Protokoll der Sitzung vom 18.07.2014

die gegebenenfalls übergegangenen Ansprüche notfalls auch vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen. Die praktische Umsetzung dieses gesetzlichen Instrumentariums ist jedoch sehr personalund verwaltungsaufwendig. Die Feststellung von Lohnwucher ist gerade dann schwierig, wenn eine Flächentarifbindung oder ein allgemein verbindlicher Mindestlohn in der jeweiligen Branche nicht gegeben ist. Die dann zu berücksichtigende ortsübliche Vergütung ist oftmals sehr schwer feststellbar. Bei einem im Grunde zulässigen Stundenlohn kann Lohnwucher außerdem dadurch entstehen, dass unbezahlte Überstunden geleistet werden. Das ist übrigens auch jetzt, wenn wir den Mindestlohn haben, die große Gefahr zum Beispiel im Gewerbe bei Briefzustellern oder auch bei Reinigungsfirmen, dass einfach Arbeitsaufträge innerhalb einer Stunde definiert werden, die so nicht durchgehalten werden können. Daher müssen wir gerade hier in diesen Branchen verstärkt prüfen. Ich glaube, das ist wichtig. Dennoch sage ich zum Schluss, sehr geehrter Herr Barth und Herr Kemmerich, es ist wichtig, einen flächendeckend gesetzlichen Mindestlohn jetzt endlich auch in Deutschland zu haben,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

mit 25 Jahren Verspätung endlich gleichen Mindestlohn in Ost und West. Ich bin stolz darauf, dass das Thüringer Wirtschaftsministerium, dass diese Regierung sich in Deutschland insgesamt, im Bundesrat immer dafür eingesetzt hat und wir jetzt endlich am Ziel sind - ein guter Anfang -, dass wir auf den Weg dahin kommen, damit die Menschen in Thüringen künftig endlich das bekommen, was sie verdienen. Da sind wir noch nicht ganz, aber wir sind auf einem guten Weg. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich frage nun: Wer wünscht die Beratung zum Sofortbericht zu Nummer I des Antrags? Ich gehe davon aus, das wünschen alle Fraktionen. Auf Verlangen aller Fraktionen eröffne ich die Beratung zum Sofortbericht zu Nummer I des Antrags und eröffne gleichzeitig die Aussprache zu Nummer II des Antrags. Auch hier gilt im Übrigen für die Redezeit der Hinweis, dass es zwar zu einer Verdoppelung der Redezeit kommt, wir aber im Ältestenrat eine gekürzte Redezeit vereinbart haben und damit die Beratung des Sofortberichts in der üblichen einfachen Redezeit erfolgt.

Als Erste hat jetzt Abgeordnete Ute Lukasch für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Staatssekretär Staschewski)

Sehr geehrte Präsidentin, werte Kollegen, vielen Dank für den Sofortbericht. Die Frage ist, in welcher Partei, es war eigentlich alles, was uns betrifft, alles, was Mindestlohn ist. Es ist richtig, der Mindestlohn ist eingeführt. Was mir wichtig wäre festzustellen, alles, was unter dem Mindestlohn ist, das wäre sittenwidrig. Wenn das in Zukunft festgestellt würde, wären wir ein ganzes Stückchen voran.

(Beifall DIE LINKE)

Zur Analyse würde ich nichts weiter hinzufügen, die Zahlen sprechen für sich, die kennt eigentlich jeder. Was ein bisschen fehlt - ich sage, ich war viel in den Agenturen für Arbeit und ich weiß, dass dort Überprüfungen stattgefunden haben, dennoch gab es bei kritischen Bemerkungen, sage ich, wenig Handlungen, die dann tatsächlich gefolgt sind. Wenn in Betrieben immer noch mehr Leiharbeiter für weniger Geld als tatsächlich Angestellte sind, und das in großen Produktionsbetrieben, halte ich auch das für sittenwidrig und gehört für mich genauso dazu wie der Lohn, der unter dem jetzt beschlossenen Mindestlohn liegen würde.

(Beifall DIE LINKE)

Klar ist auch, dass es in den Agenturen immer Personalmangel gibt. Hier zu handeln und noch mal nachzuziehen, wäre ein Auftrag für die Landesregierung, damit solche Vorfälle nicht vorkommen. Ich meine, Thüringen ist ein schönes Land, warum sind wir dann immer das Aushängeschild für solche Löhne?

(Beifall DIE LINKE)

Da kann man sicherlich nachziehen. Die sittenwidrigen Löhne haben nicht nur Auswirkungen auf die Personen selbst, dass die Arbeitskraft nicht genügend verdient, um dann einzukaufen, regional, das schadet der Wirtschaft, nicht nur den Leuten, sondern auch den kleinen Unternehmen und den kleineren Händlern vor Ort, auch unseren Bauern, die auch auf solche wirtschaftlichen Kreisläufe angewiesen sind. Sie schaden nicht nur dem Sozialsystem - das haben Sie noch einmal sehr schön gesagt -, sie schaden natürlich auch unseren Haushalten in den Kommunen. Es wird immer nur gesagt, es wird gekürzt, es wird gekürzt, aber Einnahmen haben wir ja auch aus der Einkommensteuer. Es muss doch gerade der Landesregierung daran gelegen sein, ordentliche Löhne zu zahlen, so dass die Kommunen ordentliche Einnahmen haben, um dann wieder für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu investieren.

Wenn man überlegt, dass fast 50 oder 60 Prozent der kommunalen Haushalte für Sozialleistungen ausgegeben werden, dann sehen wir, dass noch ein großer Handlungsbedarf besteht. Das sind nicht nur die Arbeitslosengeld-II-Empfänger, sondern,

das hatten Sie auch festgestellt, dass sich das dann auf die Altersarmut auswirkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir heute über den Mindestlohn oder über sittenwidrige Löhne reden, dann müssen wir auch sagen, welche Konsequenzen das sind. Also die Forderungen, mindestens mehr Kontrollen durch die Arbeitsagenturen, durch die Zollämter durchzuführen, das wäre eine Forderung der Linken, denn nur so können wir das eigentlich schaffen und beseitigen und immer wieder thematisieren. In den vielen Betrieben, wo ich die letzten Wochen unterwegs war, werden schon Mindestlöhne gezahlt. Trotzdem gibt es Branchen, die davon immer noch ausgenommen sind. Was ich mir für die Zukunft wünschen würde, das wäre, dass bei den Vergaben nicht nur bei den Hauptunternehmen Mindestlöhne gezahlt werden, sondern dass das auch für alle Nachauftragnehmer gilt. Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen herzlichen Dank, Frau Lukasch, für Ihren Redebeitrag. Als Nächste hat sich jetzt Abgeordnete Elke Holzapfel für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, erst kürzlich hatte ich darauf verwiesen, dass Politik nach einem Zitat von Kurt Schumacher immer „mit der Betrachtung der Wirklichkeit“ beginnt. Das gilt natürlich auch für diesen Tagesordnungspunkt, der bereits viermal geschoben wurde, vom Plenum März bis in den Juli. Da sage ich mir immer, so wichtig kann das gar nicht sein.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Hat sich die Wirklichkeit geändert?)

Ja, die Wirklichkeit hat sich verändert.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Die Welt hat sich gedreht.)

Ausgehend von einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22. April 2009, mit dem bereits vor fünf Jahren klar definiert wurde, was unter einem sittenwidrigen Lohn zu verstehen ist, haben Sie, die Fraktion DIE LINKE, am 7. November des vergangenen Jahres bei der Landesregierung nachgefragt, wie sie den Begriff „sittenwidriger Lohn“ definiert. Sie haben sicher nicht ernsthaft geglaubt, dass die Landesregierung etwas anderes antwortet als das Bundesarbeitsgericht. Weiterhin haben Sie die Landesregierung gefragt, welche Kenntnis sie darüber hat, ob in Thüringen sittenwidrige Löhne gezahlt werden und wenn ja, was sie dagegen unternimmt. Die Antwort vom 17. Dezember des ver

gangenen Jahres lautete - Frau Präsidentin, ich zitiere: „Der Landesregierung wurden bislang keine Einzelfälle von Lohnwucher vorgetragen. Verdienststrukturdaten, welche einen Schluss auf das Vorliegen sittenwidriger Löhne in bestimmten Branchen zulassen, sind nicht vorhanden.“

(Heiterkeit DIE LINKE)

Natürlich ist es gut zu hören, Herr Staatssekretär, dass in Gera Kontrollen durchgeführt wurden und man auf sittenwidrige Löhne gestoßen ist. Das sollte man natürlich weitertragen in andere BAs, Jobcenter oder wer auch dafür zuständig ist.

Die Kleine Anfrage im Dezember 2013 hat ergeben, dass in Thüringen keine Fälle bekannt sind, außer jetzt - die Welt hat sich verändert - in Gera,

(Heiterkeit DIE LINKE)

welche in einem Zusammenhang zwischen aufstockender Leistung nach dem Sozialgesetzbuch II und der Zahlung von sittenwidrigen Löhnen stehen. Das sind alles Dinge, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben, gefragt und beantwortet wurden.

Zur politischen Wirklichkeit gehört die Tatsache, sofern Sie das bitte wahrnehmen wollen, dass wir mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, über den wir sehr froh sind, zumindest 98 Prozent, der Öffnung des Arbeitnehmerentsendegesetzes für weitere Branchen und der Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Tarifvertragsgesetz sowie der Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eine Vielzahl von geeigneten gesetzlichen Maßnahmen getroffen haben, um auch für die Zukunft sittenwidrige Löhne zu verhindern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall CDU)

Frau Holzapfel, gestatten Sie zum Ende Ihrer Rede noch eine Anfrage der Abgeordneten Stange?

Nein. Vielen Dank für Ihren Beitrag. Als Nächste hat Abgeordnete Anja Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, von Marie Curie stammt der Satz: „Man merkt nie, was schon getan wurde; man sieht im

mer nur, was noch zu tun bleibt.“ Ich will an dieser Stelle unter der Überschrift „Was getan wurde“ herzlichen Dank an alle sagen, die sich hier in den vergangenen Jahren immer wieder mit arbeitsmarktpolitischen Anträgen eingebracht haben, weil gute Arbeit eines der wichtigsten Themen für die Menschen in Thüringen ist. Zum Zweiten herzlichen Dank an den Staatssekretär für den Sofortbericht.

Der Antrag der Linken gibt uns die Möglichkeit, über sittenwidrige Löhne in Thüringen zu reden. Wir haben ganz gut Informationen über die Situation in Thüringen bekommen. Ich will noch einmal einen Aspekt zusätzlich hineintragen, das ist die Perspektive in anderen Ländern. Wir wissen, dass Jobcenter in Brandenburg und auch in Mecklenburg-Vorpommern in der Vergangenheit Arbeitgeber wegen der Zahlung sittenwidriger Löhne erfolgreich verklagt haben. Es gab eine Untersuchung des Berliner Arbeitslosenzentrums im Rahmen des evangelischen Kirchenkreises dort, was am Ende ernüchternde Ergebnisse für die Berliner Situation bedeutet hat. Viele der Dinge, die in dieser Studie aufgedeckt werden, stehen im krassen Widerspruch zu dem Ziel, dass die Beschäftigung mit sittenwidrigen Löhnen unterbunden werden soll. Obwohl es also in Berlin eine gemeinsame Verabredung gegeben hat, übrigens auch zwischen Jobcentern und natürlich Berlin, der Stadt selbst, ist es immer wieder dazu gekommen und Kontrollen waren offenbar nicht effizient genug.

Ein Ergebnis dessen ist, dass dort die statistische Erfassung von ausbeuterischer Arbeit verfeinert, verbessert werden soll. Das ist ein Teil dessen, was man an Ergebnissen bislang erreicht hat. Aber das ist natürlich nicht ausreichend, weil das unmittelbar immer nur reaktiv ist und denjenigen, die nach wie vor von ihrer Hände Arbeit nicht leben können, noch nicht geholfen hat.

Meine große Hoffnung ist, dass wir mit der Einführung des gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns ab 1. Januar 2015 - und es freut mich, dass Frau Holzapfel dem zu 98 Prozent freudig gegenübersteht,

(Zwischenruf Abg. Holzapfel, CDU:... 100 Prozent.)

inzwischen sogar 100, Ihre Fraktion nur 98, ach so, da habe ich Sie falsch verstanden, Frau Holzapfel. Dann freut es mich umso mehr, dass Sie 100 Prozent hinter der Idee des allgemein verbindlich gesetzlich flächendeckenden Mindestlohnes stehen,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

so dass wir tatsächlich ab Anfang nächsten Jahres eine Verbesserung bekommen werden. Wir werden uns zum Antrag der Fraktion DIE LINKE enthalten, weil mindestens ein Punkt, den Sie hier vorschlagen, schlicht und ergreifend nicht durchführbar ist. Man kann nicht rückwirkend bis zum Jahr 2009

(Abg. Holzapfel)

sämtliche Punkte aufrollen und überprüfen. Das ist eine völlige Überforderung. Ich halte es für völlig illusorisch, das zu fordern. Ich finde es schade, dass Sie so eine Nebelkerze in Ihrem Antrag untergebracht haben. Das hätte nicht sein müssen, das hat den Antrag qualitativ nicht besser gemacht. Normalerweise hätte ich meiner Fraktion vorgeschlagen, das Ganze im Ausschuss weiterzudiskutieren, das ist aufgrund der Tatsache, dass die Legislatur endet, nicht möglich. Also unterm Strich noch einmal Danke an den Staatssekretär für den Bericht, so dass wir ein aktuelles Bild bekommen haben, aber meine Fraktion wird sich enthalten. Danke schön.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen herzlichen Dank, Frau Siegesmund. Als Nächster hat jetzt Abgeordneter Thomas Kemmerich für die FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staschewski, erst einmal vielen Dank für den Bericht, insbesondere für die nicht wertenden Teile, denn die reinen Fakten haben belegt, dass sittenwidrige Löhne in Thüringen wie auch in Deutschland kein systemisches Phänomen sind und sicherlich auch nicht an der Tagesordnung sind, sondern dass es insofern Fälle sind, die die schwarzen Schafe umfassen. Wir haben hier ausreichend Instrumentarien, denen entgegenzugehen. Insbesondere halte ich es für sehr wichtig, aufgrund der Arbeitssituation weiter für Transparenz in den Märkten zu sorgen, damit jeder weiß, was er wo verdienen kann, jede Person einschätzen kann, was ihre Arbeit tatsächlich am Markt wert ist, so dass keiner die Not hat, sich auf ein sittenwidriges Angebot einzulassen, denn die Not aus Arbeitsplatzmangel gibt es nicht mehr, es sind ausreichend offene Stellen in allen Märkten vorhanden.

(Beifall FDP)

Nun aber zu der eigentlichen Intention, was die Linksfraktion hier wieder einmal versucht zu unterstellen, dass das eben ein systemischer Ansatz in Thüringen wäre. Sie vermischen völlig beliebig Sittenwidrigkeit, Tariflöhne, Unterschreitung von Tariflöhnen und die Mindestlohnthematik. Das ist weder sauber noch irgendwie dienlich, wahrscheinlich Ihre Absicht, geht jedoch an Problemlösungen vorbei.