Protokoll der Sitzung vom 01.02.2019

Wenn das unsere Hürde ist, müssen wir genau dort ansetzen und die Argumente anhand von Gerichtsurteilen und Gutachten überprüfen.

Beschäftigen wir uns deshalb zunächst mit dem Argument des Wirtschaftsministeriums, das Unionsrecht begrenze die Höhe des vergabespezifischen Mindestlohns auf den untersten Tariflohn der Gebäudereiniger. Dieser Argumentation können wir als Grüne so nicht folgen. Das Unionsrecht trägt dafür Sorge, dass im Wettbewerb bestimmte Standards eingehalten werden, weil alle EU-Unternehmen innerhalb der EU im gleichen Wettbewerb miteinander stehen. Die Grundlage dafür ist, dass die jeweiligen nationalen Regulierungen ausreichen, damit Unternehmen in der ganzen EU tätig werden dürfen. Dem widersprechen allerdings bestimmte nationale Vorschriften, die es ausländischen Unternehmen schwer machen, an öffentliche Aufträge zu gelangen, beispielsweise ein vorgeschriebenes Lohnniveau. Das EU-Recht hat zwei Möglichkeiten, diesen Wettbewerb mit diesen Standards zu regulieren, zum einen mit einer Harmonisierung des Sekundärrechts; wo dies nicht möglich ist, bleiben zweitens die Grundfreiheiten. Diese Grundfreiheiten verlangen, dass nationale Vorschriften den gleichen Wettbewerb beschränken, ein legitimes Ziel verfolgen, geeignet und erforderlich sind. Im Wirtschaftsministerium misst man nun den vergabespezifischen Mindestlohn direkt an der Dienstleistungsfreiheit. Meines Erachtens ist diese Herangehensweise nicht richtig.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Das ist sehr bedauerlich. Ich glaube, den Rest werde ich mit in die Ausschussdebatte nehmen müssen. Es gibt noch einiges dazu zu erklären. Wir beantragen als Bündnis 90/Die Grünen die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es noch Wortmeldungen seitens der Abgeordneten? Das sehe ich nicht. Für die Regierung Herr

(Abg. Müller)

Minister Tiefensee, bitte schön, Sie haben das Wort.

Verehrte Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Prof. Voigt, es ist wieder einmal eine spannende Auseinandersetzung hier und eine spannende Auseinandersetzung, die folgen wird. Ähnlich wie Herr Höcke haben Sie die Diskussion über dieses Vergabegesetz auf eine Ebene gehoben: Wir würden jetzt hier zwischen zwei unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen unterscheiden müssen. Die finden sich im Vergabegesetz. Ich nehme diese Diskussion an. Ja, es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen der Wirtschaftspolitik von Rot-Rot-Grün und der SPD einerseits und Ihnen. Die macht sich an einem Umstand fest: Sie feiern sich, dass Sie vor zwei Jahren ein schlankes Gesetz mit 15 Paragrafen eingeführt haben. Der entscheidende Unterschied ist – und ich bin Herrn Müller dankbar, dass er darauf hingewiesen hat –, Sie hören nur eine bestimmte Klientel, wenn Sie ein Gesetz machen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie unterziehen sich nicht der Mühe, alle zu beteiligen, die betroffen sind. Das sind eben nicht nur die großen Unternehmen, es sind nicht nur die Arbeitgeberverbände, es sind nicht nur diese oder jene Vertreter von Kammern, sondern Sie müssen sich die Mühe machen, sich zum Beispiel mit dem ÖPNV – mit dem schienengebundenen, mit dem Straßen-ÖPNV – zu beschäftigen und deren Beschäftigten, wenn Sie für deren Belange etwas tun wollen. Dann müssen Sie sie auch an den Tisch holen, dann müssen Sie sich auch mit deren Fragen auseinandersetzen und mit der Frage, ob Sie das im Vergabegesetz verankern.

Der entscheidende Unterschied ist, dass Sie hier vorn einen Wirtschaftsminister stehen haben, der für Unternehmen, für Wirtschaft in Thüringen zuständig ist, und das meint: für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Interessen genauso wie die von Unternehmerinnen und Unternehmern.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der entscheidende Unterschied. Das wird deutlich in jeder Debatte, die wir hier führen. Wir machen Politik für die vielen und nicht für die wenigen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Grund das Vergabegesetz in dieser Art und Weise.

Zum Zweiten, kleine Fußnote, haben Sie Zwickau angeführt – ein wunderschönes Beispiel. Wir halten zunächst einmal fest, dass diese Angelegenheit auf der Basis des jetzigen Vergaberechts vorangetrieben wird. Oder sollte ich genauer sagen, des Vergaberechts von Sachsen? Zum Zweiten wissen Sie wahrscheinlich – oder auch nicht –, dass beim Gefängnisbau zwei große Player in Deutschland unterwegs sind. Es ist also nicht verwunderlich, dass nur ein Angebot da ist. Außerdem, wenn ich es richtig sehe, haben wir dort nach wie vor eine CDU-geführte Landesregierung. Dieses Beispiel heranzuführen ist untauglich. Selbstverständlich ist mir klar, dass die Anzahl derjenigen, die öffentliche Aufträge nachfragen, allein deshalb sinkt, weil wir eine boomende Wirtschaft haben und das Auftragsvolumen auch in der Privatwirtschaft derart ansteigt, dass die Kapazität der Unternehmen nicht mehr hinterherkommt. Dieses Beispiel ist untauglich.

Übrigens Breitband: Erkundigen Sie sich bitte bei den anderen Bundesländern, wir haben genauso wie die anderen unsere Fördergelder bekommen, besser gesagt, zugeschrieben bekommen. Wir können sie abrufen. Aber dass die Bagger fehlen, dass die Unternehmen fehlen, die Breitbandausbau vornehmen, das ist nicht eine Angelegenheit von Thüringen, das ist bundesweit so. Das hat etwas damit zu tun, dass die Bundesregierung diese Entwicklung zu spät angegangen ist, zu spät für Fördergelder gesorgt hat, die wir dann abgerufen haben. So ist das.

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Ja, ja, das ist Ihre Achillesferse!)

Ein dritter Punkt: Mecklenburg-Vorpommern. Lassen Sie uns mal darüber, wenn wir … Das ist gar keine Achillesferse, sondern Sie sind nicht in den Fakten zu Hause. Aber das machen wir mal bei der Breitbanddiskussion, bei der Digitalisierungsdiskussion, die wir schon etwa fünfmal im Landtag geführt haben.

Jetzt zu den Kriterien: Darf ich Sie daran erinnern – es ist auch von den anderen Kollegen schon gesagt worden –: Wir haben im jetzigen Gesetz die Möglichkeit, soziale und ökologische Kriterien fakultativ anzuwenden. Dieses Gesetz haben Sie mit verabschiedet. Was wir jetzt lediglich tun, ist, auf der Basis dieser gleichen Regelung für die Vergabestellen klarer zu machen, was wir damit meinen – nichts anderes. Daraus kann auch durchaus entstehen, dass wir mehr Paragrafen haben oder mehr Zeilen im Gesetz als zuvor. Es ist eine Insbesonde

(Präsidentin Diezel)

re-Regelung, die die Vergabestellen anleiten soll, dass sie besser wissen, was wir damit meinen.

Ein Letztes zum vergabespezifischen Mindestlohn: Herr Höcke hat sich hierhergestellt und hat den großen Arbeitnehmerfreund gespielt, hat darüber geredet, dass die AfD in dieser Richtung die Partei ist, die die besten Vorschläge vorlegt, aber eine eigene Gewerkschaft gründet, die genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie eigentlich wollen, nämlich Tarifbindung nach oben und bessere Tarife.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Voigt, ich würde ganz gern noch mal die Systematik des vergabespezifischen Mindestlohns und den dahinterstehenden Gedanken erläutern, denn es ist untauglich, zu sagen, wir haben die untere Grenze, das ist der allgemein verbindliche Mindestlohn, und das genügt uns. Ich darf daran erinnern, dass dieser Mindestlohn von der Bundesregierung verabschiedet worden ist, weil es einer solchen unteren Haltelinie bedurfte. Viele Bundesländer, die einen vergabespezifischen Mindestlohn in ihren Gesetzen haben, haben den verankert, bevor dieser Mindestlohn eingeführt wurde. Aber das EURecht – wir können diese Diskussion nämlich auch drehen – gibt uns die Möglichkeit, wenn es regionale und länderspezifische Besonderheiten gibt, über diesen allgemein verbindlichen Mindestlohn hinauszugehen. Der Gedanke dahinter, dass uns das eröffnet wird, ist, dass es Spezifika geben könnte – die finden Sie hier in Thüringen –, die es notwendig machen, hier schrittweise noch höhere Grenzen einzuziehen, untere Haltelinien einzuziehen als einen solchen Mindestlohn. Genau das tun wir.

Wir sind unter Umständen unterschiedlicher Auffassung, wie die Obergrenze ist. Wir haben eine Rechtsauffassung, die uns sicher zu sein scheint. Wir sind überzeugt, dass sie sicher ist. Aber der Grundgedanke, Herr Prof. Voigt, ist ein anderer. Er sagt nämlich: Wenn es regionale und länderspezifische Besonderheiten gibt, dann ist es dem Gesetzgeber erlaubt, ihm wird ein Instrument an die Hand gegeben, über diesen allgemeinen Mindestlohn hinauszugehen. Genau das tun wir.

(Beifall DIE LINKE)

Warum tun wir das? Weil wir ein deutliches Signal setzen wollen. Die Politik eines Niedriglohnlandes Thüringen – kommt hierher, liebe Unternehmer, weil ihr hier Arbeitnehmer zu schlechten Konditionen kriegt –, diese Politik hört auf. Sie hört schon lange auf und das Vergabegesetz spiegelt das. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt eine weitere Wortmeldung, die Abgeordneten Prof. Dr. Voigt und Wirkner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich immer, Herr Wirtschaftsminister, wenn Sie hier nach vorne kommen. Das zeugt ja davon, dass Sie noch Erklärungsbedarf haben. Insofern freuen wir uns darüber.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So großzügig!)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Warum kommen Sie dann nach vorn?)

Sie haben recht, es gibt einen systematischen Unterschied, wenn wir auf die Wirtschaft in Thüringen blicken und auf die Unternehmen und ihre Mitarbeiter und wenn Sie darauf blicken. Wir haben jetzt schon eine Große Anfrage zum Thema „Entwicklung der Wirtschaftspolitik“ gestartet. Ich bin mir sehr sicher, dass die Fakten – weil unsere Politik nämlich auf Fakten basiert – offenlegen werden, dass die Anzahl der Gründungen in der Zeit, wo Sie Wirtschaftsminister gewesen sind, zurückgegangen ist im Freistaat, und zwar signifikant. Wir sind unter den letzten Plätzen in Deutschland. Wir sind eigentlich ein Land der Gründer. Neun von zehn Unternehmen sind in Thüringen nach 1990 gegründet worden. Die Gründungen gehen zurück. Dann gibt es einen zweiten Punkt. Wenn ich mir angucke, das Fachkräftepotenzial geht zurück, die Unternehmensnachfolge geht zurück. All das findet unter Ihrer Aufsicht statt. Jetzt sage ich Ihnen, was das mit dem Vergabegesetz zu tun hat. Wenn Sie sich hierherstellen und sagen: „Ich kümmere mich zwar um die Unternehmen, aber für mich ist ganz entscheidend, wie es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht“, dann kann ich Ihnen sagen: Uns ist es auch wichtig, wie es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht, aber für uns ist vor allen Dingen entscheidend, dass es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur gibt, weil es am Ende auch Handwerker, Thüringer Mittelstand gibt, die die Verantwortung tragen dafür, dass diese Unternehmen am Ende auch am Markt bestehen können.

(Beifall CDU)

Deswegen kümmern wir uns um die Menschen, die für Lohn und Brot in diesem Freistaat sorgen, genauso wie um diejenigen, die jeden Tag früh aufste

(Minister Tiefensee)

hen, um das am Ende eben auch für die Unternehmen zusammen zu erreichen.

(Beifall CDU)

Wenn Sie das am Ende auf die Formel „Sozial ist, was Arbeit schafft“ verkürzen wollen, dann ist das der Maßstab, den wir als CDU-Fraktion vorn herantragen.

(Beifall CDU)

Nun stellen Sie sich die Frage: Was hat das mit Vergaberecht zu tun? Sie sagen, es ist doch ganz klar, die Wirtschaft brummt. Deswegen gehen die eher in die Privatwirtschaft bei den Aufträgen und nicht in die öffentlichen Aufträge. Aber wir schreiben doch bitte schön kein Vergaberecht nach Konjunkturprognose. Wir schreiben doch ein Vergabegesetz, was in guten wie in schlechten Zeiten wetterfest ist. Wenn Ihre wirtschaftspolitische Vorstellungswelt als Sozialdemokraten immer bedeutet, dass der Staat in schlechten Zeiten auch dafür zuständig sein soll, mit Aufträgen Konjunktur zu stabilisieren, dann muss doch bitte schön gelten, dass ein Vergaberecht gerade für diese schwierigen Zeiten, die vielleicht mal wieder kommen werden, auch genauso wettbewerbsfähig ist, dass Unternehmen sagen: „Jawohl, ich will mich in öffentliche Aufträge hineinbegeben“, und nicht davon wegbleiben. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Unser Anspruch ist, ordentliche Gesetze zu machen, deshalb auch ein schlankes Vergabegesetz, das wir Ihnen als Gegenentwurf anbieten, weil wir sagen, heutzutage bewirbt sich keiner dafür, weil es überbürokratisch ist, weil Ihnen in Ihrer eigenen Evaluierung, die Sie bezahlt haben, wo Ihre Experten, die alle Sie ausgesucht haben, Ihnen ins Stammbuch schreiben: Zwei Drittel der Unternehmen sagen, es ist zu bürokratisch, deswegen bewerben wir uns nicht mehr um öffentliche Aufträge. Das kann man quasi in dem Großaufträgebereich genauso wie im Unterschwellenbereich sehen.

Ich habe mir gerade von meinem Kollegen Dr. König erzählen lassen: Ein Gymnasium in Heiligenstadt hat eine europaweite Ausschreibung durchgeführt, ein Architekt hat sich darauf beworben. Das ist die Realität. Es ist ein 6-Millionen-Euro-Auftrag, es ist jetzt keine kleine Sache. Das erleben wir in Thüringen landauf und landab. Wir werben dafür als CDU-Fraktion: Gucken Sie sich diese reale Situation im Freistaat an und verschließen Sie nicht Ihre Augen, weil wir in eine Situation hineinlaufen, wo Fachkräfte weniger werden, wo Unternehmensnachfolgen weniger werden. Deswegen wünschen wir uns einfach, dass eine Wirtschaftspolitik da ist, die mit Augenmaß stattfindet und nicht einfach sich auf den Wahlkampf 2019 vorbereitet. Das ist unser

Werben. Deswegen setzen wir uns so vehement dafür ein.

(Beifall CDU)

Danke schön. Gibt es weitere Wortmeldungen? Herr Wirkner, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, wer von den Abgeordneten im Leben schon einmal ein Unternehmen hatte und sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligt hat, weil er tariflich gebundene Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar mehr als einen.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Wir sind immer noch Unternehmer!)

69 Seiten Vergabegesetz sprechen schon allein für sich. Wenn man in der Praxis die Realität sieht, muss man sich mal vor Augen führen, was das für kleine Unternehmen bedeutet, wenn sie sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen wollen, 69 Seiten Gesetzeskenntnis zu haben, um alles das beizubringen, was man braucht.

Sicherlich ist die Forderung nach mehr Lohn, um ein besseres Leben zu generieren, eine wichtige Forderung. Aber ich sage es auch gleich: Ein vergabespezifischer Mindestlohn gehört nicht in dieses Vergabegesetz.