Verfahren vorgelegt - Sie haben es angesprochen - mit den Interventionsbeauftragten, die als Sachwalter des Staates vor Ort in den Kliniken einbezogen werden sollen. Diese Interventionsbeauftragten sollen die staatliche Legitimationskette durchsetzen und durchziehen. Ob das im konkreten Einzelfall bei all der gesamten Tiefe des das Grundrecht einschränkenden Handelns in dem Maßregelvollzug stattfindet, ob das da überall gewährleistet werden kann, das wird von uns ein wenig bezweifelt, denn Sie versuchen am Ende, Frau Taubert, die Probleme, die die Privatisierung aufgerufen hat, hier zu heilen, ohne dass die eigentlichen Probleme der Privatisierung gelöst werden. Das sehen wir durchaus kritisch, dass man hier versucht, in ein bestehendes Konstrukt etwas einzufügen. Ob am Ende die Kliniken und auch das Personal mit dieser Lösung des Interventionsbeauftragten so gut fahren und so gut leben können, das muss man tatsächlich in der Praxis herausfinden. Ich melde da meine Zweifel an. Aber es ist ein Schritt, den Sie gegangen sind, und ob das einer rechtlichen Überprüfung standhält, das wird man gegebenenfalls sehen.
Wie gesagt, aus unserer Sicht ist es eine Krücke. Sie versuchen, die Probleme der Privatisierung des Maßregelvollzugs hier an dieser Stelle zu lösen. Ob das am Ende so gelingt, das wird sich sicherlich auch bei der Anhörung zeigen. Wir haben vorhin die Anzuhörendenliste im Arbeitskreis Soziales und Gesundheit abgestimmt. Wir haben ja morgen früh eine Sozialausschuss-Sitzung, da werden wir dazu sprechen. Am Ende werden wir in der Anhörung zum Maßregelvollzug auch entsprechende Stellungnahmen von den Anzuhörenden bekommen und die sind meistens mit ein wenig Sachverstand ausgestattet.
Ein weiterer Punkt, den wir noch ansprechen wollen, das ist eine Erfahrung aus dem Sozialausschuss. Wir haben im Sozialausschuss auch immer wieder eine ganze Reihe von Petitionen zum Maßregelvollzug gehabt, beispielsweise in der letzten Zeit die Frage, dass Besucherinnen von Patienten im Maßregelvollzug generell Urin- und Speichelproben zur Untersuchung auf Drogenkonsum abgeben müssen. Dazu steht in dem Gesetz leider nichts drin. Das ist ein wenig ärgerlich, dass wir uns im Sozialausschuss dazu auseinandersetzen. Der Staatssekretär sagt, ja, wir haben das Maßregelvollzugsgesetz im Gang, wir arbeiten gerade daran. Am Ende ist leider doch nichts von dem, was wir im Sozialausschuss diskutiert haben, dort eingeflossen. Wir haben natürlich die Chance, im Rahmen der Anhörung und im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens diese Mängel zu beheben. Dann wollen wir uns als Linke gerne daran beteiligen, denn ich sage einmal so, ein Generalverdacht gegenüber Besucherinnen im Maßregelvollzug, das kann natürlich auch nicht unsere Haltung sein. Wie gesagt, Sie haben das Gesetz vorgelegt. Es ist ein wenig ärgerlich, dass es jetzt erst im April in den Landtag eingebracht wird. Sie wissen ja alle, dass, ich glaube, am 14. September Landtagswahl ist. Das heißt, wir stehen da unter einem gewissen Druck. Das finde ich sehr ärgerlich. Ich hätte mir für dieses Gesetz gerne als Ausschuss die entsprechende Zeit auch genommen, dass wir die Fragen ausführlich diskutieren können. Ich weiß nicht so richtig, woran es gescheitert ist, vielleicht am Koalitionspartner oder an den intensiven Diskussionen. Jetzt ist es einmal auf der Welt, jetzt werden wir darüber diskutieren und schauen, dass wir da die bestmögliche Regelung hinbekommen. Wir sind gespannt und interessiert und haben trotzdem zur Privatisierung des Maßregelvollzugs immer noch eine kritische Haltung. Die werden wir auch beibehalten, aber vielleicht können wir die eine oder andere Lösung noch im Rahmen der Gesetzesdiskussion hier einbringen. Vielen Dank.
Klaus von der Krone, Jörg Kubitzki, Dagmar Künast, Tilo Kummer, Frank Kuschel, Annette Lehmann, Ina Leukefeld, Christine Lieberknecht, Ute Lukasch, Dr. Gudrun Lukin, Dorothea Marx, Christoph Matschie, Beate Meißner, Peter Metz, Car
sten Meyer, Dirk Möller, Mike Mohring, Eleonore Mühlbauer, Maik Nothnagel, Birgit Pelke, Dr. Werner Pidde, Egon Primas, Bodo Ramelow, Jürgen Reinholz, Astrid Rothe-Beinlich, Claudia Scheerschmidt, Manfred Scherer, Dr. Johanna ScheringerWright, Fritz Schröter, Jennifer Schubert, Heidrun Sedlacik, Anja Siegesmund, Diana Skibbe, Gisela Sparmberg, Karola Stange, Christina Tasch, Heike Taubert, Heinz Untermann, Dr. Mario Voigt, Marion Walsmann, Frank Weber, Siegfried Wetzel, Henry Worm, Gerold Wucherpfennig.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, man weiß gar nicht, was man dazu sagen soll. Das war jetzt ein bunter Reigen. Man hat ein bisschen den Eindruck, Herr Barth ist noch so ganz im Kalten Krieg verhaftet. Ich glaube, das, worum es eigentlich geht, ist die Frage der Entschädigung von DDR-Heimkindern.
Das, worum es eigentlich geht, ist die Frage der Rehabilitierung und natürlich kann man auch kritisch hinterfragen, dass die Frist von 2016 und 2017 jetzt auf den 30. September 2014 vorgezogen wird, Herr Barth. Das kann man durchaus alles kritisch betrachten. Aber seien Sie versichert, die Sozialministerin hat weder beim Landesvorstand unserer Partei noch in der Fraktion DIE LINKE vorgesprochen. Das hat auch nicht im Rahmen von Koalitionsgesprächen stattgefunden. Selbst wenn, würde eine rot-rot-grüne Koalition mit Sicherheit nicht an der Frage der Rehabilitierung von Opfern der DDR-Regierung scheitern.
Ich glaube, da sind wir alle schon ein bisschen weiter. Ich habe den Eindruck, dass Sie da nicht so sehr weit sind. Vielleicht werfen Sie uns jetzt gleich vor, dass ich heute ein blaues Halstuch trage?
Ich habe ein bisschen den Eindruck, Sie suchten nur irgendetwas, wo Sie ein wenig Stunk machen konnten. Es war auch nicht sonderlich sachlich. 40 Jahre DDR mit all den Schwierigkeiten, mit 12 Jahren NS-Regime und dem Holocaust zu vergleichen, halte ich für sehr, sehr unangebracht.
Das hat auch mit dem Thema, worum es eigentlich geht, nämlich den Missständen, nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in Westdeutschland, in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nichts zu tun.
Deshalb versuche ich eher auf diesen Aspekt einzugehen. Zwischen 1949 und 1990 waren etwa 400.000 Kinder in Heimen und Spezialeinrichtungen der Kinder- und Jugendpflege in der DDR untergebracht. In der Tat mussten eine ganze Reihe von Menschen Dinge erleben, die unter heutigen und auch unter damaligen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen und zu tolerieren waren. Dafür gibt es die Entschädigungsleistungen und auch die entsprechenden Gesetze. Dass der Fonds, der bisher 40 Mio. umfasst hat, Thüringen hat da 3,2 Mio. € schon eingespeist, bislang schon aufgebraucht ist und man nachschießt, zeigt zum einen, dass die Betroffenen durchaus ein Interesse daran haben, zeigt aber auch, dass die Aktivitäten der Landesregierung und auch der Thüringer Landesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit mit ihrem mobilen Beratungsteam durchaus fruchtend sind. Das Referat 34 in Ihrem Haus hat sowohl im Landesjugendhilfeausschuss als auch im Sozialausschuss auch relativ häufig zu diesen Themen berichtet. Sie, Herr Barth, waren da nicht da
bei und ich habe auch nicht wahrgenommen, dass die FDP-Fraktion im Sozialausschuss diesbezüglich agiert hätte. Der Umstand, dass wir jetzt von 40 Mio. auf 200 Mio. die Summen aufstocken, zeigt, dass Menschen das auch annehmen.
Dass die Frist nach vorn gezogen, verkürzt wird, das kann man in der Tat kritisch sehen, das kann man durchaus auch infrage stellen. Fakt ist, es gibt einen langjährigen Beratungsbedarf durch die Betroffenen. Es ist schwierig, dass sich Menschen erst mal auf die Situation einlassen, dass sie sich darauf einlassen, sich zu öffnen. Das ist völlig richtig. Wir als Linke unterstützen natürlich weiterhin die Forderung, dass Rehabilitierung und Wiedergutmachung im Vordergrund stehen und dass es niedrigschwellige Angebote für Opfer der DDR-Heimerziehung geben muss. Daran führt kein Weg vorbei. Ansonsten würde ich Sie durchaus bitten, ein wenig mehr Sachlichkeit walten zu lassen. Wenn Sie damit Wahlkampf machen wollen, machen Sie das, aber bitte nicht auf dem Rücken derjenigen, die Unrecht erlitten haben und die heute um Rehabilitierung und Anerkennung kämpfen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben heute das Thüringer Gesetz zur Förderung von Früherkennungsuntersuchungen für Kinder auf der Tagesordnung. Um dieses Gesetz hat es eine ganze Reihe von Diskussionen und Wirbel gegeben. Nicht zuletzt der Landesrechnungshof hat in sei
nem Prüfbericht einige Punkte aufgeführt, die er kritisieren möchte. Deshalb glaube ich, ist die Diskussion, die wir sowohl im Ausschuss als auch mit Fachverbänden geführt haben, zum Beispiel auch im Rahmen der Anhörung, eine recht intensive und kontroverse gewesen. Im Kern geht es darum zu organisieren oder zu klären, wie die Vernachlässigung von Kindern und die Gefährdung von Kindern durch die Jugendämter und durch die Kinderärztinnen und Kinderärzte, die die U-Untersuchungen durchführen, erkannt werden kann. Es hat, wie bereits gesagt, im Vorfeld viele Diskussionen gegeben. Ich will zumindest die Position der Linken deutlich machen. Die Linke trat und tritt für einen Ausbau des Kinderschutzes ein. Das haben sie in der Legislatur durchaus gemerkt. Wir hatten Anträge zur besseren Förderung von Kinderschutzdiensten, wir hatten ein Modell entworfen, was wir auch dem Plenum hier vorgeschlagen haben, zum Beispiel Mütterberatungsstellen stärker zu implementieren. Wir haben uns auch dafür starkgemacht, dass wir den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken wollen. Und wir haben dafür plädiert, sich für die Familienhebammen, insbesondere in der Frage der Versicherungen für Familienhebammen starkzumachen. All diese Sachen haben wir im Plenum hier diskutiert, haben auch die Unterstützung der Linksfraktion gefunden und dennoch diskutieren wir heute wiederholt über den Kinderschutz und über die U-Untersuchung.
Nun hat die Landesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, von dem jetzt nicht mehr so viel übrig ist. Es ist in der Tat ganz interessant, wie sich das Gesetz im Rahmen der Ausschussdebatte entwickelt hat. Die Landesregierung hatte damals vorgehabt, die U-Untersuchungen und die Nachsorge bei den Fehlmeldungen für die U-Untersuchungen von den Jugendämtern auf die Gesundheitsämter zu übertragen. Nach der Anhörung hat sich das ein wenig erledigt. Die Regierungskoalition kam zu der Erkenntnis, dass sie die Hoheit oder die Federführung weiterhin bei den Jugendämtern belassen will. Das trifft die Zustimmung der Linksfraktion. Ich will Ihnen das im Weiteren erläutern.
Zunächst aber kurz zum Bericht des Rechnungshofs. Der Rechnungshof hatte einen Bericht vorgelegt, dem Landtag zugeleitet. In dem Bericht des Rechnungshofs, in dem Prüfbericht, ging es vor allem darum, dass der Rechnungshof kritisiert, dass das Verfahren der Einladung zu den U-Untersuchungen sehr fehlerhaft ist, sehr ineffizient ist, dass es hohe Kosten verursacht und dass es jede Menge Fehlmeldungen gibt. Aber - das war die Antwort der Linksfraktion, zum Beispiel auch in der Ausschuss-Sitzung, als der Rechnungshof da war - viele der Probleme, die der Rechnungshof aufgeworfen hat, lassen sich tatsächlich beheben bzw. was auch der Fall ist, dass einige der vom Rechnungshof aufgeworfenen Probleme sich nicht mit den Mit
teln und Instrumenten, die der Rechnungshof selber zur Lösung vorschlägt, beheben lassen. Eine gänzliche Abschaffung des Vorsorgesystems und des Vorsorgezentrums kann nicht unsere Zustimmung finden. Nun stellt sich die Frage, was die Landesregierung in der ersten Zeit erörtert oder erwogen hatte, den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Wie wir dazu stehen, und da muss man sagen, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst in den letzten Jahren einen Personalabbau erfahren hat. Der Öffentliche Gesundheitsdienst wurde geschwächt. Die Kommunen haben kein Geld und viele Leistungen, die im ÖGD angesiedelt waren, können dort nicht mehr erfüllt werden. So verwundert es auch nicht, dass beispielsweise der Thüringische Landkreistag in seiner Stellungnahme zum Kinderschutzgesetz oder zum Früherkennungsgesetz schreibt, ich zitiere, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis: „Die Umstellung des Meldeverfahrens auf die Gesundheitsämter würde nicht zu mehr Effizienz und auch zu keiner Kostenreduzierung beitragen, sondern Aufwand und Kosten erhöhen. Je nach Kreisgröße ist für die im Gesetzentwurf vorgesehene Aufgabenerweiterung je Gesundheitsamt von einem zusätzlichen Personalbedarf von 1,0-2,0 VbE auszugehen.“ Also auch der Landkreistag sieht die Verlagerung vom Jugendamt auf den öffentlichen Gesundheitsdienst, auf die Gesundheitsämter kritisch, zumal nicht nur neue Personalstrukturen hätten geschaffen werden müssen, sondern es hätte auch eine enge Vernetzung mit den Jugendämtern stattfinden müssen. All die Netzwerke, die es jetzt bereits im Bereich der Jugendämter gibt, hätten auf den Gesundheitsdienst übertragen werden müssen, da hätten neue Netzwerke gesponnen werden müssen. Hinzu kommt die Aufgabe, die die Jugendämter haben, nämlich bei Meldung über säumige U-Untersuchungen, rausgehen zu müssen, irgendjemand muss ja die Eltern, die Familien besuchen. Das macht der ASD in den Jugendämtern. Diese Aufgabe wäre nicht weggefallen, sie wäre nur von den Jugendämtern zum Gesundheitsamt gewechselt. Auch hier wäre nicht mit einer Kostenreduzierung zu rechnen gewesen, sondern hier wäre mit einem Mehraufwand zu rechnen gewesen; das also auch hinsichtlich der Kritik des Rechnungshofs, der da sozusagen vor allem die Kosten im Auge hatte.
Die Diskussion um den Rechnungshofbericht hat gezeigt, dass der Rechnungshof hier Äpfel mit Birnen vergleicht und die Kosten, die der Landesrechnungshof für das Vorsorgezentrum veranschlagt, viel zu hoch gegriffen sind, denn die Kosten des Vorsorgezentrums an sich sind 2,5 VbE plus ein paar Briefmarken und ein paar Briefumschläge. Die anderen Kosten, die durch die Vorortbesuche entstehen, weil der ASD rausgeht zu den Familien, die entstehen auch weiterhin. Hier greift die Kritik des
Rechnungshofs ein wenig zu kurz. Kurzum, wir als Linke wollen die Beibehaltung der U-Untersuchung gerne haben, wir wollen aber auch - und jetzt komme ich zu den Änderungsanträgen, die wir im Ausschuss gestellt haben -, wir haben im Sozialausschuss erstens die Beibehaltung der Jugendämter gefordert, aber wir haben auch gefordert, dass beispielsweise die U3 und auch die U9 weiterhin mit in die Meldeverfahren, in Einladungsverfahren implementiert sind. Auch das wollen wir mit unserem Änderungsantrag, den Sie jetzt bekommen haben, weiter aufrechterhalten. Wir wollen dieses ganze System des Vorsorgezentrums mit dem Einladungswesen erhalten. Sie haben natürlich recht, Herr Gumprecht, wenn Sie sagen, dass es in den Anhörungen, sowohl in der Online-Anhörung als auch der schriftlichen Anhörung auch viel Kritik zu den ganzen Verfahren gab, das ist richtig. Aber ich möchte nur zum Beispiel auf die Stellungnahme des Helios-Klinikums, des Sozialpädiatrischen Zentrums, verweisen, was sehr, sehr klar und sehr deutlich sagt, die Einladung und die U-Untersuchungen sind sehr, sehr wichtig und der Kontakt zwischen den Jugendämtern, den Kinderärzten und den Familien, das ist eigentlich der Effekt, auf den man hinaus möchte, das ist der Effekt, der auch für das Sozialpädiatrische Zentrum im Fokus steht. Und dieser Effekt würde, wenn man das ganze Vorsorgezentrum abschafft und das ganze Einladungswesen infrage stellt, aus unserer Sicht dadurch infrage geraten und infrage gestellt.
Wir wollen also das Vorsorgezentrum erhalten und wir wollen auch die Einladung erhalten, was allerdings nicht bedeutet, Frau Ministerin, das muss man auch sagen, dass wir das ganze Verfahren kritiklos hinnehmen. Es ist ja tatsächlich so, dass viele Punkte, die sowohl der Rechnungshof als auch die Anzuhörenden in der Anhörung aufgeworfen haben, durchaus berechtigt sind. Es gibt bislang keine Evaluation des Gesetzes, jedenfalls keine, die dem Landtag zugeleitet wurde. Wir haben Sie in der Haushaltsanhörung für den Doppelhaushalt gefragt, wie es mit der Evaluation aussieht; da haben Sie gesagt, dass eine Evaluation geplant ist, dass die auch schon begonnen wurde. Ergebnisse davon sind uns bislang nicht bekannt und eine Evaluation des Gesetzes sollte es aus unserer Warte durchaus geben. Daran darf kein Weg vorbeiführen. Die Recherche bzw. der Bericht des Landesrechnungshofs kann natürlich keine Evaluation ersetzen.
Ein weiterer Punkt, der auch immer wieder diskutiert wurde, ist zum Beispiel die Frage: In welchem Ton sind denn zum Beispiel die Einladungsbriefe formuliert? Da sagen wir, ja, Frau Taubert, auch so ein Einladungsbrief für säumige Eltern, die nicht bei der U-Untersuchung waren, kann freundlich formuliert sein, der kann Hilfsangebote in sich tragen, der kann auf Hilfsangebote verweisen. Aber das ist auch ein Punkt, den wir schon seit mehreren Jah
ren kritisieren, der auch von Eltern stark kritisiert wird. Das ist zum Beispiel eine Sache, die schon längst hätte erledigt werden können.
Des Weiteren muss man sagen, dass es auch seitens des Vorsorgezentrums allem Anschein nach kein ernsthaftes Bemühen gibt, die Fehlmeldungen an sich zu reduzieren. Das ist, glaube ich, eines der größten Probleme, an dem wir arbeiten müssen, an dem das Ministerium auch arbeiten kann; es gibt diverse Möglichkeiten. Ich glaube, dass wir, wenn wir die Fehlmeldungen reduzieren, der Kritik an dem ganzen Vorsorgezentrum und der Kritik an dem Verfahren ein wenig abhelfen können. Was ganz wesentlich wäre für diesen Punkt, wäre ein Abgleich der Meldedaten. Wenn wir ein Verfahren finden könnten, wie wir beispielsweise über die Meldedaten der Einwohnermeldeämter die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen regeln, wäre das vielleicht einfacher als der bisherige Weg über die Krankenkassen, den wir jetzt haben. Da gibt es gesetzliche Krankenkassen, es gibt private Krankenkassen. Nicht alle Kinder sind versichert leider -, nicht alle sind bei den gesetzlichen Krankenkassen, das ist auch ein großes Problem. Das führt dazu, dass einige Kinder gar nicht im Fokus sind bzw. das führt im Zweifelsfall dazu, dass einige doppelt eingeladen werden, obwohl sie die Untersuchungen wahrgenommen haben, an den Untersuchungen teilgenommen haben.
Diese Kritik am Früherkennungsgesetz teilen wir, die müssen wir auch vortragen. Wir erwarten von der Landesregierung, dass all diese Punkte erfüllt werden, dass auf sie eingegangen wird. Im Großen und Ganzen steht für die Linksfraktion fest: Wir wollen am Vorsorgezentrum festhalten. Für uns ist das ein wichtiger Baustein im Rahmen des Kinderschutzes. Wir wollen aber den Kinderschutz nicht nur auf das Vorsorgezentrum reduzieren, sondern - ich hatte es angesprochen - da geht es auch um die Frage der Kinderschutzdienste, da geht es um Vernetzung, da geht es um viele andere Sachen. Es geht auch um die Frage, wie Informationen schnell und zügig zwischen Kinderärzten, Jugendämtern und dem Vorsorgezentrum ausgetauscht werden. Das sind Punkte, die man durchaus diskutieren und lösen kann.
Wir stimmen dem Gesetz zu. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag, den wir heute hier vorgelegt haben, auch die U3 und die U9 weiterhin in dem Vorsorgeverfahren berücksichtigt wissen. In diesem Sinne werbe ich für Ihre Zustimmung zum Änderungsantrag und hoffe, dass wir zum Thema Kinderschutz noch das eine oder andere Mal diskutieren und vielleicht auch die Kritik, die von den Anzuhörenden gekommen ist, in den nächsten Jahren ernst nehmen und dieser Kritik den Boden entziehen. Vielen Dank.
Herr Präsident, nur ganz kurz noch einmal. Es gab zwei, drei Fragen zu unserem Änderungsantrag, warum da auf einmal steht „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes“. Ganz einfach, weil die Fristenregelung in diesem Gesetz geregelt ist, auch die Fristenregelung für das Gesetz zur Förderung der Früherkennungsuntersuchungen. Das ist der eine Aspekt, den ich Ihnen noch einmal darlegen wollte, warum das bei uns so ist, weil wir - wie gesagt - die Entfristung des Gesetzes haben wollen, was natürlich nicht
heißt, dass wir auf eine Evaluation verzichten wollen.
Der Antrag der FDP, Herr Barth: Wir als Linksfraktion werden gegen Ihren Änderungsantrag stimmen. Ich will noch einmal etwas sagen zu den 3,50 € oder zu der Vergütung der Kinderärzte. Die Kinderärzte bekommen natürlich eine Vergütung, wenn sie die U-Untersuchung durchführen. Das wird gar nicht infrage gestellt, die bekommen ihre Vergütung für die U-Untersuchung. Die 3,50 € extra, die sind nur dafür da, dass sie den Zettel nehmen, ins Fax stecken oder in den Briefumschlag stecken und dann den Ärzten schicken. Wenn Sie mit Kinderärzten sprechen - und ich habe auch mit dem einen oder anderen Kinderarzt gesprochen, es war sogar eine Kinderärztin dabei -, die haben gesagt, und das geht vielleicht auch in Richtung des Ministeriums, wenn wir auf diese ganze Zettelwirtschaft verzichten könnten, wenn mit dem Einstecken der Chipkarte von der Krankenkasse das gleich geregelt wäre, dass eine E-Mail an das Vorsorgezentrum ginge - was technisch gar kein großes Problem ist -, wo dann drinsteht, das Kind von Müller, Meyer, Schulze hat an der U-Untersuchung teilgenommen, dann kann man auch auf diese 3,50 € verzichten. Deshalb, Herr Barth, ist es ein wenig unredlich, wenn Sie hier so tun, als ob die Ärzte nicht vergütet werden. Für die medizinische Leistung werden sie vergütet. Das, was sie quasi extra machen, ist, das Fax nach Bad Langensalza schicken oder den Brief nach Bad Langensalza schicken.
Der Änderungsantrag der Grünen, da gibt es Aspekte, die man unterstützen kann, beispielsweise das Fordern der Evaluation. Da gibt es aber Aspekte, die man auch infrage stellen kann, beispielsweise die Evaluation durch die Krankenkassen. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir uns bei dem Änderungsantrag der Grünen enthalten. Das wollte ich noch einmal gesagt haben und ich hoffe, dass jetzt alles geklärt ist und dass wir ein gutes Gesetz hinbekommen und dass wir auch weiterhin so intensiv und engagiert, vor allem sachorientiert beim Kinderschutz diskutieren. Vielen Dank.
Klaus von der Krone; Jörg Kubitzki; Dagmar Künast; Tilo Kummer; Frank Kuschel; Annette Lehmann; Wolfgang Lemb; Ina Leukefeld; Christine Lieberknecht; Dr. Gudrun Lukin; Dorothea Marx; Christoph Matschie; Beate Meißner; Peter Metz; Carsten Meyer; Dirk Möller; Mike Mohring; Eleonore Mühlbauer; Maik Nothnagel; Birgit Pelke; Dr. Werner Pidde; Egon Primas; Bodo Ramelow; Lutz Recknagel; Jürgen Reinholz; Martina Renner; Astrid Rothe-Beinlich; Manfred Scherer; Dr. Johanna Scheringer-Wright; Fritz Schröter; Jennifer
Schubert; Heidrun Sedlacik; Anja Siegesmund; Diana Skibbe; Karola Stange; Christina Tasch; Heike Taubert; Heinz Untermann; Dr. Mario Voigt; Marion Walsmann; Frank Weber; Siegfried Wetzel; Henry Worm; Gerold Wucherpfennig.
Ja, ja Herr Kemmerich. Sie sehen mich hier relativ häufig im Landtag, das heißt, die Zeit, die ich zu Hause auf der Couch liege, ist ja doch eher eingeschränkt.
Frau Präsidentin - das kann Ihnen doch egal sein, ob ich hier in Sandalen rumlaufe oder nicht, also
ich meine,
Sie tragen dafür eine Fleischmütze, das ist auch nicht besser.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es geht...
Es geht …
Ich bin hier Abgeordneter, Herr Mohring, genau wie Sie und auch ich habe das Recht, hier zu sprechen
das mag ja sein, dazu können Sie stehen wie Sie wollen, ich finde …
Ich habe doch noch gar nichts gesagt, wozu möchten Sie denn etwas fragen?
Ja, doch. Ich bin ja nicht so.
Nicht Sie, der Herr Kemmerich. Eine Fleischmütze. Das ist ein jugendgemäßer Fachausdruck für Glatze. Wenn Sie sich sozusagen über meine unbemantelten Füße aufregen und mein Tragen von Sandalen, dann …
Unter jungen Leuten bezeichnet man das so. Worauf ich eigentlich hinaus möchte …
Es ist ja zum einen erstaunlich, welche Aufregung es schon macht, wenn ich hier vorn stehe, obwohl ich noch gar nichts gesagt habe. Zum anderen möchte ich aber tatsächlich noch einmal etwas sagen zu den Äußerungen von Herrn Baumann und Herrn Kemmerich. Es ist ja so, Sie haben noch einmal darauf abgestellt, der ganze Prozess ist nur ein formales Gesetz, um das es hier geht. Es ist nur ein formaler Akt, ein technischer Akt und dass man das sauber herausarbeiten muss, dass es eben nur ein technischer Akt ist. Wenn es tatsächlich nur ein technischer Akt ist, der völlig losgelöst ist von jeglichen inhaltlichen Positionen, die man zum SGB II, also zu Hartz IV, einnehmen kann, dann frage ich mich: Warum diskutieren wir dieses Gesetz hier eigentlich im Landtag? Warum kommt es hier in dem Landtag in das Plenum hinein, wenn es ja tatsächlich doch nur ein technischer Akt sein soll? Wo, wenn nicht hier in dieser Gesetzesbehandlung in diesem Landtag, wo wir Demokratie üben wollen und sollen, soll man die Inhalte, die mit dem SGB II und mit Hartz IV verbunden sind, ansprechen? Von diesem Recht hat die Linksfraktion Gebrauch gemacht. Wir haben diesbezüglich einen Entschließungsantrag vorgelegt. Das ist doch der Kern der Demokratie, dass man Gesetze, die hier diskutiert werden, eben auch tatsächlich diskutiert und sich Gedanken macht, wie man hier Veränderungen herbeiführen kann.
Herr Baumann, dass die Veränderungen nötig sind, sieht man doch an allen Ecken und Enden.
Es ist ja nicht nur so, dass die Betroffenen tagtäglich ihr Leid klagen, sondern das Gesetz ist tatsächlich in vielen Punkten ständig als verfassungswidrig charakterisiert worden, zum Beispiel durch das Bundesverfassungsgericht. Was ist denn mit der Berechnung der Regelsätze? Was ist mit der Frage von Zumutbarkeit etc. pp.? Das sind doch alles Probleme und Sie werden stets und ständig zum Beispiel vom Verfassungsgericht gedrängt, dieses Gesetz an den vielen, vielen Stellen zu verändern. Darum geht es uns.
Die etwa 50 Novellierungen, die es bislang gegeben hat, das sind ja zum Teil Novellierungen, die aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils gelaufen sind. Das sind aber zum großen Teil eben auch Novellierungen, wo Sie Rechtsansprüche der Betroffenen abgebaut haben. Die SGB II-Instrumentenreform ist das beste Beispiel, wo eine ganze Reihe von vorherigen Pflichtleistungen, die die Träger zu erfüllen hatten, in Ermessensleistungen umgewandelt wurden. Wo jetzt die Betroffenen bibbern müssen, ob der Daumen nach oben oder nach unten geht, wo also irgendjemand im Jobcenter sagen muss: Das ist angemessen oder das ist nicht angemessen. Das ist das Problem. Zu welcher Position werden eigentlich die Betroffenen, die Arbeitslosen degradiert? Das hat Frau Leukefeld, glaube ich, ganz gut gemacht.
Herr Baumann, ich habe eine Frage: Was sollte denn eigentlich Ihre Ausführung, dass man das mit der sanktionsfreien Grundsicherung doch bitte mit dem Rechnungshof diskutieren sollte? Was ist denn das für eine Haltung, die dahinter steht? Ich meine, natürlich müssen wir auf die Sparsamkeit oder die sparsame Ausgabe von Mitteln achten. Das ist auch völlig richtig. Sie haben auch immer diese Missbrauchsdebatten, die Sie da vor sich hertragen. Aber ich sage Ihnen eins: Auch SGB-IIEmpfänger sind Menschen, sie sind zuallererst Menschen. Ich glaube, das muss man hier noch einmal in den Fokus stellen. Gestern haben wir diskutiert über Herrn Zimmermann, der mit immens viel Geld als Ruhegehalt in den - ja, Ruhestand ist es ja eben nicht -, aber mit immens viel Geld abgespeist wird und sich ein schönes Leben machen kann und die Betroffenen in den Jobcentern, die müssen stets und ständig zur Verfügung stehen und müssen sich für alles Mögliche rechtfertigen. Das ist der Unterschied, der hier gemacht wird.
Da gibt es einmal 3.000 € für einen ehemaligen Staatssekretär, der jetzt auf der Insel der Glückseli
gen lebt, und dann gibt es die Hartz-IV-Betroffenen, die tagtäglich überhaupt dafür ringen müssen, dass sie die entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen bekommen. Ja, da gibt es Leute, die sich bei uns in der Sprechstunde melden, Menschen, die ein Staatsexamen gemacht haben, als Referendare jetzt mit dem Lehrerstudium fertig sind und vom Jobcenter ein Angebot bekommen als Umschulung für Fernfahrer. Das sind all die kleinen Probleme, wo DIE LINKE durchaus sagt, hier muss etwas getan werden und hier müssen wir auch schauen, wie die Qualifizierungsmaßnahmen auf die Individuen zurechtgeschnitten sind, so dass individuell geschaut wird, welche Qualifikation haben die Leute, was brauchen sie, wo sind ihre beruflichen Wünsche und wo können sie sich weiterentwickeln und wo ist der Fachkräftemängel. Da ist natürlich tatsächlich Veränderungsbedarf da. Herr Baumann, wenn Sie das nicht einsehen wollen, dann tun Sie uns leid. Für uns als LINKE ist das nicht nur eine formale und fachliche Frage, sondern es ist vor allem eine Frage des politischen Willens, wie man mit den Betroffenen von Erwerbslosigkeit umgeht. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst erst mal, Frau Meißner, vielen Dank für das Rezitieren dieser Großen Anfrage. Jetzt sind wir alle umfänglich über jede einzelne Zahl informiert. Da hatte ich mir schon ein bisschen mehr vorgestellt, als dass Sie hier nur die Antworten …
Ja, aber im Großen und Ganzen. Soziale Mobilität, das ist ein wichtiges Thema. Die Frage ist aber für uns als LINKE, warum ist soziale Mobilität eigentlich ein so wichtiges Thema. Was ist daran so wichtig, dass wir zwischen oben und unten, dass wir da sozusagen, dass die Leute Aufstiegschancen haben und so nicht und so weiter und so fort. Da muss ich irgendwie feststellen, dass diese Erwartungen und die Anforderungen und die Notwendigkeit der sozialen Mobilität zum einen damit zusammenhängen, dass wir eine erodierende Mittelschicht haben. Das heißt, durch Prekarisierung, durch Niedriglohn, durch Globalisierung und Wettbewerb, durch Liberalisierung und Privatisierung werden natürlich die Arbeitsverhältnisse und die Lohnverhältnisse immer weiter unter Druck gesetzt und, die Friedrich-Ebert-Stiftung gibt diesbezüglich regelmäßig Studien heraus, die Mittelschicht erodiert und hat Abstiegsängste. Das zum Beispiel ist eines der Probleme, wenn es um soziale Mobilität geht.
Ein viel weitergehendes Problem ist aus unserer Sicht dasjenige, das unsere gesellschaftliche Spreizung derer, die arm sind, und derer, die besonders reich sind, derartig aus dem Ruder gelaufen ist,
dass wir hier eigentlich nicht nur mit Armutsbekämpfungsmaßnahmen ansetzen müssen, sondern dass wir hier mit einer ganz massiven Umverteilung von oben nach unten ansetzen, damit die Wege bei der sozialen Mobilität nicht mehr so weit sind. Ich denke, das ist ein zentraler Punkt, den man vorab noch einmal diskutieren muss und den man hier vorab stellen muss.
Grundsätzlich hat die Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage jede Menge Zahlenmaterial bereitgestellt und ich will da auch zu einigen Punkten etwas sagen. Die grundsätzliche Haltung oder der grundsätzliche Eindruck, der erweckt wird, wenn man die Antwort auf die Große Anfrage liest, ist derjenige, dass in Thüringen immens viel passiert, dass hier richtig rangeklotzt wird. Das ist in einigen Teilen sicherlich auch gerechtfertigt, aber bei Lichte betrachtet, wenn man sich anschaut, was mit TIZIAN passiert, wenn man sich anschaut, was eigentlich mit dem Landesarbeitsmarktprogramm beispielsweise passiert, dann stellt man hier fest, es sind nur Tropfen auf den heißen Stein, es ist eben nicht eine flächendeckende Arbeit, sondern es sind nur Modellprojekte, es sind gezielte wenige Programme. Da muss man auch noch mal ansprechen, dass die Landesregierung auch in der Haushaltsberatung ja natürlich die Prioritätensetzung vermissen lässt.
Wenn wir breit für öffentliche Beschäftigung arbeiten wollen, dann brauchen wir ein Landesarbeitsmarktprogramm, was entsprechend auch ausfinanziert ist. Ich denke, davon ist die Landesregierung meilenweit entfernt. Sie, Frau Meißner, hatten ja von vielen Sachen berichtet, wo die Landesregierung so richtig ranklotzt und wo auch schon Dieter Althaus damals angefangen hatte, aber eben viele Dinge aus dieser Zeit, gerade im Rahmen der Familienpolitik, haben wir heute noch als Altlast vor uns herzutragen, die wir endlich überwinden müssen. Ich möchte an dieser Stelle nur noch einmal das Landeserziehungsgeld ansprechen.
Eine weitere Sache, die, denke ich, noch einmal beleuchtet werden muss, das hatte ich gestern bei dem Thema Kinderschutz schon einmal gesagt, ist natürlich die Frage, was passiert eigentlich mit Modellprojekten. Wir haben viele Modellprojekte und Modellprojekte sind immer tolle Sachen, aber Modellprojekte müssen irgendwann verstetigt werden.
Modellprojekte müssen irgendwann aus der Modellphase rauskommen und Modellprojekte müssen irgendwann zum Regelbetrieb überführt werden. Und dieser Regelbetrieb, den vermissen wir beispielsweise bei dem Modellprojekt, Kitas zu Eltern-KindZentren auszubauen. Diese Modellprojekte, die Überführung der Modellprojekte, vermissen wir
eben auch bei TIZIAN und auch bei dem Landesarbeitsmarktprogramm, so dass wir hier tatsächlich breit in die Fläche hineinkommen. Weil ich gerade bei diesen Modellprojekten bin, eine Sache, wo man aus der Anfrage herauslesen kann, dass alles in Butter ist, aber bei Lichte betrachtet sieht man dann zum Beispiel im Bereich der Kinderkarte, dass da eben doch nicht alles so ist, wie die Landesregierung das so aufgeschrieben hat. Das Erfolgsrezept ist die Kinderkarte leider nicht. Vielleicht sollte man sich davon auch verabschieden und nach anderen Wegen und Möglichkeiten suchen, wie man Kindern und Jugendlichen andere Förderinstrumente hinzugeben kann.
Eine Sache, die mit der sozialen Mobilität massiv im Zusammenhang steht, ist die Frage, wie ist der gesellschaftliche Reichtum verteilt. Da haben wir von der Bundesregierung den Armuts- und Reichtumsbericht überreicht bekommen nach einigem Zetern. Das hat nicht ganz funktioniert, dass man sich Realität so hinschreibt, wie man sie gern hätte. Da ist die FDP leider gescheitert oder zum Glück, so dass der Armuts- und Reichtumsbericht doch noch relativ deutliche Zahlen hat. Aus dem Armutsund Reichtumsbericht geht ja hervor, wie stark die Armut angeschwollen ist in unserem Land, wie dramatisch eigentlich die Situation ist. Auf der einen Seite haben wir ein Heer von Arbeitslosen, ein Heer von niedrigqualifizierten und niedrigbeschäftigten Leuten, die mit ihrem Lohn gar nicht über die Runden kommen und auf der anderen Seite haben wir einen exorbitanten Reichtum in diesem Land, der gar nicht mehr weiß, wohin er will. Wenn dann der Herr Winterkorn von VW sagt, ach, er ist ganz großzügig, er verzichtet von seinen 17,5 Mio. € Jahresgehalt auf 7 Mio., da muss ich sagen, das ist wirklich der falsche Weg, er hätte ja auf 17 Mio. verzichten müssen und nicht auf nur ein paar Millionen, die er da jetzt gespendet hat. Ich denke, das sind so die Dimensionen, in denen wir auch die Debatte um die soziale Mobilität führen müssen. Ein Rezept, um die Frage sozialer Aufstieg und die Auseinanderentwicklung in der Gesellschaft zu umgehen, ist natürlich eine ganz große Umverteilung von oben nach unten. Man kann sich ja vielleicht auch einmal so ein paar volkswirtschaftliche, ökonomische und andere Kennziffern anschauen, wie das in Deutschland eben passiert. Da gibt es zum Beispiel den Gini-Koeffizienten, der über die soziale und wirtschaftliche Gleichheit und Ungleichheit Auskunft gibt. Da muss man sagen, dass Deutschland da nicht ganz weit vorn ist, sondern dass es kaum ein OECD-Land gibt, in dem die Schere zwischen Arm und Reich so groß ist und in dem die Geburt und die Herkunft so sehr darüber entscheidet, wie der Bildungserfolg und später natürlich auch der berufliche Erfolg stattfindet. Das wurde zum ersten Mal in der PISA-Studie dargelegt, wo es ja so eine schöne Korrelation gab zwischen sozialer Herkunft und dem Bildungserfolg. Da war Deutsch
land und da ist dann auch in den Ländertests herausgekommen, dass auch Thüringen da nicht ganz weit an der Spitze liegt. Ich glaube, deshalb ist ein wesentlicher Punkt hierbei, in die Bildung zu investieren. Dabei geht es nicht nur um die Schulbildung, um die Frage des Sitzenbleibens, um die Frage des gemeinsamen Lernens, um die Frage der Gemeinschaftsschule, sondern dabei gilt es natürlich auch, schon viel weiter anzusetzen, nämlich bei der Kindertagesstätte. Nun haben wir in den letzten Wochen und Monaten viele Diskussionen gehabt, vielleicht insbesondere in Erfurt, aber auch in anderen Städten findet das ja statt, dass es Diskussionen gibt über hohe Kita-Beiträge. Wir als LINKE sagen natürlich, wir brauchen eine kostenlose Kita.
Wenn die Kindertagesstätten frühkindliche Bildungsangebote sind, dann müssen sie eben auch behandelt werden wie die ganz normale Schule, die ist auch kostenfrei, wir haben Lernmittelfreiheit. Das brauchen wir für die Kindertagesstätten in Thüringen auch.
Wenn Sie dann fragen, woher wir das Geld nehmen wollen, dann würde ich Ihnen zum einen den Armuts- und Reichtumsbericht ab Seite 89 empfehlen, dort steht drauf, bei wem wir das Geld haben wollen. Und es ist natürlich auch so, dass wir wieder eine Beteiligung an der Bildungsfinanzierung brauchen, und zwar ein Drittel durch den Bund, ein Drittel durch das Land und ein Drittel durch die Kommunen. Ich denke, dass, wenn wir so eine Drittelfinanzierung von Bund, Land und Kommune hinbekommen, wir dann die Kitas auch kostenfrei stellen können und damit hätten wir im frühkindlichen Bereich durchaus etwas gewonnen.
Ich will vielleicht noch zu einigen anderen Dingen etwas sagen, weil die Familienförderung von Frau Meißner so gelobt wurde, wie gut das alles in Thüringen ist. Ja, in Thüringen wird auch viel Geld für Familienförderung ausgegeben, das ist an der einen oder anderen Stelle auch richtig, an einer anderen Stelle ist es vielleicht etwas falsch. Die Stiftung FamilienSinn beispielsweise würde ich hier ganz frei auch kritisieren und sagen, das ist überflüssig wie ein Kropf. Des Weiteren ist das Landeserziehungsgeld auch überflüssig.
Wenn man sich jetzt die Jubelmeldung anschaut, die gestern durch die Zeitung gegangen ist, dass also Frau Kristina Schröder - sie ist Familienministerin, wenn ich mich nicht täusche - und Herr Schäuble, wenn sie da ihre Studie vorlegen, dass in Deutschland 156 familienpolitische Leistungen erbracht werden und dass man daran festhalten möge und dass das wichtige und gute Leistungen sind, da muss man sich tatsächlich noch mal die Frage stellen, wie wirken diese familienpolitischen Leis
tungen überhaupt? Denn da, habe ich den Eindruck, ist Frau Schröder nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Beispielsweise der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, der bei der letzten Armutskonfernz der Landesregierung in der Fachhochschule Erfurt einen sehr einprägsamen Vortrag gehalten hat, hat zum Beispiel herausgefunden und analysiert, dass die meisten familienpolitischen Leistungen eben nicht danach gezahlt werden, welche Bedürfnisse und welche Bedarfe haben Kinder, sondern dass die meisten familienpolitischen Förderleistungen danach gezahlt werden, aus welchem Milieu kommen die. Da ist es eben so, dass diejenigen Eltern, die mit ihrem Einkommen ganz gut dastehen, die bessere Förderung bekommen und diejenigen, die kaum Einkommen haben oder eben auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, auch die wenigsten familienpolitischen Förderleistungen bekommen. Da ist das Kindergeld anzusprechen, was der Mittelstandsmensch, was die Mittelstandsfamilie bekommt, aber diejenigen, die im Sozialgeldbezug sind, denen wird das Kindergeld als Einkommen abgerechnet, aber diejenigen sind es, die es am ehesten bräuchten.
Da gibt es weitere Dinge, beispielsweise das Ehegattensplitting. Dort wird ausschließlich die Ehe, der Trauschein subventioniert. Das mag für Menschen aus dem katholischen Eichsfeld ein Wert an sich sein,
aber das hat nichts damit zu tun, Frau Tasch, ob in dieser Ehe tatsächlich Kinder vorhanden sind, denn eigentlich brauchen wir ein Kindersplitting oder brauchen wir eine Förderleistung, die das Kind in den Fokus nimmt und nicht die Ehe oder sonstige politische Vorgaben für das Zusammenleben von Menschen.
Eine andere Sache im Bereich der Familienpolitik, die, denke ich, aus unserer Sicht noch einmal dringend kritisch angesprochen werden muss, ist natürlich der fehlende Kita-Ausbau. Wir hatten ja das KiFöG, das Kindertagesförderungsgesetz, wo der flächendeckende Ausbau der Kindertagesstätten mit dem Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr ab 1. August 2013, also ab diesem Jahr, festgeschrieben wurde. Das Geld für den Kita-Ausbau fehlt im Land, das Geld für den Kita-Ausbau wurde kaum in Anspruch genommen. Hier ist auch noch mal anzumerken, dass natürlich auch die ostdeutschen Bundesländer hier durchaus Nachholbedarf haben, zwar nicht, was den Kita-Bau an sich angeht, aber was natürlich die Sanierung angeht.
Wenn ich da mal nach Erfurt schaue, wir haben rund 110 Einrichtungen, von denen sind 40 Einrichtungen in den letzten sieben Jahren renoviert und saniert worden, aber da gibt es eben noch eine ganze lange Liste von Einrichtungen, die noch sa
niert werden müssen, und dafür fehlt der Kommune in Erfurt schlicht das Geld. Auch hier wäre eine Prioritätensetzung angebracht, denn auch außerhalb von Erfurt gibt es sehr viele Kindertagesstätten, die nicht gerade in einem sehr guten Zustand sind. Auch hier vermissen wir Aussagen von der Landesregierung bezüglich einer Unterstützung der Kommunen für die Sanierung von Kindertagesstätten.
Eine weitere, vor allem bundespolitische Fehlentscheidung ist natürlich diejenige zum Betreuungsgeld. Das Geld, die Mittel, die in das Betreuungsgeld hineinfließen, könnte man beim Kita-Ausbau wesentlich sinnvoller verwenden.
Ich will vielleicht noch mal ganz kurz dazu kommen, dass es natürlich auch Alternativen gibt in der Familienförderung, die weniger die soziale Mobilität behindern und die viel mehr für soziale Gleichheit und soziale Gerechtigkeit geeignet sind, u.a. die Kindergrundsicherung. Die Kindergrundsicherung ist ein Konzept, was von verschiedenen Verbänden und Vereinen priorisiert wurde. Hier sollen also die Kinder mit eigenen Rechtsansprüchen in den Fokus genommen werden. Davon sind wir in Thüringen meilenweit entfernt und auch auf Bundesebene gibt es dazu leider keinen großen Konsens. Das wäre aber genau das Richtige.
Im Großen und Ganzen müssen wir sagen, die gesellschaftliche Umverteilung von oben nach unten lässt sich aus Thüringen allein heraus nicht bewältigen, aber die soziale Umverteilung von oben nach unten muss im Rahmen eines sozialökonomischen Umbaus bewältigt werden und hier haben wir auch Chancen. Stellen Sie sich beispielsweise das Mittagessen in Thüringer Kindertagesstätten vor; wir haben ja das Problem, dass wir die Förderung des Mittagessens bei Kindertagesstätten zurückgenommen haben, jetzt gibt es da gar keine Landesförderung mehr. Das wäre z.B. so ein Modellprojekt, wo man natürlich kleinteilig regional, aber im gesamten ländlichen Raum für Veränderungen sorgen könnte, wenn z.B. regionale Anbieter, Agrargenossenschaften usw. mit Tagesstätten und mit Schulen gemeinsam arbeiten, so dass man hier vielleicht auch zu Veränderungen kommen und zumindest eine Unterstützung beim Mittagessen etablieren könnte. Sie haben viele Sachen noch genannt, Frau Meißner und auch Herr Koppe, TIZIAN und das Schulobstprogramm etc. pp., dabei will ich es erst einmal bewenden lassen. Für uns als LINKE steht natürlich die Umverteilung von oben nach unten im Fokus und in diesem Sinne möchte ich hier enden. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Vorschlag, die Vorlage des Thüringer Ausführungsgesetzes, ist eine, rein technisch betrachtet, formale Angelegenheit, aber hinter dieser formalen Angelegenheit stehen natürlich auch politische Wirkungsweisen und politische Entwicklungen, auf die damit auch eingegangen wird. Es ist nun nicht so, dass die Bundesregierung einfach so sagt, wir wollen die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung komplett übernehmen, weil es dafür keine Notwendigkeit gibt, sondern die zunehmende Altersarmut und die zunehmenden Steigerungsraten im Rahmen des Niedriglohnsektors und der Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse führen natürlich dazu, dass die Altersarmut immer mehr steigt und die bisherigen Tragzahlen, die die Kommunen, das Land und der Bund tragen müssen, führen natürlich zu Kostensteigerungen seitens der Kommunen, und das können die Kommunen, die ja nur sehr begrenzte kommunale Haushaltsmittel haben, einfach nicht abfangen. In diesem Sinne ist es sehr, sehr gut und sehr sinnvoll, dass die Kosten für die Grundsicherung im Alter übernommen werden, wenngleich natürlich nicht mal jeder zweite Anspruchsberechtigte seine Ansprüche auf Grundsicherung im Alter auch einlöst. Das, denke ich, müssen wir hier auch noch mal miteinander besprechen, wie wir diese Dunkelziffer von Rentnerinnen und Rentnern, die ihre sozialrechtlichen Ansprüche gar nicht wahrnehmen, wie wir dazu kommen, dass die doch tatsächlich mindestens auf diesen Regelsatz aus dem SGB XII hochgestuft werden. Im Großen und Ganzen ist die Übernahme der Kosten schrittweise bis zum Jahr 2014 durch den Bund für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine durchaus positive Sache. Das wollen wir als LINKE auch nicht weiter behindern oder torpedieren. Wir möchten nur vor allem unseren Fokus darauf legen, zu sagen, das Geld muss zweckgebunden an die Kommunen überwiesen werden und es muss zeitnah überwiesen werden. Ein solches Debakel, wie wir das mit dem Bildungs- und Teilhabepaket erlebt haben, wo sich auch die Thüringer Landesregierung gegen den Gesetzentwurf der LINKEN gesperrt hat, die eine Zweckbindung der Mittel vorgesehen hat, so ein Debakel brauchen wir nicht noch einmal. In Erfurt wurden über 800.000 € aus dem Bildungspaket in den Straßenbau investiert, gerade weil es keine Zweckbindung gab. Das ist, denke ich, für uns einer der wichtigsten Punkte, dass die Kommunen Geld mit einem Verwendungszweck „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ überwiesen be
kommen und dass das Abrechnungsverfahren nicht, wie das bislang ist, über zweieinhalb bis drei Jahre rückwirkend stattfindet, sondern dass man zeitnah ein Abrechnungsverfahren bekommt, weil die Kommunen eben nicht so viel Geld haben, dass sie das im Vorfeld auszahlen können. Von daher werden wir im Ausschuss sicherlich noch das eine oder das andere dazu technisch besprechen.
Von uns als Links-Fraktion gibt es dazu die Zustimmung, wir würden es auch gerne an den Ausschuss überweisen. Natürlich werden wir dazu auch eine Anhörung machen. Der Gemeinde- und Städtebund wird ja immer angehört von uns. Aber ich denke, dass im Großen und Ganzen mit dem Gesetz nur eine technische Veränderung einhergeht und wir als LINKE stimmen dem zu. Bei all den Schwierigkeiten, die wir auch mit dem SGB XII haben, das ist von uns nicht ganz kritiklos zu betrachten, aber da kommen wir dann sicherlich in der Debatte im Ausschuss noch einmal dazu. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir beraten heute eine Reihe von Anträgen, die sich rund um das Thema Kinderschutz bewegen, aber eben nicht den Kinderschutz im Großen und Ganzen, leider, sondern nur einen kleinen Teilaspekt. Dabei geht es insbesondere um das Vorsorgezentrum, wie das der Herr Staatssekretär gerade schon ausgeführt hat.
Wenn wir uns mit dem Vorsorgezentrum beschäftigen, wenn wir uns mit den U-Untersuchungen beschäftigen, dann müssen wir uns vielleicht noch einmal ins Gedächtnis rufen, warum wir überhaupt solche Maßnahmen ergreifen müssen bzw. wie es eigentlich zu der Debatte um das Vorsorgezentrum und um das Kinderschutzgesetz kam, denn aus
den Anträgen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP spricht ja tatsächlich eine gewisse Verengung auf die Frage von Effektivität und Effizienz bei diesem Thema und wir als DIE LINKE denken, dass man Kinderschutz nicht mit den Kriterien von Effektivität und Effizienz bewerten sollte, sondern
dass man Kinderschutz danach bewerten sollte, dass man möglichst vielen Kindern ein möglichst großes Leid erspart.
Ich will noch einmal einige Stichpunkte nennen. Wir hatten im Jahre 2001 den Fall der kleinen Sophie, die vier Monate alt war und die sozusagen von ihrer 27-jährigen Mutter vernachlässigt wurde und dann verdurstet ist. Im Jahre 2004 gab es zu Ostern den Fall des kleinen Jonny Lee in Erfurt, der von seiner Mutter und ihrem Freund zu Tode getreten wurde, 2006 wurden unter anderem zwei Babyleichen einbetoniert in Altenburg gefunden und 2007 gab es unter anderem in unmittelbarer Nähe zum Landtag den Fund von zwei Babyleichen in Tiefkühltruhen. Nicht zuletzt auch der Fall Kevin hat ja dazu geführt, dass man sich um das Thema Kinderschutz noch einmal wesentlich intensiver gekümmert hat.
Diese Liste ist mit Sicherheit unvollständig und allein in Thüringen fallen mir noch fünf bis sechs weitere Beispiele ein, wo Kindesvernachlässigung und Kindstod uns bewegt haben. In diesem Sinne, denke ich, sollten wir auch die Debatte um die Frage eines Vorsorgezentrums führen und nicht so sehr um die Frage von Effektivität und Effizienz. Ich glaube, das ist in diesem Bereich tatsächlich nicht angezeigt.
Auf Bundesebene gab es eine ganze Reihe von Initiativen nach den vielen Fällen von Kindesvernächlässigung und Kindeswohlgefährdung. Nicht zuletzt auch der Fall Kevin aus Bremen hat hier noch einmal zu bundespolitischen Initiativen geführt. Ich will das ganz kurz ausführen. Beispielsweise gab es eben auf Bundesebene die Einführung des § 8 a, also der Schutzauftrag gilt bei Kindeswohlgefährdung eben nicht nur für das Jugendamt, sondern für alle Einrichtungen auf staatlicher und öffentlich geförderter Ebene. Das bedeutet eben auch, dass der Fussballverein, das bedeutet eben auch, dass der Kindergarten, das bedeutet eben auch, dass die Schule hier ganz intensiv gefordert ist. Das heißt, Lehrerinnen und Lehrer müssen qualifiziert werden, das heißt, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die in Projekten und Einrichtungen tätig sind, wurden qualifiziert und mussten sich Fortbildungen unterziehen und insgesamt hat es doch gerade in der Jugendhilfe, aber auch in der Schule eine große Bewegung gegeben und ich habe den Eindruck gehabt, dass die Debatten, die wir beispielsweise im Landesjugendhilfeausschuss zu diesem Thema geführt haben, als es darum ging, die fachlichen Empfehlungen des Landesjugendhilfe
ausschusses zu diesem Thema zu verabschieden und zu diskutieren, dass doch die Jugendhilfe insgesamt dort diesbezüglich sehr in Bewegung war.
Im Ergebnis wurde dann beispielsweise das Netzwerk für die frühen Hilfen etabliert, beispielsweise wurde auf Thüringer Ebene das Vorsorgezentrum beim Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz etabliert, aber beispielsweise auch Projekte wie die Familienhebammen wurden in diesem Zusammenhang etabliert in Thüringen, wobei natürlich auch da gesagt werden muss, gerade bei den Familienhebammen, dass da nicht alles in Butter ist, sondern dass es eine ganze Zeit gedauert hat, bis beispielsweise die Finanzierungsregelungen mit den Krankenkassen geklärt waren, welche Leistungen der Familienhebammen bezahlen die Krankenkassen, welche Leistungen der Familienhebammen bezahlen die Jugendämter. All dies muss man, glaube ich, in dem Kontext, wenn es um Kinderschutz geht, durchaus noch einmal würdigen.
DIE LINKE, das will ich Ihnen ganz am Anfang sagen, spricht sich natürlich für verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen aus. Für uns als DIE LINKE steht auch die Vorsorgeuntersuchung nicht zur Disposition. Die Einrichtung des Vorsorgezentrums an sich haben wir auch als Arbeitskreis
der LINKEN, also als Arbeitskreis Soziales, Gesundheit und Arbeit besucht, haben uns intensiv vor Ort informiert über die Arbeit. Herr Staatssekretär, Sie haben schon ausgeführt, was die Arbeit des Vorsorgezentrums ist, wie das ganze Verfahren ist. Und ja, natürlich, es ist ein bürokratisches Verfahren; es muss registriert werden, welche Kinder nehmen an den Untersuchungen teil, welche nicht und wie werden die Eltern informiert, wie werden die Jugendämter informiert. Aber ein solches Verfahren wird nicht ganz ohne Bürokratie abgehen. Ich denke, dass dieses Verfahren durchaus hinnehmbar und akzeptabel ist, wenn man sich anschaut, aus welchem Grunde wir dieses Verfahren machen. Das ist ein Einzelfall, Frau Siegesmund; auch uns haben natürlich Eltern angesprochen, auch ich habe Kontakt zu jungen Muttis und zu jungen Vätern, die finden die Tonart, die in diesen Einladungsbriefen steht, auch nicht gut. Die finden es auch nicht gut, wenn sie so angeschrieben werden, obwohl sie an einer U-Untersuchung teilgenommen haben. Aber ich denke, dass das Dinge sind, die man tatsächlich akzeptieren und hinnehmen kann.
Schwierig wird es, wenn man sich den Ton und die Tonart durchliest oder anhört, die in diesen Einladungsbriefen stecken. Aber ich glaube, dass eine Erinnerung und ein Antrag von Hilfe- und Unterstützungsangeboten durchaus sinnvoll und wichtig sind. In diesem Sinne kann man da, denke ich, noch einiges an Verbesserungen herbeiführen. Das
ist, denke ich, notwendig und sinnvoll, aber das reicht für uns nicht aus, um das Vorsorgezentrum und die verpflichtende Vorsorgeuntersuchung irgendwie infrage zu stellen. Die U-Untersuchungen sind auch deshalb so wichtig aus unserer Sicht, weil nämlich Fachärzte diejenigen sind, die die körperliche, psychische und physische Gesundheit der Kinder begutachten und beurteilen, und sie sind diejenigen, die da fachlich geschult sind, das sind die Mediziner. Eine Frage, die natürlich im Raum steht, ist: Wer ist überhaupt berechtigt, U-Untersuchungen zu machen? Wenn es nach der Fraktion DIE LINKE ginge, dann wären natürlich ausschließlich die Kinderärzte diejenigen, die berechtigt wären, solche U-Untersuchungen durchzuführen. Das setzt natürlich im Umkehrschluss auch voraus, dass wir eine flächendeckende Versorgung mit Kinderärzten gerade auch im ländlichen Raum haben, was hier in Thüringen leider Gottes ein Problem ist. Wenn wir über Kinderschutz reden, müssen wir auch darüber reden, wie wir eine flächendeckende Versorgung mit Kinderärzten im Lande organisiert bekommen. Auch wieder ein Aspekt, den wir, denke ich, in der Kinderschutzdiskussion nicht vergessen dürfen. Und ja, wir als LINKE sagen natürlich auch ganz klar, dass das Verfahren aufwendig ist, und ja, dieses Verfahren kostet Geld, aber ich kann durchaus sagen, dieses Geld ist gut angelegt. Wenn man sich anschaut, wie viel Geld das insgesamt ist - Herr Koppe hat ja die diesbezügliche Anfrage gestellt -, im Jahre 2012 165.000 € dafür, ich denke, das ist nicht zu viel. Es gibt ja eine ganze Reihe von Kleinen Anfragen, die sich mit dem Vorsorgezentrum beschäftigen, und aus denen geht durchaus deutlich hervor, wie sinnvoll und wie gut das Vorsorgezentrum arbeitet, denn immerhin ist es uns ja gelungen, dass Jugendämter auf Familien aufmerksam werden und Kontakt zu Familien halten. Die Drucksache 5/2145 ist ja schon genannt worden. Das ist eine Anfrage, die ich selber gemacht habe, im Jahr 2010 war das, wo zum Beispiel für die verschiedenen Landkreise aufgeschlüsselt wurde, bei wie vielen Fällen in den einzelnen Landkreisen es Hausbesuche beispielsweise durch die Jugendämter gab. Wenn in Erfurt beispielsweise 291 Hausbesuche in einem Jahr stattfinden, dann ist das erstens eine stolze Leistung derer, die im Jugendamt arbeiten, dann ist es natürlich auch ein Umstand, dass 291 Familien besucht wurden und dass 291 Kinder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wurden und wo man Familien durchaus auch Hilfsangebote und Unterstützungsangebote unterbreiten kann. Ich denke, dass sich das allein schon lohnt, um in Ihrem Sprachgebrauch zu bleiben. Des Weiteren möchte ich auch noch einmal auf die Drucksache 5/5997 aufmerksam machen. Das ist die Kleine Anfrage vom Kollegen Koppe, wo noch einmal die Fachverbände abgefragt wurden, welche Position sie zum Vorsorgezentrum und zu den ganzen Verfahren haben. Da
stellt sich ja ganz klar heraus, dass die Fachverbände eben ausschließlich oder durchweg positiv dem Einladungswesen bzw. dem Anliegen der verbindlichen U-Untersuchung gegenüberstehen. Und ja, auch ich als Mitglied im Deutschen Kinderschutzbund und als stellvertretender Vorsitzender in Erfurt, wir als Kinderschutzbund finden natürlich auch, dass die Vorsorgeuntersuchung verbindlich zu sein hat. Nur so ist es eben möglich, auch tatsächlich Hilfsangebote direkt an die Familien zu geben. Ansonsten haben die Jugendämter nur sehr wenige Möglichkeiten, an die Familien heranzukommen.
Die Frage für uns ist also - und das ist ja das, was hier im Antrag so ein bisschen heraussticht, und das ist das, was man so im Rechnungshof hört und was so im politischen Raum wabert -, die Frage ist: Schaffen wir das nun ab, das Vorsorgezentrum, oder wie wollen wir damit umgehen? Diese Frage steht ja, da gibt es die Idee, das an den öffentlichen Gesundheitsdienst abzugeben oder das mit dem Vorsorgezentrum sowieso sein zu lassen. Für uns als LINKE steht fest, verbindliche Vorsorgeuntersuchungen sind für uns wichtig und stehen nicht zur Disposition. DIE LINKE ist sich gleichwohl bewusst, dass diese verbindlichen Früherkennungsuntersuchungen kein Garant dafür sind, dass nicht doch etwas passiert. Diese verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen sind natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss, aber sie sind ein gutes Instrument, jedenfalls nach unserer Denkart. Wie bereits in den Änderungsanträgen zu den verschiedenen Kinderschutzgesetzen, die wir auch hier im Thüringer Landtag beraten haben, DIE LINKE hat ja da auch verschiedene Änderungsanträge gestellt, wollen wir als LINKE natürlich ein umfassendes Konzept und Netzwerk zum Kinderschutz. Dazu gehört für uns natürlich das Netzwerk „Frühe Hilfen“, dazu gehören aber natürlich auch der Ausbau und die gute Finanzierung von Familienhebammen. Des Weiteren geht es darum, eine flächendeckende Versorgung in Thüringen mit Kinderärzten zu gewährleisten, aber auch die Kinderschutzdienste beispielsweise, die sind auch personell zu unterstützen und vor allem sind auch die Richtlinien diesbezüglich, die Förderrichtlinien, zu überarbeiten.
Ich erinnere daran, die FDP ist ja immer ganz schnell dabei, Bürokratie abzubauen und zu schauen, wo kann man Geld einsparen. Im Jahr 2006 gab es eine Arbeitsgruppe des Innenministeriums und die hat eine Liste mit kommunalbelastenden Standards verabschiedet. Da kam das Innenministerium auf den klugen Gedanken, dass die Richtlinie „Zur verbindlichen Förderung und zur verbindlichen Personalausstattung bei den Kinderschutzdiensten“ ein kommunalbelastender Standard ist, das ist ganz ärgerlich für die Kommunen, dass sie Kinderschutzdienste machen müssen. Aber das kann es eigentlich nicht sein, dass wir Kinderschutz
unter dem Aspekt der Kommunalbelastung betrachten. Das Ergebnis war natürlich, dass die Kinderschutzdienste zu einer freiwilligen Einrichtung geworden sind. Das Ergebnis war, dass die eigenständige Förderrichtlinie für die Kinderschutzdienste, die vor Ort eine wichtige Arbeit leisten, mit in die Jugendpauschale hineingerutscht ist und dass die Kommunen dafür auch kein Geld mehr bekommen und dass dann natürlich auch die Mindestpersonalbemessung reduziert wurde. Im Umkehrschluss, wenn man sich beispielsweise mit der LAG Kinder- und Jugendschutz auseinandersetzt, sagen die einem, es gibt Wartelisten bei Kinderschutzdiensten. Für traumatisierte Kinder sind Wartelisten, wenn sie sechs, sieben, acht Wochen auf einen Termin beim Kinderschutzdienst oder bei einem Kinderpsychologen und -therapeuten warten müssen, natürlich unhaltbare Zustände, die wir als LINKE natürlich auch kritisieren und wo wir als LINKE fordern, hier müssen Standards für die Kommunen gesetzt werden, das kann nicht im Bereich der freiwilligen Leistungen stattfinden, zumal die Kommunen sowieso an allen Ecken und Enden Geld sparen müssen.
Was zum Kinderschutz natürlich noch dazu gehört, das muss man auch sagen, das sind natürlich die ganzen Diskussionen um den Babykorb beziehungsweise um anonyme Geburten. Auch das hat etwas mit Kinderschutz zu tun und nicht zuletzt auch der Ausbau von Kindertagesstätten zu ElternKind-Zentren ist wichtig. Wenn wir schon die Möglichkeit haben, dass wir relativ viele Kinder in den letzten Kindergartenjahren in den Kindertagesstätten haben, dann wäre es natürlich günstig, wenn wir über Eltern-Kind-Zentren auch die Eltern erreichen können. Dann sind die 50.000 €, die das Landessozialministerium eingestellt hat für insgesamt zehn Modellprojekte zur Weiterentwicklung der Kita zum Eltern-Kind-Zentrum, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist ein guter Weg, Frau Rißmann arbeitet da auch an der Fachhochschule Erfurt bei dem Modellprojekt mit. Das ist alles völlig in Ordnung, aber das ist in der Fläche marginal und in der Fläche viel zu wenig. Hier brauchen wir mehr Unterstützung, ebenso wie bei den Mütterberatungsstellen. Auch das ist ein Aspekt im Kinderschutz, der uns ein wenig zu kurz kommt. Natürlich muss man auch sagen, dass die Fortbildung von Kinderärzten beziehungsweise derjenigen Ärzte, die UUntersuchungen durchführen, natürlich auch ein Aspekt ist, der beim Kinderschutz durchaus mit gewürdigt werden muss.
Jetzt fragen Sie sich sicherlich, warum hat DIE LINKE einen Alternativantrag gestellt, es gibt doch zwei Anträge - von der FDP und den GRÜNEN. Das will ich Ihnen ganz kurz begründen. Herr Barth, selbst wenn Sie es nicht fragen, ich bin ja hier frei in meiner Rede und möchte Ihnen trotzdem gern sagen, warum DIE LINKE hier einen eigenen An
trag eingereicht hat. Wir sind durchaus der Meinung, dass eine Verlagerung des Einladungswesens und eines Großteils des Kinderschutzes auf den öffentlichen Gesundheitsdienst aus fachlicher Sicht durchaus etwas ist, was man überlegen kann unter dem Aspekt, dass man sagt, das Jugendamt kommt meistens mit dem Knüppel in die Tür, dass das Jugendamt kommt, das hat immer so einen schlechten Ruf, und da ist das Gesundheitsamt, der öffentliche Gesundheitsdienst bei den Familien ein wenig unverdächtiger. Aber wir versuchen eben mit Familienhebammen, mit niedrigschwelligen Maßnahmen durchaus eine vertrauensvolle Arbeit der Jugendämter zu gewährleisten. Viele Jugendämter machen das so, dass, wenn Kinder geboren werden, es dort ein Willkommenspaket gibt, auch Unterstützungsangebote, Hinreichen.
Wenn wir den ganzen Bereich Kinderschutz jetzt an den öffentlichen Gesundheitsdienst auslagern müssten oder würden, dann müssen wir uns natürlich auch fragen, wie ist denn der öffentliche Gesundheitsdienst in der Fläche aufgestellt? Der öffentliche Gesundheitsdienst ist leider nach Ansicht der LINKEN nur noch ein Rumpf dessen, was er eigentlich sein sollte. Hier haben in den letzten Jahren der Personalabbau und natürlich auch die zunehmende Privatisierung das Anliegen, den ÖGD auszubauen, nicht gerade befördert. Eine Sache muss man natürlich auch noch einmal betrachten, wenn man sich mit dem ÖGD auseinandersetzt. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist zwar mit Ärzten auch besetzt, da gibt es viele Mediziner, das ist alles richtig. Aber das staatliche Wächteramt, diejenige Stelle, die sozusagen am Ende in die Familien geht und eingreift, das ist das Jugendamt. Und das SGB VIII sieht eben das Jugendamt als örtlichen Träger, als Interventionsstelle vor. Und das Jugendamt hat natürlich auch den Instrumentenkasten, angefangen bei SPFH, also sozialpädagogischer Familienhilfe, die ja relativ niedrigschwellig geht oder vorgelagert vielleicht noch Beratungsangebote dann bis hin zum Thema Inobhutnahme, wo das Jugendamt dann gefordert ist und wo das Jugendamt schnell reagieren muss. Unsere Befürchtung ist ganz einfach, dass, wenn wir den Kinderschutz stärker an den öffentlichen Gesundheitsdienst anbinden, dass dann gerade, wenn es schnell gehen muss, wenn also Not am Mann und Gefahr im Verzug ist, dass es dann Kompetenzgerangel gibt und Unklarheiten. Und hier sehen wir durchaus das Jugendamt in der Vorhand und sehen durchaus, dass das Jugendamt hier schon eine gute Einrichtung ist, die ja auch alle Strukturen und Maßnahmen vorhält.
Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, das will ich auch sagen, die aus dem Antrag der FDP und auch bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so durch die Hintertür durchlugt, halten wir für wenig zweckmäßig. Auch wenn der Rechnungshof hohe Kosten benannt hat, am Ende sind es eben doch nur 164.000 € oder
165.000 € knapp, die das Ganze kostet. Ich denke, das ist durchaus ein vertretbarer Umfang.
Fazit: DIE LINKE kämpft weiterhin für eine Stärkung des Kinderschutzes und ja, wir wollen den Kinderschutz weiter ausbauen. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass wir im März oder April einen Gesetzentwurf eingelegt hatten, wo wir eigentlich das Vorsorgegesetz verlängern wollten. Aber nach vielen Diskussionen, auch in der Fraktion beziehungsweise auch bei uns im Arbeitskreis, sind wir dazu gekommen, dass wir gesagt haben, dass dieses Kinderschutzgesetz, was ja eigentlich nur das Vorsorgezentrum beschreibt, eigentlich viel zu wenig ist. Wir müssten in Thüringen eigentlich einen viel breiteren Ansatz schaffen und diesen breiteren Ansatz wollen wir versuchen, auch nach der Bundestagswahl hier einzubringen, denn Kinderschutz sollte kein Thema von ideologischen und parteipolitischen Auseinandersetzungen sein.
Des Weiteren kommt DIE LINKE zu dem Schluss, dass wir natürlich dafür streiten müssen, dass der Kinderschutz breiter gedacht wird. Wir wissen da den Deutschen Kinderschutzbund oder die LAG Kinder- und Jugendschutz auf unserer Seite. Wir wollen eine möglichst hohe Teilnahmequote bei den U-Untersuchungen erreichen, obgleich wir wissen, dass das eben keine Garantie ist. Ich will Ihnen vielleicht noch einmal etwas vorlesen aus dem Gesundheitsbericht von der Barmer-Krankenkasse, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis. Und zwar wird dort ausgeführt: „Deutlich werden in Abbildung 18 merkliche regionale Unterschiede hinsichtlich der Vollständigkeit der Inanspruchnahme von U-Untersuchungen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Untersuchung U7a, auch hier mit ausschließlicher Berücksichtigung von Kindern mit regulärer Untersuchung zwischen Juli 2010 und 2011.“ Das ist aus einem Fachbericht. „Während im Saarland 99,1 Prozent der bei der Barmer versicherten Kinder nach Auswertung von kassenärztlichen Abrechnungsdaten an einer U7a teilnehmen, waren es in Hamburg und Sachsen-Anhalt weniger als 80 Prozent. Im Saarland fehlte nach den vorliegenden Erkenntnissen bei regulären Untersuchungen der U7a zwischen Mitte 2010 und Ende 2011 nur etwa eins von 100 Kindern, in Sachsen-Anhalt und Hamburg etwa jedes fünfte.“ Und jetzt kommt es. „Ein Teil der Differenz zwischen den Bundesländern dürfte im Zusammenhang mit der föderal unterschiedlichen Umsetzung des Einladungswesens der Länder zu den Früherkennungsuntersuchungen für Kinder stehen. So trat im Saarland bereits im April 2007 das Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung mit einer entsprechenden Verordnung in Kraft, in dem eine Überprüfung der Durchführung aller U-Untersuchungen vorgegeben wird.“ Also auch die Krankenkassen kommen zu dem Schluss, dass die verbindliche Vorsorgeuntersuchung erstens dazu führt,
dass mehr Leute, mehr Kinder an den U-Untersuchungen teilnehmen und dass die Bundesländer, die eben kein verbindliches Einladungswesen haben, hier auch wesentlich schlechter abschneiden. Das heißt, wir als LINKE wollen natürlich auch, das will ich noch kurz sagen, eine Evaluation des Gesetzes. Das wollen wir gar nicht in Abrede stellen, aber diese Evaluation muss vor allem aus fachlicher Sicht passieren und nicht aus finanzieller Sicht. Wir als LINKE wollen klare Strukturen und Verantwortlichkeiten, wir wollen eine verbindliche Vorsorgeuntersuchung und wir wollen, dass der Kinderschutz natürlich auch wieder eine kommunale Pflichtleistung wird.
Zum Schluss lassen Sie mich all denjenigen danken, die in den Jugendämtern und in den Kinderschutzdiensten sowie in den Schulen dafür sorgen, dass den Kindern nichts passiert und wenn Not am Mann und Gefahr in Verzug ist, dass sie so schnell einschreiten. Ich glaube, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den ambulanten sozialen Diensten, bei den Fachdiensten in den Jugendämtern leisten eine großartige Arbeit. Es ist gut, dass wir nur so wenig von ihnen in den Zeitungen lesen, wenn es anders wäre, wäre es schlimmer. Vielen Dank.
Genau, dem ist so.
Grundrecht auf Bank- bzw. Girokonto - Haltung der Thüringer Landesregierung?
Am 8. Mai 2013 hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag für Regelungen zur Umsetzung des Grundrechts auf ein Bankkonto vorgelegt, in der Umgangssprache auch als „Jedermann-Konto“ bezeichnet. Außerdem soll in Zukunft auch ein Bank- bzw. Kontowechsel leichter möglich sein. Ein Bank- bzw. Girokonto zur Abwicklung von Überweisungen und Zahlungstransfers ist in der heutigen, überwiegend bargeldlosen Gesellschaft bzw. Alltagsgestaltung eine wichtige Voraussetzung, um am Leben der Gesellschaft diskriminierungsfrei teilnehmen zu können. Das wird vor allem an der Tatsache deutlich, dass vor allem Menschen in schwieriger sozialer Situation ein Bankkonto verweigert wird. Laut Angaben der EU-Kommission sind 58 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger ohne eigenes Konto. Aus Zahlen des hiesigen Verbraucherschutzes lässt sich entnehmen, dass in Deutschland ca. 670.000 Menschen ohne eigenes Konto sind.
Frau Abgeordnete Stange fragt die Landesregierung:
1. Wie viele Menschen in Thüringen sind aus welchen hauptsächlichen Gründen ohne eigenes Bank- bzw. Girokonto?
2. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu dem von der EU-Kommission vorgelegten Richtlinienentwurf zur Umsetzung des Grundrechts auf ein „Jedermann-Konto“?
3. Inwiefern sind der Landesregierung Gerichtsurteile und Verbandsstellungnahmen, insbesondere aus Thüringen, bekannt, die sich für einen umfassenden Rechtsanspruch auf ein Giro- bzw. Bankkonto aussprechen?
4. Welche Aktivitäten hat die Landesregierung in der Vergangenheit unternommen bzw. welche Akti
vitäten plant sie zur Verwirklichung des Grundrechts auf ein Bank- bzw. Girokonto bzw. die flächendeckende Einführung des „Jedermann-Kontos“?
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die LINKS-Fraktion hat einen Gesetzentwurf eingebracht zur Abschaffung des Landeserziehungsgelds. Damit ist auch schon gesagt, was wir wollen. Wir wollen nämlich das letzte Relikt oder eines der letzten Relikte der Althaus’schen Familienoffensive gern abschaffen, das Landeserziehungsgeld. Es ist politisch fragwürdig, es ist fachlich fragwürdig.
Mit der Einführung des Betreuungsgeldes auf Bundesebene ist es auch überflüssig, da wir für ein und denselben Tatbestand zwei verschiedene Förderinstrumente hier in Thüringen haben. Deshalb hat die LINKS-Fraktion nicht nur hier und heute an dieser Stelle gesagt, wir wollen das Landeserziehungsgeld abschaffen. Nein, wir haben auch schon bei den Haushaltsberatungen des Landeshaushalts sowohl für den Haushalt 2012, aber auch im Dezember bei den Beratungen zum Doppelhaushalt 2013/14 gesagt, dass wir das Geld, was in das Landeserziehungsgeld fließt, gern anderweitig verwenden würden. Dabei waren wir nicht allein, auch die Landesregierung, die Sozialministerin Taubert, hatte in ihrem Haushaltsentwurf ebenfalls sogenannte Restposten aus dem Landeserziehungsgeld in Aussicht gestellt für die Erhöhung von Gehältern und Sachmitteln in Beratungsstellen, also bei den Verbraucherberatungsstellen, Schuldnerberatungsstellen, in Frauenhäusern etc. pp. Wir sagen, das ist ein wenig unredlich, wenn man den Beschäftigten in den Beratungsstellen, die alle über hohe Warteschlangen und viel zu tun oder einen hohen Bedarf klagen, wenn wir denen wirklich helfen wollen, dann müssen wir das Geld wirklich freimachen, so dass die Beratungsstellen auch besser finanziert werden können. Da das aus den Mitteln des Landeserziehungsgelds möglich ist, wollen wir hier diese Klammer wieder auf die Tagesordnung setzen und sagen, okay, lasst uns das Landeserziehungsgeld abschaffen. Der Vorschlag von Frau Taubert in der Haushaltsberatung ist eigentlich ganz gut, das Geld aus dem Landeserziehungsgeld hier umzuverteilen in Richtung der Beratungsstellen. Die LINKS-Fraktion stellt mit dem Gesetzentwurf zur Abschaffung des Landeserziehungsgelds genau diesen Punkt zur Diskussion. Wir wollen dieses Relikt der Familienoffensive gern ad acta legen. Wir wollen, dass die Mittel anders genutzt werden, sinnvoller genutzt werden, so dass am Ende eben auch Betroffene hier bessergestellt sind.
Das Landeserziehungsgeld ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg dazu. Deshalb lassen Sie uns dieses Landeserziehungsgeld abschaffen, lassen Sie uns das Geld anderweitig verwenden. In diesem Sinne hoffe ich auf eine intensive und konstruktive Diskussion. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Baumann, es sollte Sie zutiefst beschämen,
dass die Freien Demokraten hier wesentlich sachlicher und wesentlich mehr an dem Problem der Betroffenen orientiert argumentieren als das, was Sie hier abgelassen haben.
Ich bin bestimmt kein großer Freund der deutschen Sozialdemokratie, aber das war wirklich unwürdig.
Ich war lange genug mit einer Sozialdemokratin zusammen, ich glaube, ich kann das beurteilen.
Und so schlecht kann die nicht sein, die arbeitet jetzt bei Ihrem Wirtschaftsminister. Von daher ist es nicht so wild.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir möchten gern Informationsfreiheit und Datenschutz in Thüringer Jobcentern verwirklichen.
Sie haben das schon richtig erkannt, der Hintergrund dieses Antrags ist natürlich das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig. Worum ging es? Das wurde schon erläutert, dass nämlich diejenigen, die von Hartz IV betroffen sind, dass die Erwerbslosen auch die Möglichkeit bekommen, direkte Durchwahlnummern, beispielsweise für die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, zu erhalten. In diesem Zusammenhang sind Datenschutz und Informationsfreiheit Probleme ein und derselben Medaille. Die Erwerbslosen - das hat Frau Leukefeld schon angedeutet, aber Sie, Herr Baumann, möchten das einfach nicht zur Kenntnis nehmen - werden oftmals bevormundet und vielmals schikaniert.
Diejenigen von Ihnen, die das Glück haben, im Petitionsausschuss zu sitzen, beispielsweise der Kollege Heym, aber auch andere, werden, wenn Sie sich mit den Petitionen allein aus diesem Bereich SGB II auseinandersetzen, feststellen, wie oft Unterlagen wegkommen, wie oft Termine vereinbart werden und dass es eben nicht nur um bedauerliche Einzelfälle geht, sondern dass an diesem gesamten System etwas nicht stimmt.
Herr Heym, wir können gern mal miteinander in Dialog treten, ich lade Sie gern mal zu unserem Wahlkreisbüro ein, ins RedRoXX, dort bieten wir regelmäßig Sprechstunden an. Das RedRoXX ist ja
nicht nur ein Hort von linksextremistischen Pseudoterroristen, wie Sie es manchmal so an die Wand malen, sondern wir sind ein Bürgerbüro, an das sich Bürgerinnen und Bürger, die zum Beispiel Probleme mit Jobcentern haben, wenden und ich bin durchaus regelmäßig Gast in Jobcentern und habe da auch das Vergnügen, mir anzuschauen, wie mit Betroffenen umgegangen wird und nicht nur ich als Abgeordneter der LINKEN, sondern ich glaube, dass alle 26 Abgeordneten unserer Fraktion regelmäßig mit Jobcentern zu tun haben und regelmäßig mit den Auswirkungen von Hartz IV zu tun haben. Genau diese Auswirkungen, genau diese Kenntnis, das hat uns bewogen, hier diesen Detailantrag zu stellen, weil wir der Meinung sind, dass Informationsfreiheit und Datenschutz eine der Grundvoraussetzungen sind, damit überhaupt eine menschenwürdige Existenz stattfinden kann. Ich weiß nicht, wer von Ihnen es gesagt hat, ich glaube, Sie waren es, Herr Heym, dass die Kunden - selbst der Begriff Kunde ist sozusagen schon im Jobcenter eher Zynismus - im Jobcenter ganz viele Möglichkeiten haben, sich mit Bürgerbeauftragten, Datenschutzbeauftragten usw. auseinanderzusetzen und dass wir so eine bürgerfreundliche Verwaltung haben. Ich habe eine Frage: Wenn ich in das Umweltamt gehe, dann bekomme ich alle möglichen Informationen, wenn ich in das Ordnungsamt gehe, bekomme ich alle möglichen Informationen, da kann ich mir sogar auf der Internetseite der Stadtverwaltung Erfurt anschauen, welche Leute dort arbeiten, wie ihre Durchwahlen sind. Ausgerechnet in der Verwaltung der Arbeitslosen, ausgerechnet in den Jobcentern, da ist diese Transparenz, da ist diese Bürgerfreundlichkeit meilenweit entfernt. Da frage ich mich: Warum ist das so, warum ist das ausgerechnet dort so, wo die Menschen ihre Existenz sichern wollen?
Das ist doch die Frage. Für uns ist das ein ganz wichtiges Problem und wir sind der Auffassung, dass wir hier die Rechte umkehren müssen. Herr Staatssekretär, Sie hatten in Ihrem Bericht viele Sachen angesprochen und man hat so ein bisschen den Eindruck, dass Sie so ein bisschen Schwarzer Peter spielen nach dem Motto: Das ist so vielschichtig, da ist die Bundesebene, da ist die Bundesagentur für Arbeit, da gibt es eine Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen und so richtig wissen Sie nichts. Wir als Fraktion DIE LINKE hatten vor Kurzem ein Gespräch mit der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen.
Herr Staatssekretär, das mag ja alles sein, aber jetzt versetzen Sie sich doch einmal in die Lage der Betroffenen. Die Betroffenen werden hier von Pontius zu Pilatus geschickt,
wissen nicht, wie sie und wann sie irgendwelche Anträge bewilligt bekommen oder nicht, und dann stellen Sie sich - natürlich, Sie sind Staatssekretär in der Landesregierung, das ist ja alles in Ordnung, dass Sie da auf die Zuständigkeiten verweisen, aber den Betroffen ist es am Ende schnurzpiepegal,
weshalb er Sanktionen bekommt und weshalb seine Daten nicht da ankommen, wo sie sind. Das ist zum Beispiel einer der Punkte, da möchte ich Sie gern berichtigen oder aufklären vielmehr. Sie hatten zum Beispiel gesagt, na ja, Beweispflichtumkehr bei Datenverlust, Sie wissen damit nicht so richtig etwas anzufangen. Das, worum es uns geht in diesem Fall, ist Folgendes: Wir haben regelmäßig Menschen bei uns in den Sprechstunden oder auch in den Petitionen kann man das nachverfolgen, die Daten abgeben beim Jobcenter und die sind dann mit einem Mal verloren. Dann heißt es, der Mitwirkungspflicht nach SGB II ist nicht Genüge getan worden und dann folgen Sanktionen. Wenn Sie, Herr Baumann, sich hier hinstellen und sagen, dass wir hier diesen Antrag nur populistisch gemacht haben, von hohen Betroffenenzahlen sprechen und niemand wüsste etwas dazu - Herr Baumann, ich sage Ihnen etwas, ich habe dazu eine Anfrage gemacht, ich habe dazu eine Anfrage an die Thüringer Landesregierung gestellt, wie sehen die Sanktionen in Thüringen konkret aus, wie viele Betroffene sind es, welche Sanktionen gibt es und vor allem aus welchen Gründen gibt es die Sanktionen. Wissen Sie, was Ihre Landesregierung geantwortet hat? „Dazu liegen der Landesregierung leider keine Erkenntnisse vor.“
Das ist doch zynisch, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wir hätten keine Zahlen, und jedes Mal, wenn wir versuchen, Zahlen zu eruieren, sagt uns die Landesregierung, ach, darüber wissen wir aber nicht viel. Das wird auch im Wirtschaftsausschuss bei der Novellierung des SGB-II-Ausführungsgesetzes eine Rolle spielen müssen. Wir müssen diese Zahlverwaltung an dieser Stelle viel mehr kontrollieren, damit wir eben die Rechte der Erwerbslosen stärken können.
Ich möchte gern noch einmal auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, was damit unmittelbar zusammenhängt. Sie hatten ja auch ein bisschen von Agenda 2010 gesprochen. Da will ich Ihnen einfach noch einmal - die Aktuelle Stunde war in der Tat viel zu kurz, um zu diesem Thema zu sprechen - sagen, Sie hatten sich hier hingestellt und gesagt, ja, die Agenda 2010, die war richtig, das war ja hier der fraktionsübergreifende Konsens mit Ausnahme der Linksfraktion und mit Abstrichen bei den GRÜNEN, was mich unter Umständen auch sehr gefreut hat. Aber das, was mit der Agenda 2010 einhergeht, und das macht sich am Beispiel Hartz IV doch so wunderbar deutlich, Sie bezeichnen die Hartz-IV-Betroffenen, die Erwerbslosen zwar als Kunden, aber Sie sind doch gar nicht in der Lage, wie in einem Geschäft zu sagen, „Der Kunde ist König“, das findet doch gar nicht statt,
sondern das, was Sie gemacht haben, Sie haben die gesellschaftlichen Risiken privatisiert und individualisiert, jeder ist jetzt für sich selber verantwortlich, Sie haben beispielsweise die Altersvorsorge privatisiert, haben dort großen Sozialabbau betrieben, auch im Bereich Gesundheitspolitik haben Sie viel Mist gebaut. Das, was sozusagen dem innewohnt, ist ja dieser neoliberale Geist von Standortlogik und Wettbewerb. Dazu gehört eben Konkurrenz und dazu gehört es auch, nicht nur die Erwerbslosen zu unterdrücken und ihnen das Leben schwer zu machen, sondern das wirkt sich doch dann natürlich auch auf die Beschäftigten aus. Das ist unser Ansatz, zu sagen, wenn wir die Beschäftigten stärken wollen, müssen wir auch die Erwerbslosen stärken. Deshalb ist Ihre ganze Lobhudelei der Agenda 2010 und dieses Unkritische, was Sie hier gesprochen haben, der Sozialdemokratie, denke ich, wirklich nicht würdig. Aus unserer Sicht muss man diesen ganzen Prozess der Agenda 2010 vom Grunde auf kritisieren. Es ist auch nicht so, dass DIE LINKE das 2003/2004 nicht gemacht hätte. Ich meine, es ist nicht so, dass es nicht vorher schon Gutachten, Stellungnahmen gegeben hätte, so dass Sie sich hinstellen können, DIE LINKE sagt jetzt, das war alles schlecht zur Agenda 2010. Nein, wir haben uns vorher Gedanken gemacht, wie geht das aus, wenn Sie umverteilen, wie geht das aus, wenn Sie eine Verarmung der Massen herbeiführen. Mit den Folgen haben wir heute zu kämpfen. Das, was Sie mit Agenda 2010 eingeführt haben, ist nichts anderes, als „teile und herrsche“.
Wenn Sie sagen, die Agenda 2010 war richtig, dann möchte ich an Sie die Frage richten, für wen war die Agenda 2010 richtig und gut. Für die Erwerbslosen bestimmt nicht. Für die Beschäftigten
im Niedriglohnbereich, für die Beschäftigten in der Leiharbeit war die Agenda garantiert nicht richtig.
Die Agenda 2010 war richtig für die obersten 10 Prozent in diesem Land. Die Agenda 2010 war richtig für die Versicherungskonzerne, die sich jetzt mit der Riester-Rente ordentlich etwas dazuverdienen können. Für die war die Agenda 2010 sicherlich richtig, aber die Betroffenen sehen das anders.
Wenn man mal reflektiert, was eigentlich passiert ist - es ist am 01.01.2005 das Hartz-IV-Gesetz eingeführt worden. Wenn man mal reflektiert, wie überhaupt auch die Leistungen der Betroffenen, der Erwerbslosen immer weiter zurückgefahren wurden - und da werden Sie als Arbeitsmarktpolitiker, Herr Baumann, auch nicht dran vorbeikommen -, ich will es nur mal sagen,...
Herr Emde, ich hole schon Luft, ab und zu trinke ich noch mal was. Mir geht es gut, ich fühle mich hier sehr wohl. Glauben Sie mir, ich habe noch ein bisschen Munition, es wird noch ein bisschen reichen.
Nicht physisch, das ist richtig, aber man kann sich hier mit Argumenten auseinandersetzen.
Herr Baumann, über Sie habe ich mich besonders geärgert, weil Sie so viel an der Realität ausblenden, beispielsweise die Frage: Was wollen wir eigentlich mit Hartz IV erreichen? Der Ursprung, die Argumentation, wir führen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen und mobilisieren die Menschen dann auf dem Arbeitsmarkt, das hat doch am Ende gar nicht großartig stattgefunden. Zum einen haben wir 40.000 Menschen in Thüringen,
die seit 2005 ununterbrochen in Arbeitslosigkeit sind, 40.000 Menschen, die mit Hartz IV nie wieder aus diesem System herausgekommen sind. Selbst für diejenigen, bei denen man sagt, na ja, die sind nicht ganz so arbeitsmarktfern, die können wir hier mobilisieren, sind die Rechte und auch die Mittel zusammengestrichen worden. Allein der Eingliederungstitel, also die Frage, welches Geld ist für Maßnahmen vorhanden und welches nicht, wurde von 400 Mio. € im Jahre 2007 auf 180 Mio. € im Jahre 2012 zusammengestrichen. Das sind 220 Mio. €,
die nicht mehr zur Verfügung stehen für diese Menschen. Oder beispielsweise die Mehrbedarfe für die Ernährung von HIV-Erkrankten. Das war früher mal ein festgelegter Mehrbedarf, heute ist es nur noch eine Ermessensleistung. Das heißt, da steht irgendjemand und sagt, es ist angemessen oder es ist nicht angemessen. Das war früher mal ein Rechtsanspruch. In diesem Geiste funktioniert die Agenda 2010. Auch die Instrumentenreform, die jetzt im letzten Jahr abgeschlossen wurde, selbst dort hat man wieder viele, viele Pflichtleistungen, die für die Erwerbslosen galten, zu Ermessensleistungen umgewandelt, womit auch wieder stattfindet, dass Erwerbslose sich nackig machen müssen, dass Erwerbslose darlegen müssen, warum sie diese Leistung erhalten sollen und warum nicht. Dieser Geist, dieser bevormundende und nicht sich vertrauende Geist, das ist das, was wir dem entgegenstellen wollen. Die Agenda 2010 war falsch und das müssen wir hier erkennen.
Herr Kemmerich, wenn Sie sich mit Betroffenen, mit Erwerbslosen auseinandersetzen, dann werden Sie relativ zügig zu dieser Erkenntnis kommen. Sie können sich mit Ihren eigenen Beschäftigten auseinandersetzen, die neben der Friseurtätigkeit auch noch zum Jobcenter gehen müssen und sich dort eben auch wieder nackig machen müssen und sich dort eben auch wieder
und, Herr Baumann, ich sage es Ihnen so deutlich durchleuchten lassen müssen.
Ja.
Wie Herr Emde bereits festgestellt hat, war ich 2003 noch in der 11. Klasse einer Schule auf dem Weg zum Abitur und auch da habe ich mich schon für soziale Spannungen und soziale Probleme in unserem Land interessiert und bin als überzeugter Mensch in DIE LINKE eingetreten, damals in die PDS, weil mir die Rechte von Erwerbslosen wichtig waren und weil mir die soziale Gerechtigkeit wichtig ist, Herr Baumann.
Dass die Sozialhilfe nicht das Nonplusultra war, das ist uns doch allen klar, aber das, was sie mit dem Hartz-IV-System hergestellt haben, dieser Repressionsapparat, das geht zu weit.
Das, was wir, Herr Baumann, brauchen, ist eine Agenda sozial. DIE LINKE will Mindestlohn, DIE LINKE will den Ausbau der solidarischen Grundsicherung und, Herr Baumann, DIE LINKE will langfristig auch ein Grundeinkommen. Das, was wir brauchen,
ist ein neuer …
Ich komme schon noch auf das Thema zurück, Herr Baumann, keine Sorge.
Ja, aber, Frau Präsidentin, Sie müssen zugeben, die Möglichkeit, dass ich hier 40 Minuten zum Reden habe mit doppelter Redezeit, die verleitet natürlich auch, mal das zu sagen,
was man bei Aktuellen Stunden so nicht sagen kann.
Frau Präsidentin, ich werde Ihnen garantieren, dass ich es unter 37 Minuten schaffe und, ich glaube,
wenigstens damit habe ich die Zustimmung des restlichen Hauses.
Das, worum es uns geht, ist eine Abkehr von diesem Hartz-IV-System, von den Repressionen und von der Art und Weise, wie Erwerbslose zu Bittstellern degradiert werden, wie sie systematisch entwürdigt werden,
darum geht es hier.
Und da muss man natürlich auch mal diskutieren,
Herr Heym, wie Alternativen aussehen. Sie haben uns doch gefragt, ja, wir haben Ihren Antrag, wie stellen Sie sich alles vor? Herr Baumann hat uns auch viele Fragen gestellt, beispielsweise die Frage, wie sollten wir eigentlich die Grundsicherung umgestalten. Dazu bin ich hier als Politiker, als Sozialpolitiker auch aufgerufen, hier Alternativen vorzustellen, dem komme ich natürlich auch sehr gern nach. Beispielsweise wollen wir als LINKE nicht nur eine solidarische Grundsicherung, sondern langfristig eben auch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Beispielsweise müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir öffentlich geförderte Beschäftigung wieder stärker ins Zentrum nehmen. Es ist doch nicht so, dass nicht genug Arbeit da wäre. Genug Arbeit ist da im Sozialbereich, im Umweltbereich, im Kulturbereich, im Bildungsbereich, dort ist doch überall Arbeit vorhanden, aber mit Ihrem neoliberalen Geiste, indem Sie die Argumentation …
Ja, mir ist sehr bewusst, was dieses Wort bedeutet, das ist gar keine Frage. Dieses Wort bedeutet Konkurrenz, bedeutet Privatisierung, dieses Wort bedeutet Wettbewerb. Wir brauchen nicht Konkurrenz und Wettbewerb, wir brauchen nicht teile und herrsche bei den Erwerbsfähigen und bei den Erwerbs
losen, wir brauchen eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen und wir brauchen einen Ausbau der solidarischen Sozialversicherungssysteme, meine Damen und Herren.
Das ist das, wofür DIE LINKE streitet. Das ist es, was in einer Agenda sozial stattfinden muss.
Informationsfreiheit, das ist genau das Thema, denn, Herr Heym, die Agenda 2010 hat die Rechte von Erwerbslosen nachhaltig geschwächt. Eine Agenda sozial muss die Rechte von Erwerbslosen stärken. Die Telefonnummer für von Hartz-IV-Betroffenen zugänglich zu machen ist das Mindestmaß, damit man diese Dinge, die wir alle täglich in unseren Wahlkreisen erleben, nicht mehr erleben müssen. Ich will Ihnen das mal an einem Beispiel vorstellen. Beispielsweise hat sich neulich eine junge Frau an mich gewandt, sie hat studiert, ist 31 Jahre und war ein wenig verwirrt. Sie hat einen Brief bekommen mit einer Einladung zum Jobcenter am 19.03., 9.00 Uhr. Sie hat einen weiteren Brief bekommen zu einer Einladung zum Jobcenter am 19.03. um 9.15 Uhr. Und sie hat einen dritten Brief bekommen mit einer Einladung zum Jobcenter am 20. März um 10.00 Uhr. Drei Briefe zu einem einzigen Termin, der dann noch verschieden terminiert war. Die junge Frau war da - was stellt sich heraus? Die Dame vom Jobcenter hat sich leider geirrt, sie wollte gar keinen Termin mit der Betroffenen vereinbaren. Und was noch viel witziger ist, diese Termine waren für das Arbeitslosengeld I bestimmt. Da sie aber einen Aufhebungsvertrag unterschrieben hat, war sie bei Arbeitslosengeld I für drei Monate lang gesperrt und muss eigentlich zur ALG-II-Stelle gehen. Was noch viel schwieriger ist, ist, wenn sie einen dieser Termine nicht wahrgenommen hätte, dann wäre eine Sanktion erfolgt. Das ist der Punkt, wo die Frage Datenschutzinformation durchaus eine große Rolle spielt. Wenn Sie, Herr Baumann, hier sagen, dass, wie Frau Leukefeld das ausgedrückt hat, die Betroffenen durchleuchtet werden, dann empfehle ich Ihnen wirklich, sich mal einen Termin zu machen mit dem Verein MobB, Menschen ohne bezahlte Beschäftigung. Der ist in Jena ansässig und beschäftigt sich mit Erwerbslosen und die haben eine Gruppe gegründet, eine Aktionsgruppe KSK.
Das werde ich Ihnen verraten, Herr Emde. KSK heißt Kommando Sozialkräfte, ist eine Erwerbsloseninitiative, die Menschen berät, falls die Schnüffler vom Arbeitsamt nach Hause kommen und überprüfen wollen, wie viele Menschen arbeiten und wie
viele Menschen wohnen in den Bedarfsgemeinschaften, wie viele Menschen
- Herr Baumann, es ist Schnüffelei, es ist Spitzelei -.
Betroffene bekommen Besuch vom Jobcenter