Protokoll der Sitzung vom 16.06.2011

(Beifall SPD)

Meine Fraktion hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir bei diesen unterschiedlichen Herangehensweisen zwei wesentliche Schwerpunkte setzen: Erstens die Gefahrenabwehr, zweitens die Handhabbarkeit vor Ort. Wir respektieren und nehmen zur Kenntnis, dass in der anderen Fraktion andere Schwerpunkte gesetzt worden sind, aber wir hoffen, dass wir uns durchsetzen. Im Endeffekt wird wohl kaum einer, der sich mit dem Thema beschäftigt hat, mit diesem Gesetz zufrieden sein, zunächst erst mal. Ich habe die Zuschriften derer gelesen wie viele andere auch -, die enttäuscht sind, wie lasch dieses Gesetz formuliert worden ist. Es gab ja auch in der Anhörung im Übrigen eine Anregung aus Bayern, doch noch mehr Hunde in die Rasseliste aufzunehmen. Und natürlich gibt es die, denen das Gesetz viel zu weit geht.

Ich will meine Bemerkungen mit einem Zitat aus der öffentlichen Anhörung schließen, und zwar möchte ich die Worte des Herrn Rusch vom Gemeinde- und Städtebund hier zum Abschluss noch mal zum Besten geben, ich zitiere: „Uns ist natürlich bewusst, dass es auch Kritik geben wird. Das wird die Anhörung auch zeigen. Aber wir wollen den Gesetzgeber ermuntern, zu sagen, beginnt mit einer Regelung, legt eine Regelung fest, und zwar in der Art und Weise, wie sie hier vorgeschlagen ist. Die wird dann immer wieder überprüft, und wenn sich dann in der Praxis herausstellen sollte, dass an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf ist, dann muss man auch den Mut haben nachzubes

sern. Wir glauben, dass wir in diese Richtung, die die Landesregierung vorgeschlagen hat, starten können mit dem Schutz der Menschen vor gefährlichen Tieren.“

(Beifall SPD)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung mit den entsprechenden Änderungen der Koalitionsfraktionen. Danke.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abgeordnete Berninger.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, am 21. Mai vergangenen Jahres ereignete sich in Oldisleben ein schlimmer Vorfall, bei dem ein 3-jähriges Mädchen von vier Hunden zu Tode gebissen wurde. Selbstverständlich berichteten die Medien von diesem tragischen Ereignis und die Reaktionen aus der Politik ließen auch nicht lange auf sich warten. Als Erste hatten die innenpolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen eine Scheinlösung parat, die solche Beißattacken in Zukunft verhindern sollte. Unisono forderten sie die Einführung einer Rasseliste der als gefährlich eingestuften Hunde.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nein, das stimmt nicht. Ich nicht!)

Der damalige Innenminister Prof. Dr. Peter Michael Huber reagierte zunächst besonnener. Eine sogenannte Rasseliste halte er nicht für notwendig. Die mit der Gefahren-Hundeverordnung geltenden Regeln seien so schlecht nicht, sagte Huber dem MDR. Nach wie vor sei es umstritten, ob sogenannte Rasselisten Sinn machten und ob sie die tödliche Hundeattacke hätten verhindern können. In seiner Medieninformation vom 24. Mai 2010 kündigte Innenminister Huber an, ich zitiere: „Wir werden die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft danach auswerten, welchen Beitrag staatliche Vorschriften dazu leisten können, solche schrecklichen Vorfälle zu verhindern. Wir wollen den Grundsatz, dass der Halter voll für seine Hunde verantwortlich ist, noch stärker zur Geltung bringen.“ Das hat eben sinngemäß auch Herr Gentzel gesagt. Herr Huber schrieb in der Medieninformation weiter: „Die Thüringer Gefahren-Hundeverordnung enthält keine Rasseliste.“ Er erklärt dann auch, warum nicht, nämlich: „Die Festlegung einer Rasseliste wurde als nicht weitgehend genug empfunden, da nach allen Statistiken des Bundes und der Länder nicht die typischerweise als Kampfhunderassen bezeichneten Hunde für die meisten Kör

perverletzungen sorgen, sondern Mischlingshunde und Schäferhunde.“

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Recht hat er gehabt!)

Und das Innenministerium weiter: „Dies geht auch aus der in Thüringen geführten Statistik hervor.“ Die Statistik war auch auf der Internetseite veröffentlicht. „Danach wurden im letzten Jahr“ - also in 2009 - „418 Hunde registriert, die an Zwischenfällen beteiligt waren. Darunter waren 65 Mischlinge oder Hunde, deren Rasse nicht bestimmt werden konnte. Danach folgen die Deutschen Schäferhunde bzw. deren Kreuzungen mit 40 bzw. mit 24 Exemplaren. Ebenso haben 24 Altdeutsche Schäferhunde zur Statistik beigetragen und Mischlinge dieser Rasse in 22 Fällen. Danach kommen die als friedlich geltenden Hunderassen wie Golden Retriever (16 Hunde) , Labrador Retriever (12 Hunde) und Labrador-Mischlinge (11 Hunde). Darüber hinaus waren 13 Rottweiler an den Vorkommnissen beteiligt. Unter den insgesamt 418 auffälligen Hunden im letzten Jahr“, so das Innenministerium im Mai 2010, „waren 185 Hunde, durch die Personen leicht, und 60 Hunde, durch die Personen schwer verletzt worden sind. Auch bei den schweren Verletzungen dominieren Schäferhunde (3), Schäferhund-Mischlinge (5) und Golden Retriever (5) die Statistik. In 6 Fällen wurden die schweren Verletzungen durch unbekannte Rassen bzw. Mischungen verursacht. Insgesamt wurden infolge der Beißattacken im letzten Jahr“, also in 2009, „acht Hunde eingeschläfert.“ Und Herr Huber schrieb weiter: „Die allgemein als Kampfhunde bezeichneten Rassen waren mit 30 Exemplaren an den insgesamt 418 registrierten Hunden beteiligt, 7,18 Prozent. Bei den leichten Verletzungen waren es 12 der insgesamt 185 Hunde“ - das sind 6,49 Prozent - „und bei den schweren Verletzungen vier der insgesamt 60 Hunde“ das sind 6,67 Prozent. Das widerlegt gleichzeitig auch das, was Herr Gentzel eben zum Beißverhalten der sogenannten Kampfhunde gesagt hat. Aber der Innenminister schrieb weiter, die Statistik zeige, dass eine abschließende Rasseliste nicht unbedingt zu mehr Sicherheit beiträgt, und er zitierte dann auch das Urteil aus dem Bundesverfassungsgericht von 2004, dass Rasselisten, auch wenn sie kein Verbot der Hundehaltung, sondern nur Auflagen bedingen, an der Realität gespiegelt werden müssen. Das heißt, die Gesetzgeber haben zu klären, ob die in den Listen aufgeführten Rassen tatsächlich diejenigen sind, die am meisten zu den Beißvorfällen beitragen - und sie sind es nicht, wie die Zahlen aus 2009 belegen. „Da dies in der Regel nicht so ist,“ so der Innenminister Huber weiter, „wurden in den letzten Jahren einzelne Rasselisten reduziert oder ganz gestrichen. In Berlin wurde so zum Beispiel der Staffordshire-Bullterrier“ - also die bei der tödlichen Attacke nach Annahme des Innenministers Huber in Oldisleben beteiligte Rasse

(Abg. Gentzel)

„aus der Rasseliste genommen. In Niedersachsen wurde die Rasseliste ganz gestrichen. Die Tierschutz-Hundeverordnung des Bundes, die ein Züchten von aggressiven Hunden verbieten wollte, enthält seit 2006 ebenfalls keine Liste mehr.“ Der Innenminister kommt dann zu dem Schluss: „Diese unsichere Rechts- und Sachlage hinsichtlich der Rasselisten hat auch in Thüringen dazu geführt, dass Ansätze zu einem Gefahrenhunde-Gesetz mit einer Rasseliste in der letzten Wahlperiode nicht zu Ende geführt wurden. Letztlich“ - so Herr Huber „können alle Vorschriften nicht greifen, wenn sie nicht kontrolliert werden können, weil der Halter, wie im Fall Oldisleben, die Hunde nicht angemeldet hat und die zuständige Behörde daher nichts von der Existenz dieser Hunde weiß.“ - am 24. Mai 2010.

(Beifall FDP)

Nicht einmal einen Monat später, meine Damen und Herren, und ganz entgegen der Ankündigung noch vor Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Fall Oldisleben, dann die plötzliche Wende. In der TA konnten wir die Überschrift lesen „Thüringen führt Rasseliste ein“. Die TA schrieb am 22. Juni: „Die Landesregierung macht ernst mit einem schrittweisen Verbot von Kampfhunden. Sie will die Tiere per Gesetz langfristig aus Thüringen verbannen.“ Das hatte die Landesregierung am 22. Juni in einer Medieninformation mit der Überschrift „Gefahren-Hundeverordnung wird Gesetz“ mitgeteilt. Leider aber wird die Gefahren-Hundeverordnung mit diesem Gesetzentwurf und auch nicht mit dem der SPD/CDU nicht zum Gesetz. Mit der nun geplanten Regelung werden mit den Stimmen der Regierungsfraktionen im Kern eine Rasseliste für sogenannte gefährliche Hunderassen und ein strengst möglicher Erlaubnisvorbehalt für die Haltung solcher Hunde beschlossen werden, die a) diese Hunde auf absehbare Zeit in Thüringen ausrotten werden und die b) Sicherheit nur vorgaukeln. Dabei wurden die von der Landesregierung vorgeschlagenen Regelungen im Gesetzentwurf von CDU und SPD sogar noch verschärft. Während die Landesregierung für die Erlaubnis der Haltung eines in der Rasseliste aufgeführten Hundes unter strengen Auflagen lediglich den Nachweis verlangte, dass der Bedarf zur Haltung eines solchen Hundes nicht durch einen Hund einer anderen Rasse befriedigt werden kann, werden CDU und SPD mit ihrer Mehrheit heute beschließen, dass darüber hinaus entweder ein wissenschaftlicher oder ein beruflicher Bedarf nachgewiesen werden muss. Mich würde wirklich interessieren, welche Ausnahmefälle Sie da definieren, also welche Menschen in Zukunft noch solche Hunde werden halten dürfen unter strengen Auflagen. Das hätte ich gern mal erklärt bekommen. Diesen strengst möglichen Erlaubnisvorbehalt, diese Rasseliste werden Sie beschließen, ohne jegliche statistisch belastbare oder wis

senschaftliche Analyse, ganz im Gegenteil, bewusst alle Statistiken ignorierend, bewusst alle gutachterlichen Stellungnahmen ignorierend, bewusst jede wissenschaftliche Untersuchung ignorierend und bewusst die im Anhörungsverfahren sowohl im Kabinett als auch im Ausschuss selbst erbetenen Stellungnahmen der Experten ignorierend.

Zunächst hatte es zwar so ausgesehen, als wären die sowohl schriftlich als auch mündlich vorgetragenen Stellungnahmen zumindest bei den Ausschussmitgliedern der CDU auf offene Ohren gestoßen, das hat Herr Bergner bereits erwähnt und auch ich möchte Herrn Fiedler zitieren, der bereits im Vorfeld der mündlichen Anhörung am 18.02. verlauten ließ, mit ihm werde es keine Rasseliste geben.

(Beifall DIE LINKE)

Auch ich will den Besuch bei der Hundeschule „Passion“ in Weimar erwähnen, wo ganz pressewirksam die Mitglieder des Innenarbeitskreises der CDU sich mit Herrn Kümmel, dem Trainer an dieser Hundeschule, getroffen hatten.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das war hervorragend.)

Herr Kümmel - das war sowohl in der TA als auch in der TLZ zu lesen, andere Zeitungen habe ich mir daraufhin nicht angesehen - hatte während dieses Arbeitsbesuches Ihnen, Herr Fiedler, Frau Holbe, Herr Kellner - ich weiß nicht, wer noch dabei war erklärt, dass nicht der Hund das Problem sei, sondern die Halterin oder der Halter,

(Beifall DIE LINKE)

und dass eine Rasseliste eben nicht die Hunde erfasse, die die Probleme verursachen. Herr Fiedler, eigentlich, so dachte ich, wurden Sie am 18. Februar während der mündlichen Anhörung in Ihrer Ansicht noch bestärkt, zumindest sind Sie dann tags darauf in der Bild-Zeitung zitiert worden mit dem Satz: „Wir sind gut beraten, noch einmal intensiv in die Diskussion mit dem Innenministerium zu treten, um die Ungereimtheiten zu beseitigen.“ Das aber war ganz offensichtlich nur eine leere Worthülse, wie so vieles im Rahmen der zurückliegenden Debatte zu diesem Gesetz wohl nur Worthülsen und Täuschungen gewesen sind, z.B. die Veröffentlichung des Gesetzentwurfs der Landesregierung auf der Homepage des Innenministeriums mit der ausdrücklichen Bitte an die Bürgerinnen und Bürger, sich durch Meinungsäußerungen am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Eigentlich eine sehr begrüßenswerte Sache, die Herr Huber da angestoßen hat. Das fanden auch mehr als 270 Menschen, die zum Teil mit mehreren Kommentaren ihren Sachverstand in die Debatte einbringen wollten. Insgesamt 295 Kommentare wurden auf dieser Homepage in diesem Blog veröffentlicht. Begrüßenswert, Herr Innenminister, ist diese Form der Beteili

gung allerdings nur dann, wenn sie auch ernst genommen wird,

(Beifall DIE LINKE)

wenn die Meinungen der Menschen auch gelesen und in der Debatte berücksichtigt werden, und dem war aber offensichtlich nicht so. Ich habe alle 295 Kommentare gelesen, habe zum Teil selbst welche geschrieben, habe auf Fragen und auch Vorwürfe gegenüber Politikerinnen und Politikern in diesem Blog geantwortet und ich habe gesehen, dass genau dreimal das Innenministerium sich dort zu Wort gemeldet hat. Durch Herrn Edelmann, den Pressesprecher, wurde sich dort geäußert einmal mit einem Dankeschön für die vielen Blogeinträge und mit der Versicherung, sie würden alle berücksichtigt, einmal mit einer aus meiner Sicht sehr einseitigen und verkürzten Darstellung - ähnlich wie das Herr Gentzel gerade gemacht hat - eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, was ich mir dann erlaubt habe zu ergänzen, und einmal mit der Ankündigung der Veröffentlichung der Antwort der Landesregierung auf meine Mündliche Anfrage zu diesem Blog, die dann leider vergessen wurde, und auch das habe ich nachgeholt. Also dreimal hat sich das Innenministerium geäußert und in welcher Art, das können Sie natürlich selbst bewerten. Aber ich finde es einfach infam, dass Leute zur Beteiligung aufgefordert werden und dann so offensichtlich ignoriert werden.

Allerhöchstens zehn der Kommentare im Blog waren übrigens dem Gesetzentwurf der Landesregierung zustimmende Meinungsäußerungen, alle anderen spiegelten genau das wider, was auch die Anhörungsverfahren im Ausschuss an Expertenmeinungen verdeutlicht haben, nämlich die Ablehnung der Einstufung von Hunden als gefährlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, die Verantwortung der Halterinnen und Halter eines Hundes und die Bedeutung der Erziehung für das Wesen der Hunde. Leider aber, wie schon gesagt, blieben diese Meinungsäußerungen unbeachtet. Inzwischen wurde der Blog im April offensichtlich sogar geschlossen, ohne dass das allerdings auf der Internetseite irgendwie erwähnt worden wäre.

Augenscheinlich war - und das wird ersichtlich an der Ihnen heute vorliegenden Beschlussempfehlung - auch die Durchführung der Anhörungen leider nur eine Täuschung, denn von einem demokratischen Einbeziehen der eigens vom Ausschuss erbetenen Stellungnahmen, der eigens erbetenen Expertenmeinungen von Sachverständigen und Interessenvertretern kann im Gesetzgebungsverfahren und das wird an diesem jetzt zur Beschlussempfehlung erhobenen Antrag von CDU und SPD deutlich - nicht die Rede sein. Im ersten Anhörungsverfahren nämlich äußerten sich lediglich vier von 24 Angehörten zustimmend zum Gesetzentwurf der Lan

desregierung, darunter zwei Landesregierungen, nämlich Bayern und Baden-Württemberg, die selbst eine Rasseliste in ihren Gesetzen haben, als Drittes die Deutsche Kinderhilfe und viertens der Gemeinde- und Städtebund Thüringen. Keiner dieser vier zustimmenden Angehörten aber begründete die Zustimmung zur Rasseliste anhand belastbarer wissenschaftlicher Stellungnahmen. Der Vertreter des bayerischen Innenministeriums hatte zwar in seiner schriftlichen Stellungnahme auf Quellen hingewiesen, und zwar geschrieben - ich zitiere: „Über die Listung bestimmter Hunderassen wird auf der Grundlage der fachlichen Stellungnahmen von Zoologen, Kynologen und anderen Hundesachverständigen, Äußerungen in der wissenschaftlichen Literatur sowie sonstiger Veröffentlichungen und Erfahrungswerte entschieden.“ Das hat der Abgeordnete Gentzel in der mündlichen Anhörung aufgegriffen und den Herrn - jetzt habe ich seinen Namen vergessen -, den Vertreter des Innenministeriums Bayern nach diesen Quellen gefragt. Die konnte der Vertreter des Innenministeriums mündlich ad hoc nicht nennen. Deswegen hat Herr Gentzel gefragt, ob diese Quellenangaben denn nicht nachgeliefert werden könnten. Dies wurde von Herrn Hauser jetzt fällt es mir wieder ein - zugesagt. Diese Zusage wurde jedoch leider nicht erfüllt, auch nicht, als wir dann die Landtagsverwaltung gebeten hatten, doch noch mal nachzufragen. Dass diese Zusage nicht erfüllt wurde, wundert mich nicht. Es gibt nämlich keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sagen zu Rasselisten etwas anderes

(Beifall FDP)

als das, was diese Vertreter aus Bayern oder Baden-Württemberg sagen. Rasselisten sind eben nicht wissenschaftlich begründbar.

Meine Damen und Herren, auch der Gemeindeund Städtebund hat seine Zustimmung zur Rasseliste nicht inhaltlich begründet. Hier darf ich Herrn Kunze zitieren, der in Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2004 sagte, Zitat: „Es ist völlig richtig, wenn Sie sagen, es ist dort nicht positiv oder negativ die Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen festgestellt worden. Das wollte ich natürlich so und wollen wir natürlich mit unserer Stellungnahme auch nicht so verstanden wissen. Es geht den Kommunen, den kommunalen Ordnungsbehörden überhaupt nicht darum, irgendeine Rasse zu verteufeln oder zu sagen, das geht gar nicht mehr, da liegt für die kommunalen Ordnungsbehörden kein Herzblut drin. Ich denke, wir haben vorhin schon darauf verwiesen, dass es für die Ordnungsbehörden“ - und jetzt hören Sie gut zu - „einzig und allein darum geht, einen nachvollziehbaren, am besten äußerlich erkennbaren Ansatzpunkt für weitere Nachprüfungen zum Anlass zu nehmen.“ Das, meine Damen und Herren, ist aber ausdrücklich nicht Zweck des Gesetzes. Es geht

sowohl bei der Landesregierung als auch in § 1 des jetzt in der Beschlussempfehlung vorliegenden Antrags darum, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen und abzuwehren, die mit dem Halten und Führen von gefährlichen Tieren verbunden sind. Unter Gesetzeszweck steht nicht „Erleichterung des Verwaltungshandelns“, meine Damen und Herren.

In der letzten Ausschuss-Sitzung hat der zuständige Mitarbeiter des Innenministeriums dann versucht, eine Quelle zu benennen. Er hat sich nämlich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2004 bezogen, in dem unter anderem geurteilt worden war, dass das Einfuhr- und Verbringungsverbot in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Hundeverbringungsund Einfuhrbeschränkungsgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit es sich auf Hunde der darin genannten Rassen bezieht. Als wissenschaftlichen Beleg hat der Vertreter des Innenministeriums Randziffer 75 dieses Urteils angeführt, in der nämlich unter den vom Bundesverfassungsgericht benannten Gründen mehrere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zitiert sind. Ich will die ersten Sätze einfach einmal vorlesen: „Auch wenn die Fachwissenschaft“ - sagt das Bundesverfassungsgericht - „offenbar darin übereinstimmt, dass das aggressive Verhalten eines Hundes und seine darauf beruhende Gefährlichkeit nicht allein genetisch bedingt sind, schließt sie doch auch nicht generell aus, dass die Gefährlichkeit genetische Ursachen haben kann. Nach den Ausführungen von Frau Dr. Eichelberg in der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei der Gefährlichkeit eines Hundes zwar nicht um ein Rassemerkmal. Doch ist es andererseits nach der Einschätzung dieser Wissenschaftlerin unbestritten, dass Hundegruppen wie Pitbull-Terrier, American StaffordshireTerrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier im Hinblick auf angeborene Verhaltensbereitschaften ein Potenzial zur Erzeugung gefährlicher Hunde darstellen.“ Dann ist auch noch Frau Dr. Feddersen-Petersen zitiert, die - so das Verfassungsgericht - davon spricht, ich zitiere: „Das Verhalten, auch das Aggressionsverhalten, eines Hundes sei stets das Ergebnis einer differenzierten Wechselwirkung zwischen Erbanlagen und Umweltreizen.“ Und Frau Feddersen-Petersen rechnet die sogenannten Kampfhunderassen - auch vor dem Hintergrund der Geschichte ihrer Zucht - zu den Hunderassen, deren Aggressionsverhalten nicht ohne Problematik sei. Zunächst halte ich es für ziemlich fragwürdig, diese Quelle als wissenschaftlichen Beleg zur Begründung einer Rasseliste anzuführen. Wenn Sie genau zugehört haben, ist hier von Potenzialen die Rede gewesen, von der Wechselwirkung zwischen dem Hund und der Erziehung etc. Das ist schon fragwürdig. Ich habe aber von Frau Dr. Eichelberg, die in dem Verfassungsgerichtsurteil zitiert ist, eine weitere Stellungnahme gefunden, und zwar hat sie im April 2002 zum Entwurf des

Hundesgesetzes in Nordrhein-Westfalen eine Stellungnahme abgegeben. Da möchte ich einfach nur einen Satz zitieren. Sie hat nämlich geschrieben: „Das Gesamtkonzept, das diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt, halte ich für so grundlegend falsch, dass ich es bei dieser Aussage belassen möchte. Es macht wenig Sinn, den verzweifelten Versuch zu unternehmen, hier und da ein wenig nachbessern zu wollen, wenn die Grundaussage nicht stimmt, dass sich nämlich die Gefährlichkeit eines Hundes aus seiner Rassezugehörigkeit bzw. aus seinem Körpergewicht oder seiner Widerristhöhe ergibt.“, Ende des Zitats von Frau Dr. Eichelberg. Die ebenfalls in dieser Randziffer zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitierte Frau Dr. Feddersen-Petersen war eine der Anzuhörenden für das Zoologische Institut der Universität Kiel in unserem schriftlichen Anhörungsverfahren. Sie hat in ihrer Stellungnahme geschrieben, die Rasseliste benenne gefährliche Rassen, die es nicht gibt, die Auswahl sei willkürlich getroffen und Kreuzungen seien kaum nachweisbar. Sie hat wörtlich geschrieben: „Hunde müssen als soziale Wesen systemisch begriffen und beurteilt werden, wenn man sich ernsthaft mit der Prophylaxe von Gefährdungen auseinandersetzt.“

Im zweiten Anhörungsverfahren des Ausschusses, nämlich zum Änderungsantrag CDU/SPD, waren alle während der ersten Anhörung um Stellungnahme gebetenen Sachverständigen erneut um ihre Meinung gebeten worden, leider nur zu dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen. Insgesamt 22 Zuschriften haben dabei den Ausschuss erreicht, davon waren 20 wirklich inhaltliche Stellungnahmen. Von diesen 20 befürworten lediglich zwei den Gesetzentwurf mit Rasseliste, der Gemeindeund Städtebund erneuerte seine Kritik, das habe ich in der Berichterstattung auch schon gesagt, dass es keine Kostenfolgeabschätzung gegeben habe. Der Gemeinde- und Städtebund hat zudem erhebliche Zweifel geäußert, ich zitiere: „ob das den Ordnungsbehörden bisher zur Verfügung stehende Verhandlungsinstrumentarium als ausreichend angesehen werden kann, eine angemessene Umsetzung der Ge- und Verbote sicherzustellen.“ Mehrere Anzuhörende machten ganz zu Recht, wie ich meine, in den Stellungnahmen ihren Unmut darüber deutlich, dass ihre Expertenmeinung offensichtlich unberücksichtigt blieb. 18 von 20 lehnen die Rasseliste entweder mit Verweis auf alle wissenschaftlichen und statistischen Erkenntnisse vollständig ab oder fordern wenigstens, wie zum Beispiel Frau Eisenreich vom Gnadenhof für Tiere e.V. in Gera, dass, wenn schon diese unsinnige Rasseliste kommt, mindestens zu § 3 Abs. 2 Nr. 1 eingefügt wird, dass es sich um eine Vermutung der Gefährlichkeit handelt, die widerlegt werden kann, wie das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Gesetzentwurf vorschlägt. Der Schutz- und Gebrauchshundesportverband e.V., welcher die Vorschläge der

Fraktionen der FDP und DIE LINKE, die Gesetzentwürfe ohne Rasseliste, ausdrücklich begrüßt, schreibt: „Die Herausnahme dieser Rassen wird dazu führen, dass Personen, die diese Rassen als Statussymbol und Kampfmittel einsetzen, auf andere Rassen und Kreuzungen überspringen werden.“ Auch der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband Thüringen e.V., lehnt die Rasseliste ab. Er lehnt auch noch einiges andere in diesen Gesetzentwürfen ab. In seiner Stellungnahme wird unter anderem auch die Formulierung zur Zuverlässigkeit in § 6 sehr scharf kritisiert. Der Kinderschutzbund schreibt: „Die Eigenschaft unzuverlässig ist nicht gleichbedeutend mit Obdachlosigkeit oder Suchtabhängigkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So wird sie jedoch an dieser Stelle verwandt, auch wenn die Einschränkung „in der Regel“ verdeutlicht, dass dies eine Kannbestimmung ist und das letzte Urteil bei den entscheidenden Personen in der Behörde liegt. Diese Personenkreise werden als soziale Kohorte in der Aufzählung der Gesetzesvorlage gleichgestellt mit Straftätern und Straftäterinnen und kranken Personen.“ Zitatende. Der Deutsche Kinderschutzbund fordert stattdessen von solchen Personen, Suchtkranken oder Wohnungslosen wie bei anderen Personen auch, einen Sachkundenachweis zu verlangen und anhand dessen zu entscheiden, ob derjenige oder diejenige einen gefährlichen Hund oder ein gefährliches Tier halten darf.

Meine Damen und Herren, ich will selbstverständlich auch erwähnen, dass einzelne Regelungen im Änderungsantrag von CDU/SPD Zustimmung finden, beispielsweise die Herausnahme der großen Hunde aus § 3. Große Hunde mit einer Widerristhöhe von mehr als 40 cm und mehr als 20 kg Körpergewicht sind jetzt nicht mehr als gefährlich per se deklariert. Zustimmung finden auch die in § 4 geregelte Kennzeichnungspflicht und die Haftpflichtversicherung für alle Hunde. Ich möchte zum Schluss noch erwähnen, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen über die Definition und die Erlaubnis zur Haltung gefährlicher Tiere gibt.

Meine Damen und Herren, ich halte es aber für müßig, Ihnen noch länger Details aufzuzählen. Ich hatte auch überlegt, ob ich erneut eine Ausschussüberweisung beantrage, weil man ja vielleicht in den Regierungsfraktionen anhand der Debatte hier noch mal zum Nachdenken hätte kommen können. Ich halte es aber für müßig. Bereits in den Ausschussberatungen, die durchgeführt wurden, war aufseiten der Regierungsfraktionen wenig Interesse erkennbar, den vorgetragenen Argumenten und auch den Fragen der Opposition fachlich zu begegnen. CDU und SPD hatten es nicht einmal für nötig gehalten, ihren Änderungsantrag im Ausschuss inhaltlich vorzustellen und zu begründen. Er wurde

als Tischvorlage eingebracht, ohne uns ausreichend Gelegenheit zu geben, ihn zunächst einmal ausführlich zu lesen und in unseren Fraktionen zu beraten. Ich kann, meine Damen und Herren, abschließend nur konstatieren, dass - erstens - weder die Landesregierung bei ihrem Gesetzentwurf - wie angekündigt - die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft nach dem tödlichen Beißvorfall in Oldisleben ausgewertet hat. Dann nämlich, Herr Innenminister, hätten Sie mit Ihrem Entwurf warten müssen, bis diese Ermittlungen tatsächlich abgeschlossen waren, und wären dann wie Oberstaatsanwalt Gert Störmer zu dem Schluss gekommen - da will ich Ihnen aus der TA vom 01.04. zitieren -, „dass die Angeklagte bei ordnungsgemäßer Haltung und Sozialisierung der Hunde unter Einschätzung der Gefährlichkeit die Folgen hätte voraussehen und vermeiden können.“ In der Gerichtsverhandlung hatte die von mir schon erwähnte international anerkannte Gutachterin Dr. Feddersen-Petersen die vier Hunde zwar als tickende Zeitbombe bezeichnet, allerdings nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, sondern wegen mangelnder Sozialisation, mangelhafter Haltung und fehlender Sachkunde der Halterin. Frau Dr. Feddersen-Petersen hatte festgestellt hier zitiere ich aus den Stellungnahmen sowohl der Gesellschaft der Bullterrier-Freunde e.V. als auch des Diplomtierpsychologen Stengler -, „dass die beißenden Hunde Mischlinge waren, deren Abstammung nicht eindeutig geklärt werden kann. In keinem Fall waren es aber Staffordshire Bullterrier. Dieser Rassename“ - so Herr Stengler und die Gesellschaft der Bullterrier-Freunde e.V. - „kam nur durch die Unfähigkeit eines Amtsveterinärs in die Presse und hält sich bis heute. Auch beim Fall Niederorschel war der beißende Hund ein Mischling.“

Ich kann zum Schluss feststellen, dass - zweitens auch Herr Fiedler seine Ankündigung, mit ihm werde es keine Rasseliste geben und man sei nun gut beraten, noch einmal intensiv in die Diskussion mit dem Innenministerium zu treten, um die Ungereimtheiten zu beseitigen, nicht wahrgemacht hat.

Drittens kann ich zum Umgang mit den Stellungnahmen im Ausschuss aus meiner ganz persönlichen Sicht nur abschließend sagen, dass ich es bisher hier im Landtag noch nicht erlebt habe, wie wenig Respekt der Fachkompetenz und den Stellungnahmen der Anzuhörenden entgegengebracht wurde. Das finde ich infam. Dass die CDU in dieser Sache umgefallen ist und ohne Not, meine Damen und Herren, umgefallen ist - schließlich handelt es sich in diesem Fall nicht um eine parlamentarische Initiative, an die Sie, sehr geehrte Damen und Herren Fiedler, Kellner, Holbe, und ganz besonders erwähnen möchte ich Herrn Wetzel, der immer gesagt hat, er sei gegen eine solche Rasseliste; es handelt sich nicht um etwas, wo Sie durch eine Ver

einbarung wie im Koalitionsvertrag gebunden sind -, bedaure ich außerordentlich.

(Beifall DIE LINKE)

Ich kann hier nur meine Vermutung wiedergeben, dass zulasten der Hunde und ihrer Halterinnen und Halter irgendetwas gedealt wurde und die SPD dafür im Umkehrschluss keine Schwierigkeiten in irgendeinem anderen Gesetzgebungsverfahren (viel- leicht die Thüringer Polizei betreffend?) machen wird. Eine meiner Fraktionskolleginnen hat gestern gesagt, hier wurde ein Kuhhandel mit der Hunderasseliste geschlossen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ein Hundehandel - kein Kuhhandel.)