Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Damit schließe ich den ersten Teil der Aktuellen Stunde, rufe jetzt auf den zweiten Teil
a) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Für Thüringens Zukunft unsere Dörfer nicht sterben lassen!“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/4463
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste auf der Zuschauertribüne, wir, die FDP-Fraktion, stehen für den Erhalt und die Zukunftsfähigkeit der kleinstrukturierten Dörfer mit ihren Dorfgemeinschaften und der wertvollen Bausubstanz.
Anstoß hierzu war die im Auftrag und in der Mitwirkung der Stiftung Schloss Ettersburg durchgeführte Studie „Die Zukunft der Dörfer“ - ein vielversprechender Titel. Interessant wäre zu wissen, wie die Serviceagentur Demografischer Wandel - genannt SADW - direkt darüber denkt und handelt.
Liest man die Studie, dann stellt sich jeder Leser die Frage: Gibt es eine Zukunft für Thüringens Dörfer?
Diese Frage soll so gar nicht im Raum stehen bleiben, sondern es muss heißen: Wie und mit welchen Mitteln können wir erreichen, dass unsere Dörfer eine Zukunft haben?
Die Studie ist eine Bestandsaufnahme und zeigt erneut, welche Auswirkungen die Überalterung, der Geburtenrückgang und die verstärkte Landflucht gerade in kleinen Dörfern mit weniger als 500 Einwohnern in Thüringen hatten und weiter haben werden. Eines besagt die Studie, sehr geehrte Damen und Herren: Es ist kurz vor zwölf. Ich habe mich sehr gefreut, als die Kollegin Tasch nach den ersten Veröffentlichungen als eine der Wenigen oder als Einzige hier ähnlich reagiert hat wie ich. Mir fehlt bis heute eine Positionierung der Landesregierung zu dieser Studie, mir fehlt eine Positionierung zu den Vorschlägen der Studie.
Erstens: Für die Orte - ich hoffe, es sind wenige -, in denen nur noch einige ältere Bewohner zurückbleiben, sollten rechtzeitig Programme entwickelt werden, die umzugswillige Menschen finanziell dabei unterstützen, ihren Wohnsitz in Stadtnähe oder infrastrukturell besser versorgte Orte zu verlegen. Der Vorschlag eines Förderprogramms für den Wegzug der noch verbleibenden Älteren und den Rückbau der dörflichen Bausubstanz ist keine ernst zu nehmende Lösung.
Eine solche technokratische Betrachtung des ländlichen Raums ist einfach unakzeptabel. Das klingt wie Schlussverkauf für unsere Dörfer.
Zweitens: Für Planungsentscheidungen, die über den Rahmen der Gemeinden hinausgehen, sollten Regionalkontingente eingerichtet werden. Ich erinnere an unseren Antrag aus dem Juli-Plenum 2011, wo im Fokus die Bündelung der Fördermöglichkeiten im ländlichen Raum nach 2013 stand. Wird die Infrastruktur gewollt so heruntergefahren, dass die Dörfer nicht mehr überleben können, dann ziehen wirklich die meisten Menschen in die Städte. Bei einer solchen Herangehensweise bleibt der Mensch auf der Strecke; mir fehlen hier die Lösungsvorschläge der Landesregierung.
Eine angeordnete Verdrängung, Umzugsdörfer oder eine Entheimatung wird nicht funktionieren. Wer legt die Kriterien fest, welches Dorf weiter bestehen darf, welches gefördert wird oder wohin die Menschen ziehen sollen? Ich setze auf innovative, regionenbezogene Ideen, interkommunale Zusammenschlüsse und bürgerliches Engagement sowie eine verkehrstechnisch gut ausgebaute Anbindung an die Grund-, Mittel- und Oberzentren. Beim Entwurf des Landesentwicklungsprogramms sollen Wegezeiten im öffentlichen Verkehr bei der Erreichbarkeit der zentralen Orte unbedingt überprüft und verkürzt werden, denn die Nähe und Erreichbarkeit zu den Städten ist in der Regionalentwicklung ein Erfolgskriterium.
Umweltfreundliche Standards, zum Beispiel für Wasser, Abwasser und Infrastruktur, sollten auf ihre Notwendigkeit überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Hier sehe ich auch ein großes Einsparungspotenzial für die Bürger. Aktive Bevölkerungspolitik durch günstige Sanierungsangebote für leer stehende Häuser in den Dorfzentren, Erhalt der Schulstandorte und die Förderung der Kindertageseinrichtungen, so haben wir ein vitales Gemeindeleben in allen Orten.
Interkommunale Zusammenarbeit ist ein wichtiger Punkt beim Zusammenleben in den Kommunen. Ein gutes Beispiel dafür ist Thüringen - nicht unser
Thüringen, sondern Thüringen in Österreich. Hier weilten wir vor wenigen Wochen und konnten uns überzeugen, dass hier die interkommunale Zusammenarbeit wunderbar klappt. Hier möchte ich nur zwei, drei Beispiele nennen. Hier wird ein großes Pflegeheim gebaut - ganz neu, ganz ordentlich und es funktioniert alles. Das sind sieben Gemeinden, die sich zusammengetan haben und dazu gehört der Ort Thüringen. Die betreiben das gemeinsam mit Kosten. Es sind aus allen Orten auch Arbeitsplätze dort vorhanden. Das ist so ein Beispiel, wie es gehen könnte. Ich will weitergehen: Die kleinen Tante-Emma-Läden, die am Berg liegen, viel schlimmer als bei uns, wo es am flachen Land ist, ganz hoch bis 3.000 m, diese bekommen Unterstützung, damit sie dort weiter leben können.
Die Haushaltsplanungen für das Jahr 2013 sind in Vorbereitung. Die Aktuelle Stunde soll eine Aufforderung an die Landesregierung sein, den ländlichen Raum nicht stiefmütterlich zu behandeln. Ich möchte an die Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 26.08.2011 erinnern, in welcher mitgeteilt wurde, dass die Landesmittel an die Gemeinden zur Anpassung an die schwierigen Prozesse im ländlichen Raum um 6,6 Mio. € …
Einen Satz noch. Danke, Frau Präsidentin. Es gibt neben der gemeindlichen Alternativlosigkeit, die nur den Untergang für die ländlichen Räume sieht, genügend Dörfer mit zukunftsfähigen Projekten. Diese gilt es vorrangig zu unterstützen. Danke.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, „Für Thüringens Zukunft - unsere Dörfer nicht sterben lassen!“, das ist das Thema der heutigen Aktuellen Stunde, das sich ja bereits in der Vergangenheit medialer Aufmerksamkeit erfreute. Anlässlich sinkender EU-Mittel und zurückgehender Einwohnerzahlen kann dieses Thema nicht oft genug auf der Tagesordnung stehen. Auch befördert die bereits im November 2011 erschienene Studie mit dem Namen „Die Zukunft der Dörfer“ die politische Diskussion. Den darin geschilderten Lösungsvorschlägen stehen wir als CDU-Fraktion jedoch sehr kritisch gegenüber. Die Ursachen, warum einige Dörfer zukünftig vor großen Herausforderungen
stehen, sind uns bekannt. Wir als CDU-Fraktion sind der Auffassung, dass die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit eines Dorfs mit einer angemessenen Wirtschafts- und Verkehrsinfrastruktur und Anbindung an den ÖPNV steht oder fällt, dass es für eine solide Zukunft aller Dörfer im Freistaat Thüringen weder einen Königsweg noch ein Patentrezept gibt. Sowohl die wirtschaftliche als auch die verkehrliche Infrastruktur haben sich in den vergangenen 20 Jahren in Thüringen sehr gut entwickelt, dennoch konnten nicht alle Thüringer Teilräume davon profitieren. Viele Thüringer Kommunen weisen beständig ein negatives Wanderungssaldo auf, insbesondere bei der Bevölkerungsgruppe der hauptsächlich jungen und damit flexiblen Menschen. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, wo diese Entwicklung hingehen wird. Um den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen, wurden in der Vergangenheit verschiedene Szenarien diskutiert. Um eines gleich vorwegzunehmen: Die CDU-Fraktion lehnt eine Zwangsumsiedlung, wie sie aus Teilen der Wissenschaft als mögliches Zukunftsszenario befürwortet wird, entschieden ab.
Auch ein Schleifen von Dörfern wird es mit uns nicht geben. Des Rätsels Lösung ist unserer Auffassung nach auch keine Gemeinde- und Kreisgebietsreform. Am Beispiel meiner Heimatgemeinde möchte ich diesen strittigen Punkt kurz schildern. Ob das Dorf, welches in seiner Existenz bedroht ist, Küllstedt heißt und zur Verwaltungsgemeinschaft Westerwald-Obereichsfeld oder zur VG Dingelstädt oder zur VG Westerwald-Obereichsfeld-Dingelstädt gehört, ist völlig nebensächlich. Die Problematik, die wir hier diskutieren, ist viel kleinteiliger, für die der Blick gerade von innen heraus kommen muss, nämlich in erster Linie auch vom Bürgermeister und vom Gemeinderat, denn sie kennen die Sorgen und Nöte, aber auch die Bedürfnisse und die Entwicklungschancen ihres Ortes ganz genau. Für uns stellt sich die Frage als Landespolitiker, wie wir den Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge im ländlichen Raum auch zukünftig gerecht werden können und dieser Frage vor dem Hintergrund auslaufender Mittel aus dem Solidarpakt, insbesondere auch dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Wir wissen alle, dass die Mittel weniger werden. Deshalb setzen wir uns auch ein, eine Schwerpunktregion zu definieren, welche auch nach 2013 noch die Förderung aus dem Fonds für regionale Entwicklung bekommt. Auf Landesebene unterstützt die CDU-Fraktion die Neuausrichtung der Dorferneuerung. Ausgehend von einem eher statischen Ansatz muss eine regional abgestimmte Dorfentwicklung in der neuen Förderrichtlinie zutage kommen. Diesen Weg schließen wir alsbald mit der Vorlage der Details der neuen Förderstrategie ab. Ein wesentlicher Bestandteil der neuen Förderrichtlinie wird sein, alle öffentlichen Investitionen im
ländlichen Raum auf ihre Nachhaltigkeit mit einem Demographiecheck zu prüfen. Besonders förderwürdig sollen Vorhaben sein in den Bereichen, in denen die Gemeinden in einer Region kooperieren. Aber auch die Bedürfnisse der jungen Familien müssen wir im Blick haben, wenn wir der Überalterung unserer Dörfer entgegenwirken wollen.
Es gibt schon gute Beispiele, wie kleine Dorfläden viele Angebote vorhalten können - das „Lädchen für alles“ in Schönstedt, wer das näher wissen will, das kann man jetzt in den paar Minuten alles nicht hier mitteilen. Auch ist die Vereinsförderung und die Innenentwicklung der Dörfer eine wichtige Aufgabe. Da frage ich mich schon, ob dieser nachhaltige Ansatz auch bei der Sanierung eines Stadions, dessen Verein in die 4. Liga abgestiegen ist, der richtige Ansatz ist, denn mit diesen 25 Mio. €
könnten viele kleine Sportvereine auf dem Land gefördert werden und jeder, der auf dem Dorf wohnt, weiß, eine gute Vereinsstruktur erhöht die Attraktivität der Gemeinde ganz erheblich. Auch gehören die Standards der Wasserver-/Abwasserentsorgung auf den Prüfstand. Wir können die Bürger im ländlichen Raum nicht über Gebühr belasten.
Einen Satz noch zum LEP 2025, der ja derzeit überarbeitet wird: Wir wollen bei der Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Systems genau darauf achten, dass die Grundzentren gestärkt werden und deutlich mehr Grundzentren, als bisher im Entwurf vorgesehen sind, erhalten werden. Für Thüringen heißt die Richtung also Stärkung des ländlichen Raums und nicht Rückbau von ganzen Orten. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst teile ich die Gefühlswelt meines Kollegen Untermann. Auch ich war aufgebracht und entsetzt, als ich diesen unsäglichen Artikel in der TLZ lesen musste, weil zum einen eine ganze Reihe von Menschen, die hier in Thüringen leben, ein Stück weit stigmatisiert werden - zu den Kriterien sage ich dann noch etwas - und zum Zweiten, weil natürlich solche Studien auch nicht im luftleeren Raum entstehen. Es gibt einen Auftraggeber, es gibt jemanden, der diese Studien dann zum Anlass nimmt, um politische Handlungsoptionen abzuleiten. Insofern
muss man das schon ernst nehmen. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass wir darüber reden und dass die Aufforderung an die Landesregierung, sich hier zu positionieren, auch unbedingt geteilt wird von meiner Fraktion.
Meine Damen und Herren, 5 Minuten reichen natürlich jetzt überhaupt nicht aus, um in die Tiefe der Studie hineinzugehen, aber nur um mal ein paar Zahlen zu nennen: Wenn Herr Kröhnert dort zitiert, dass es im Landkreis Greiz 200 Dörfer gibt, die unter 500 Einwohner haben und von denen die Hälfte wohl keine Schule, keine Ärzte, keine Kita usw. hat - vielleicht ist es verkehrt, wenn jemand, der in Berlin wohnt, aufs Land fährt und solche Studien macht. Ich bin in so einer Gegend aufgewachsen, wo weit über die Hälfte der Dörfer unter 500 Einwohner hat und wo es keinen Arzt und keine Schulen und keinen Kindergarten in dem Ort gab und wo das trotzdem funktioniert hat mit der Bildung und mit der Betreuung und mit den Ärzten. Insofern kann das doch nicht der Maßstab sein, um hier Dörfer tot zu reden und dafür zu sorgen, dass möglicherweise Geld zur Verfügung gestellt wird, um Menschen zum Umziehen zu bewegen.
Meine Damen und Herren, es hätte Herrn Kröhnert auch gut getan, wenn er einen Schritt weiter gegangen wäre, ein paar Kilometer weiter gefahren wäre, dann hätte er gesehen, dass nämlich an der Grenze entlang Hildburghausen, Sonneberg oder drüben im Westen hoch genau diese Dörfer, nämlich mit unter 500 Einwohnern, ausgesprochen stabil existieren, keine Abwanderung erfolgt, die Menschen sich alle sehr wohl fühlen. Meine ganze Familie lebt in diesem Gebiet, alle haben Arbeit, werden toll bezahlt, fühlen sich sehr wohl und denken gar nicht daran umzuziehen. Insofern können das gar keine Kriterien sein, Einwohnerzahlen unter 500 zum Beispiel.
Meine Damen und Herren, insofern ist der Anlass bzw. der Beitrag oder auch der Antrag der FDP hier richtig, aber dass die falschen Konsequenzen selbst vom Antragsteller gezogen werden, ist schon etwas verwunderlich. Vielleicht auch nicht, denn es gibt im Prinzip zwei Probleme, die wir im ländlichen Raum haben. Das eine ist die Demographie, das betrifft die Städte genauso. Wir haben auch kleine Städte mit einer hohen Überalterung mit dementsprechenden Problemen, die es gibt, aber das viel wichtigere Problem, was hier angesprochen wird, ist das der Abwanderung. Da wundert es mich schon sehr, dass der Kollege Untermann mit keiner Silbe - und ich habe auch gestern noch einmal in der Zeitung sehr intensiv gelesen, wo es denn endlich kommt - auf die zwei wichtigsten Punkte zu sprechen kommt, die nämlich zur Abwanderung führen. Das eine ist, dass natürlich vor allen Dingen eine Gruppe abwandert, das sind die jungen Frauen, die eine sehr gute Ausbildung haben.
Das ist ein großes Problem. Die wandern deshalb ab, weil sie schlecht bezahlt werden im ländlichen Raum oder weil es keine adäquate Beschäftigung gibt.