Protokoll der Sitzung vom 18.05.2016

Härtere Strafen können hier abschreckend wirken. Wenn ich an die Ausschreitungen und Krawalle der letzten Monate in Jena, unter anderem am 3. Oktober 2015, denke, bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass die Einführung eines solchen Paragrafen richtig und sinnvoll gewesen wäre. Sie sind inkonsequent und ich kann die SPD und die Koalition nur auffordern: Wenn wir jetzt das eine anpacken, dann sollte man das andere nicht außen vor lassen, denn es kann doch nicht sein, dass wir Gaffer und ähnliche Leute höherstellen als die Angriffe auf unsere Polizisten und auf unsere Rettungskräfte. Wo

sind wir denn eigentlich hier? Deshalb fordere ich die Koalition auf, dass sie das zum Anlass nimmt, jetzt das Ganze mit einzubinden. Ich fordere den Innenminister und die Landesregierung auf, dafür zu sorgen, dass Rettungskräften mehr Schutz gewährt wird. Sie halten für uns den Kopf hin. Das müssen wir ihnen gewähren und das sollten wir auch.

(Beifall CDU, AfD)

Für die Fraktion Die Linke hat Abgeordnete Berninger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren der demokratischen Fraktionen! „Unfallopfer schützen und Behinderung von Rettungskräften auch in Thüringen effektiv bekämpfen“ – ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, dem Ansinnen kann man uneingeschränkt zustimmen.

Ja, meine Damen und Herren, die morbide Neugier und Sensationsgier, die sogenannte Gafferinnen und Gaffer an den Tag legen, sind verwerflich. Da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Fiedler. Aber wo wir nicht beieinander sind: Nicht auf alle verwerflichen gesellschaftlichen Phänomene kann und soll man mit dem Strafrecht reagieren. Das Strafrecht stellt aus rechtsstaatlichen Gründen das letzte Mittel, die ultima ratio, der Steuerungsinstrumente dar, die dem Staat zur Verfügung stehen. Das Strafrecht ist das schärfste Steuerungsinstrument des Staats. Bevor dieses eingesetzt wird, ist meines Erachtens zu fragen: Welches Rechtsgut soll geschützt werden? Besteht eine Schutzlücke? Ist das gewählte Mittel geeignet, angemessen und erforderlich? Es geht im Prinzip auch um die Verhältnismäßigkeit der gewählten Mittel. Meines Erachtens könnte möglicherweise eine Strafrechtsänderung schon in § 323 c, der die unterlassene Hilfeleistung beschreibt, dadurch erreicht werden, dass man zum Beispiel die willentliche Behinderung dort mit aufnimmt.

Stattdessen schlägt Niedersachsen vor, § 115 neu einzuführen. Das war einer, der weggefallen ist. Dort soll stehen – Frau Marx hat es schon vorgetragen: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes behindert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.“ Das scheint mir nicht ganz verhältnismäßig, zumindest sehr unbestimmt. Denn soll die Behinderung auch ein liegen gebliebenes Fahrzeug darstellen können oder der- oder diejenige, der einen Fehler macht, wenn es um die Bildung der Rettungsgasse geht und deswegen im Weg steht? Oder jemand, der ganz aus Versehen,

(Abg. Fiedler)

ohne ein Gaffer oder eine Gafferin zu sein, eine Behinderung darstellt?

Auch bei der Frage der unbefugten Herstellung von Bildaufnahmen ist eine Änderung in § 201 a vorgesehen. Nur fehlt mir bei dem neuen Punkt 3, der dort eingefügt werden soll und verstorbene Personen benennt, die auch im Punkt 2 explizit benannte Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person. In Absatz 4 soll noch eingefügt werden: „Der Versuch ist strafbar.“ Was ist dann aber beispielsweise mit solchen Bildern, die möglicherweise aus Handykameras zur Beweissicherung herangezogen werden könnten? Meines Erachtens ist der niedersächsische Gesetzentwurf nicht zu Ende gedacht, zumindest im Prinzip meines Erachtens aber nicht verhältnismäßig.

Anlass für die Gesetzesinitiative laut MDR war ein Verkehrsunfall in Bremervörde, bei dem es zu Handgreiflichkeiten zwischen Rettungskräften und Schaulustigen gekommen war. Hier hätte meines Erachtens § 114 Abs. 3 gegriffen, nach dem strafbar ist, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not die Hilfeleistenden der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch die Drohung mit Gewalt behindert oder sie dabei tätlich angreift. Ich denke, das wäre heranzuziehen gewesen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da helfen aber Ferndiagnosen wenig!)

Aber Niedersachsen will den neuen § 115.

Meine Damen und Herren, das Thema der Aktuellen Stunde ist meines Erachtens keines für eine Aktuelle Stunde. Ich bin selbst Feuerwehrkameradin.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe es sehr häufig mit sogenannten Schaulustigen zu tun. Das ist meistens dann auch nicht lustig, wenn die Leute zu nahe herankommen und alles sehen wollen. Dazu gehören nicht selten auch Journalistinnen, die sich an die Absperrung nur sehr ungern halten. Aus dem Bauch heraus würde auch ich als Feuerwehrfrau diesem Ansinnen zustimmen, aber rechtsstaatliche Politik macht man eben nicht aus dem Bauch heraus. Deswegen finde ich – Frau Marx hat auch darauf hingewiesen –, dass dieser Gesetzentwurf möglicherweise aus dem Bundesrat anders herauskommt, als er hineingegangen ist. Es ist tatsächlich zu prüfen, ob das das verhältnismäßige Mittel ist oder ob dieses Ansinnen nicht mit anderen Mitteln zu erzielen wäre.

Wir könnten in Thüringen beispielsweise dadurch Rettungskräfte unterstützen und Opfer schützen, dass wir vielleicht als Landtag oder gemeinsam mit der Landesregierung eine Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne starten, wo wir deutlich benennen, wie verwerflich es ist, wenn Gafferinnen und Gaffer zu einer Gefahr für andere werden.

Oder wir könnten beispielsweise – Herr Fiedler, vielleicht sind wir da auch beieinander – gemeinsam eine Kampagne zur Rettungsgasse starten und durch diese Diskussion potenzielle Gafferinnen und sogenannte Schaulustige dazu bringen, dass sie aus der Entfernung schauen und nicht mehr Rettungskräfte behindern. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abgeordneter Adams das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kollegen hier im Thüringer Landtag! Die SPD hat eine Aktuelle Stunde zu der Frage „Unfallopfer schützen und Behinderung von Rettungskräften auch in Thüringen effektiv bekämpfen“ beantragt. Ich bedanke mich dafür ganz ausdrücklich, weil es nämlich die Gelegenheit gibt, an dieser Stelle hier einiges zu diskutieren.

Rettungskräfte behindern und Fotos von Unfallopfern posten, das geht auf keinen Fall. Es freut mich, dass der Thüringer Landtag in seiner großen Breite in dieser Aktuellen Stunde zeigt, dass wir hier zusammenstehen und uns diesem sehr unwürdigen Verhalten entgegenstellen. Beides gehört zusammen in dieser Aktuellen Stunde, dennoch lohnt es, beide Vorgänge noch einmal getrennt oder differenziert zu betrachten. Wie eben schon ausgeführt von Frau Marx, aber auch von Frau Berninger kann die Behinderung von Rettungskräften natürlich vieles sein. Das kann das Langsamfahren sein, das kann das Im-Weg-Stehen sein, das kann das Füllen des Raums sein, es kann ein widerrechtliches Parken im Halteverbot und damit ein Zustellen der Feuerwehrzufahrt sein, was es wirklich nicht selten gibt, sondern außerordentlich häufig. Aber es kann auch ein Handgreiflichwerden gegen Rettungskräfte und Bedrohen von Rettungskräften sein. Letzteres ist schon strafbar, ist schon ahnbar. Für Ersteres soll nach den Vorstellungen des niedersächsischen Innenministers und des Landes Berlin überprüft werden, ob dieses aus dem Raum der Ordnungswidrigkeiten hin zur Strafbarkeit geführt werden soll. Wir wollen, dass unsere Landesregierung dabei ganz außerordentlich intensiv prüft, ob das Strafgesetzbuch auch der richtige Ansatz, der zweckmäßigste Ansatz, der beste Ansatz ist, hier zu einer Einstellungsänderung, einer Verhaltensänderung bei den Verkehrsteilnehmern zu kommen. Ist es nicht vielleicht besser, an dieser Stelle Hinweis, Ermahnung, Aufforderung, Wegweisung und Ähnliches bis hin zum polizeilichen Platzverweis nach PAG einzuset

(Abg. Berninger)

zen? Diese Frage werden wir genau prüfen müssen.

Einig sind wir uns alle, dass das insbesondere in die Würde der Opfer eingreifende Posten von Unfallopfern und den Bildern von ihnen, auch von Menschen, die im Rahmen eines Unfalls getötet wurden, würdelos ist und dass wir bisher überhaupt keine vernünftige Handhabe haben, um diesem Vorgehen, dieser Handlung etwas entgegenzusetzen. Damit wollen wir an dieser Stelle wesentlich wohlwollender prüfen, was wir hier tun können und sehen durchaus das Strafgesetzbuch als den richtigen Handlungsraum, um dieser Vorgehensweise einen echten Riegel vorzuschieben.

Ich bin mir gemeinsam mit meiner Fraktion sicher, dass unsere Landesregierung gut prüfen, reiflich abwägen und dann zu einer guten Entscheidung kommen wird, ob sie dieser Initiative Berlins und Niedersachsens beitreten wird. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es hat sich nun Abgeordneter Henke, AfD-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Abgeordnete, werte Gäste, ich möchte die Überschrift der OTZ vom 14.05.2016 zitieren, die eigentlich alles sagt: „Gaffen bei Unfall soll strafbar werden“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich danke Herrn Abgeordneten Fiedler, der zu den Einsatzkräften, die durchaus immer größeren Gefahren ausgesetzt sind, Stellung genommen hat. Dazu zählen nicht nur die Handykameras, sondern auch die Einsätze vor Ort. Ich bin gespannt auf den Antrag, der im Bundesrat eingebracht worden ist, ob er zerredet wird oder ob er irgendwann mal Gesetzesreife erreicht. Ich möchte mich den Worten von Herrn Kai Christ von der Gewerkschaft der Polizei anschließen: Wir werden einer Strafverschärfung nicht im Weg stehen. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Landesregierung hat Herr Staatssekretär Götze das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten, die Aktuelle Stunde der Fraktion der SPD „Unfallopfer schützen und Behinderung von Rettungskräften auch in Thüringen

effektiv bekämpfen“ wird durch die Landesregierung ausdrücklich begrüßt.

(Beifall CDU)

Wie bereits erwähnt haben die Länder Niedersachsen und Berlin im Bundesrat einen Gesetzesantrag zur Änderung des Strafgesetzbuchs „Effektive Bekämpfung von sogenannten ‚Gaffern‘ sowie Verbesserung des Schutzes des Persönlichkeitsrechts von Verstorbenen“ eingebracht. Der Anlass zumindest für Niedersachsen hat hier auch schon Erwähnung gefunden. Das ist die Konsequenz aus einer Rangelei nach einem Unfall in Bremervörde. Dort war ein Auto in eine Eisdiele gefahren, wobei ein zweijähriger Junge und ein 65-Jähriger zu Tode kamen. Bei den Rettungsarbeiten kam es dann zu Handgreiflichkeiten mit den Schaulustigen.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, jeder hat es schon mal erlebt, wie sich bei Unfällen und anderen Ereignissen Menschenmengen bilden und das Geschehen sehen möchten. Bekannt ist auch, dass sich dann der Verkehr auf der Gegenfahrbahn durch Gaffer stark verlangsamt und die Gefahr weiterer Unfälle deutlich steigt. Solche Ansammlungen erschweren oder behindern die Anfahrt der Rettungskräfte und verhindern in Einzelfällen im schlimmsten Fall auch die Rettung der Verunglückten. Zunehmend ist zu verzeichnen, dass Schaulustige bei schweren Unfällen die verunglückten Personen mit ihren Mobiltelefonen fotografieren oder videografieren, anstatt ihnen zu helfen, wie es eigentlich ihre Pflicht wäre.

(Beifall CDU)

Auf die Unterlassungsaufforderung durch Rettungskräfte oder Polizei wird dann mit Unverständnis bzw. nur sehr zögerlich oder gar nicht reagiert. Im Weiteren werden diese Aufzeichnungen nicht selten auch im Internet verbreitet oder den Medien zur Verfügung gestellt. Diese Missachtung des Persönlichkeitsrechts der Opfer und Retter soll mit der Gesetzesnovelle beendet bzw. soll ihr Einhalt geboten werden.

(Beifall CDU)

Das geltende Recht – da würde ich gern die Rechtslage zu den Rettungskräften, bei denen Sie darauf hinweisen, dass es da auch einen Antrag aus Hessen mit einer entsprechenden Strafverschärfung gab, abschichten – sanktioniert Behinderungen von Rettungsarbeiten dann, wenn die Behinderungen durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt erfolgen bzw. mit einem tätlichen Angriff auf den Hilfeleistenden verbunden sind. Eine Behinderung von Rettungsarbeiten, bei der keine Gewalt im Sinne des § 113 Strafgesetzbuch angewendet wird und kein tätlicher Angriff vorliegt, ist bisher nicht explizit unter Strafe gestellt. Dieses Verhalten kann unter bestimmten Voraussetzungen lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Diese Straf

(Abg. Adams)

barkeitslücke gilt es im Interesse des Opferschutzes zu schließen. Zudem gilt es, den strafrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen die Herstellung und Verbreitung bloßstellender Bildaufnahmen von verstorbenen Personen zu verbessern. Gegen solche Praktiken ist dieser bisher lückenhaft und soll nunmehr geschlossen werden. Die bestehende Schutzlücke wird auch nicht durch das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst und Fotografie – kurz: das Kunsturhebergesetz – erfasst. Unter Strafe gestellt ist hier lediglich die Verbreitung, nicht aber die Fertigung von Aufnahmen. Zum Zeitpunkt der Fertigung der Aufnahmen am Unfallort wird es regelmäßig nicht möglich sein, festzustellen, dass die Hersteller der Aufnahmen die Absicht haben, diese Aufnahmen auch tatsächlich zu verbreiten. Das bloße Filmen oder Fotografieren von Getöteten, Opfern von Unfällen durch Schaulustige, ohne dass zu diesem Zeitpunkt schon konkret die Absicht nachgewiesen werden kann, dass die Aufnahmen auch verbreitet werden, ist daher regelmäßig nach dem Kunsturhebergesetz nicht strafbar. Das ist genau der Unterschied zu den Rettungskräften; wenn die angegriffen werden, haben wir ganz klare strafrechtliche Normen, die so ein Verhalten sanktionieren. Ich bin da ganz bei Ihnen, dieses Verhalten gehört ebenso verurteilt und man muss es auch konsequent strafrechtlich verfolgen. Ob wir dort noch eine Strafschärfung brauchen, das sollte man separat neben diesem Thema, was uns hier beschäftigt, diskutieren.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ihr traut euch nicht!)

Insgesamt ist der Antrag zu begrüßen und wird auch von der Landesregierung unterstützt. Über die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesvorhabens wird im Rahmen der weiteren Befassung zu entscheiden sein. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, in der praktischen Umsetzung werden sich an der einen oder anderen Stelle dann noch Schwierigkeiten ergeben. Es sollte aber auf jeden Fall eine praxistaugliche Umsetzung angestrebt und realisiert werden.

Ein noch zu diskutierendes Problem wird weiterhin die beweiskräftige gerichtsfeste Darstellung für den Ahndungsvollzug bilden.

Abschließend möchte auch ich mich an dieser Stelle noch einmal für dieses Thema/für diese Aktuelle Stunde bedanken, weil es geeignet ist, das Problem noch mal ins Bewusstsein der Bevölkerung zu heben. Ich hoffe, dass das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat dann auch zu dem entsprechenden erfolgreichen Ende gebracht werden kann. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich schließe den fünften Teil der Aktuellen Stunde und damit auch den Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1

Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen Gesetzentwurf der Fraktion der AfD - Drucksache 6/1979 ZWEITE und DRITTE BERATUNG

Wir beginnen mit der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs. Ich eröffne die Aussprache. Zu Wort hat sich Abgeordneter Brandner, AfD-Fraktion, gemeldet.