Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/4464 dazu: Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses - Drucksache 5/4946

ZWEITE BERATUNG

Das Wort hat Herr Abgeordneter Kowalleck aus dem Haushalts- und Finanzausschuss zur Berichterstattung. Bitte, Herr Abgeordneter.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, durch Beschluss des Landtags vom 31. Mai 2012 ist der vorliegende Gesetzentwurf an den Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen worden. Der Haushalts- und Finanzausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner 49. Sitzung am 12. Juli 2012 und in seiner 50. Sitzung am 13. September 2012 beraten und ein schriftliches Anhörungsverfahren durchgeführt. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksache 5/4464 abzulehnen.

Nachfolgend die wesentlichen Ansichten der Auskunftspersonen entsprechend unserer Geschäftsordnung. Herr Prof. Dr. Thomas Straubhaar von der Universität Hamburg hält eine Regionalisierung von Mindestlöhnen aus verschiedenen Gründen für nicht praktikabel. Er verweist auf die gegebenenfalls ungleiche Behandlung bei mehreren Unternehmensstandorten. Nach Einschätzung des Landesinnungsverbandes für das thüringische Dachdeckerhandwerk sind durch die Lohnuntergrenze die Arbeitskosten gestiegen. Die meisten Betriebe kämen damit jedoch gut klar. Der richtige Weg seien branchenspezifische Mindestlohngrenzen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, die dem Willen der beteiligten Tarifparteien entsprechen. Tarifkommissionen sollten branchenspezifisch entscheiden.

Die Vereinte Dienstleistungsgesellschaft Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen hält einen gesetzlichen Mindestlohn für unbedingt erforderlich. Der gesetzliche Mindestlohn sollte zunächst 8,50 € nicht unterschreiten und müsse der allgemeinen Kostenentwicklung angepasst werden. Die gesetzliche Pfändungsgrenze müsse Maßstab sein.

Herr Prof. Eekhoff vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln sieht einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland als nicht sinnvoll an. Es gäbe keinen überzeugenden Nachweis für positive Beschäftigungswirkung eines Mindestlohns. Mit Mindestlöhnen würden die mittelständischen Unternehmen gegenüber den Großunternehmen benachteiligt. Die Wirtschaftsstruktur würde sich zugunsten von Großunternehmen verändern. Nach Aussage

der Tarifgemeinschaft deutscher Länder bestehe innerhalb des Verbandes keine abgestimmte Position zum Thema Mindestlohn.

Aus Sicht der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt/ Thüringen der Bundesagentur für Arbeit würde eine Angleichung des Lohnniveaus zwischen Ost und West die Attraktivität des Freistaats für Fachkräfte und Unternehmensansiedlungen weiter steigern. In diesem Kontext wäre auch das Thüringer Mindestlohngesetz einzuordnen. Es wird weiterhin auf die Stellungnahme des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit verwiesen.

Der Bund der Steuerzahler e.V. betont, dass in seinem Selbstverständnis die Tarifpartner für den Interessenausgleich zuständig sind und nicht der Staat. Zudem könne der Staat über das von der Besteuerung frei bleibende Existenzminimum und dessen Anpassung sowie im Tarifverlauf der Einkommensteuer auf das Nettoeinkommen maßgeblich Einfluss nehmen.

Die Familienunternehmer ASU e.V. lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf als unzulässigen Eingriff der Politik in die Lohnfindung und als Abschottung des Arbeitsmarktes von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten ab. Die geplanten Maßnahmen auf Landesebene würden eine einschneidend negative Wirkung enthalten. Dies gelte sowohl für die Einrichtung einer Landesmindestlohnkommission als auch für die Berücksichtigung des Mindestlohns bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Nach der Stellungnahme des Verbandes der Wirtschaft Thüringen e.V. widerspricht ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn der Tarifautonomie und ist ein staatlicher Eingriff in diese und daher völlig verfehlt. Mit dem bereits bestehenden Mindestarbeitsbedingungsgesetz können Regelungen gefunden und branchenbezogene Lohnuntergrenzen festgelegt werden. Ein Thüringer Mindestlohngesetz mit seinen Ausweitungen sei daher überflüssig.

Aus Sicht des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. ist die Einführung von Mindestlöhnen auf Landesebene weder zielführend noch bundes- und europarechtskonform. Weiterhin wird darauf verwiesen, dass insbesondere in Branchen, in denen die Vergütungen für Leistungen vom Unternehmer nicht frei festgelegt werden können, sondern der Preis über Verhandlungen mit öffentlichen Kostenträgern gebildet wird, eine Einführung von Mindestentgelten verbunden sein muss mit der Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen für die Refinanzierung. Die Arbeitsgemeinschaft der Thüringer Industrie- und Handelskammer lehnt den vorgelegten Gesetzentwurf ab. Ein gesetzlicher Mindestlohn sei nicht verfassungskonform und stelle einen erheblichen Eingriff in die Prinzipien der Lohnfindung dar. Die Forderung nach Mindestlöhnen gehe an der wirtschaftlichen Realität vorbei. Im

(Vizepräsidentin Hitzing)

Ergebnis werde die Thüringer Wirtschaft durch die Einführung eines Mindestlohngesetzes in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Der Gesetzentwurf führe zu Wettbewerbsverzerrungen. Für den Thüringer Handwerkstag e.V. stellt der vorliegende Gesetzentwurf einen Eingriff in die Tarifautonomie dar und wird deshalb abgelehnt.

Der Landesverband Thüringen des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft lehnt einen einheitlich gesetzlichen Mindestlohn für die Bundesrepublik Deutschland ab. Der Verband sei für branchenspezifische Lösungen auf der Grundlage der Tarifpartner.

Der Gemeinde- und Städtebund Thüringen steht grundsätzlich dem Ziel des Gesetzes, Existenz sichernde Einkommen für jeden durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes zu gewährleisten, offen gegenüber. Mit dem geplanten Gesetzesvorhaben sieht er eine finanzielle Mehrbelastung auf die Gemeinden und Städte in Thüringen zukommen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund Thüringen begrüßt die Initiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Einführung eines Thüringer Mindestlohngesetzes. Bis zur Einführung eines bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns gelte es, die regionalen Handlungsspielräume auszuschöpfen, um Lohnarmut und Lohndumping zu begrenzen.

Das Diakonische Werk Mitteldeutschland e.V. begrüßt die Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Landesmindestlohngesetz in Thüringen. Herr Prof. Freytag von der Friedrich-Schiller-Universität sieht einen gesetzlichen Mindestlohn als generell nicht zielführend und sinnvoll an. Die erwarteten Beschäftigungswirkungen seien gerade im relevanten Niedriglohnbereich negativ. Ein Mindestlohn sei für kleine Unternehmen schwerer zu verkraften.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, FDP)

Vielen Dank, Herr Kowalleck. Ich eröffne jetzt die Aussprache. Mir liegen von jeder Fraktion Wortmeldungen vor. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kemmerich für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr verehrte Zuschauer, vor allen Dingen Zuhörer und Zuschauer im Internet! Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kowalleck, für die sehr umfassende Darstellung der Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss, die dort stattgefunden hat. Ich denke, hier hat es doch ein allumfassendes, auch sehr breites Bild gegeben, wie sich die angehörten

Institutionen, Verbände, aber auch Universitäten zu dieser Problematik geäußert haben. Deshalb will ich das jetzt nicht alles wiederholen, nur ein paar Sachen noch einmal herausziehen.

Zum Beispiel hat Prof. Freytag von der FriedrichSchiller-Universität in Jena gesagt, das war bei vielen spürbar, sicherlich ist wünschenswert, das ist auch immer die plakative Forderung, die wir stellen, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können und dafür angemessen entlohnt werden. Aber, sagt er, und das ist sicherlich Mehrheitsmeinung unter den Gelehrten, ein gesetzlicher Mindestlohn ist generell nicht zielführend, weil wir hier versuchen, Lohnfindung, welches ein Maß für Produktivität ist, und der soziale Gedanke, soziale Sicherung über einen Kamm zu scheren. Hier sagen alle Volkswirtschaftler, wir müssen es trennen. Wir können auch nicht müde werden, zu sagen, dass wir ein System haben in Deutschland, das genau hier eine Trennung zieht und es über die HartzIV-Gesetzgebung, so sehr sie auch die SPD ablehnen mag, es geschafft worden ist, die weniger produktiven und weniger talentierten Menschen trotzdem in die Lage zu versetzen, auf der einen Seite zu arbeiten und einer vernünftigen Beschäftigung nachzugehen, ihrem Tagesablauf einen Inhalt zu geben und trotzdem ein Mindesteinkommen zu haben, von dem sie leben.

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: Alle Achtung!)

(Beifall FDP)

Zu der hier angestellten und angelegten Problematik ist eigentlich nur noch anzumerken, dass wir uns in einem bestehenden Tarifsystem befinden in der öffentlichen Hand, die Tarifsysteme in der Entgeltgruppe 1 zwischen 8,56 € und 9,55 € als Entlohnungsstufen vorsehen, insofern dass wir hier oberhalb der geforderten Grenze liegen, die im Gesetz angesprochen ist. Insofern erübrigt sich eine Gesetzesinitiative. Ich weiß nicht, worauf das hinausführen soll, außer dass wir dann doch eine Summe einführen wollen, die wahrscheinlich nicht lang genug gesagt werden kann oder nicht oft genug gesagt werden kann und das auch zu nichts führt.

Ich will auch hier wieder gerade in punkto Mittelstandsförderung sagen - es ist ja keiner mehr aus dem Wirtschaftsministerium da -, gerade diese Mindestlohntatbestände begünstigen Großunternehmen, begünstigen Staatskonzerne, begünstigen auch große Verwaltungen zulasten der mittelständischen Unternehmen.

(Beifall FDP)

Es ist ein sehr gefährlicher Tatbestand, wenn wir den hier weiter aufrufen und weiter stark machen wollen. Es wurde auch das Mindestarbeitsbedingungsgesetz genannt. Auch das habe ich hier an dieser Stelle schon mal gesagt, ein sehr sinnvolles

(Abg. Kowalleck)

Instrument, um Beschäftigung nach unten abzusichern in nicht tariffesten Organisationen, in nicht tariffesten Gebieten. Eine Supertarifkommission - und das muss sich Herr Kowalleck gefallen lassen und auch die CDU, die sie vorgeschlagen haben in ihrem Entwurf zum Mindestlohngesetz -, die Superkommission in Berlin wird das nicht treffgenau leisten können und auch eine Superkommission auf Landesebene, wobei sich irgendwann mal alle Beteiligten einig werden sollten, wo die Superkommission oder Kommissionen angesiedelt werden sollen, nicht dass wir dann am Ende 16 haben. Wir haben Kommissionen, und das sind die Tarifkommissionen, die zwischen Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerverbänden, zwischen den Gewerkschaften seit Jahren erfolgreich miteinander vertrauensvoll arbeiten,

(Beifall FDP)

Herr Lemb, und damit auch viel für den Aufschwung der Republik in den letzten 60 Jahren und auch in Zukunft tun werden. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Kemmerich. Das Wort hat jetzt Abgeordneter Hausold für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich befürchte, dass wir heute in dieser Debatte wieder alle Argumente zu hören bekommen - mein Vorredner hat das hier auch getan -, die vorgeblich gegen einen Mindestlohn sprechen. Wenn ich immer höre, die Tarifhoheit und die Tarifgebundenheit - und das auch ausgesprochen von Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP -, da muss ich mal sagen, auch da gehen wir doch mal zu den Fakten. Es war dieser Tage nachzulesen, dass immerhin - und man wäre sogar, da sieht man, dass das ein Bundesproblem ist, jetzt beim Bundesstand angekommen -, jedes vierte Unternehmen der Thüringer Metallindustrie tarifgebunden arbeitet, meine Damen und Herren, jedes vierte, und das bei Wirtschaftsaufschwung, der immer wieder konstatiert wird. Was ist aber dann mit den anderen Unternehmen? Das können Sie überall im Land besichtigen. Vor Kurzem war ich im Saale-Orla-Kreis bei einer IGMetall-Aktion bei einem Unternehmen dort, einem Unternehmen der Metallindustrie, bei dem es auch noch haarsträubende Zustände gab im Bereich der technischen Sicherheit und anderer Fragen des Arbeitsschutzes. Dann können Sie sich dort unterhalten, welche Löhne es da gibt, von 5 €, von 6 €. Ich sage das noch einmal, wer nicht endlich prinzipiell sagt, dass er damit Schluss machen will, und zwar mit einem flächendeckenden Mindestlohn für ganz

Deutschland, der hat die soziale und ökonomische Brisanz dieser Situation immer noch nicht verstanden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch nicht nur die Frage der Löhne an sich. Wir haben heute einige Stunden über die Haushaltsproblematik debattiert. Wir haben heute hier wieder debattiert und unser Fraktionsvorsitzender hat das noch einmal deutlich gemacht, es geht auch um die Einnahmenfrage bei den öffentlichen Haushalten. Ich muss der Landesregierung konstatieren, dass sie darüber immer noch nicht bereit ist, eine ernsthafte Debatte zu führen.

(Beifall DIE LINKE)

Da will ich nur mal sagen, ein Mindestlohn von 10 € würde - und das ist eine Rechnung der FriedrichEbert-Stiftung - 12,7 Mrd. € mehr jährliche Einnahmen für die öffentlichen Haushalte der Bundesrepublik Deutschland bringen. Selbst bei 8,50 € wären es noch 7 Mrd. €. Auch dieses Einnahmegewicht stellen wir infrage, wenn wir uns nicht endlich durchringen können zu der Mindestlohnfrage, meine Damen und Herren.

Nun will ich sagen, wir streiten ja - das ist eben nicht einfach so, dass dabei die Betriebe dann pleite gehen, Herr Minister. Das ist auch so ein Argument, Sie sind ja aus Sachsen zu uns gekommen. Ich hoffe manchmal, dass es ein bisschen was Neues gibt. Aber wenn Sie nur das immer wiederholen, was ich schon früher von Herrn Althaus an der Bank gehört habe, muss ich sagen, kann das Neue nicht so toll sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: So es ist, nichts Neues.)

Da überzeugen Sie mich nicht.

Herr Abgeordneter Hausold, es gibt den Wunsch auf eine Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Im Augenblick nicht, es kann gerne am Schluss passieren, Herr Recknagel.

Ich will noch einmal darauf eingehen. Wir diskutieren nun schon jahrelang über diese Frage hier in diesem Parlament. Ich habe das auch letztens gesagt, ja, der Antrag, den die GRÜNEN gestellt haben und dem wir heute auch zustimmen werden, der hätte in dieser und abgewandelter Form schon viel eher hier beschlossen werden können,

(Abg. Kemmerich)