Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

Ich habe den Vorgang auch versucht in Worte zu fassen und ich habe dafür den Begriff der fehlenden Verhältnismäßigkeit gewählt, wohl wissend darum, dass man auch etwas drastischer sein könnte. Aber welchen Mangel an Gefühl für dieses Wort bei der Kriminalpolizeiinspektion Suhl, die die Untersuchung durchgeführt hat, herrscht, machen die drei Aspekte deutlich, unter denen wir als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Aktuellen Stunde ihr Verhalten als unverhältnismäßig kritisieren. Erstens: Der Angriff auf die Immunität von Frau Renner und Frau König. Wir haben ein Gesetz über die Immunität von Abgeordneten und darin werden bereits Anfangsermittlungen als durch den zuständigen Landtagsausschuss zu legitimieren vorgeschrieben. Als Mitglied des Ausschusses, der damit befasst ist, weiß ich, wie oft wir Ermittlungsbehörden von anderen Bundesländern, etwa aus Niedersachsen, auf diesen Umstand hinweisen müssen. Dass unserer eigenen Polizei das Wissen um unsere Rechtslage fehlt, ist keine Bagatelle.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es ist vor allem deshalb keine Bagatelle, weil die Exekutive eine bedenkliche Unkenntnis darüber zum Ausdruck bringt, welche verfassungsmäßigen Rechte die Legislative in einer Demokratie hat. Das macht die Sache erst richtig dramatisch. Dass diese Dramatik gesehen wird, sieht man auch daran, dass die Landtagspräsidentin sich veranlasst gesehen hat, einen entsprechenden Brief an die Ministerpräsidentin zu schreiben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum zweiten Aspekt. Die Verdächtigung von zwei kritischen Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, offenbar ohne andere Möglichkeiten des Geheimnisverrats auch nur in Erwägung zu ziehen, ist kein Ruhmesblatt der internen Ermittler der Polizei.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Minister Machnig)

Offenbar gab es von September bis November 2011, also gut zwei Monate, keine belastbare sonstige Vermutung, wer von 571 Geheimnisträgerinnen und -trägern denn sonst noch infrage kommen könnte. Gar nicht zu reden von der eigentlich interessanten Frage, warum eine Einsatzplanung, von der offenbar Leib und Leben des Heiligen Vaters abhängen kann, an 571 Personen gegeben wird. Das zeugt nach meiner Überzeugung von mangelnder Lebenserfahrung oder, wenn ich boshaft sein wollte, von einem Vertrauen in einen offenbar unterstellten Korpsgeist bei den Sicherheitsbehörden, die dafür sorgen, dass schon diese große Zahl der Eingeweihten der eigentliche Risikofaktor für den Papst und seine Begleitung gewesen sein könnte. Es ist ja Gott sei Dank nichts passiert. Aber diese Vorstellung, dass irgendjemand glaubt, wenn 571 Menschen ein notwendiges Geheimpapier brauchen und das dann so geheim bleibt, dass es nirgendwo auftaucht, ist dermaßen weltfremd und von unserer Lebenserfahrung nicht getragen, dass man auch boshafte Überlegungen anstellen könnte.

Als Mitglied des MDR-Rundfunkrats und als Demokrat zeigt für mich dieses Vorgehen im Ergebnis von drei Monaten Erfolglosigkeit, wie sich offenbar in der Hoffnung verbissen wurde, kritischen Journalismus mit diesem Tatbestand überführen zu können. Dass die Mittel dafür weit unverhältnismäßig waren, musste sich die Polizei dann erst im letzten Februar von der Staatsanwaltschaft belehren lassen. Von allein haben sie nicht aufgehört. Nein, die Staatsanwaltschaft wurde gebraucht, um der Polizei zu zeigen, dass sie nicht drei Monate lang an etwas forschen muss, was offenbar auch nicht zu beweisen gewesen ist, denn es behauptet heute nach wie vor niemand, dass von der Quelle dieser Geheimnisverrat begangen wurde. Ich hoffe, dass heute Abend auch die Intendantin des MDR anlässlich des parlamentarischen Abends die Gelegenheit hat, hierzu deutliche Worte zu finden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Ich habe mir das mit dem dritten Aspekt über die Tatsache, dass auch kritische Geister in der Polizei offensichtlich als Erste angeschaut werden, gespart. Mein letzter Satz heißt: Wir brauchen jedenfalls dringend kritische Polizisten, kritische freie Journalisten sowie kritische und durch ihre Immunität geschützte Abgeordnete. Solche Ermittlungen, wie sie Anlass zu dieser Aktuellen Stunde sind, brauchen wir ganz sicher nicht. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Scherer das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema ist „Verletzung von Abgeordnetenrechten durch Ermittlungen der Thüringer Polizei“. Über was reden wir hier eigentlich? Über einen Skandal, sagt DIE LINKE und auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wie ich jetzt gehört habe.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir sind die Einreicherin- nen der Aktuellen Stunde.)

Ja, sicher, da bin ich dabei.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Man sieht es.)

Auch ohne Ihre Bemerkung, danke. Diese von Ihnen ausgerufene Skandalisierung eines Vorgangs ist in meinen Augen ein erprobtes Mittel, um erst einmal die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen nach dem Motto, es bleibt immer etwas hängen. Worum geht es denn wirklich? Ich weiß es nicht sicher. Sie wissen es offenbar ganz genau. Ich weiß nur das, was in der Presse steht. In der Presse steht, dass auch zwei Landtagsabgeordnete ins Visier der Polizei geraten sind - ein skandalöser Vorgang, ein Willkürakt. Das ist der nächste Satz, der darin steht, so steht es in der Zeitung. Mehr weiß ich darüber nicht. Worin besteht denn nun der skandalöse Vorgang ganz genau?

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Dann würde ich einfach nicht reden, wenn ich nichts wüsste.)

Lassen Sie mich doch einfach ausreden. Worin besteht denn nun der skandalöse Vorgang ganz genau? Ist es skandalös, dass eine Abgeordnete in einer Fernsehsendung aufgetreten ist? Ist es skandalös, dass sie möglicherweise eine Anfrage an einen Polizeibeamten gerichtet hat, der auch Personalrat ist, oder ist es etwa skandalös, dass eine solche Anfrage möglicherweise bei den Ermittlungen wegen Geheimnisverrats - das ist vorhin vergessen worden zu erwähnen, dass es Ermittlungen wegen des Geheimnisverrats waren - aufgetaucht ist? Ist es skandalös, wenn die Tatsache, dass eine solche Anfrage aufgetaucht ist, in einem Ermittlungsbericht steht, oder ist es nicht skandalös, wenn ein solcher Ermittlungsbericht ebenso wie das Sicherheitskonzept für den Papstbesuch der Presse zugespielt wird? Wollen wir das als Inhalt der Pressefreiheit verstehen? Ich verstehe es anders.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Mag sein, dass Sie es so verstehen. Missstände sollen auch aufgeklärt werden - da haben Sie mich auf Ihrer Seite. Wenn es um die Verletzung grund

(Abg. Meyer)

legender parlamentarischer Rechte geht allemal, und wenn es um die Verletzung solcher Rechte durch die Exekutive geht noch viel mehr. Aber man sollte sich noch mal vergegenwärtigen, was denn die Verletzung von Immunitätsrechten oder vielleicht auch von Zeugnisverweigerungsrechten ist. Das taucht auch irgendwo auf. Wenn wir nicht im luftleeren Raum diskutieren wollen, dann muss man sich anschauen, was in Artikel 55 steht. Da steht nämlich nur drin: „Abgeordnete dürfen wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Zustimmung des Landtags zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden,...“ Das ist der Grundsatz, der darin steht. Auch wenn man Herrn Linck anschaut, was er in seinem Kommentar geschrieben hat, da steht drin: Es sind Handlungen untersagt, die darauf abzielen, gegen den Abgeordneten zu ermitteln oder ihn zu bestrafen, abgesehen von Vorermittlungen, die sogar zulässig sind - nicht mehr und nicht weniger. Wenn man ins Zeugnisverweigerungsrecht schaut, da haben natürlich Abgeordnete ein Zeugnisverweigerungsrecht. Aber ich frage andersherum: Kann man dem Presseartikel etwas entnehmen, was als Verletzung dieses Zeugnisverweigerungsrechts klassifiziert werden kann, oder kann man dem etwas entnehmen, was als Verletzung der Immunität, so, wie ich es eben vorgelesen habe, tatsächlich qualifiziert werden kann? Die Frage, meine ich, sollte jeder für sich selber entscheiden nach dem derzeitigen Kenntnisstand. Was will ich denn damit ausdrücken, auch wenn es Ihnen nicht gefällt? Ich halte nichts von Skandalgeschrei ohne Kenntnis dessen, was vorgefallen ist. So etwas schadet nur uns selbst hier.

(Beifall CDU)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Bergner das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die GRÜNEN erwecken so ein bisschen den Eindruck, dass DIE LINKE nicht Mann oder Frau genug wäre, sich selbst zu verteidigen.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht um uns, um uns alle hier.)

Das ist mit Sicherheit nicht der Fall, wie wir bestimmt noch hier hören werden.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun vertragen Sie doch mal ein bisschen Humor. Gleichwohl, meine Damen und Herren, kann man in der Sache

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- ich würde gern weiterreden - keiner anderen Auffassung sein. Wir sind der Auffassung, meine Damen und Herren, dass bei allen Dingen, die untersucht, die geprüft werden, Rechtsstaatlichkeit vorn dranzustehen hat. Das heißt in jedem Fall für den Umgang mit Abgeordneten, egal welcher Couleur, egal welcher Person, und das heißt es in jedem Fall auch für den Umgang mit der Presse. Was das Thema der Pressefreiheit in diesem Zusammenhang anbelangt, möchte ich ausdrücklich auch an das Cicero-Urteil erinnern, das sich ausdrücklich mit dem Thema der Informationsbeschaffung von Presse befasst. Ich glaube auch - und das ist, glaube ich, auch vorhin beim Kollegen Meyer gefallen -, es ist heute Abend - und nicht nur heute Abend auch der MDR gefordert, hier eine ganz klare Position im Sinne seiner Mitarbeiter zu beziehen.

(Beifall SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten bedeutet für mich auch ganz klar, dass das selbstverständlich für einen Polizisten gelten muss, der eben nicht als Einziger eine Information gehabt hat, die irgendwo durch ein Leck geraten ist, sondern der mit über 500 Kollegen Zugriff zu dieser Information hatte. Spätestens da, glaube ich, muss man aufhören, eine einzelne Person mit Vermutungen und Verdächtigungen zu belästigen, die nicht beweisbar sind.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, ich will es noch mal kurz zusammenfassen an dieser Stelle: Rechtsstaatlichkeit ist ein Grundsatz, der immer gelten muss, auch wenn man sich über den ganz konkreten Sachverhalt selbstverständlich ärgern kann. Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass man als Chef einer Behörde natürlich sich Gedanken machen muss, wie kann es passieren, dass Nachrichten in die Öffentlichkeit gelangen, die als geheim eingestuft werden? Das ist ja durchaus auch ein Thema, das uns als Abgeordnete betrifft. Ich habe mich schon oft in diesem Hause gewundert, wie Informationen, die als geheim eingestuft waren, an Journalisten dringen konnten, die mich dann im Anschluss an Ausschuss-Sitzungen oder was auch immer angerufen haben und dezidierte Fragen gestellt haben, wo ich mir natürlich die Frage auch gestellt habe, woher können die das jetzt wissen. Trotzdem ist so etwas kein Freibrief, rechtsstaatliche Grundsätze zu verletzen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Umgekehrt ist es aber auch ein Appell an diejenigen, die Verantwortung tragen und Geheimnisträger sind, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Auch davon befreit diejenigen, uns eingeschlossen, niemand. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Abg. Scherer)

(Beifall FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE hat der Abgeordnete Ramelow das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass man unter Abgeordneten so miteinander sprechen kann. Auch unter Gewerkschaftskollegen nennt man sich liebe Kolleginnen und Kollegen. Warum betone ich das? In dem der Presse vorliegenden Abschlussbericht wird festgestellt, und das zitiere ich, dass Frau Kollegin Renner ein besonderes persönliches Verhältnis zu dem Personalrat Kräuter haben muss, weil sie in ihrer E-Mail den Personalrat und GdP-Funktionär, also Gewerkschaftskollegen Kräuter, als „lieber Kollege“ anspricht. Die Polizei stellt fest, und ich betone, die Polizei stellt fest, und zwar die zuständige Polizei in Suhl, dass die Anrede „lieber Kollege Kräuter“ schon eine besondere persönliche Nähe von ihr feststellt. Man könnte eigentlich sich a) wundern oder b) vor Lachen gar nicht in den Schlaf kommen, welche Schlussfolgerungen man aus der Anrede „lieber Kollege“ zieht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dass die Kollegin Renner, meine Stellvertreterin, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE mit Personalräten der Polizei in der Zeit, in der die größte Personalreform und Polizeireform stattfindet, Kontakt hat, halte ich für das Normalste der Welt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und dass ein GdP-Funktionär mit der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE oder mit allen anderen innenpolitischen Sprechern ganz selbstverständlich kommuniziert, halte ich für selbstverständlich. Jetzt könnte man sagen, Kollege Scherer, was ist daran der Skandal? Der Skandal ist, dass gegen den Personalrat Kräuter in einer sehr martialischen Art und Weise, also die Rahmenbedingungen, die Umstände sind schon so, dass man sich fragt, was geht hier eigentlich ab. Der ist mit einer CDU-Besuchergruppe im Bundestag auf Einladung einer CDU-Abgeordneten aus seinem Bereich. Aus diesem Bus wird er mit der Polizei herausgeführt und anschließend wird ihm sein Handy abgenommen. Obwohl eine TKÜ überhaupt nicht angeordnet ist, werden sämtliche Handydaten ausgelesen. Dann liest man jetzt, es seien allgemeine Kontaktdaten.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unglaublich!)

Das ist so, als wenn man sagt, man hat das Adressbuch gefunden, das stimmt aber nicht, sondern über sein Handy hat die Polizei, und zwar die ermittelnde Polizei in Suhl, die persönlichen Anschreiben auf Facebook gefunden, und da, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nur eine Erläuterung. Es geht nicht um Facebook, was jeder mitlesen kann, sondern es geht um den Direktkontakt, den gibt es bei Twitter, den gibt es auch bei Facebook, den gibt es als E-Mail-Verkehr und der unterliegt dem Post- und Fernmeldegeheimnis.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)