irgendwann nach Nachdenken und Diskutieren für mich gesagt habe, das ist eigentlich eine entleerte Generation. Meine Alterskohorte gehört nicht mehr zu der Generation, die bewusste Erinnerungen an die DDR-Zeiten hat, sondern ist sehr darauf angewiesen zu hören, was in der Familie passiert ist, und lebt in der Hoffnung, dass man in einer Familie aufwächst, wo man darüber offen reden kann. Ich bin sehr froh und dankbar, dass das in meiner Familie durchaus der Fall war. Meinen Eltern und auch meinen Großeltern war es in allen unterschiedlichen Bewertungen, was die DDR betrifft – da gibt es innerhalb meiner Familie gravierende Unterschiede, das muss ich auch sagen –, immer möglich, darüber sehr offen und auch schonungslos zu reden. Meinen Eltern und Großeltern war es trotz unterschiedlicher und auch schmerzhafter Erfahrungen möglich, darüber zu reden. Das ist nicht überall so – bis heute nicht.
Deswegen ist es natürlich gerade in der Frage, was Demokratie und demokratische Prozesse betrifft, umso wichtiger – und das ist auch immer so ein bisschen mein Grund und mein Petitum, weswegen ich gesagt habe, ich möchte mich in diesem Parlament um das Thema „Aufarbeitung“ bemühen. Natürlich muss es neben den historischen Fakten, die, wie ich heute leider auch feststellen musste, an einigen Stellen sehr interessant interpretiert worden sind oder auch ein Stück weit ahistorisch und fokussiert auf einen bestimmten Punkt dargestellt wurden, um eine ideologische Variante reinzubringen, neben diesen Fakten, die wir in der Schule lernen und die Sie vielleicht und hoffentlich, sicherlich auch in Vorbereitung des heutigen Tages und Ihres Besuchs hier, schon haben, auch darum gehen, dass nachfolgende Generationen ein Gefühl dafür entwickeln, nicht nur zu wissen, es ist damals passiert und ich kann im Geschichtsunterricht „herbeten“, was die Jahreszahlen waren und wann was passiert ist und ich habe gelernt, in welchen Zusammenhängen das vielleicht steht, sondern dass es auch ein Gefühl gibt, was Umbruchserfahrungen für die Menschen damals bedeutet haben. Daraus schließt man dann auch aus meiner Sicht den Rückschluss zu dem, was wir gestern lange diskutiert haben, nämlich den Thüringen-Monitor – was macht das mit den Menschen heute?
Denn ich glaube, es ist falsch, zu sagen, dass für alle Menschen ein Freudentag war. Natürlich war es für viele Menschen und auch völlig zu Recht ein Freudentag, zu sagen, wir sind auf die Straße gegangen, wir haben uns unterdrückt und nicht wohlgefühlt, wir haben Unrecht erlebt. Für mich ist ja immer ein so ein Beispiel, das bringe ich auch immer wieder gern, die Zwangsausgesiedelten, die sich bis heute Unrecht ausgesetzt fühlen. Aber es gibt Menschen – und das finde ich immer wichtig auch an diesen Punkten, dass man das auch nicht negiert diesen Menschen gegenüber –, für die war
das kein Freudentag. Auch da kann ich wieder sagen, muss ich nur in meine eigene Familie gucken in der Beschreibung. Eben mit diesen Gegensätzen auch zu leben und sie nicht einseitig zu negieren oder auch nicht einseitig zu sagen, du denkst darüber falsch und du hast nicht recht und nur wir haben recht, das war ja so ein bisschen ein Punkt – und darauf ist die Kollegin Pelke auch eingegangen –, weswegen ich bei der ersten Beratung zu diesem Antrag der CDU auch gesagt habe, angemessene Erinnerung, diese Begrifflichkeit „angemessen“, wer entscheidet, was angemessen ist? Denn das ist eine sehr subjektive Geschichte. Das war so ein Einfallstor, weswegen wir auch gesagt haben, wir würden gern mit der CDU zusammen einen Antrag machen.
Lieber Herr Wirkner, wir sind uns gestern kurz auf dem Landtagsflur begegnet und ich fand, das war eine sehr schöne kurze Begegnung, ohne viele Worte zu sagen: „Beim nächsten Mal aber wieder zusammen.“ Deswegen bin ich doch ein bisschen enttäuscht über Teile Ihrer Rede von heute, denn es war so, natürlich hat die CDU-Fraktion mit diesem Antrag ein völlig richtiges Thema gesetzt. Allerdings – und das war die Enttäuschung von Anfang an – dachten wir zumindest, wir hatten die grundsätzliche Vereinbarung, dass wir bei den Fragen Aufarbeitung SED-Unrecht, Aufarbeitung DDRVergangenheit von vornherein versuchen wollen, als demokratische Fraktionen gemeinsame Anträge zu stellen. Mit dem Antrag sind Sie vorher nicht auf uns zugekommen, sondern Sie haben den Antrag eingebracht und dann haben wir natürlich, weil uns nach wie vor daran gelegen war, gesagt, gut, wir überweisen diesen Antrag und wir wollen ihn bearbeiten. Dass es aus unterschiedlichen Gründen nicht dazu gekommen ist – das ist hier mehrfach gesagt worden –, finde ich nach wie vor sehr schade. Ich finde es – und da komme ich auf den Anfang meiner Rede zurück – aus dem Grund besonders schade, weil für mich ganz persönlich neben öffentlichen Gedenkfeiern und Veranstaltungen einer der wichtigsten Punkte ist, dass wir im besten Sinne auch in Anlehnung an die Friedliche Revolution und das 30-jährige Jubiläum sozusagen im nächsten Jahr Demokratiebildung und Demokratieverständnis in den Mittelpunkt rücken, dass es also für die Generation wie mich und alle, die danach gekommen sind und noch nachkommen werden, nicht nur eine Selbstverständlichkeit ist, in einer Demokratie zu leben und demzufolge sich auch im Zweifel nicht darum zu scheren, warum es wichtig ist, dass man wählen geht, warum es wichtig ist, dass man seine Stimme hörbar macht, warum es wichtig ist, so man die Möglichkeit hat und haben möchte, sich einzusetzen für die Dinge, für die man steht, für die man brennt und dass es eben nicht reicht, sich hinzusetzen und abzuwarten, was irgendwie andere Menschen vielleicht machen, um dann zu meckern.
Und aus diesem Petitum heraus zu sagen, das ist das Wichtige für unsere heutige Zeit, denn – und das merken wir in den letzten Jahren leider zunehmend mehr – nichts ist so fragil wie unsere Demokratie und die Freiheit, die wir damit verbinden. Auch ein Begriff, den Sie völlig unterschiedlich interpretieren werden als ich. Das ist völlig normal, denn zum einen ist es eine Generationenfrage und zum anderen ist es eine Sozialisationsfrage – ganz klar. Dass man aber auch die Freiheit lässt, in dieser Frage der Demokratie und dessen, warum Demokratie so wichtig und im Endeffekt das höchste Gut ist, das wir haben, dass man den Begriff der Freiheit eben auch zulässt, auch in der Bewertung von Ereignissen und Geschehnissen in der jüngsten Vergangenheit – nicht anderen Leuten vorzuschreiben, wie sie diesen Begriff auszufüllen haben. Ich glaube, das ist auch ein ganz wichtiger Punkt zur Generationenverständigung und zu der Frage, dass sich natürlich verfestigen muss und kann, dass wir aus der Geschichte lernen können, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch im Empfinden für das Jetzt und für die Zukunft. Deswegen war es mir besonders wichtig, auch den Zusammenhang zum Landesprogramm zu suchen – es ist ja bereits von Birgit Pelke angesprochen worden.
Was auch wichtig ist: Einbindung der Zivilgesellschaft, Einbindung – natürlich – der unterschiedlichen Opfergruppen. Wir wissen es alle: Auch das ist endlich, die biologische Uhr tickt, natürlich. Das heißt, wir müssen, solange wir noch Zeitzeugen haben, die willens und auch in der Lage sind, darüber zu reden, das auch für die Generationen danach nutzbar machen. Deswegen wäre es mir wirklich ein großes Anliegen gewesen, dass wir zu einem gemeinsamen Antrag kommen – in dem Wunsch und dem Willen, dass wir in dessen Mittelpunkt stellen, dass das Wichtigste, das wir haben, diese Demokratie ist und dass diese Demokratie Arbeit ist und dass diese Demokratie genutzt werden muss und soll, aber eben auch verteidigt werden muss gegen Menschen, die sich auch leider heute wieder hier an dieses Rednerpult stellen, in einer großen theatralischen Rede weg vom Antrag gehen und hin zu einer Grundsatzausschlachtung, warum Deutschland quasi in Knechtschaft ist und dass sich das Volk wieder erheben müsse. Da dreht sich mir alles im Magen um und ich frage mich, wie man das den Menschen, die hier sitzen und sich das anhören und noch junge Menschen sind, die gerade für sich selbst Demokratie entdecken – wie man das als Lehrerin im Zweifelsfall oder als Lehrer im Nachgang irgendwie einordnen soll. Das ist für mich ungeheuerlich und das ist für mich wirklich gerade an diesem heutigen Tag einfach eine Schande – ganz ehrlich.
Nein, die Rede ist keine Schande. Ich weiß, Sie da drüben haben es ja mit den Begriffen, was für Sie alles eine Schande ist, aber Sie sollten …
Ja, aber dann haben Sie mir ja nicht zugehört, was ich gerade gesagt habe: Dass ich zu den Menschen gehöre, die das Sinnbild dafür sind, was nachfolgende Generationen aus der Erinnerung an die Friedliche Revolution ziehen müssen und wofür es besonders wichtig ist, einzustehen – noch mal: Es ist die Demokratie.
Demzufolge noch mal die Bitte an die CDU-Fraktion, sich unserem Antrag anzuschließen. Ich hoffe sehr und inständig, dass wir in Zukunft bei diesem Thema – damit dann nicht im Endeffekt der lachende Dritte hier ganz rechts sitzt – wieder zusammenstehen, und das auch über 30 Jahre Friedliche Revolution hinaus. Herzlichen Dank.
Es gibt eine weitere Wortmeldung aus den Reihen der Abgeordneten. Abgeordneter Fiedler von der CDU-Fraktion hat sich zu Wort gemeldet.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wissen Sie, ich wollte heute nicht hier vorgehen – das hat krankheitsbedingte Gründe und andere –, aber ich bin so was von tief enttäuscht, der ich jetzt an diesem Thüringer Landtag seit ungefähr 28 Jahren mit teilnehmen darf.
Ich möchte einfach noch mal mit dazu reden als jemand, der so lange in diesem Thüringer Parlament sitzt, nicht weil längere Zeit damit vielleicht mehr Wissen bringt, aber eins kann ich Ihnen sagen – und die junge Kollegin der Linken hat ja gerade gesprochen –: Ich gehöre noch zu denen, die das alles live erlebt haben. Sie haben vollkommen recht, es wird immer unterschiedliche Bewertungen ge
ben. Je länger die Jahre vergehen, umso freundlicher wird auch vieles gesehen. Aber ich denke mal, man sollte nicht vergessen, dass hier eine Diktatur am Werke war, die gegen das eigene Volk mit allen Mitteln, die sie hatte, gearbeitet hat,
mit Stacheldraht, mit Grenzschussanlagen. Bis in die 80er-Jahre wurden noch Menschen mit Genickschuss erledigt, weil sie irgendwelchen Urteilen unterfallen sind, die willfährige Richter damals gefällt haben. Wir sollten doch nicht einfach vergessen, was damals passiert ist. Ein gesamtes Volk wurde in Haftung genommen durch viele IMs und alles, was es da gab.
Frau Kollegin Leukefeld, ich schätze Sie als Person, aber wenn Sie heute hier der Redner der Linken sind, die selbst lange Zeit als IM tätig war, das gibt mir schwer zu denken, meine Damen und Herren.
Frau Kollegin Pelke, ich kenne Sie auch schon ein Weilchen, aber dass Sie heute hier die CDU-Fraktion in die Nähe der AfD rücken, finde ich einfach ungeheuerlich. Das finde ich ungeheuerlich und es wäre vielleicht gut, Sie würden es zurücknehmen.
Aber mein Inhalt ist eigentlich, da ich die ganze Geschichte miterleben durfte – Herbert Wirkner hat schon viel dazu gesagt –, aber da ich nun auch schon ein Weilchen dabei bin, kann ich Ihnen nur sagen: Angefangen am Runden Tisch bei uns damals, wir sind noch in die Stasi-Zentralen rein, als die noch bewaffnet waren. Wir haben viele Dinge auf den Weg gebracht. Dann hatte ich das große Glück – im Nachhinein großes Glück –, ich wurde in die erste frei gewählte Volkskammer gewählt. Ich bin also einer der Zeitzeugen, die dabei waren, als die deutsche Einheit in der Volkskammer von denen getroffen wurde, die das damals wollten. Das war natürlich nicht die Linke – damals hieß sie, glaube ich, noch PDS –, auch für die junge Kollegin, die heute gesprochen hat. Hier geht es nicht darum, um jetzt vielleicht noch nach 30 Jahren alles zu wiederholen.
Das können Sie ja sagen, wenn Sie es wollen. Ich weiß nur – ich war dabei –, dass die Linke das nicht wollte. Das muss man nur konstatieren. Ich sage ja nicht, ob es gut oder schlecht ist; ich will nur sagen, man muss es konstatieren.
Ich sage Ihnen, ich bin dankbar dafür, dass dieser Beschluss damals gefasst wurde. Er war nicht einhellig, ganz klar. Ich will nur daran erinnern, an Mielke und Co., nicht dass jetzt hier immer wieder kommt, da wird nur die eine Keule geschwungen – nein, nein. Ich war Kontrolle und Auflösung MfS in der Volkskammer, ich hatte volle Akteneinsicht mit allem, was es dazu gab. Es kam von allen Seiten, aber insbesondere von der Linken dort gesteuert, wie das MfS eingesetzt wurde. Ich will daran erinnern, dass – weil man immer nur in Richtung MfS geht – ab einer gewissen Stufe der SED die automatisch abgeschöpft wurden. Die mussten gar nicht IM werden, die wurden automatisch abgeschöpft und haben automatisch Informationen geliefert – nur, damit immer diese Mär aufhört. Je länger die Zeit dahingeht, wissen die jungen Leute überhaupt nicht mehr, was los ist. Das ärgert mich maßlos.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier sehe, in unserem Antrag – ach, ich lasse den Antrag weg. Mich regt einfach auf, dass dieses Hohe Haus nicht mehr in der Lage ist, nach knapp 30 Jahren auch einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Das ist die große Schande, die hier steht.
Und da ist es mir vollkommen wurst – jetzt klopfen sie links und rechts von mir, also meine Truppe. Es ist schlimm genug, dass wir es nicht schaffen, einen gemeinsamen Antrag hinzukriegen. Angemessene Erinnerung – da kann man sich noch dreimal hin- und herstreiten. Es geht nur einfach darum, dass wir noch dazu stehen, eine Friedliche Revolution, wo die Bürger auf die Straße gegangen sind, wo die Panzer und alles noch da standen. Und wir machen heute nach 30 Jahren parlamentarische Spielchen, dass der eine einen Halbsatz dahin rückt und einen Halbsatz dahin rückt – das geht doch bis zur AfD, geht das genauso. Man muss nicht einfach was herbeireden, was nicht da ist. Die Friedliche Revolution hat stattgefunden. Die Menschen in der DDR sind aufgestanden und die restliche Bundesrepublik hat uns unterstützt. Und heute, nach fast 30 Jahren, kriegen wir das nicht mehr hin.
Das ist eine Schande für dieses Parlament, meine Damen und Herren! Das ist eine Schande! Und jetzt fahre ich mich wieder zurück, sonst kriege ich wirklich noch einen Herzinfarkt hier vorne. Ich will Ihnen noch sagen, meine Damen und Herren, aus langjähriger Erfahrung und wer am Runden Tisch mitgearbeitet hat: Ich bin tief enttäuscht und ich bin froh, dass ich nächstes Jahr dieses Hohe Haus verlassen kann. Wenn es nicht mal mehr möglich ist, um die Friedliche Revolution herum einen gemein
samen Antrag hinzukriegen – Das ist eine Schande für dieses Parlament, und ich schäme mich, dass ich diesem Parlament angehöre!
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Werte Abgeordnete, werte Gäste! Mich hat es doch noch mal nach vorne getrieben, denn es sind ja einige Anwürfe in Richtung AfD gekommen. Zur Ehrlichkeit in der Debatte gehört es auch, dass wir eine längere Anlaufzeit hatten, bis die Einheit Deutschlands zustande gekommen ist. Das fing Anfang der 80er-Jahre an, und wir wissen, wer damals die Leute waren, die das ausgelöst haben. Wir hatten einen katholischen Papst, Johannes Paul II., wir hatten in Polen die Solidarność mit Lech Wałęsa, die den Zusammenbruch der sozialistischen Welt eingeleitet haben. Damit hat der Weg angefangen.
In der Mitte der 80er-Jahre haben kirchliche Gruppen in der DDR angefangen, gegen das System zu rebellieren, auch da war ich mit dabei. Und ich erinnere mich rückwirkend: Anfang der 80er-Jahre war ich bei der Armee, wir mussten 1981 die westdeutschen Grenzübergänge sichern, weil in Polen Solidarność zum Generalstreik aufgerufen hatte. Wir wussten nicht, wo man uns hingeschickt hatte, wir wurden vollkommen im Unklaren gelassen; was passiert wäre, wenn der Befehl gekommen wäre, wage ich nicht auszusprechen.
Wir hatten wieder Glück gehabt. Ende der 80erJahre hatten wir Gorbatschow an der Spitze. Wenn wir einen sowjetischen Hardliner an der Spitze gehabt hätten, hätte es die deutsche Einheit so nicht gegeben. Auch dahin müsste man ein Wort des Dankes richten. Auch heute stehen wir wieder an der Zeitenwende. Es ändert sich die politische und gesellschaftliche Struktur in Deutschland. Es wird sich ändern. Und wir werden es bei den nächsten Wahlen erleben, wo der Weg hingeht. Ich hoffe, es geht alles zum Guten aus. In diesem Sinne – vielen Dank.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahrscheinlich haben wir davon unterschiedliche Vorstellungen, was gut ist und was nicht!)