Protokoll der Sitzung vom 23.11.2017

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben erst im letzten Plenum hier ausführlich den Thüringen-Monitor diskutiert. Neben den vielen erfreulichen Aspekten ist eines deutlich geworden: Den politischen Akteuren schlägt ein breites und immer wieder verbreitetes Misstrauen entgegen, und das muss uns hier im Hohen Hause doch zu denken geben.

Jetzt zum Sachverhalt – die Liste ist lang und sie wird immer länger –: Mai 2016, der Thüringer Verfassungsgerichtshof stellt fest, dass Sie, Herr Justizminister, ausgerechnet der Justizminister, Ihr Amt in der Auseinandersetzung mit der AfD über die Grenzen des verfassungsgemäß Zulässigen hinaus ausgelegt haben. Sommer 2016, der Skandal um die offensichtlich bis heute noch nicht abgelegte Besondere Leistungsfeststellung. Unglaublich: Im Oktober 2017 gelingt einem der organisierten Kriminalität zugehörigen, gefährlichen Untersuchungshäftling aus Moldawien eine filmreife Flucht aus der JVA Suhl-Goldlauter. Ich will betonen, dass sich der Häftling immer noch auf freiem Fuß befindet. Dann im Herbst 2017 – nicht vorstellbar –: Medien berichten über ein Drogenkartell mit Umsätzen von über 1 Million Euro, ausgerechnet in Thüringer Justizvollzugsanstalten. Und der vorerst letzte Fall: Seit gestern berichtet der MDR,

(Zwischenruf Abg. Kräuter, DIE LINKE: So ein Zufall!)

dass schwer kriminelle Häftlinge offenbar über Jahre ausgerechnet in den Haftanstalten illegal Telefonschaltkonferenzen durchführen konnten.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: 2012!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will abschließend noch mal auf den Begriff des Dienens kommen. Dienen, Herr Minister, heißt auch Demut. Demut heißt auch, sich der eigenen Möglichkeiten und Grenzen bewusst zu sein. Und Demut heißt auch zu erkennen, wann man zu einer Belastung wird.

Sehr geehrter Herr Minister, meine Bitte an Sie: Gehen Sie noch mal in sich, prüfen Sie noch mal das Vorgefallene, schützen Sie Ihr Amt, schützen Sie das Vertrauen in das Recht, prüfen Sie ernsthaft vor Ihrem Gewissen, welchen Dienst Ihr Amt jetzt von Ihnen fordert! Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

Wünscht die AfD-Fraktion das Wort zur Begründung? Herr Abgeordneter Henke, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. Von mir vorab: Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich, dass Sie zu

dem Vorfall in Bornhagen so klare Worte gefunden haben. Vielen Dank dafür.

Die Liste der unverantwortlichen Fehlleistungen des Ministers Lauinger im Amt ist lang. Und sie ist länger, als der Antrag der CDU-Fraktion nahelegt. Ich erinnere nur einmal daran, dass Minister Lauinger mit einer eigenen, gegen die AfD gerichteten Pressemitteilung seines Ministeriums vom Oktober 2015 seine Neutralitätspflicht als Amtsträger verletzt hat. Der Verfassungsgerichtshof in Weimar hat diesen Rechtsbruch in einem entsprechenden Urteil vom Juli 2016 ausdrücklich festgestellt. Zweifellos ist es also an der Zeit, dass Minister Lauinger zum Wohle unseres Freistaats endlich den Hut nimmt, was die AfD-Fraktion schon vor vielen Monaten gefordert hat.

Indes stellt sich längst die Frage, ob es heute lediglich darum geht. Wir sehen in dieser Regierung nicht bloß das Versagen eines einzelnen Ministers, wir sehen eine desaströse Politik in großem Maßstab, eine Regierungspolitik, die beseelt von der eigenen Selbstherrlichkeit eine pflichtvergessene Politik betreibt, die dem Freistaat Thüringen schadet. Es geht längst nicht mehr nur um die Personalie Lauinger. Daher greift der Antrag der CDU-Fraktion auch zu kurz. Ein Regierungschef, der unbekümmert an diesem Justizminister festhält, welcher nicht nur Schwierigkeiten mit seiner verfassungsrechtlich gebotenen Neutralitätspflicht hat, sondern der es mit seinen Amtspflichten insgesamt nicht so genau nimmt, handelt seinerseits pflichtvergessen.

(Beifall AfD)

Es ist daher an der Zeit, dass Ministerpräsident Ramelow mitsamt seiner Regierungsriege vom Amt zurücktritt und den Freistaat Thüringen damit vor weiterem Schaden bewahrt. Deshalb haben wir einen Alternativantrag eingereicht, mit dem die Regierung Ramelow zum Rücktritt aufgefordert wird. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Danke schön. Damit eröffne ich die Beratung. Als Erste hat Abgeordnete Dr. Martin-Gehl für die Fraktion Die Linke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion hat mich sehr befremdet.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ein Minister soll unverzüglich aus seinem Amt entlassen werden. Das ist eine schwerwiegende Forderung, für die man wohl eine fundierte Begrün

(Abg. Walk)

dung erwarten dürfte. Was sich in der vorliegenden Begründung allerdings findet, basiert auf Behauptungen, Unterstellungen, Vermutungen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da ist etwa die Rede von „mangelndem Problembewusstsein“, von „Nachlässigkeit“, von „Missachtung parlamentarischer Informationsansprüche“, ohne auszuführen, welche konkreten Ministerpflichten angeblich verletzt wurden, welches Verhalten nachlässig gewesen sein soll bzw. was konkret von Herrn Minister Lauinger erwartet wurde. Was bitte soll man mit diesen lapidaren Aussagen anfangen? Ebenso wenig erschließt sich, welches vermeintliche Fehlverhalten sich hinter dem Vorwurf des „dilettantische[n] Umgangs mit schwerwiegenden Angelegenheiten“ verbergen soll. Nehmen wir den „gut organisierten Drogenring“ in der JVA Tonna, insoweit stellt sich zunächst die Frage, woraus die Antragstellerin die Erkenntnis schöpft, dass es in der JVA Tonna den behaupteten gut organisierten Drogenring gibt. Nach den vorliegenden Pressemitteilungen muss man davon ausgehen, dass Quelle dieses Wissens eine Fernsehberichterstattung ist, in der – medial eindrucksvoll in Szene gesetzt – in der Sache beteiligte Personen über die Drogenproblematik in der JVA Tonna aus ihrer persönlichen subjektiven Wahrnehmung heraus sprechen und Bezug auf sogenannte Ermittler genommen wird, deren Identität völlig im Dunkeln liegt. Solche nicht überprüfbaren Informationen als Tatsachen zu unterstellen und daraus der Öffentlichkeit einen gut organisierten Drogenring, ja sogar ein „Drogenkartell“, wie es in der Pressemitteilung heißt, zu präsentieren, das ist abenteuerlich, ich möchte schon sagen vermessen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bleiben wir doch bei den Fakten: Dass es in der JVA Tonna – und auch nicht nur in dieser JVA – Drogenprobleme gibt, ist seit Langem bekannt. Herr Minister Lauinger hat dazu in den Sitzungen des Justizausschusses am 09.12.2016 sowie am 20.01.2017 ausführlich berichtet. Dabei informierte er auch über die Maßnahmen, die zur Eindämmung des Drogenkonsums im Thüringer Strafvollzug und speziell zur Prävention ergriffen wurden. Die Details hierzu sind in den Protokollen der Ausschusssitzungen nachlesbar. Zudem empfehle ich als Lektüre die Antwort vom 23.12.2015 auf die Große Anfrage der CDU.

Was die staatsanwaltlichen Ermittlungen zu Drogenvorfällen in der JVA Tonna anbelangt, vermag ich kein Informationsdefizit vonseiten des Justizministeriums zu erkennen, denn Ermittlungsverfahren sind bekanntlich vertraulich zu behandeln. Diese Vertraulichkeit ist notwendig, um ein faires Verfahren sicherzustellen, um einerseits die Persönlich

keitsrechte von Beschuldigten und Zeugen zu gewährleisten und andererseits den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dies ist ein unabdingbares Gebot der Rechtsstaatlichkeit, über das sich auch Minister und Abgeordnete nicht hinwegsetzen dürfen. Gerade in dem sensiblen Bereich des Strafvollzugs verbietet es sich, Ermittlungen vor ihrem Abschluss öffentlich zu machen. In gleicher Weise verbietet es sich aber auch, aufgrund einzelner Vorfälle in spekulativer Weise das Ermittlungsergebnis quasi vorwegzunehmen und damit die öffentliche Meinung zu manipulieren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Also was ist daran dilettantisch, wenn sich ein Minister an rechtsstaatliche Gebote hält? Lassen Sie uns den Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abwarten, dann wird sich zeigen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Strukturen des organisierten Drogenhandels in der JVA Tonna bestanden oder gar noch bestehen und welche Abwehrmaßnahmen geboten sind.

Zum Ausbruch eines hochgefährlichen Straftäters aus der Justizvollzugsanstalt Suhl-Goldlauter: Über diesen Vorfall hat der Justizminister in der Sitzung des Justizausschusses am 27.10.2017 ausführlich berichtet. Und falls Sie sich in dieser Angelegenheit dennoch nicht ausreichend informiert fühlen sollten, erlaube ich mir, auf eine Sitzung des Justizausschusses vom 14.02.2008 zu verweisen. Ein Vertreter des damals CDU-geführten Justizministeriums führte zu einer ähnlichen Problematik aus, dass die Nichtrückkehr eines Strafgefangenen aus einem ihm gewährten Hafturlaub kein Gegenstand sei, über den die Landesregierung den Ausschuss unterrichten würde. Zudem beklagte er in diesem Zusammenhang den reißerischen Unterton der Medien.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Hört, hört!)

Hört, hört! Da hat sich ja einiges geändert seit Ihrem Umzug in die Opposition. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zurück zu Ihrem Antrag: Sie sind also der Meinung, dass Herr Minister Lauinger den Herausforderungen seines Amtes nicht gewachsen sei, weil es in Thüringer Justizvollzugsanstalten eine Drogenproblematik gibt und weil ein Untersuchungsgefangener entflohen ist.

(Beifall CDU)

Lassen Sie uns doch einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen: Lieber Herr Kollege Geibert, als ehemaliger Abteilungsleiter Strafvollzug des TJM werden Sie mir sicher zustimmen, dass Ausbrüche aus Justizvollzugsanstalten und Drogenprobleme in Haftanstalten nichts ganz und gar Ungewöhnliches sind und gewiss

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: In meinen fünf Jahren ist keiner ausgebrochen!)

(Heiterkeit im Hause)

gut, warten Sie es ab, ich werde dazu noch etwas sagen – nicht von Nachlässigkeit und fehlender Kompetenz des jeweils amtierenden Justizministers zeugen. Ich möchte dazu an Ausbruchsfälle aus der Zeit erinnern, als das Thüringer Justizministerium von der CDU geführt wurde – ja, jetzt kommt’s –: Im Jahr 2000 brach ein Häftling aus der Justizvollzugsanstalt Gotha aus, ein weiterer entwich im selben Jahr aus der Justizvollzugsanstalt Goldlauter, zwei weitere im Jahr 2006 aus dem Maßregelvollzug in Mühlhausen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen; ich nehme insoweit Bezug auf die Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Nothnagel vom 09.01.2008, da finden Sie eine schöne Liste.

Sehr geehrte Kollegen, die Unruhe im Haus wird etwas zu groß. Ich bitte um Ruhe. Danke.

(Zwischenruf Abg. Korschwesky, DIE LINKE: Ich kann die verstehen von der CDU!)

Und was die Problematik des Drogenkonsums in Haftanstalten anbelangt, möchte ich nur beispielhaft an den tragischen Tod eines Häftlings in der JVA Hohenleuben wegen unbekannter Drogenproblematik im Jahr 2006 erinnern. Vonseiten des damals CDU-geführten Justizministeriums wurde dazu ausgeführt, dass es trotz aller Kontrollen immer wieder solche Fälle und auch immer wieder Bedienstete geben werde, die sich in dieses Geschäft einbinden ließen, dass es eine drogenfreie Anstalt weder in Thüringen noch in ganz Deutschland gebe und dass es vermessen wäre, wenn man behaupten würde, dass eine Justizvollzugsanstalt, in der natürlich auch ein hoher Anteil von Betäubungsmittelabhängigen inhaftiert sei, drogenfrei wäre.

In Anbetracht des vorliegenden Antrags müsste man meinen, dass die damaligen Justizminister wegen dieser Vorfälle ihren Hut nehmen mussten. Aber mitnichten! Auf solch eine absurde Idee ist damals niemand gekommen.

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: Noch nicht einmal die Opposition!)

Woher kommt aber dieser Gesinnungswandel? Ich denke, Ausführungen hierzu kann ich mir ersparen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Lassen Sie mich nun auf die Vorwürfe zum Verhalten des Ministers in der Angelegenheit der Prüfungsbefreiung seines Sohnes eingehen oder – besser gesagt – nicht eingehen. Denn es ist ein Unding zu verlangen, dass sich das Plenum mit Fragestellungen befasst, die Gegenstand der Ermittlungen eines Untersuchungsausschusses sind.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)