Protokoll der Sitzung vom 05.07.2019

Ich denke, allein das ist schon schlimm genug, wenn Sie letztendlich so tun, als würden Sie alles berücksichtigen wollen.

Sie schränken natürlich auch den Spielraum der Parteien ein. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich eine Partei habe, die 6.000 Mitglieder hat, oder eine Partei habe, die 100 Mitglieder hat. Wenn ich eine Listenaufstellung von 88 Plätzen habe, habe ich dann einen heftigen Unterschied. Und da gibt es natürlich Probleme. In Brandenburg hat man auch nicht umsonst gegen das Gesetz geklagt, da trifft es ja die Piraten. Das sind jetzt nicht die, die man uns unbedingt zuordnen würde. Die sind vor das Verfassungsgericht gezogen, weil es denen genau so passiert ist, dass letztendlich nicht genügend Kandidaten aufgestellt werden konnten – oder sie haben sie aufgestellt, aber sie konnten nicht berücksichtigt werden, weil das Gesetz das nicht zulässt. Und es ist doch absurd,

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch Quatsch! Das gilt dort doch erst ab 2020!)

na doch –, es ist doch absurd, wenn man letztendlich in Ihrem Gesetz mitteilt, dass letztendlich eine teilweise Listenstreichung erfolgt, wenn man diese Parität nach § 29 nicht eingesetzt hat, und § 30 regelt letztendlich, dass man dann auch eine Teilstreichung der Liste machen kann.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch alles raus! Sie müssen schon auf dem Stand von heute diskutieren!)

So steht es doch hier im Gesetz.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! Es gibt doch einen Änderungsantrag!)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Die haben es noch schlimmer gemacht!)

Die haben es schlimmer gemacht. – An der Stelle sind die Piraten, denke ich mir, genau auf dem richtigen Weg. Es kann nicht sein, dass letztendlich Sie entscheiden, wer auf der Liste steht und wer nicht. Das entscheidet allein der Wähler der Partei

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das entscheidet die Par- tei!)

auf dem Wahlparteitag, der entscheidet das.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Partei stellt die Liste auf!)

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und wenn ich jetzt mal zu Ihnen komme: Sie haben das ja groß angekündigt, dass das ganz wichtig ist

diese Parität –, und die Liste auch entsprechend aufgestellt. Wenn ich mir die Listen ansehe, wenn man das Gesetz nehmen würde, wenn das heute wäre, und Ihre Listen vergleicht, wissen Sie, wie viel Sie dann hätten?

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, natürlich wissen wir das!)

Nach diesem Gesetzentwurf wären es fünf.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie müssen den Ände- rungsantrag der Koalition dazu lesen!)

Sie haben es aber letztendlich nicht verbessert.

Einen Moment, Herr Abgeordneter, lassen Sie mich kurz unterbrechen. Ich bitte darum: Keine Filmaufnahmen und Fotografien von der Tribüne!

Sie haben letztendlich nichts anderes gemacht, als die Parteien zu bevormunden, wie sie ihre Listenplätze zu vergeben haben. Das ist Ihre Vorgabe. Sie interessiert nicht, wie die Parteien das letztendlich bewerten.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Nur das Geschlecht, nicht die Person!)

Doch, Sie entscheiden darüber, dass letztendlich Mann und Frau und Diverse alles entscheidend ist, alles andere interessiert nicht. Dass es aber unterschiedliche Strömungen gibt, dass man auch die Leistung unterschiedlich bewerten muss, denn wir denken schon mit dieser Leistungsfrage, wen man auf die Liste macht. Ich weiß nicht, wie Sie das machen.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sind Frauen und Männer unter- schiedlich leistungsfähig?)

Auch diesen Spielraum und diese Freiräume lassen Sie der Partei letztendlich nicht mehr. Das muss man ganz klar sagen und das lehnen wir von vornherein ab.

Das Verfassungsgericht wird, wenn denn dagegen geklagt werden sollte, auch deutlich zeigen, dass das nicht verfassungskonform ist. Die Gutachter haben bisher auch festgestellt, dass es letztendlich diese Bedenken gibt. Ich bin gespannt, wie es in Brandenburg ausgeht. Ich bin wirklich gespannt. Aber nichtsdestotrotz haben Sie sich auf den Weg gemacht, das hier gleiche Gesetz vorzulegen. Ich

bin wirklich gespannt, wie Brandenburg darüber entscheidet.

Aus unserer Sicht gibt es dazu natürlich keine Zustimmung, weil die Parteien erheblich in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden und weil Sie letztendlich vorschreiben wollen, wer welchen Listenplatz bekommt, und das vom Geschlecht abhängig machen. Die Verfassung sagt aber: Es ist geschlechtlich unabhängig zu besetzen. Es geht nicht, dass Sie letztendlich entscheiden, welchen Platz eine Frau oder ein Mann kriegt. Wir hatten das ja schon mal vor über hundert Jahren, den Ständestaat, da hat man auch versucht, das alles so zu ordnen, wie es letztendlich eine kleine Gruppe haben wollte. Und das wurde dann festgelegt. Man könnte auch in die jüngere Geschichte gehen, da hat das Politbüro festgelegt,

(Beifall CDU)

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

welche Leute auf die Liste kamen – das kennen wir ja auch noch – und es hat geklappt.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Bei der Nationalen Front war die CDU dabei!)

Da hat eine Partei festgelegt, wer alles auf die Liste kommt, dann wurde gefaltet und eingeworfen. Da hatte man den Stress natürlich nicht, wie wir ihn heute haben, dass wir darüber diskutieren und debattieren. Auf diesen Weg wollen wir uns nicht begeben.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das vergleichen Sie wirklich?)

Wir wollen letztendlich nach wie vor dem Wähler die Entscheidung lassen,

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Diplomatisch gesagt: Sie sind auf dem Holzweg!)

der weiß am besten, was für ihn gut ist. Und wir wissen als Partei am besten, wie wir unsere Listen aufstellen, damit wir erfolgreich sind. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber die Liste stellt doch nicht der Wähler auf!)

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Die Listen stellen die Parteien auf, Herr Kellner!)

Danke schön. Als Nächste spricht Frau Abgeordnete Marx von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommen große Emotionen in diesem Landtag auf. Was ist der Hintergrund? Wir haben 100 Jahre Frauenwahlrecht und die Repräsentanz beider Geschlechter im Parlament ist nach wie vor ungleich. Deswegen ist es an der Zeit, sich mal Gedanken zu machen, ob das denn so bleiben muss und ob das so in Ordnung ist. Natürlich gibt es rechtliche Bedenken, aber es gibt auch eine Verfassung und nicht nur ein Parteienrecht oder ein Recht von Auswahl unter Vorgaben, die die Parteien gemacht haben, sondern es gibt auch einen Verfassungsauftrag. Auf Stufe 1 – das kennen Sie alle – im Artikel 3 des Grundgesetzes oder auch unserer Landesverfassung steht natürlich der Satz: Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen haben wir ja auch das Wahlrecht. Dann sollen die Mädels mal losmarschieren und dann schauen sie mal, wie weit sie kommen. Dann ist aber noch nicht Schluss, denn alle unsere Verfassungen gehen ja noch weiter, die haben noch einen zweiten Satz. Im Grundgesetz heißt es: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung [...] und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

(Beifall DIE LINKE)

Da könnte man noch sagen: Da müssen sie vielleicht noch ein paar Appelle losschicken und irgendwie noch Schulungen machen, dass es schöner wäre, wenn man die Geschlechterrepräsentanz ein bisschen gerechter gestalten würde, und dann sieht man mal, was rauskommt.

Jetzt kommt aber Stufe 3, das ist unsere Thüringer Landesverfassung, und die hat einen noch viel konkreteren Handlungsauftrag. Die Thüringer Landesverfassung sollte ja bei jedem Abgeordneten unter dem Kopfkissen liegen. Es lohnt sich, immer mal wieder dort hineinzuschauen. In unserer wunderschönen Landesverfassung heißt es in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2: „Das Land, seine Gebietskörperschaften und andere Träger der öffentlichen Verwaltung sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung

(Beifall DIE LINKE)

von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern.“ Das heißt, das ist sozusagen der Endzustand, der wird nicht einfach nur als schönes Ziel an die Wand gemalt, wo man dann mal versuchen kann, wie weit man kommt, sondern

(Abg. Kellner)

wo man dann eben auch die Verpflichtung hat, den Erfolg sicherzustellen.