Protokoll der Sitzung vom 22.03.2017

Deshalb ist hier besonderer Schutz geboten, denn diese Polizisten wiederum schützen das hohe Gut der Versammlungsfreiheit gegen gewalttätige Angriffe.

(Unruhe CDU)

Diesen Schutzanspruch hat jeder Bürger unabhängig von seiner politischen Einstellung, solange er sich im Rahmen des Rechts bewegt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich schließe den vierten Teil und rufe auf den fünften Teil der Aktuellen Stunde

e) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Demografische Entwicklung ernst nehmen. Zukunftsfähige Strukturen für Thüringen schaffen.“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/3626

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Höhn das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ganz konkret zwei aktuelle Anlässe – wir befinden uns ja immer noch beim Thema „Aktuelle Stunde“ – für dieses Thema „Demografische Entwicklung“, das auf den ersten Blick es möglicherweise an Aktualität etwas mangeln lässt. Aber das ist eben nicht so. Wir haben dieses Thema aus zwei Gründen beantragt: Zum einen hat in der letzten Woche Frau Ministerin Keller den Demografiebericht 2016 vorgelegt und zum anderen haben wir zur Kenntnis genommen, dass der eine oder andere Kommunalpolitiker vor Ort durchaus geneigt ist, diese Ergebnisse des Demografieberichts zu ignorieren, zu negieren und nicht die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Deshalb dieses Thema jetzt an dieser Stelle.

Ich will ganz kurz die wesentlichen Eckdaten dieses Demografieberichts nennen, der sich nicht so weltbewegend von den Zahlen des Jahres 2015 unterscheidet. Es bleibt dabei, die Bevölkerungsentwicklung in den nächsten 20 Jahren für Thüringen ist leider degressiv, und zwar in einem erheblichen Maße, so wie wir uns das möglicherweise vor 20 Jahren nicht haben vorstellen können. Aber das ist genau der Punkt, auf den ich hinweisen möchte. Wer sich heute hinstellt und sagt, dass unsere Kindergärten, unsere Schulen voll sind und wer weiß, wer alles diese Statistik gefälscht hat – das haben wir alles in den letzten Wochen und Monaten zur Kenntnis genommen –, das ist eben der Punkt, den ich mit einem Vorgehen vergleiche, wie es bestimmte Vögel in der Wüste zum Anlass nehmen, wenn Gefahr droht, den Kopf in den Sand zu stecken. So kann man natürlich den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht werden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese rund 1,9 Millionen Einwohner, die in 20 Jahren hier in Thüringen noch leben werden – und wer das anzweifelt, der schaue sich nur mal die Statistik von 1995 bis 2015 an. Diese Entwicklung war regional natürlich etwas unterschiedlich, aber im Wesentlichen ist das genau so eingetreten. Wenn wir

(Staatssekretär Götze)

dann zur Kenntnis nehmen, dass sich von diesen rund 1,9 Millionen Einwohnern knapp die Hälfte im erwerbsfähigen Alter befinden, also genau diejenigen sein werden, die erstens die Kinder kriegen sollen, auf die wir uns alle freuen, und zweitens die Steuern zahlen sollen, von denen wir auch unter anderem öffentliche Verwaltung zahlen sollen, dann kann einem schon in gewisser Weise angst und bange werden. Wer da als verantwortlicher Landespolitiker keine Vorsorge trifft und keine Politik an den Tag legt, die auf eine solche Entwicklung abstellt, der wird seiner Verantwortung nun wirklich nicht gerecht.

(Beifall SPD)

Die Koalition von Rot-Rot-Grün macht genau dies eben nicht. Wir werden mit dieser vorhin schon mehrfach diskutierten Funktional-, Verwaltungsund Gebietsreform genau diese Entwicklung aufnehmen. Es ist ja nicht nur die Bevölkerungsentwicklung, die uns Sorgen bereitet. Auch die finanzpolitischen Rahmenbedingungen werden sich nicht zuletzt auch wegen der Bevölkerungsentwicklung – für Kenner der Materie sei an der Stelle angemerkt, es gibt schon einen Zusammenhang zwischen der Einwohnerzahl und den Zuweisungen im Länderfinanzausgleich; ich will das nicht weiter vertiefen, sonst würde die Zeit nicht ausreichen. Wir haben es mit dem Auslaufen einiger Finanzierungsgrundlagen zu tun, Stichwort „Solidarpakt II“, und wir haben eine Degression im erheblichen Maße bei Europäischen-Strukturfonds-Mitteln zu verzeichnen. All das zusammengenommen zeigt uns eine Entwicklung, auf die wir mit der Umgestaltung unserer Strukturen im Land und bei den Kommunen reagieren. Das ist genau der Hintergrund, warum wir dieses Thema heute noch einmal zum Aufruf gebracht haben. Es hilft nichts, sich vor diesen Tatsachen zu verstecken, diese zu negieren.

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das passt überhaupt nicht zur Rede!)

Das würde uns wirklich zwangsläufig sowohl in ein finanzpolitisches, aber überhaupt in ein landespolitisches Chaos führen, Herr Kollege Mohring. Das ist so, das wissen Sie auch. Sie haben in der Vergangenheit auch das eine oder andere versucht an der Stelle, aber Sie konnten...

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Da haben wir ja auch noch zusammen regiert!)

Ja, ja, es war nicht alles schlecht – genau, das stimmt.

(Heiterkeit CDU)

Meine Damen und Herren, an der Stelle will ich meinen Beitrag beenden.

(Beifall CDU)

Ich glaube, es ist für Sie deutlich geworden, worauf es ankommt. Verantwortung wahrnehmen, das ist das, was diese Koalition tut, und daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Kowalleck, Fraktion der CDU, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Demografiebericht 2016 Teil I umfasst 42 und Teil II sogar 151 Seiten. Von Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Freistaats bis zum Rettungswesen sind viele wichtige Punkte erwähnt. Sie sehen also, damit liegt uns ein umfassendes Werk vor. Die Behandlung in 5 Minuten Redezeit ist da schon sehr sportlich angesetzt. Auch mein Vorredner hat das hier an dieser Stelle erwähnt.

Die Annahme der SPD, dass mit größeren Strukturen alles besser wird, kennen wir ja schon. Allerdings ist es für uns nicht die Lösung des demografischen Wandels, im Gegenteil. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Thüringen attraktiv bleibt und attraktiver wird. Da sollten Sie die Ansätze im Demografiebericht näher betrachten. Die gute Entwicklung des ländlichen Raums war für die CDU schon immer eine Herzensangelegenheit. Der Demografiebericht zeigt auch, dass rund 90 Prozent der Fläche Thüringens zum ländlichen Raum zählen. 764 der insgesamt 849 Thüringer Gemeinden sind ländlich geprägt. Rot-Rot-Grün hat mit seinen Gebietsreformplänen einen Angriff auf ebendiesen ländlichen Raum gestartet. Sie berücksichtigen nicht die historischen Eigenheiten Thüringens und die Situation vor Ort wird ebenso wenig berücksichtigt. Gerade da mahnt der Demografiebericht, dass der ländliche Raum mit seinen vielfältigen Kulturlandschaften maßgeblich an der Identität Thüringens beteiligt ist. Für die Bewohner des ländlichen Raums ist er Lebensqualität und Mentalität zugleich. Ministerin Keller hat es in einem Beitrag zum Demografiebericht gesagt: Thüringen vom Dorf aus denken, denn hier leben die meisten Menschen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da hat sie recht!)

Aber dann müssen Sie eben auch entsprechend handeln, das Dorf erhalten und nicht durch Großstrukturen kaputt machen.

(Beifall CDU)

Frau Ministerin, Sie erwähnten auch, dass mit dem Programm zur Dorferneuerung und Dorfentwicklung die Lebensqualität in den Dörfern erhöht wurde.

(Abg. Höhn)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jawohl!)

Knapp 1.900 Dörfer wurden zwischen 1991 und 2014 im Freistaat auf diese Weise gefördert. Über 900 Millionen Euro Fördermittel wurden in diesem Zeitraum von EU, Bund und Land ausgereicht. Sie dürfen mal fragen, wer da in diesem Land Regierungsverantwortung hatte, meine Damen und Herren!

(Zwischenruf Keller, Ministerin für Infrastruk- tur und Landwirtschaft: Es wurden Steuermit- tel eingesetzt!)

Wenn der Demografiebericht für Rot-Rot-Grün dazu dienen soll, den ländlichen Raum zu schleifen, Kindergärten und Schulen zu schließen, dann haben Sie den Sinn einer solchen Erhebung nicht verstanden oder – viel schlimmer noch – Sie haben ihn nicht verstehen wollen. Meine Damen und Herren, die gute Nachricht im Demografiebericht heißt: Die Zahl der Lebendgeborenen in Thüringen stieg zwischen 2011 und 2014 kontinuierlich an. In diesem Zusammenhang wird im Bericht von einem kleinen Geburtenboom gesprochen, weil trotz der zurückgehenden Zahlen der Frauen im gebärfähigen Alter die Zahl der Neugeborenen eben auch anstieg. Der Bedarf an Kindergartenplätzen – das wissen wir aus den Regionen – steigt seit Jahren. Für junge Familien ist eben auch die Nähe zum Kindergarten ein wichtiger Punkt. Der Demografiebericht spricht davon, dass so Familie und Beruf miteinander in Einklang gebracht werden können. Ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges und für alle Kinder offenes Angebot steht dafür bereit. Das gilt es eben auch zu erhalten und nicht durch eine Gebietsreform zu zerschlagen. Die Schließung von Schulen auf dem Land zugunsten der großen Städte wurde ja schon mehrfach von Vertretern der Linken an dieser Stelle propagiert. Da können wir der SPD nur empfehlen, auf ihre Kommunalpolitiker zu hören. Die unterstützen nämlich mitunter den Erhalt der Schulen im ländlichen Raum. Da kann ich als Beispiel den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt nehmen, hier gibt es auch einen entsprechenden Kreistagsbeschluss, oder auch die Initiativen aus Leutenberg, die sich ja erst vor einigen Tagen mit einem Brandbrief an die Bildungspolitiker des Landtags und auch die Landesregierung gewandt haben. Hier sprechen sich eben auch die Leutenberger dafür aus, dass die Grundschule weiter im ländlichen Raum verbleibt und auch die Hortbetreuung gesichert ist.

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Da fragen Sie mal, wer dort die kleinen Schulen schließt!)

Ich kann Ihnen diesen Brief gern auch übergeben, Herr Harzer. Herr Harzer, sehen so Ihre Schulstrukturen aus?

(Unruhe CDU)

Sehen so Ihre Pläne für eine Gebietsreform aus, indem Sie Schulen schließen? Unsere Lösung ist das nicht!

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Dann erst mal Luft holen, wenn es das erste Mal ist!)

Herr Abgeordneter Kowalleck, Ihre Redezeit ist leider um.

Deswegen sprechen wir uns dafür aus, dass Sie diesen Demografiebericht richtig lesen und dass Sie sich für die Menschen hier im Land einsetzen und nicht alles mit Großstrukturen kaputt machen. Danke sehr, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat für die Fraktion Die Linke Abgeordneter Hande das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, zunächst erst mal mein Dank an die SPD-Fraktion, die mit dieser Aktuellen Stunde einmal mehr die Notwendigkeit einer Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform hervorhebt.

(Beifall SPD)

Mein Dank gilt natürlich auch der Ministerin und ihrem Haus für die Vorlage des Demografieberichts 2016, der vor Augen führt, dass der demografische Wandel eben tatsächlich eine ressortübergreifende Aufgabe ist und auch so verstanden werden muss. Lebten im Jahr 1990, das klang schon durch, noch 2,61 Millionen Menschen in Thüringen, so werden es 2035 nur noch knapp 1,9 Millionen Menschen sein.

(Heiterkeit CDU)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich, dem Redner die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.