Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

Ich sage auch noch einmal ganz deutlich, man kann niemals alle Kinder über einen Kamm scheren. Das wissen wir auch. Es wird auch in Zukunft Kinder geben, die eine besondere Lernumgebung brauchen, es wird Kinder geben, die man nicht in einer großen Lerngruppe unterrichten kann. Für diese müssen wir ebenso Möglichkeiten schaffen.

An der Stelle möchte ich noch einmal die Gelegenheit nutzen, dafür zu werben, dass wir die Förderschulen, die Förderzentren auf diesem Weg von Anfang an mit einbinden. Denn da gibt es ganz viele, die sagen: Wir wollen uns auf den Weg machen - ich habe das ja auch schon häufiger angesprochen - und wollen inklusive Schule werden. Diesen ist das aber bislang verwehrt und da, meine ich, verschenken wir Potenziale. Auch hier sollten wir uns tatsächlich miteinander auf den Weg begeben, wohl wissend, dass es immer nur eine bestimmte Anzahl von Kindern mit besonderen Förderbedarfen je Klasse geben kann, damit diese Klasse auch insgesamt gelingend unterrichtet werden und miteinander lernen kann. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke schön. Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Frau Abgeordnete Kanis.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unser Antrag hieß: Inklusion im Thüringer Bildungswesen und nicht: Wir beantragen die Abschaffung der Förderschulen.

(Beifall SPD)

Der Erhalt der Förderschulen ja, aber die Förderschulen sind heute nicht mehr so wie vor zehn Jahren und werden auch in zehn Jahren nicht mehr so sein,

(Beifall SPD)

denn Inklusion im Bildungswesen heißt Veränderung. Und, Frau Hitzing, Sie sprachen von einem Herz für die Kinder, aber wenn Sie hier permanent von Förderschülern reden,

(Zwischenruf Abg. Hitzing, FDP: Das habe ich nicht gesagt.)

dann geht mir das Messer in der Tasche auf, weil ich sage: Es gibt weder die Behinderten- noch die Förderschulen, sondern wir haben Kinder, die einen Förderbedarf haben,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und wo der erfüllt wird, durchaus in allen Schulformen, mit allen Abschlüssen - das ist möglich. Da sage ich mir, wir können nicht pauschal von den Förderschülern reden, sondern Chancengerechtigkeit, das wollen wir und das wollen wir auch nicht nur für die, die ein Fördergutachten haben,

(Unruhe FDP)

sondern Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Diese Chancen bringen sie in der Entwicklung ihres Lebens von klein auf mit.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Glückwunsch für die Ideologie.)

Die sind nicht nur genetisch veranlagt, sie sind auch ein Produkt ihrer Erziehung, ihrer Umwelt. Das brauche ich alles gar nicht aufzuzählen.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ja und? Was sollen uns Ihre Ausführungen sagen?)

Aber hier geht es wirklich darum, den Leuten vor Ort in ihrer Arbeit eine Richtschnur mitzugeben, damit sie auch wissen, wo soll die Reise hingehen. Das sollte der Plan tun. Deswegen ist es auch wichtig, diese Bestandaufnahme ja, aber das Ziel auch klar festlegen, damit endlich die Leute vor Ort Sicherheit zum Arbeiten haben, und mit Unterstützung von den Fachleuten, denke ich, ist ein verlässlicher Plan für eine auf längere Zeit angelegte Entwicklung vorgelegt worden. Das war auch Sinn und Zweck unseres Antrags.

(Beifall SPD)

Ja, ich sehe, Herr Minister möchte noch einmal sprechen. Bitte schön, Herr Minister Matschie.

Werte Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, ich denke, im Zentrum unserer Auseinandersetzung und in der Bildung gibt es natürlich immer auch die Debatte um die richtigen Wege. Im Zentrum der Auseinandersetzung sollte immer stehen: Wie werden wir den Kindern gerecht, die hier in Thüringen aufwachsen? Wie bieten wir ihnen gute Chancen für dieses Aufwachsen? Frau Hitzing, wenn Sie gesagt haben, da draußen herrscht eine ganz andere gesellschaftliche Stimmung, als ich sie hier darstelle - mein Eindruck ist, dass es viele gibt, die die Entwicklung zum inklusiven Bildungssystem wollen, die das unterstützen. Natürlich gibt es auch Konflikte in dieser Entwicklung, das bleibt doch gar nicht aus. Aber die Frage ist doch auch an uns: Machen wir diese Konflikte zum Zentrum der Wahrnehmung oder sind wir ins Gelingen verliebt und sagen ja, es gibt Konflikte, wir müssen Probleme lösen auf die

(Abg. Rothe-Beinlich)

sem Weg, oder signalisieren wir draußen, weil alles so schwierig ist, lassen wir es am besten so, wie es ist. Wir sollten und wir können es nicht so lassen, wie es ist? Wir müssen das Bildungssystem weiter verändern.

(Beifall SPD)

Herr Kollege Emde, Sie haben eben noch mal den Eindruck wiedergegeben, dass da keine Gutachten mehr erstellt werden und dass man den Kindern die Gutachten verweigert. Wir haben immer noch mehr sonderpädagogische Gutachten in Thüringen als im Bundesdurchschnitt. Es sind immer noch mehr Kinder in Thüringen, die ein sonderpädagogisches Gutachten kriegen. Da können Sie doch nicht behaupten, wir verhindern, dass Kinder begutachtet werden. Das ist doch unredlich. Natürlich kann man sich über Einzelfälle streiten. Es kann sein, dass Eltern den Eindruck haben, dieses Kind hat sonderpädagogischen Förderbedarf, und die Kommission, die sich damit auseinandersetzt, sagt, liebe Eltern, das ist aber nicht so, vielleicht braucht das Kind eine besondere Unterstützung in der allgemeinen Schule, weil es eine Lese- und Rechtschreibschwäche hat, aber das ist noch kein Grund, sonderpädagogischen Förderbedarf zu diagnostizieren und das Kind in eine Förderschule zu stecken. Um solche Fragen wird es immer Auseinandersetzungen geben und geben müssen, und wir müssen dort den Eltern auch Rede und Antwort stehen. Ich habe es ja eben gesagt, wir wollen eine unabhängige Instanz, an die sich die Eltern in solchen Fragen auch wenden können.

Und noch mal zu den Förderzentren: Wir werden hoffentlich den Bericht im Ausschuss diskutieren. Schauen Sie ihn sich an. Wir beschreiben ganz genau, wie die Entwicklung der Förderzentren in den nächsten Jahren aussehen wird. Sie sind und bleiben wichtiger Bestandteil des Fördersystems. Und ja, Herr Emde, es gibt Schülerinnen und Schüler, die brauchen vielleicht dauerhaft das Förderschulsystem, die sind da die ganze Schulzeit über. Und das geht ja sogar noch über das normale Schulalter eigentlich hinaus, dass Jugendliche und junge Erwachsene am Förderzentrum bleiben dürfen. Das tragen wir doch gemeinsam, da müssen wir doch keine Unterschiede konstruieren. Wir haben das doch selber im Vorfeld dieses Berichts diskutiert und gesagt, es muss selbstverständlich auch die Möglichkeit festgehalten sein, dass die auch dauerhaft an einem Förderzentrum sein können, wenn sie das brauchen. Aber viele Kinder brauchen es nicht dauerhaft, die brauchen es vielleicht temporär, mal für ein halbes Jahr, vielleicht auch für zwei Jahre, und dann können sie wieder im allgemeinen Schulsystem mit unterrichtet werden, weil sie dann bessere Entwicklungschancen haben. Also vom Kind her denken und nicht von der Institution her denken, darum muss es uns gemeinsam am Ende gehen. Ich lade Sie ein, den Bericht mit uns, auch

mit den Vertretern des Ministeriums weiter zu diskutieren. Ich glaube, wir haben eine Menge an Material, an Ideen, an Vorschlägen zusammengetragen in diesem Entwicklungskonzept und das ist eine gute Grundlage für Inklusion in Thüringen, eine gute Grundlage für die Entwicklung unserer Kinder. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Danke schön, Herr Minister. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Damit schließe ich den zweiten Teil der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den dritten Teil

c) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Rente mit 67 oder einstweiliger Ruhestand mit 37? Versorgungsmentalität in Thüringen?“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/6330

Als Erste hat das Wort Frau Siegesmund von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, Frau Ministerpräsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, „Rente mit 67 oder Ruhestand mit 37?“, das ist der Titel unserer Aktuellen Stunde und jetzt 15 Monate vor der kommenden Landtagswahl scheint es so, dass der eine oder andere im Kabinett, in der Landesregierung unruhig wird, und das neue Koalitionsmotto lautet „Rente sich wer kann“.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schön der Reihe nach. Schauen wir uns an, was das für den Fall des ehemaligen Regierungssprechers Peter Zimmermann heißt, der am 4. November 2009 seinen Dienst antrat und bis zum 30. Juni 2013 das Sprachrohr dieser Landesregierung war.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ob er diesen Job gut gemacht hat, das muss die Landesregierung entscheiden. Ganz schlecht kann er ja nicht gewesen sein, denn er wurde laut Medieninformation der Staatskanzlei eigentlich nicht entlassen, sondern er hat von sich aus einen neuen Job gesucht und auch gefunden. Noch einmal: „Rente sich, wer kann“. Wir wünschen ihm natürlich ganz im Ernst alles Gute für seine weitere berufliche Zukunft, aber wir fragen uns, was das für dieses Land und für Thüringen heißt.

(Minister Matschie)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hätten uns von ihm, von dem PR-Profi Peter Zimmermann, gewünscht, wenn er sich in den einstweiligen Ruhestand versetzen lässt, dass er mehr Gespür dafür hat, wie solch eine Entscheidung transparent gemacht werden kann. Wir hätten uns mehr Gespür erhofft von der Staatskanzlei, von der Ministerpräsidentin. Denn eines steht fest: Heimlichtuerei kann nicht der Weg sein, wie hier Versorgung organisiert wird - nicht mit uns.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Man sollte meinen, gelernt ist gelernt. Ein PR-Profi, der von einem hochdotierten Staatsposten in einen vermutlich noch höher dotierten Job in die freie Wirtschaft wechselt, der weiß, worauf es ankommt, insbesondere dann, wenn die Scheinwerfer an sind. Es wäre seine, es wäre, Frau Ministerpräsidentin, Ihre Pflicht gewesen, das transparent zu machen. Das ist der Punkt. Es geht eigentlich nicht um Peter Zimmermann, sondern es geht um die Ministerpräsidentin, es geht um diese Landesregierung und es geht um die Thüringer CDU.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um die gleiche CDU, die erst von uns GRÜNEN zum Jagen getragen werden musste, um eine Reform des Ministergesetzes zu machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht um die CDU, die vorgibt, ganz nah bei den Menschen zu sein. Es geht um eine Partei des Scheins und Seins. Es geht um eine Landesregierung, insbesondere um eine von der CDU getragene Landesregierung, die sich hier verantworten muss. Denn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen den Bürgerinnen und Bürgern heute erklären, warum ein politischer Beamter bei freiwilligem Ausscheiden aus dem Dienst mit 37 Jahren ein Ruhegeld von mindestens 1.400 € jeden Monat bekommt, unabhängig davon, ob er eine Folgebeschäftigung aufnimmt oder nicht. Jeden Monat mindestens 1.400 €, für den Fall, dass er keiner Beschäftigung nachgeht, etwa 3.500 €. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist die dreifache Durchschnittsrente eines Thüringers, einer Thüringerin.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist mehr als ein Grundeinkommen der Luxusklasse, das ist sozialistische Altersvorsorge, das gibt es nicht mit uns.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Menschen in diesem Land müssen jeden Groschen

dreimal umdrehen. Diese Versorgungspolitik machen wir hier nicht mit. Wir wollen, dass sich die Ministerpräsidentin erklärt, wir wollen heute und hier, dass diese Thüringer Landesregierung die Komfortzone bei der Frage, wie Versorgung künftig geregelt wird, verlässt und klarmacht, warum sie sich so entschieden hat. Ich will die Fragen in den Raum werfen, die uns bewegen. Erstens: Warum geht Peter Zimmermann nicht formal freiwillig aus dem Dienst, wenn er es doch real tut? Er hat sich doch selbst entschieden, diese neue Beschäftigung anzunehmen. Haben Sie etwa kein Vertrauen mehr in Ihren ehemaligen Regierungssprecher gehabt? Dann wäre das nämlich in Ordnung, was Sie gemacht haben. Es gibt entsprechende Urteile, zum Beispiel aus NRW, das Oberverwaltungsgericht hat eines Tages geurteilt, Zitat: „Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand muss mit einer Vertrauensstörung begründet sein.“ Ist dem so, dann teilen Sie uns das mit, es gibt ähnliche Urteile vom Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 1964, aus dem Jahr 1981. Erklären Sie uns etwas zum Vertrauensverhältnis zum ehemaligen Regierungssprecher. Zweiter Punkt, banale Hausaufgabe, Erledigungen der Staatskanzlei: Man hätte eine Nachversicherung mit entsprechenden Rentenversicherungsansprüchen machen können, um sicherzustellen, dass Peter Zimmermann abgesichert ist. SGB VI hätte hier helfen können. Dann ist das Stichwort Rundfunkbeirat. Warum fällt Ihnen erst so spät ein, dass derjenige, der aus dem Kabinett, aus der Landesregierung ausgeschieden ist, hier auch nicht mehr für die Regierung tätig sein kann?

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.