Protokoll der Sitzung vom 25.03.2010

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Gentzel bemühte schon das große Zitat von Willy Brandt. Ich glaube, wir können mehr Demokratie wagen, wir müssen mehr Demokratie wagen und deshalb wollen wir mehr Demokratie wagen, zwar nicht, weil es im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot steht, sondern weil wir alle miteinander überzeugt sein sollten, dass diese Bannmeile das falsche Zeichen an die Bevölkerung dieses Landes ist. Wir sind nicht gefährdet durch Bürgerinnen und Bürger, die uns zu nahe kommen, sondern wir sind maximal gefährdet durch eine zu große Entfernung von den Bürgerinnen und Bürgern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Demonstrantinnen und Demonstranten tun uns gar nichts, außer dass sie uns guttun, besonders in dem Augenblick, wo wir ihre Anliegen nicht teilen. Das ist der wichtige Augenblick für Demonstrationen und in diesem Augenblick müssen die Menschen auch vor dieses Haus ziehen können. Deshalb sind Demonstrationen hier so wichtig.

Schließen will ich mit einer kleinen Lyrik von Jürgen Fuchs. Jürgen Fuchs ist der Namensgeber der Straße, die in der Bannmeile liegt. Jürgen Fuchs - „Papier, keine Angst. Das sind sicher die Kinder mit ihren bunten Stiften und Farbkasten, hörst du? Papier, Papier, dich färben wir. Keine Angst, das sind sicher nur Kinder und Künstler.“ Die Bannmeile wird heute nach 19 Jahren abgeschafft. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Gibt es weitere Wortmeldungen? Bitte schön, Herr Abgeordneter Blechschmidt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist ein wenig schade, dass meine Metapher von dem guten Tag an einer Stelle nicht aufgegangen ist, aber so ist das eben manchmal mit Metaphern und Vorstellungen, nicht alle Hoffnungen gehen in Erfüllung.

Kollege Fiedler, ich lasse heute bewusst das „werter“ weg. In der ersten Lesung hatten wir schon eine Auseinandersetzung an einer Stelle, an der ich damals noch der Auffassung war, dass Sie es akustisch nicht wahrgenommen haben. Mit der heutigen Debatte muss ich Ihnen unterstellen, dass Sie boshaft missverstehen und boshaft missdeuten, was Aussagen von diesem Pult angeht,

(Beifall DIE LINKE)

und das nicht mal der Gipfel ist, sondern ich glaube ausdrücklich, dass Sie mit einer gewissen ideologischen Verblendung hier an das Pult gehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen aus gewisser Erfahrung heraus sagen, ideologische Verblendung nützt Ihnen bei der Lösung von Problemen überhaupt nichts, im Gegenteil. Mir wäre es wesentlich wichtiger - und da habe ich einen Verdacht, dass Sie doch ein wenig unvorbereitet hier in das Plenum gekommen sind -, Ihren Erkenntnisweg zum Für oder Wider zum Bannmeilengesetz, zu dem Gesetzentwurf, der auf dem Tisch liegt, hier von Ihnen zu hören. Aber auch das kann ich Ihnen von diesem Pult aus versichern, ich werde auch Ihnen gegenüber die Hoffnung nicht aufgeben, mit Worten um Verständnis und um Erkenntnis zu ringen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Der Abgeordnete Fiedler meldet sich zu Wort. Bitte schön.

Herr Kollege Blechschmidt, auch ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass DIE LINKE sich weiterentwickelt. Ich erinnere mich noch, als wir unsere Verfassung auf der Wartburg für Thüringen beschlossen haben, da haben Ihre Kolleginnen und Kollegen nicht zugestimmt.

(Zwischenruf Abg. Sojka, DIE LINKE: Mit Recht.)

Und trotzdem - mit Recht haben Sie gesagt, ach so. Sie sind also immer noch nicht in der Demokratie angekommen in Thüringen. Deswegen gebe ich die Hoffnung nicht auf, obwohl Sie,

(Unruhe DIE LINKE)

der Verfassung des Freistaats nicht zugestimmt haben, alle demokratischen Rechte nutzen, dass Sie auch weiterhin lernfähig sind und dass Sie auch weiterhin hier mitreden dürfen/können und wir uns gemeinsam streiten werden.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fiedler. Ich frage, gibt es weitere Wortmeldungen? Das sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Abgestimmt wird direkt über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in der Drucksache 5/4 in zweiter Beratung. Wer ist für den Gesetzentwurf, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Wer ist gegen den Gesetzentwurf, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Wer enthält sich? Dann ist der Gesetzentwurf der SPD mit großer Mehrheit, einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen so angenommen worden.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Ich bitte die Befürworter sich von den Plätzen zu erheben, jetzt. Danke schön. Die Gegenstimmen? Danke schön. Die Stimmenthaltungen? Danke schön. Damit ist wie bei der ersten Abstimmung der Gesetzentwurf mit Mehrheit angenommen bei einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bitte schön, Herr Blechschmidt, Sie möchten zur Geschäftsordnung … Bitte.

Danke, Frau Präsidentin. Mit Blick auf die jetzt stattgefundene Abstimmung, möchte ich den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/25 zurückziehen. Er hat sich erledigt.

Danke schön. Dann schließe ich diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 2

Drittes Gesetz zur Änderung des Thüringer Flüchtlingsaufnahme- gesetzes Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/631 - ERSTE BERATUNG

Wünscht die Fraktion DIE LINKE das Wort zur Begründung. Ja. Bitte schön, Frau Renner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen Abgeordnete, liebe Gäste auf der Besuchertribüne, Flüchtlinge sind die Menschen, die in diesem Land die wenigsten Rechte haben. Das heißt, leben bis zu 50 Prozent unter dem Existenzminimum, Lebensmittel und Bekleidung nur auf Gutschein, Verweigerung einer Behandlung von Erkrankungen nach dem Stand der medizinischen Möglichkeiten, Beschränkung der Bewegungsfreiheit und Wohnungsbedingungen, die in keiner Weise Gesundheit und Wohl befördern. Menschenrechte, die nach ihrem Wesensgehalt universell und unteilbar sind, gelten für die Menschen nicht, die aufgrund von politischer oder ethnischer Verfolgung aus Angst um das eigene Überleben oder das Überleben ihrer Kinder ihr Herkunftsland verlassen haben.

In Artikel 25 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: Jeder hat ein Recht auf einen Lebensstandard, der seine oder seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen. Dies umzusetzen ist Ansinnen des Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag.

Das seit 1997 geltende Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz hat nicht verhindern können, dass Gemeinschaftsunterkünfte wie Katzhütte zum jahrelangen Lebensort für Flüchtlinge geworden sind. Dafür gibt es politische Verantwortlichkeiten. Die liegen zunächst in der Annahme, dass eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft, in einem Heim oder in einem Lager, wie zutreffenderweise einige dieser Einrichtungen Thüringens durch Flüchtlinge oder Flüchtlingsorganisationen bezeichnet werden, grundsätzlich der Unterbringung in Wohnungen vorzuziehen sei. Während es im Bundesgesetz heißt, dass bei der Unterbringung das öffentliche Interesse mit den persönlichen Belangen abzuwägen sei, verzichtet das Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz auf die Nennung der Verpflichtung zur Abwägung im Einzelfall und bezieht sich ausschließlich auf die Regelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften - rechts

fehlerhaft, wie das Verwaltungsgericht Meiningen bereits 1999 feststellte.

In einem Abwägungsprozess muss die Frage gestellt werden, welche Unterbringungsart eigentlich im öffentlichen Interesse liegt. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Nicht im öffentlichen Interesse sind die Diskriminierungen von Menschen, die Einschränkung von Grundrechten und der menschenunwürdige Umgang mit Flüchtlingen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im öffentlichen Interesse sind aber die Einhaltung eben dieser Grundrechte und der Abbau von rassistischen Vorurteilen und Überzeugungen in der Gesellschaft durch die Beendigung einer staatlichen und gesetzlichen Diskriminierung. Der im vorliegenden Entwurf beschriebene Rahmen wird dazu führen, dass Flüchtlinge künftig in Wohnungen in Thüringen leben werden und nur im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des SGB XII oder im Fall einer einvernehmlich getroffenen Vereinbarung eine Wohnsitznahme in Form des gemeinschaftlichen oder sozial betreuten Wohnens erfolgt.

Die im vorliegenden Entwurf ebenfalls aufgenommene Regelung zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes wird gleichzeitig ermöglichen, dass Flüchtlinge nicht der entwürdigenden Praxis der Wertgutscheine unterzogen werden, sondern selbstbestimmt ihre Lebensmittel und Bekleidung kaufen können, etwas, das für alle hier im Raum eine Selbstverständlichkeit ist.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem weiteren Schritt, den Erlass einer Rechtsverordnung zur praktischen Aufhebung der sogenannten Residenzpflicht in Thüringen, kann und will ich Sie, die Mitglieder der Landesregierung, nur nachdrücklich auffordern. Vor dem Hintergrund der in der letzten Sitzung diskutierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum soziokulturellen Existenzminimum für alle Hilfebedürftigen erlaube ich mir eine letzte Bemerkung: Das Flüchtlingssozialrecht einschließlich des Unterbringungsrechts ist das ordnungspolitische Experimentierfeld für die Sozialgesetzgebung. Leistungskürzungen bei unterstellter fehlender Mitwirkung, Sachleistungen, Auflagen zur Wohnsitznahme und zur Anwesenheitspflicht, Regelungen, die für Flüchtlinge gesetzlich einst verankert wurden, haben zwischenzeitlich Einzug gehalten in die Hartz-IV-Gesetzgebung. Wer eine soziale Grundsicherung im Sinne des Bundesverfassungsgerichts sichern und schaffen will, darf nicht zulassen, dass einzelne Gruppen von Menschen aufgrund ihres

Rechtsstatus aus der Gruppe der Hilfsbedürftigen herausgelöst werden, sondern muss Sorge tragen, dass Menschen, die Hilfe brauchen, diese Hilfe gleichermaßen und ohne Unterschied erhalten. Dafür wollen wir mit unserem Gesetzentwurf sorgen. Danke.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Renner. Ich eröffne die Aussprache zum vorliegenden Gesetzentwurf und als Erste zu Wort gemeldet hat sich Frau Holbe von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, meine Damen und Herren, werte Gäste, wir haben das Dritte Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, ein Antrag der Fraktion DIE LINKE, vor uns liegen. Die Landesregierung setzt sich seit Jahren für eine gelingende Integration ein für alle, die hier leben wollen. Ich denke, dass die Dinge hier recht gut geregelt sind. Soweit der Gesetzentwurf einen Anspruch auf Einzelunterbringung ausländischer Flüchtlinge nach einem Aufenthalt von 12 Monaten vorsieht, widerspricht er den bundesgesetzlichen Vorgaben des Asylverfahrensgesetzes. Im dortigen § 53 Abs. 1 ist festgelegt, dass Asylbewerber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen sind. Dies gilt auch in den Thüringer Regelungen des Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetzes § 2 - Unterbringung -, wobei es heute sowohl den Landkreisen als auch den kreisfreien Städten, die hier als Leistungserbringer tätig sind, einen gewissen Ermessensspielraum einräumt, auch Einzelunterbringung zuzulassen, Einzelunterbringung vor allem in den Fällen, in denen Familien, Alleinstehende mit Kindern betroffen sind. Nach meiner Recherche ist es auch in Thüringen um die 40 Prozent der Fall, dass dies von den Landkreisen und kreisfreien Städten so genutzt wird. Sie sollten natürlich unserer Ansicht nach auch nicht vorgeschrieben werden. Ich denke, man sollte hier der bundesweiten Regelung zum einen nicht widersprechen und zum anderen macht es auch Sinn, immer wieder auf die finanziellen Aufwendungen hinzuweisen, die man nicht gänzlich aus dem Blick verlieren darf. Ich weiß, es ist unpopulär, aber es ist angesichts leerer Kassen in den verschiedenen politischen Ebenen, Bund, Land, Kommunen auch sinnvoll nachzudenken, ob man neue Standards definiert, weil diese letztendlich auch finanziert werden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es steht außer Zweifel, dass die in Thüringen lebenden aus

ländischen Flüchtlinge eine menschenwürdige Versorgung genießen. Die umfasst neben der Unterkunft auch die sonstigen zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendigen Leistungen einschließlich einer ausreichenden Krankenversicherung. In § 3 Abs. 2 ist geregelt, dass Grundleistungen zur Auszahlung kommen. In Thüringen ist es in Form von Wertgutscheinen. Da sind wir anderer Meinung als das, was Sie, Frau Renner, hier vorgetragen haben. Diese Wertgutscheine haben sich in den letzten Jahren der Anwendung dieser gesetzlichen Regelung bewährt, und sie sind ebenfalls bundesrechtlich vorgeschrieben und stehen an erster Stelle vor den Geldleistungen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Völliger Quatsch, lesen Sie es mal!)

Soweit das Fehlen von Mindeststandards bei Gemeinschaftsunterkünften gefordert ist, ist darauf zu verweisen, dass hier im Wege einer Verordnung das erfolgen soll. Sie haben Katzhütte angesprochen, auch der Fall ist uns nicht unbekannt. Hier hat man genauer hingeschaut, hat diese miserablen Zustände gesehen, die zwischenzeitlich auch behoben worden sind, es sind Verbesserungen am Haus gemacht worden

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Mit welchen oder welche denn?)

und auch in der Unterbringung der Familien in Wohnungen in Bad Blankenburg, in Rudolstadt.

Was die verfassungsrechtlichen Bedenken bei der Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angeht, so sollte, wie bereits im letzten Plenum debattiert, zunächst die Auswertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum SGB II erfolgen. Dazu haben wir schon im letzten Plenum diskutiert. Ich denke, wir sollten abwarten. Im Übrigen bleibt nochmals zu betonen, dass die Unterschiede zwischen der Leistungsgewährung für Bedürftige im Sinne des SGB II und für Asylbewerber schon unterschiedlich sind. Während Erstere notfalls für die Dauer vom Staat so zu erstellen sind, dass sie nach unserem Verständnis menschenwürdig leben können, ist es bei den Asylbewerbern für eine begrenzte Zeit, bis ihr Asylantrag entschieden ist. Und ich denke, eine Gleichstellung beider Gruppen ist insofern weder notwendig noch sinnvoll.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch mal auf unseren Koalitionsvertrag verweisen, wenn ich zitieren darf, hier sind Festlegungen getroffen, die wie folgt lauten: „Die Landesregierung sorgt für eine gelingende Integration aller, die dauerhaft hier leben wollen.“