Protokoll der Sitzung vom 17.10.2013

Uns war besonders wichtig, das habe ich auch hier von diesem Platz aus immer wieder deutlich gemacht, dass es natürlich einen - ich nenne es mal Vertrauensschutz für die Eltern und für die Kinder geben muss, die sich für dieses Projekt entscheiden, die diese Schule für sich ausgewählt haben. Dieser Vertrauensschutz ist aus unserer Sicht jedenfalls gewährleistet worden, obwohl, das muss man ganz deutlich sagen, die Schule entgegen den vertraglichen Festlegungen noch Schülerinnen und Schüler aufgenommen hat. Das hat zum Schuljahresbeginn zu einigen Verwerfungen und Diskussionen geführt und Frau Kanis, da bin ich nicht ganz so euphemistisch wie Sie, ich glaube, das mit den Gesprächen hat nicht alles sofort so gut funktioniert, etliche Eltern waren sehr verunsichert, es hat länger gebraucht, bis wirklich mit allen geredet wurde. Aber unterm Strich müssen wir feststellen - und das ist ja eigentlich ein gutes Signal -, dass für jedes Kind, das dort eingeschult wurde, auch ein guter, so hoffe ich jedenfalls, Weg gefunden wurde. Insofern, glauben wir jedenfalls, hat sich jetzt bestätigt, dass alle Kinder, die das Projekt besuchen, das auch bis zum Ende tun können, so jedenfalls gab und gibt es die Zusicherung durch das Ministerium. Allerdings ist auch vonseiten des Ministeriums immer klargestellt worden, dass es eine solche Ausnahmereglung nicht noch einmal geben kann und wird. Nach unserer Kenntnis hat die Stiftung inzwischen zugesagt, dass sie selbstverständlich nicht

(Abg. Untermann)

noch einmal gegen die vertraglichen Absprachen Kinder aufnehmen wird.

Die FDP-Fraktion hatte beantragt, dass es eine Evaluation zu diesem Projekt geben soll bzw. dass auch die jetzige Arbeit wissenschaftlich begleitet werden sollte. Auch ich habe in der Ausschuss-Sitzung im September hier im Thüringer Landtag angeregt, eine Studie zu erheben, um einmal die Arbeit der Förderschulen insgesamt in Thüringen zu evaluieren. Ich weiß, das werde ich jetzt auch nicht tun, dass es mehr oder minder umstritten ist, ob man wirklich aus Ausschussprotokollen zitieren kann oder darf, deswegen werde ich es selbstverständlich nur sinngemäß tun. Aber sinngemäß hat mir Herr Professor Merten auf meinen Vorschlag im Ausschuss geantwortet, dass es eine große Unsicherheit in diesem Bereich gäbe, wenn es um Inklusion geht, die zum Teil auch geschürt wird, das erleben wir selbstverständlich auch, und dass er es deshalb für nicht richtig und sinnvoll erachtet, in einer solchen Situation die Wirksamkeit der Förderschulen zu evaluieren.

Ich hätte mir an der Stelle, sage ich ganz offen, mehr Mut gewünscht, weil wir dann, glaube ich, auf einer sachlichen und fachlichen Grundlage noch sehr viel besser argumentieren könnten. Ich hätte auch nicht die Angst, sage ich ganz offen, dass dabei vielleicht herauskommt, dass die Wirksamkeit der ein oder anderen Schule nicht so gut ist, wie vielleicht der eine oder die andere meint. Es wäre eine ehrliche Bestandsaufnahme und ich denke, sie würde weiterhelfen. Man könnte dann auch Vergleiche beispielsweise zu anderen Schulen in anderen Ländern anstreben und schauen, ob und welche Wege vielleicht gelingender sind, wenn wir Gemeinsamen Unterricht und schließlich Inklusion erreichen wollen.

Insofern, meinen wir jedenfalls, hätte es nicht nur einer Evaluierung der Arbeit dieses Schulprojekts bedurft oder wäre eine solche Evaluierung hilfreich oder wünschenswert gewesen, sondern der gesamten Förderschullandschaft, um tatsächlich eine Ausgangsbasis zu haben, von der aus wir fundiert und zukunftsweisend argumentieren können.

Wir hatten gerade erst am letzten Freitag hier im Thüringer Landtag eine Fachtagung der Liga gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung unter der Überschrift „Gemeinsam Schule gestalten“. Dort waren ganz viele Lehrerinnen und Lehrer von Förderschulen, Eltern, aber auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände anwesend und es wurde sehr deutlich, dass sich etliche Förderschulen tatsächlich gern auf den Weg machen möchten, um ihren Beitrag für ein gelingendes inklusives Schulsystem zu leisten. Ich meine, dass wir in der Tat noch Nachholbedarfe haben, um tatsächlich all die Ressourcen zu nutzen, die wir haben. Denn Fakt ist und das sagen uns alle wissenschaftlichen Studien, wir

werden für gelingende Inklusion mehr sonderpädagogischen Fachverstand brauchen, und zwar in allen Schulen. Insofern muss niemand Angst haben, hier solle irgendetwas abgeschafft werden. Wir brauchen tatsächlich mehr sonderpädagogische Förderung, wenn wir von gelingender Inklusion sprechen und wenn wir auch dem Anspruch gerecht werden wollen,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

individuelle Förderung für jedes Kind zu gewährleisten. Die Frage ist aber, ob man das an diesem einzelnen Projekt diskutieren kann oder sollte, was tatsächlich ausläuft. Ich würde mir vielmehr wünschen, dass wir uns das Gesamtkonzept einmal vornehmen. Ich erinnere an den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, der die Landesregierung aufgefordert hat, einen Inklusionsentwicklungsplan vorzulegen. Seit Juli gibt es dieses Konzept, was mehr als 300 Seiten umfasst und das liegt uns vor. Allerdings habe ich noch nicht vernehmen können, wie dieser Entwicklungsplan auch hier im Parlament tatsächlich genau analysiert, gemeinsam beraten wird und vor allem wie daraus die notwendigen Schlüsse gezogen werden. Das ist nämlich aus unserer Sicht das Entscheidende. Fakt ist auch, wir werden auch zusätzliche Ressourcen brauchen, wenn wir gelingende Inklusion umsetzen wollen. Ich nenne nur personelle, sächliche, räumliche Voraussetzungen, die wir an Schulen schaffen müssen. Ich sage auch, ich bin davon überzeugt, dass wir beispielsweise Förderzentren mit bestimmten Schwerpunkten selbstverständlich weiterhin brauchen werden. Die Frage ist, wie diese genau arbeiten.

Für uns sind für Inklusion folgende Prämissen leitend: Es geht uns um die Anerkennung des Menschenrechts auf inklusive Erziehung und das gilt es in der Tat auch umzusetzen. Fakt ist aber auch: Inklusion kann nur gemeinsam und nicht gegeneinander und schon gar nicht mit Panik oder Stimmungsmache in unserer Gesellschaft gelingen. Inklusion und da sind wir bei einem wunden Punkt, der ja auch eine Rolle gespielt hat, als wir hier den gemeinsamen Antrag beraten haben - gibt es allerdings auch nicht zum Nulltarif. Denn die von mir benannten sächlichen, räumlichen und personellen Voraussetzungen müssen selbstverständlich auch finanziell unterfüttert werden. Und - das ist der letzte Punkt, den ich auch immer wieder bei unseren Prämissen benenne - aus unserer Sicht braucht es perspektivisch auch eine inklusive Schulgesetzgebung und die ist noch in weiter Ferne.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Antrag der Fraktion der FDP lässt sich zusammenfassend sagen: Es war und ist, das unterstelle ich, sicher gut gemeint, weil es um die Anerkennung eines guten und viele Jahre wichtigen Projekts geht. Die Forderungen, die allerdings daraus

abgeleitet werden, können wir angesichts der Tatsache, dass dieses Projekt ein auslaufendes Projekt ist, so nicht mittragen und deswegen werden wir uns zum Antrag enthalten. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe jetzt keine weiteren Redeanmeldungen mehr seitens der Abgeordneten. Für die Landesregierung Herr Minister Matschie bitte.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, es ist hier schon deutlich geworden, das Schulprojekt der Finneck-Stiftung beschäftigt uns schon eine ganze Weile und ich will deshalb auch nicht den Gesamtkomplex hier noch mal auseinandernehmen und im Einzelnen erläutern, aber ein paar wichtige Punkte noch mal deutlich machen.

Zum einen zu dem, was Sie eben gesagt haben, Frau Rothe-Beinlich: Der Staatssekretär hat ja im Ausschuss referiert, wie die Forschungsergebnisse aussehen zu Förderschulen, zum Gemeinsamen Unterricht, und deutlich gemacht, man muss davon ausgehen, dass die Ergebnisse, würde man eine solche Untersuchung in Thüringen machen, auch nicht wesentlich anders ausfielen. Deshalb, denke ich, sollte man es an diesem Punkt auch belassen. Wir haben kein Problem der Erkenntnis über Gemeinsamen Unterricht oder die Arbeit von Förderschulen, sondern unsere Aufgabe ist eigentlich, Inklusion vernünftig zu organisieren, zu gestalten, dafür zu sorgen, dass für jedes Kind die richtige Entscheidung zum Lernort gefällt werden kann.

Der Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat vorgeschlagen, den Antrag der FDP abzulehnen. Ich halte das auch für sachgerecht.

Lassen Sie mich noch mal deutlich machen, worum es eigentlich geht. Die Förderschule der Stiftung Finneck beschult Schülerinnen und Schüler mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in staatlichen Grund- und Regelschulen. 2010 wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Stiftung Finneck und den Landkreisen Sömmerda und dem Kyffhäuserkreis geschlossen und in dieser Vereinbarung, das klang hier schon an, wurde unter anderem festgelegt, dass ab dem Schuljahr 2011/2012 die Aufnahme weiterer Schülerinnen und Schüler in das Projekt ausgeschlossen wird. Das war also eine Vereinbarung der Stiftung mit den Landkreisen, mit denen sie zusammengearbeitet hat. Entgegen der eigenen Vereinbarung hat die Stiftung trotzdem ab dem Schuljahr 2011/12 weitere Schülerinnen und Schüler aufgenommen. Es gab deshalb eine ganze Rei

he von Gesprächen mit der Stiftung, natürlich auch mit den Eltern. Die Stiftung hat sich übrigens schriftlich für dieses Vorgehen entschuldigt und wir haben diese Entschuldigung auch angenommen. Für uns war von Anfang an klar - und das habe ich den Eltern auch signalisiert -, dieser Konflikt soll nicht auf dem Rücken der betroffenen Kinder ausgetragen werden,

(Beifall SPD)

sondern wir haben im Interesse der Kinder entschieden und haben gesagt, die Kinder, die jetzt, obwohl vertragswidrig, dort in das Projekt gekommen sind, die können auch bis zum Ende ihrer Schullaufbahn in dem Projekt verbleiben. Da müssen Eltern und Kinder auch eine Sicherheit haben, dass sie sich auf eine einmal getroffene Entscheidung verlassen können. Eine weitere Beschulung von Schülerinnen und Schülern in diesem Projekt ist aus fachlicher Sicht nicht nötig und das hat rechtliche und pädagogische Gründe. Das will ich noch mal deutlich machen.

Zunächst zu den rechtlichen Gründen: Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt uns, dass die inklusive Beschulung sozusagen den Vorrang haben muss. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Und das Thüringer Förderschulgesetz sieht bereits seit zehn Jahren den Vorrang des Gemeinsamen Unterrichts vor.

Aber natürlich stehen bei diesem Vorgehen an allererster Stelle auch pädagogische Gründe. Wenn bei Kindern mit Behinderungen der Verdacht auf sonderpädagogischen Förderbedarf da ist, dann gibt es ein Verfahren zur Feststellung dieses Förderbedarfs, das wird genau geprüft. In jedem dieser Gutachten wird individuell festgestellt, welche personellen, räumlichen und sächlichen Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Lernen dieses Kindes erforderlich sind. Dann wird der Vorrang des gemeinsamen Unterrichts geprüft und es wird gefragt: Ist das, was für die Förderung des Kindes notwendig ist, an der Grund- oder Regelschule zu gewährleisten? Wenn die Bedingungen dort nicht geschaffen werden können, dann wird die Entscheidung getroffen, das Kind wird an der Förderschule unterrichtet. Auch die Schüler der Stiftung Finneck erhalten natürlich ein sonderpädagogisches Gutachten, das genau diese Rahmenbedingungen beschreibt. Wenn sie an dieser Förderschule sind, dann ist eben der Lernort Förderschule im Gutachten festgelegt. Denn der Schulleiter darf natürlich Kinder in das Förderzentrum nur aufnehmen, wenn ein gültiges Gutachten dafür vorliegt. Wenn also im Gutachten aus fachlicher Sicht der Lernort Förderzentrum ausgewiesen ist, dann muss man dem auch entsprechen. Wenn bei Kindern ein anderer Lernort im Gutachten ausgewiesen ist, also im Gemeinsamen Unterricht, dann muss man dem entsprechen. Deshalb macht es Sinn, dieses Projekt der Stiftung

(Abg. Rothe-Beinlich)

Finneck nicht weiter fortzuführen. Weder unter rechtlichen Gesichtspunkten ist das möglich, noch ist es pädagogisch sinnvoll, denn wir haben inzwischen eine andere pädagogisch sinnvolle Struktur gefunden.

Ich will zum Schluss auch noch ein paar Sätze zum Entwicklungsplan Inklusion sagen. Natürlich ist klar, dass dieser Plan jetzt regional Schritt für Schritt umgesetzt werden muss. In dem Plan ist deutlich gemacht, welche zusätzlichen Ressourcen notwendig sind, zum Beispiel für notwendige bauliche Veränderungen, aber auch im personellen Bereich. Ich habe mehrfach deutlich gemacht, Inklusion ist in Thüringen bisher in ganz unterschiedlicher Weise verwirklicht worden. Wir haben eine Durchschnittsquote, die liegt im letzten Schuljahr etwa bei 33 Prozent, aber wir haben regional ganz unterschiedliche Zahlen dazu. Wir haben im Landkreis Sömmerda über 60 Prozent Inklusion, wir haben in Suhl gerade einmal 8 Prozent. Das macht eines deutlich, wir müssen mit den Gegebenheiten vor Ort arbeiten. Wir müssen dort weitermachen, wo die Inklusion vor Ort im Moment angekommen ist. Es macht keinen Sinn, da alle über einen Kamm zu scheren. Deshalb habe ich gesagt, wir wollen vor allem regionalbezogene Entwicklungskonzepte und insgesamt gilt, es geht vor allem um Qualität bei der Inklusion, nicht um Tempo. Denn mein Ziel ist, dass jedes Kind den für ihn oder für sie bestmöglichen Lernort hat, egal, ob das dann der Gemeinsame Unterricht oder die Förderschule im jeweiligen Fall ist.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich noch einmal auch für die intensive Beratung im Ausschuss bedanken. Das, was wir hier im Antrag fokussiert haben, ist nur ein kleiner Aspekt des Themas Inklusion, ein Kapitel, wo ich sage, wir sind der Stiftung für eine Vorreiterrolle dankbar, aber die Entwicklung ist weitergegangen. Das sieht die Stiftung mit ihrer Vereinbarung übrigens auch selber so. Es macht jetzt keinen Sinn, an etwas festzuhalten, was in der Vergangenheit vielleicht einmal wichtig und eine Vorreiterrolle war, aber in der aktuellen Situation keine Fortsetzung pädagogisch und rechtlich sinnvoll finden kann. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Ich sehe jetzt keine weiteren Redeanmeldungen. Damit schließe ich die Aussprache.

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft und Kultur - das hatten wir vorhin vernommen - hat die Ablehnung des Antrags empfohlen, deswegen kommt dieser Antrag jetzt unmittelbar direkt ins Plenum zur Abstimmung. Jetzt weiß ich nicht, wie ich Herrn Abgeordneten Möller verstehen soll. Möchte er die Teilung des

Antrags in zwei Teile, die einzeln abgestimmt werden oder hat sich Ihre Bemerkung nur darauf bezogen, dass das jemand anders beantragen würde?

(Zuruf Abg. Möller, DIE LINKE: Nein, ich ha- be das als Antrag verstanden.)

Gut, dann müsste ich die FDP-Fraktion fragen, ob sie diesem zustimmt, dass über die Nummern I und II einzeln abgestimmt wird. Dann rufe ich jetzt aus dem Antrag der FDP in Drucksache 5/6057 die Nummer I auf und frage: Wer stimmt dieser zu? Das sind die Mitglieder der FDP-Fraktion. Ich frage nach den Gegenstimmen. Das sind die Mitglieder der SPD- und CDU-Fraktion. Ich frage nach den Stimmenthaltungen. Das sind die Mitglieder der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Antrag in Nummer I abgelehnt.

Nun rufe ich Nummer II aus der Drucksache 5/6057 auf. Wer hier seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Mitglieder aus der FDP-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE. Ich frage nach den Gegenstimmen. Das sind die Mitglieder der SPD- und der CDUFraktion. Ich frage nach den Stimmenthaltungen. Das sind die Mitglieder aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Diese Nummer II aus dem Antrag ist auch abgelehnt und damit der Antrag in Gänze.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 14 und rufe auf den Tagesordnungspunkt 15

Persönliche Freiheiten verteidigen, Datenschutz wahren Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger entsprechend der Verfassung des Freistaats Thüringen gewährleisten Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/6414

Der Abgeordnete Meyer erhält das Wort zur Begründung.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich erlaube mir meine Einbringung mit einem etwas längeren Zitat zu beginnen: „Die digitalen Technologien sind Plattformen für gemeinschaftliches Handeln, Treiber von Innovation und Wohlstand, von Demokratie und Freiheit und nicht zuletzt sind sie großartige Erleichterungsmaschinen für den Alltag. (...) Wohin dieser tiefgreifende technische Wandel führen wird, darüber haben wir einfachen User bislang wenig nachgedacht. Erst die Berichte über die Datensammlung der Dienste

(Minister Matschie)

befreundeter Länder haben uns mit einer Realität konfrontiert, die wir bis dahin für unvorstellbar hielten. Erst da wurde den meisten die Gefahr für die Privatsphäre bewusst. Vor 30 Jahren, erinnern wir uns, wehrten sich Bundesbürger noch leidenschaftlich gegen die Volkszählung und setzten am Ende das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch. Dafür hat unser Bundesverfassungsgericht gesorgt. Und heute? Heute tragen Menschen freiwillig oder gedankenlos bei jedem Klick ins Netz Persönliches zum Markte. (...) Naturgemäß hinken dann Gesetze, Konventionen und gesellschaftliche Verabredungen der technologischen und technischen Entwicklung hinterher. Wie noch bei jeder Innovation gilt es auch jetzt, die Ängste nicht übermächtig werden zu lassen, sondern als aufgeklärte und ermächtigte Bürger zu handeln. So sollte der Datenschutz für den Erhalt der Privatsphäre so wichtig werden wie der Umweltschutz für den Erhalt der Lebensgrundlagen. Wir wollen und sollten die Vorteile der digitalen Welt nutzen, uns gegen ihre Nachteile aber bestmöglich schützen. Es gilt also, Lösungen zu suchen, politische und gesellschaftliche, rechtliche, ethische und ganz praktische. Was darf, was muss ein freiheitlicher Staat im Geheimen tun, um seine Bürger durch Nachrichtendienste vor Gewalt und Terror zu schützen? Was aber darf er nicht tun, weil sonst die Freiheit der Sicherheit geopfert wird? (...) Wir brauchen also Gesetze, Konventionen und gesellschaftliche Verabredungen, die diesem epochalen Wandel Rechnung tragen. Gerade in Demokratien muss Politik schon reagieren, wenn ein Problem erst am Horizont auftaucht und sie muss ständig nachjustieren, sobald die Konturen klarer hervortreten. Das ist übrigens eine ihrer Stärken.“

Dieses Zitat ist etwa zwei Wochen alt und einige haben es vielleicht erkannt. Ich habe Herrn Bundespräsidenten Gauck zitiert aus der Rede zum Tag der Deutschen Einheit. Ich konnte ja nun wirklich nicht wissen, als wir vor 12 Wochen unseren Antrag eingebracht haben, dass ich mal Herrn Gauck benutzen könnte, um unseren Antrag einzuführen. Aber er hat genau das gesagt, was unser Antrag eigentlich will.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Enthüllungen von Edward Snowden haben in mehrfacher Hinsicht Ratlosigkeit zurückgelassen: Der schiere Umfang der verdachtslosen und vorauseilenden Sammlung von Datenbergen, die durch verschiedene Geheimdienste seit Jahren getätigt wird, die Art von privaten Daten, die bislang als besonders geschützt galten, von der privaten und geschäftlichen Korrespondenz bis hin zu Bankdaten und intensivsten Dateien von staatlichen Stellen und der privaten Wirtschaft, die offensichtliche Ignoranz gegenüber den Datenschutzgesetzen, unter denen die überwachten Menschen und Organisationen jeweils leben, und nicht zuletzt die offen

bar gar nicht erst unternommenen Versuche der verdächtigten Staaten und ihrer Geheimdienste, die Vorwürfe, die unter anderem von Edward Snowden erhoben wurden, auch nur ansatzweise glaubhaft zu widerlegen. Gleichzeitig sind aber die Reaktionen der interessierten Öffentlichkeit auf diese Enthüllungen sehr beachtlich. Nach dem ersten Schock über die Ungeheuerlichkeit der Vorwürfe und ihre offensichtliche Relevanz gab es verschiedene Versuche, unter den Stichworten NSA und Prism eine öffentliche Debatte darüber zu beginnen, unter anderem auch, welche Folgen es für die Thüringer Bevölkerung haben kann.

Diesem Ziel soll auch der vorliegende Antrag dienen. Wir sind davon überzeugt, dass wir als Landtag die Pflicht haben, gerade zum 20. Jahrestag unserer Verfassung, die Sicherheit der darin enthaltenen Grundrechte nach unseren Kräften zu gewährleisten. Dabei haben wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesmal bewusst darauf verzichtet, unseren nun schon 12 Wochen alten Antrag noch einmal zu aktualisieren, obwohl die weiteren zwischenzeitlichen Enthüllungen dies durchaus verlangen könnten. Wir möchten aber gerade nicht behaupten, dass wir bereits alle Aspekte benannt haben, die in Bezug auf die Betroffenheit der Thüringer Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Und wir möchten zu diesem Thema unbedingt eine Sachdebatte anregen, die sich nicht in der dualen Gegenüberstellung erschöpft, ob jemand den USA oder den Geheimdiensten vertraut oder nicht. Was wir aber erreichen wollen, ist, dass unsere Bürgerinnen und Bürger zumindest das Gefühl haben können, dass sich der Thüringer Landtag mit dem Schutz der Informationsfreiheit für die Informationsgesellschaft im Informationszeitalter ernsthaft auseinandersetzt. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich eröffne die Aussprache und zuerst erhält Frau Abgeordnete Marx für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Daten, die um den Globus geschickt werden, können an regional geltenden Gesetzen vorbei offenbar weltweit gehackt werden. Entsetzen und Ernüchterung sind groß, dass davon nicht nur kriminelle Hacker Gebrauch machen, sondern offenbar schon seit Jahren auch staatliche Geheimdienste, die wiederum dann solche Daten an befreundete Dienste schicken. In der Tat können wir Edward Snowden dankbar sein, die Praxis des US-amerikanischen und britischen Geheimdienstes nicht nur aufgedeckt, sondern auch Beweise gesichert zu haben. Die Programmnamen, Sie haben sie gehört, es kamen dann immer wieder neue dazu: Am An

(Abg. Meyer)