Sie sollten strafrechtliche Verantwortlichkeiten oder zivilrechtliche Verantwortlichkeiten klären, aber gerade keine politischen Prozesse sein. So ist es auch nicht gemeint, aber so haben Sie es leider hingeschrieben.
Wir haben ja, aus welchen glücklichen Zufällen auch immer, in den Zeitungen auch noch das Thema der Abgeordnetenanklage als Thema auf die Tagesordnung in der öffentlichen Debatte bekommen. Ich glaube, das zentrale Thema bei der Frage ist nicht, ob es „hilft“, ob man erwarten kann, dass diese Anklage irgendwann zu einem Ergebnis führt. Kleiner Exkurs: Wäre denn irgendetwas aus dem Verantwortungsbereich der Innenministerien aus den Jahren 1998 bis 2011 über diese Art und Weise zur Anklage gekommen, wenn man es doch gar nicht weiß? Ist davon irgendetwas nicht bereits lange verjährt? Herr Geibert nickt. Hätte uns das in der Vergangenheit geholfen, wenn wir es gehabt hätten, in der wirklich an Skandalen nicht ganz armen Zeit der letzten 20 Jahre in Thüringen? Das muss man möglicherweise mit einem Schulterzucken beantworten. Das zeigt das Problem an dem Thema. Aber deshalb bin ich sehr der Meinung - und unsere Fraktion wird auch einer Überweisung an die Ausschüsse zustimmen -, dass die Fragestellung eine andere sein sollte. Nämlich die Frage, ob diese Symbolik, die darin liegt, nicht beredet werden sollte. Nämlich die Symbolik über die Frage, ob und in welcher Form wir tatsächlich unsere Verantwortlichkeiten der Bevölkerung gegenüber noch mal deutlicher machen.
Ob die Ministeranklage, ob die Abgeordnetenanklage die richtigen Verfahren sind, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wenn wir einen solchen Antrag in diesem Plenum einfach nur ablehnen, dann sorgen wir für etwas, was DIE LINKE hoffentlich gar nicht beabsichtigt hat, was aber passieren wird, nämlich für symbolischen Frust bei der Bevölkerung, die sagt, die wollen gar keine Verantwortung haben. Das ist, glaube ich, nicht das, was heute zumindest hier gesagt worden ist. Deshalb möchte ich nur ganz kurz mit meiner Rede damit schließen, dass ich sage, ich bin der Meinung, wir sollten diesen Antrag mit
dieser Intention, symbolische Fragen zu klären, die positiv symbolisch sein können, an die Ausschüsse überweisen und dementsprechend dort über diese Frage weiter diskutieren. Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Scherer für die CDU-Fraktion.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, um mit dem letzten Satz gleich fortzufahren: Der Frust bei der Bevölkerung kann ja nur dann entstehen, wenn man ihr vorher weismacht, dass das tatsächlich ein tolles Instrument wäre und man damit was erreichen würde. Das ist aber leider nicht der Fall. Vielleicht noch eine Bemerkung vorweg: Selbst wenn wir eine Ministeranklage hätten, die Nichtanwesenheit der Minister würde jedenfalls nicht ausreichen für eine Ministeranklage.
Das waren nur zwei Vorbemerkungen, es ist in der Tat jetzt schon fast alles gesagt. Ich will nur ganz kurz darauf hinweisen, weil es vorhin die Rede war, natürlich haben viele oder jedenfalls einige alte Bundesländer eine solche Ministeranklage in ihren Verfassungen. Die Länder sind vorhin alle aufgezählt worden. Das stimmt schon, aber diese Regelungen sind in der Tat alle aus monarchischer Zeit, als man nämlich keine andere Kontrollmöglichkeit und keine Möglichkeit hatte, einen Minister sonst loszuwerden. Selbst damals war so eine Ministeranklage nur dazu geeignet, um aufzuzeigen, was er tatsächlich vorsätzlich oder grob fahrlässig - in manchen steht auch nur vorsätzlich - gegen die Verfassung oder ein Gesetz gemacht hatte. Das Entlassungsrecht war damit früher überhaupt nicht verbunden, sondern der Monarch musste dann zusätzlich noch die Entlassung verfügen. Wenn er das nicht gemacht hat, lief auch damals schon eine solche Ministeranklage voll ins Leere. Das letzte Beispiel - das wurde vorhin kurz erwähnt - aus Rheinland-Pfalz zeigt ja, bevor hier in einem Parlament eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt, wird wohl jeder Ministerpräsident gut beraten sein, den Minister vorher zu köpfen. Nicht anders wird es laufen. Deshalb wird es in der Tat reine Symbolik sein, wenn wir so einen Paragraphen in die Verfassung aufnehmen. Von Symbolik halte ich nichts.
Weil die Abgeordnetenanklage vorhin auch kurz angesprochen wurde: In Artikel 61 der Bayerischen Verfassung gibt es in Absatz 2 die Ministeranklage und in Absatz 4 die Abgeordnetenanklage. Das ist vielleicht ganz interessant zu erwähnen, wann ein Abgeordneter angeklagt werden kann. Unter ande
rem, ich lasse das vorn dran weg, dann - ich zitiere es -, wenn ein Abgeordneter „vorsätzlich Mitteilungen, deren Geheimhaltung... beschlossen worden ist, in der Voraussicht, dass sie öffentlich bekannt werden, einem anderen zur Kenntnis gebracht hat.“ Es kann sich der eine oder andere vielleicht auch mal überlegen, wie das wäre, wenn wir so eine Abgeordnetenanklage hier hätten.
Es ist doch schön, wenn so etwas zu einer Diskussion führt. Aber es bleibt dabei, es ist wirklich reine Symbolik, und weil es in meinen Augen auch wirklich nur reine Symbolik wäre, so etwas in die Verfassung zu schreiben, bin ich der Meinung, dass solche Symbolik nicht in die Verfassung gehört. Danke schön.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Scherer. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Korschewsky für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Instrument der Ministeranklage stärkt Kontrollmöglichkeiten des Parlaments und der Öffentlichkeit bei Fehlern in der Amtsführung von Ministern. Wie schon hier ausgeführt auch von meinem Kollegen Blechschmidt, ist dieses Instrument derzeitig in der Thüringer Landesverfassung nicht verankert.
Nun können, auch das wurde hier schon ausgeführt, Kritiker sagen, all die Versuche, die es in den einzelnen Bundesländern gab, haben nicht zu einer Verurteilung geführt. Das ist richtig und dennoch hat nicht nur nach Ansicht der LINKEN-Fraktion das Instrument der Ministeranklage eine wichtige Korrektivfunktion in der repräsentativen Demokratie und im gesellschaftlichen bzw. öffentlichen Diskurs.
Autor Sebastian Steinbarth fasst dies in seiner im Jahr 2011, also sehr neu, erschienenen Publikation zum Institut der Ministerklage wie folgt zusammen ich darf zitieren mit Ihrer Erlaubnis: „Kennzeichnend war in allen Fällen, dass sich trotz geringer Aussichten auf das Zustandekommen einer Anklagemehrheit die stigmatisierende Wirkung der Verfahrensandrohung aus der konkreten Anknüpfung an einen schuldhaften Rechts- oder Verfassungsverstoß ergab, der mit den Mitteln des Strafrechts nicht hinreichend verfolgt werden konnte, der gleichwohl aber so gewichtig war, dass sich die Einleitung ei
Zwei kurze Beispiele noch einmal, das eine Beispiel wurde hier schon genannt. Das zweite Beispiel ist der Ministeranklageantrag gegen Siegmar Gabriel aus dem Jahre 2001, übrigens gestellt von Herrn Wulff und weiteren Mitgliedern der CDU-Fraktion im Fall des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel und des Innenministers Bartling; in diesem Fall ging es um eine Personalentscheidung im Bereich der Landesbehörden, die Versetzung des Verfassungsschutzpräsidenten in den einstweiligen Ruhestand. Durch die öffentliche Diskussion des Falles wurden die politischen Verwicklungen deutlich, die oft die Personalpolitik für Spitzenposten in Behörden der Länder tangieren und ein Stück weit auch die besonderen Probleme einer solchen Behörde wie das des Inlandsgeheimdienstes mit Namen „Landesamt für Verfassungsschutz“. Auch darüber haben wir heute hier schon gesprochen.
Hinreichend. Über den Fall Bartling, haben wir hier schon gehört, hat Herr Kollege Barth ausführlich berichtet. Natürlich wäre auch dieser Fall Bartling anders zu lösen, nämlich grundsätzlicher zu lösen, indem man das Richtergesetz verändert hätte. Unsere Fraktion hat derzeitig so einen Gesetzentwurf in der Pipeline, wird im Thüringer Landtag ja beraten zurzeit. Nur mit diesen zwei Beispielen wird allerdings auch deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die demokratische Korrektivwirkung eines Instruments wie der Ministeranklage setzt nicht erst bei einer Verurteilung durch den Verfassungsgerichtshof ein, sondern schon weit im Vorfeld.
Ein sehr prominentes Beispiel, wenn auch nicht aus unserem Bundesland Deutschland, ist der Rücktritt von Tony Blair. Tony Blairs Rücktritt wurde dadurch motiviert, um der britischen Variante des Verfahrens und einer damit verbundenen Amtsenthebung zuvorzukommen. Es gibt so etwas auch in zahlreichen anderen Ländern - es ist nicht nur so, dass es in acht Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland so ist, dass es eine Ministeranklagemöglichkeit gibt -, so zum Beispiel auch in Österreich, Finnland, den USA und Frankreich. Es ist also keine Erfindung der Deutschen, sondern es ist durchaus eine internationale Sache.
In anderen Bundesländern - es wurde schon genannt Baden-Württemberg, Bayern oder RheinlandPfalz und Niedersachsen - gibt es in den Verfassungen Bestimmungen darüber, dass der Landtag mit einem Antrag beim jeweiligen Verfassungsgericht des Landes eine Ministerklage erheben kann, um festzustellen, dass ein Minister in Ausübung
seines Amtes vorsätzlich gegen Gesetze verstoßen hat. In manchen Ländern reicht auch fahrlässiges oder grob fahrlässiges Verhalten.
Das Bundesland Thüringen, wie es seit 1990 besteht, kennt bisher keine Regelung zur Ministeranklage. Allerdings finden sich in der Thüringer Verfassung aus dem Jahre 1921 Regelungen zur Ministeranklage, im sechsten Abschnitt, Staatsgerichtshof, sind es die §§ 48 bis 52. Nach vielen Skandalen, Affären, Versäumnissen von Ministern in Thüringen - ich will hier nur einige Stichworte noch einmal nennen, Pilz-Verfahren, CD-Affäre, Verfassungsschutzskandal, Lobbyprobleme, wie zum Beispiel CCS in Suhl oder Domhotel oder die Computeraffäre im Innenministerium - wäre eine Diskussion über bzw. wären Regelungen über ein stärkeres Maß an Verantwortlichkeit und Sanktionen der Ministerinnen und Minister für ihre Amtsführung nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE durchaus angebracht.
Zur Einführung der Ministeranklage ist eine Verfassungsänderung notwendig, da ohne verfassungsrechtliche Norm ein solcher Eingriff in die Amtsausübung bzw. das Persönlichkeitsrecht der Funktionsträger durch den Landtag nicht legitimiert wäre. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die aus einer erfolgreichen Ministeranklage möglichen Konsequenzen der Aberkennung des Amtes bzw. der Kürzung bzw. des vollständigen Entzugs der Bezüge. Allerdings ist die Kürzung der Bezüge auf den betroffenen verurteilten Minister beschränkt und trifft dann später nicht die Hinterbliebenen.
Die Gesetzentwürfe stützen sich auf schon geltende Vorschriften in einem anderen Bundesland. Man muss das Fahrrad nicht zweimal erfinden. Hier ist ganz klar das Land Baden-Württemberg das Land, an dem wir uns orientiert haben. Da es in der Praxis schwierig ist, Vorsatz nachzuweisen, wurde ein Regelungsmodell gewählt, das auch das Kriterium grobe Fahrlässigkeit sowie die Verletzung von Verfassungsnormen und anderen Gesetzen umfasst. Als Quorum für die Antragstellung wurde ein Drittel der Landtagsmitglieder festgeschrieben, so dass kaum der Fall eintreten kann, dass eine Regierungsmehrheit - das war uns wichtig, weil das das Recht der Opposition ist die Antragstellung blockieren kann. Im Gegenzug ist für den Beschluss zur Anklageerhebung eine Zweidrittelmehrheit notwendig, um für ein so weitreichendes Verfahren gegen eine Person vor dem Verfassungsgerichtshof ein ausreichendes Legitimationsniveau zu bekommen. Die neue Regelung wird als Artikel 69 a unter dem zweiten Abschnitt Landtag in die Verfassung aufgenommen. Wegen der Neuaufnahme der Ministeranklage in die Verfassung muss dann zwangsweise auch der in Artikel 80 Abs. 1 der Thüringer Verfassung enthaltene Aufgabenkatalog des Verfassungsgerichtshofs erweitert werden. Der Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung zieht
zu deren konkreten bzw. praktischen Umsetzung auch zwingend einen Gesetzentwurf zur Änderung der einfachgesetzlichen Bestimmungen nach sich, insbesondere des Thüringer Verfassungsgerichtshofs.
Noch einmal zu den Quoren, meine sehr geehrten Damen und Herren: Für die Antragstellung über die Einleitung des Verfahrens - das sagte ich schon ist ein Drittel der Mitglieder des Landtags notwendig. So hat in der Praxis die Opposition meist ungehindert die Möglichkeit, diesen Antrag zu stellen. Denn gerade der Opposition kommt es zu, kritische Themen und Probleme in die öffentliche Debatte an der Stelle auch zu bringen und diese Möglichkeit dann auch zu nutzen. Allerdings - auch das sei noch einmal gesagt - soll ein Ministeranklageverfahren auch nicht als plakative Aktion missbraucht werden können, daher die hohe Zweidrittelmehrheit als Hürde für den Beschluss zur Anklage. Wie schon dargestellt, ist die Frage nach Ministeranklage meist eingebettet in Fälle der öffentlichen Diskussion um Fehler, Pleiten, Pannen und alle möglichen Skandale. In vielen Fällen ist eine solche öffentliche Diskussion schon im Gange, bevor das Stichwort Ministeranklage in die Diskussion gebracht wird. Mit Blick auf diesen gesellschaftspolitischen Hintergrund der Ministeranklage ist es aus unserer Sicht sinnvoll, auch die Möglichkeit zu regeln, dass der von dieser Diskussion betroffene Amtsträger selbst einen Antrag auf Verfahrenseröffnung beim Verfassungsgerichtshof stellen kann zur Klärung der Situation und - hier sage ich auch zum eigenen Selbstschutz, wenn etwas in die Welt gesetzt wurde, was nicht den tatsächlichen Wahrheiten entspricht. Auch diese Spielart der Ministeranklageverfahren ist keine Erfindung der LINKEN. Diese Regelung gibt es ebenfalls in BadenWürttemberg. Manche andere Bundesländer haben neben der Ministeranklage, Kollege Scherer hat darauf verwiesen, auch die Richteranklage, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, bzw. die Abgeordnetenanklage in Bayern in ihren Verfassungen verankert. Das ist insofern konsequent, als auch diese Funktionsträger gegenüber den Bürgern besondere Amtspflichten erfüllen und in besonders ausgestalteten Tätigkeitsverhältnissen beschäftigt sind. Der ehemalige Direktor des Landtags, Herr Dr. Linck, hat ja erst am gestrigen Tage in der Thüringer Landeszeitung sich auch zu der Frage der Abgeordnetenanklage geäußert. Die Diskussion zur Ministeranklage sollte daher nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE fortgesetzt werden. Wir als Fraktion DIE LINKE möchten nun erst einmal die Einführung der Ministeranklage in Thüringen diskutieren oder besser möglichst auch wieder einführen mit Blick auf die Verfassung auch von 1921. Deshalb beantragen wir die Überweisung beider Gesetzentwürfe an den Justiz- und Verfassungsausschuss zur Weiterberatung. Dort sollte, so die Ansicht unserer Fraktion, möglichst auch eine Anhörung zum The
ma stattfinden, um hier auch externen Sachverstand in dieser Frage noch weiter mit einzubeziehen. Ich würde mich freuen, wenn es gelingen würde, eine sachliche Debatte im Ausschuss dazu zu führen. Danke schön.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Korschewsky. Für die Landesregierung hat sich zu Wort gemeldet Herr Staatssekretär Prof. Dr. Herz.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren, für die Landesregierung nehme ich zu dem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE wie folgt Stellung: Mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf will die Landtagsfraktion DIE LINKE das Rechtsinstitut der Ministeranklage in der Thüringer Verfassung verankern. Es soll also die Möglichkeit geschaffen werden, dass der Landtag mit qualifizierten Mehrheiten beim Verfassungsgerichtshof ein einzelnes Mitglied der Landesregierung anklagen kann, wenn diesem eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes vorgeworfen wird. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Thüringer Verfassung übernimmt dabei weitgehend das wurde hier auch schon gesagt und deswegen kürze ich hier meine Ausführungen etwas ab - den Artikel 57 der baden-württembergischen Landesverfassung vom 11. November 1953. In der Begründung zu dieser baden-württembergischen Verfassungsnorm führt der Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg von Klaus Braun, das ist der einschlägige Kommentar zur württembergischen Verfassung, aus, dass die Ministeranklage in der deutschen Verfassungssystematik seit der Weimarer Reichsverfassung, dort war das Rechtsinstitut in Artikel 59 geregelt, als eine der „Erfüllungsgarantien der Ministerverantwortlichkeit“ bezeichnet wurde. Ich zitiere noch einmal: „Sie tritt damit im beschränkten Umfang neben die übrigen Instrumente des Parlaments zur Realisierung der Verantwortlichkeit der Regierung.“ Insoweit folgt die baden-württembergische Regelung der Systematik der Weimarer Reichsverfassung, wie das auch die Thüringer Verfassung von 1921 im Übrigen tut.
Es ist den Initiatoren der vorgeschlagenen Verfassungsänderung zu konzedieren, dass weitere sieben Landesverfassungen die Ministeranklage in unterschiedlichen Formen und Ausgestaltungen vorsehen. Dies sind vor allem die vor dem Erlass des Grundgesetzes verabschiedeten Verfassungen. Artikel 59 der Verfassung des Freistaats Bayern, Artikel 111 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, Artikel 115 der Verfassung des Landes Hessen, Artikel 131 der Verfassung für Rhein
land-Pfalz und Artikel 94 der Verfassung des Saarlandes sowie die Anfang der 50er-Jahre verkündete Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen in Artikel 63. In ihrer grundsätzlichen Systematik und Ausgestaltung ähneln sich diese Vorschriften und knüpfen ebenfalls an die Systematik der Weimarer Reichsverfassung an, also sind zum größten Teil vorkonstitutionelle Verfassungsregeln. Bis auf Niedersachsen verzichteten hingegen die Landesverfassungen aus der jüngeren Vergangenheit, insbesondere die der neuen Bundesländer, auf dieses Rechtsinstitut.
Auch das Grundgesetz kennt die Ministeranklage nicht. Allerdings sieht Artikel 61 des Grundgesetzes die Möglichkeit der Anklage des Bundespräsidenten vor dem Bundesverfassungsgericht auf Antrag des Bundestags oder des Bundesrats vor. Die materielle Voraussetzung für eine solche Anklage wäre nach Artikel 61 Grundgesetz die vorsätzliche Verletzung des Grundgesetzes oder eines Bundesgesetzes. Die formelle Voraussetzung wäre ein zweistufiges Verfahren zur Erhebung der Präsidentenanklage. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestags oder des Bundesrats müsste den entsprechenden Antrag stellen und dann müsste die Anklage von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags oder Bundesrats beschlossen werden.
Die Forderung, einzelne Regierungsmitglieder vor dem Verfassungsgerichtshof zu verklagen, in einer ähnlichen Systematik, wie das andere Landesverfassungen in der Bundesrepublik Deutschland vorsehen, ist in Thüringen allerdings nicht neu. Bereits im Rahmen der Thüringer Verfassungsberatungen Anfang der 90er-Jahre war dies ein Thema. Es waren die Verfassungsentwürfe der CDU und der SPD, die entsprechende Regelungen vorsahen. Die anderen Verfassungsentwürfe, auch der der damaligen Fraktion der Partei des Demokratischen Sozialismus/Linke Liste in der 12. Wahlperiode von 1990 bis 1994, sahen dafür keine Notwendigkeit. Es war dann das von allen Mitgliedern getragene Ergebnis einer eingehenden Diskussion im Verfassungsunterausschuss am 1. September 1992, „aus guten Gründen“ - so heißt es im Protokoll - von der Aufnahme einer entsprechenden Norm abzusehen. Entscheidend für den Ausschuss war die Überlegung, dass die Ministeranklage, ich zitiere den Abgeordneten Andreas Kniepert, FDP: „in unserer gesamten Gewaltenorganisation nicht so richtig Sinn“ macht. Gegen die Einführung einer Ministeranklage sprach nach Auffassung der Ausschussmitglieder ferner die weitgehende Unbestimmtheit der Regelung. Angeführt wurde auch die Befürchtung, dass die Ministeranklage als politisches Druckmittel missbräuchlich eingesetzt werden könnte.
Zunächst einmal gilt grundsätzlich, zu einer allgemein üblichen verantwortungsvollen, auf Dauer angelegten Verfassungsgebung gehört es, solche übereinstimmend gefundenen Grundsatzentschei
dungen nicht ohne Anlass wieder aufzurufen. Ich vermag keine aktuellen Ereignisse und Entwicklungen zu erkennen, die diese Entscheidung infrage stellen. Insoweit besteht kein aktueller Grund für die Verfassungsänderung.
Lassen Sie mich nun aber vor allem zu den Sachgründen, die die Mütter und Väter der Thüringer Verfassung und des Grundgesetzes bewogen haben, gegen die Einführung der Ministeranklage zu votieren, einige Anmerkungen machen. Die Ministeranklage stammt aus dem angelsächsischen Rechtskreis. Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich - ursprünglich aus einem strafgerichtlichen Verfahren - in England die Möglichkeit des Impeachment, die von den Commons gegen Berater und Mitarbeiter des Königs vor dem Oberhaus wegen Straftaten und politischen Fehlverhaltens erhoben werden konnten. Der Kontinent übernahm dieses Rechtsinstitut der Ministerverantwortlichkeit, so z.B. Kapitel II Abschnitt IV Artikel 5 der Französischen Verfassung vom 3. September 1791, Artikel 7 Abs. 15 der Verfassung der Republik Polen vom 3. Mai 1791. Später findet sich dieses Institut auch im Konstitutionalismus der mitteldeutschen und süddeutschen Staaten. Beispielhaft sei genannt § 2 Nr. 2 der Verfassung des Herzogtums Nassau vom 2. September 1814, Artikel 108 des Grundgesetzes für die Vereinigte Verfassung des Herzogtums Sachsen-Meiningen vom 23. August 1829. Die Ministeranklage war in diesen konstitutionellen Monarchien oder in Staatsformen, die vom Gedankensystem und dem Staatsaufbau der Monarchie geprägt waren, auch wenn sie Republiken waren, häufig die einzige Möglichkeit der Volksvertretung, die Entlassung eines Regierungsmitglieds zu erzwingen. Gedacht war das als politische Gegenwehr gegen den Landesherrn, gegen seinen ersten Minister oder einen ministère occulte. Die Anklage eines Amtsträgers ist daher auch heute noch in den Fällen systemkonform, in denen ansonsten keine Möglichkeit besteht, einen Amtsinhaber im Wege parlamentarischer Verfahren bei Amtsmissbrauch zur Verantwortung zu ziehen. So ist es im Fall des von der Bundesversammlung gewählten Bundespräsidenten, der vom Bundestag oder Bundesrat nur im Wege der Präsidentenanklage nach Artikel 61 Grundgesetz seines Amtes enthoben werden kann. Exemplarisch ist auch das Impeachmentverfahren der amerikanischen Verfassung: Der Kongress kann nur im Wege dieses Verfahrens alle zivilen Amtsträger der Vereinigten Staaten, den Vizepräsidenten sowie den Präsidenten der Vereinigten Staaten anklagen und gegebenenfalls ihres Amtes entheben. Das ergibt sich aus Artikel 2 Sektion 4 und Artikel 1 Sektion 3 der amerikanischen Verfassung. Eine solche Regelung bedarf aber einer strikten Variante der Gewaltenteilung, in der es eine parlamentarische Verantwortung und die darin begründete Legitimation der Regierung nicht gibt.
Die Situation in den Verfassungen des 18. und 19. Jahrhunderts, in der Verfassung der Vereinigten Staaten, auch in der zitierten französischen Verfassung ist eine andere als sie für Regierungen im Rahmen einer modernen parlamentarischen Demokratie besteht. Diese unterliegen einer fortdauernden parlamentarischen Verantwortung und Kontrolle. Ich darf Sie nur an die zahlreichen in der Verfassung vorgesehenen parlamentarischen Kontrollrechte wie das Frage-, Unterrichtungs- und das viel zitierte Zitierrecht erinnern - Rechte, von denen der parlamentarische Alltag geprägt wird.