Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

Ich eröffne die Aussprache und als Erster hat das Wort Abgeordneter Uwe Barth von der FDP-Fraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Rücklage der Rentenkasse ist zum Jahresende auf eine Reserve von 1,5 Monatsausgaben der Rentenversicherung angewachsen.

(Minister Geibert)

Für diesen Fall ist gesetzlich vorgesehen, den Beitrag, den die Arbeitnehmer in Deutschland zur Rentenversicherung bezahlen müssen, auch die Arbeitgeber natürlich, abzusenken. Von derzeit 18,9 Prozent müsste der Beitrag auf 18,3 Prozent sinken. Bei einem Einkommen von, sagen wir, 1.500 € sind es zwar nur 9 € im Monat; mal 12 summiert sich das aber immerhin auf 108 €. Nicht viel Geld, wird da mancher rufen. Doch, viel Geld, sage ich, insbesondere wenn man dafür arbeiten muss.

(Beifall FDP)

In der Summe würden die Beitragszahler im Jahr 2014, wenn diese Beitragssenkung käme, um 7,5 Mrd. € entlastet, würden sie weniger zahlen müssen. Nun hat zwei Tage nach der Vereidigung der neuen schwarz-roten Bundesregierung in Berlin die Koalitionsmehrheit im Bundestag das Gesetz über die Festsetzung der Beitragssätze beschlossen, mit dem genau diese Absenkung und damit die Entlastung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber verhindert wird. Ein bemerkenswertes Zitat aus der Gesetzesbegründung will ich Ihnen nicht vorenthalten. Dort heißt es: „Für die Bürgerinnen und Bürger (...)“ und „für die Wirtschaft, insbesondere auch für die mittelständischen Unternehmen, entsteht durch dieses Gesetz kein Aufwand.“ 7,5 Mrd. € vorenthaltene Entlastungen, hälftig jeweils für Arbeitnehmer, für die das eine Nettolohnerhöhung wäre, und für die Arbeitgeber, sind offenbar kein Aufwand. So kann man das offenbar auch sehen, meine Damen und Herren. Dass dies - das ist ein weiteres Zitat aus der Begründung - „im Einklang mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung steht“, lässt für künftige Maßnahmen dieser Großen Koalition über Entlastungen der arbeitenden Menschen in unserem Land Schlimmes ahnen.

(Beifall FDP)

Nun zieht sich die Debatte über die Rente wie ein roter Faden spätestens seit Norbert Blüm - Sie erinnern sich, „Die Rente ist sicher“ - durch alle Wahlkämpfe. An neuen Ideen besteht kein Mangel. Das war auch im zurückliegenden Wahlkampf so. „Die Mütterrente kam bei den Wahlkampfreden so gut an.“ So schlicht begründet Frau Merkel ihren Teil, damit den der CDU. Die Rente mit 63 als Abkehr von der Agenda 2010, das ist SPD pur. In der Summe kommen nun Pläne heraus, liebe Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur extrem teuer sind - von bis zu 160 Mrd. € ist die Rede -, sondern offenbar auch undurchdacht. Die Anrechnung der Zeiten der Arbeitslosigkeit funktioniert nicht, weil die Versicherungen gar nicht über die entsprechenden Daten verfügen - so lief es jedenfalls heute über die Ticker. Daran hätte man auch vorher einmal denken können.

(Beifall FDP)

Man hätte sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich aber auch vorher einmal darüber Gedanken machen können, was nicht nur im aktuellen Wahlkampf gut ankommt, sondern was schon seit über 20 Jahren diskutiert, versprochen, geprüft, wieder diskutiert und am Ende immer wieder verworfen worden ist, nämlich die Angleichung des Rentenrechts in Ost und West.

(Beifall FDP)

Etwa 4 Millionen Rentner, meine Damen und Herren, die zwischen Sonneberg und Kap Arkona gearbeitet haben, warten bis heute auf die Erfüllung dieses immerhin schon im Einigungsvertrag gegebenen Versprechens. Sie werden dafür bestraft, im falschen Teil Deutschlands gearbeitet zu haben.

(Beifall FDP)

Wenn man schon in der Rente aktiv werden will, meine sehr verehrten Damen und Herren, und wenn man schon dazu bereit ist, Entlastungen für die Arbeitnehmer zu beschneiden, in der vorhin beschriebenen Höhe sogar zu unterlassen, dann wäre es mehr als fair, wenn man dieses inzwischen wahrlich jahrzehntealte Versprechen endlich und zuerst erfüllen würde.

(Beifall FDP)

Über die Kosten gibt es ganz unterschiedliche Annahmen, das gebe ich gern zu. Der Sozialverband Deutschland hat vor einem Jahr die Kosten eines 10-Jahres-Stufenplans auf maximal 1,2 Mrd. € pro Jahr beziffert. Das wären in der Summe 12 Mrd. €, immerhin ein zarter Unterschied zu den 160, die die aktuellen Pläne kosten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Rot-Grün wollte die sozialpolitische Einheit Deutschlands herbeiführen und seither haben es sich alle - inklusive auch, weil das garantiert kommt, der letzten schwarz-gelben Koalition vorgenommen; Umsetzung - bisher leider Fehlanzeige. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es, man wolle 2016 prüfen und dann entscheiden, ob 2017 eine Teilangleichung nötig sei. Angesichts der jetzigen Debatte sage ich voraus, dass es dann heißen wird, dass wegen der Rente mit 63 und der Mütterrente, die im Osten konsequenterweise auch niedriger ausfällt als im Westen, kein finanzieller Spielraum vorhanden ist.

Meine Damen und Herren, Frau Lieberknecht hat während der Koalitionsverhandlungen öffentlich gefordert, dass es spätestens 2017 keine Unterschiede bei den Renten mehr geben dürfe. Sie hinkt damit sechs Jahre hinter ihrer Kanzlerin her, die 2009 versprochen hat, bis 2011 sei das Thema endlich vom Tisch. Nachdem die Union das in der letzten Koalition leider verhindert hat - die FDP hat sich mit ihren Vorschlägen nicht durchsetzen können - sage ich, wenn Frau Nahles in der Rente schon so durchsetzungsstark ist, dann wäre es jetzt an der Zeit. Und wenn die Ministerpräsidentin ihren Wor

ten Taten folgen lassen würde, dass endlich, wenn schon in die Rente gegriffen wird, die Angleichung von Ost- und Westrenten geschieht, dann hätten wir tatsächlich einen entscheidenden Beitrag zur Einheit unseres Landes. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Danke schön. Für die CDU-Fraktion hat das Wort Abgeordneter Christian Gumprecht.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren. Herr Barth, als ich den Titel, speziell den Einreicher der Aktuellen Stunde las, hatte ich zunächst nicht geglaubt, dass es so wäre. Ich dachte, ein Druckfehler läge vor. Aber weit gefehlt, heute geht es Ihnen um das Geldverteilen. Die FDP, die sich sonst in den Haushaltsberatungen als Sparkommissar ausgibt, setzt heute auf das - und so wie es im Titel heißt - schnelle Geldverteilen, nach dem Motto: Es ist ja nicht unser Geld im Land, es ist ja das Geld des Bundes oder der Sozialkassen.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wohl nicht aufgepasst? Initiative zur Rentenangleichung Ost-West heißt es doch im Titel.)

So heißt es im Titel. Ich sage, unser Part ist es nicht, über Entscheidungen des Bundes zu urteilen. Wir sollten hier im Land bleiben.

Meine Damen und Herren, Sie von der FDP vollführen damit eine glatte Kehrtwendung. Das ist zwar angesichts des nahenden Wahlkampfs nachvollziehbar, aber ich sage Ihnen, Populismus zahlt sich nicht aus. Sie stellen sich sogar gegen Ihren eigenen FDP-Chef, Herrn Lindner, der die geplanten Rentenmaßnahmen der Großen Koalition als - ich zitiere - „teure Gefälligkeitspolitik“ kritisiert.

Nun zum Anliegen selber: Ja, es ist richtig, die Sozialkassen sind gefüllt wie schon lange nicht mehr. Allein die Rentenkasse weist einen Überschuss von 31 Mrd. € aus. Das entspricht 1,77 Rentenmonaten. Der Bundestag hat im Dezember im Beitragssatzgesetz 2014 den Beitrag nicht reduziert - und das kritisieren Sie -, sondern die Beitragssätze der allgemeinen Rentenversicherung für 2014 auf 18,9 und den Beitragssatz der knappschaftlichen Rentenversicherung auf 25,1 Prozent festgesetzt. Damit soll Planungssicherheit gewährleistet werden und die finanzielle Stabilität der Rentenkassen soll damit gesichert werden. Mit den Überschüssen sollen - so die Absicht - die - und so ist es wahrlich vereinbarten Maßnahmen finanziert werden. Das ist die abschlagsfreie Rente ab 63 bei mindestens 45 Jahren. Natürlich fällt es schwer, und jeder, der schon einmal im Vorfeld einen Rentenbescheid be

kommen hat, hat diesen Nachweis zu führen und genauso wird es hier gehen.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Es gibt die Daten gar nicht, es geht um Zeiten der Ar- beitslosigkeit.)

Sie müssen bei jedem Rentennachweis jedes Rentenjahr nachweisen, wo Sie gearbeitet haben. Auf der Basis funktioniert es.

(Unruhe FDP)

Meine Damen und Herren, es geht zweitens um die Mütterrente für Kinder vor 1992, die Erwerbsminderungsrente und die Demografiefestigkeit von Realleistungen. Bezüglich der Rentenangleichung, wie in Ihrem Antrag gefordert, finden wir im Koalitionsvertrag zwischen CDU und der SPD erstmals eine konkrete zeitliche Festlegung und die - ich zitiere kurz daraus - am Ende des Solidarpakts, also 30 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit, wie die Lohn- und Gehaltsangleichung weiter fortgeschritten sein wird, „erfolgt in einem letzten Schritt die vollständige Angleichung der Rentenwerte“. Sie haben es selber gesagt, im Juli 2016 wird erneut geprüft, ob bis dahin noch einmal eine stufenweise Angleichung erfolgen kann. Das ist die Absicht und die ist dieses Mal so konkret wie noch nie formuliert.

Meine Damen und Herren, wie hoch ist heute der Rentenwert Ost zum Rentenwert West? Eine Antwort finden wir im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung vom November des vergangenen Jahres. Er steigt demzufolge von 88,8 im Jahr 2012 auf 91,9 in 2017 an.

Sie sehen, es gibt einen verabredeten Zeitplan, der kontinuierlich, verlässlich und vor allen Dingen mit finanzpolitischer Vernunft abgearbeitet werden wird. Von Wahlterminen getriebene populistische Schnellschüsse überlassen wir den anderen.

(Unruhe FDP)

Wenn wir über Rentenversicherung debattieren, möchte ich noch einmal ein ganz anderes Thema aufgreifen, die Tatsache, dass Familien und junge Menschen in unserem Rentensystem benachteiligt werden. Das hat in der vergangenen Woche erneut die Studie der Bertelsmann Stiftung gezeigt. Sie geht auf eine Vorstudie aus dem Jahr 2005, vom Herrn Sinn, vom ifo Institut zurück. Das Gleiche ist auch der Biedenkopf-Kommission und deren Bericht zu entnehmen; die jungen Leute werden benachteiligt. Ich denke, das ist ein Thema, über das sich vielmehr zu diskutieren lohnt. Also, meine Damen und Herren, solche politischen Schnellschüsse sind nicht sinnvoll. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

(Abg. Barth)

Ich rufe als nächste Rednerin für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Jung auf.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn heute Februar wäre, hätte ich gesagt, okay, das ist der Vorbote des Faschings. Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich genau so reagiert und

(Zwischenruf Abg. Barth, FPD: Es geht doch nichts über ein gepflegtes Vorurteil.)

- ja, sicherlich, wie bei Ihnen auch, Herr Barth, jetzt war der Name sogar weg - mir fiel der Satz ein „überholen ohne einzuholen“, so ungefähr kann man sich den Antrag vorstellen. Aber, Herr Barth, ich weiß, dass Sie 2008 schon im Bundestag einen ähnlichen Antrag eingebracht haben und wenn man die Begründung zu dem Antrag im Jahr 2008 liest, da könnte man manchmal denken, es ist unser Wahlprogramm. Aber was mich dann doch irritiert: Die Linke hat im September 2013

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Ihr Pro- gramm war das mit den über 100 Prozent?)

einen Antrag in ähnlicher Form - richtig - eingebracht und Herr Kemmerich, ich darf Sie zitieren, was Sie dazu gesagt haben, und das passt hier auch: „Insofern, meine Damen und Herren, haben wir hier wieder einmal mehr einen aus der linken Propaganda stammenden Antrag, der eher in die Wahlkampfzeit passt, um das Thema hier eher nicht voranzubringen, sondern eher Stimmung und Meinung zu machen, aber nicht (...) um wirklich seriös an die Rentenfrage heranzugehen.“

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, FDP: Weil Ihr das Problem nicht an der Wurzel packt.)

Ja, aber Sie packen in einer Aktuellen Stunde das Problem an der Wurzel, das nehme ich zur Kenntnis.

(Unruhe FDP)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Kanzlerin, das hat Herr Barth gesagt, verspricht seit 2009 ein einheitliches Rentensystem für Ost und West. Getan hat sie dafür nichts und, das erspare ich Ihnen nicht, Sie waren in den letzten vier Jahren auch in der Regierungsfraktion im Bund, und jetzt, meine Damen und Herren, warnt aber der vermeintliche OstExperte der CDU, Arnold Vaatz, sogar vor einer raschen Angleichung. Er warnt davor, und ich denke, das ist ein Skandal. Wenn die Rentenangleichung über die unterschiedliche Rentensteigerung vollzogen werden soll, wie es die Kanzlerin will, würde es nach der für 2014 annoncierten Steigerungsrate noch Jahrzehnte dauern, bis die Renten angegli

chen sind. Mit Deutscher Einheit und sozialer Gerechtigkeit hat das aber nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Die Linke will die Rentenangleichung in drei Schritten erreichen. Zuallererst brauchen wir einen in Ost und West einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von 10 € in der Stunde.

(Beifall DIE LINKE)