Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

Als Nächste hat Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Rede von

Herrn Brandner war es schlicht nicht wert, auch nur annähernd auf sie einzugehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank an meine Kollegin Diana Lehmann, die schon viel Wichtiges vorgetragen hat.

Und Herr Kellner, ich weiß zumindest, wo Sie sich vorbereitet haben. Es gibt offenkundig bei der Konrad-Adenauer-Stiftung – ich nenne es mal – eine Argu-Hilfe gegen die Absenkung des Wahlalters. Da haben Sie dann auch den einen Punkt gefunden, dass nämlich angeblich – Sie haben es nur ein bisschen falsch vorgetragen – die Grüne Jugend Ostalb auch gegen eine Absenkung des Wahlalters sei. Das stimmt nicht. Lesen Sie noch einmal genau bei der Konrad-Adenauer-Stiftung nach, da heißt es, die Grüne Jugend Ostalb hat 2009 eine Umfrage unter 550 Schülerinnen und Schülern durchgeführt und da war es in der Tat so, dass sich 58 Prozent nicht dafür ausgesprochen haben. Das war vor acht Jahren, das war nicht die Meinung der Grünen Jugend, das war eine Umfrage, aber immerhin haben Sie versucht, sich bei der Konrad-AdenauerStiftung zu bilden. Ich nehme das mal als ersten Schritt, sich immerhin mit Dingen vertraut zu machen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Sie die Zivilgesellschaft nicht kennen, was soll ich jetzt sagen, das wundert mich nicht wirklich. Es erschreckt mich schon ein bisschen, weil wir alle wissen, das sind die Vertreter der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, der Feuerwehren etc., all die, die von der AfD immer so gern diskreditiert und beschimpft werden.

(Beifall DIE LINKE)

(Unruhe AfD)

Aber worum geht es eigentlich? Wir bitten die Landesregierung, für die anstehenden Kommunalwahlen im Jahr 2018 eine Erstwählerkampagne zu initiieren, weil es uns darum geht, die Beteiligung von jungen Menschen an den Wahlen auf kommunaler Ebene nachhaltig zu fördern.

Warum ist uns das so wichtig? Alle, die Bündnis 90/Die Grünen kennen, wissen, dass wir uns seit dem Wiedereinzug in den Thüringer Landtag im Jahr 2009 immer wieder für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre eingesetzt haben und deshalb waren wir auch wirklich froh, dass uns dies 2015 gemeinsam mit SPD und Linken gelang. Aufgrund der so wichtigen Wahlrechtsänderung konnten bereits im Jahr 2016 übrigens die ersten 16und 17-Jährigen in Thüringen an Kommunalwahlen in kleinen Gemeinden teilnehmen. Das ist auch gut so, wurde den jungen Menschen in diesem Alter das aktive Wahlrecht doch viel zu lange durch die

(Abg. Brandner)

CDU verwehrt. Eben wurde ja auch schon die Anhörung zitiert, wo es um die eigenständige Jugendpolitik ging, und benannt, dass sich 13 der Anzuhörenden bei dieser Anhörung von den Jugendverbänden etc. dezidiert für das Wahlalter 16 ausgesprochen hatten, darunter übrigens auch der Landesjugendring. Wer sich so wie manche hier über den Landesjugendring äußert, hat in der Tat keine Ahnung. Schauen Sie sich einfach mal an, wer alles zum Landesjugendring Thüringen gehört. Die fordern das seit ganz vielen Jahren, aber sie sagen eben auch, es braucht politische Bildung und es braucht natürlich begleitende Programme, um Jugendliche für die Wahlen zu gewinnen. Uns ist die Mitbestimmung und Partizipation von Jugendlichen wirklich besonders wichtig, denn sie haben ihre eigenen Interessen, sie haben auch ihre eigenen politischen Ansichten und sie wollen sich in das Gemeinwesen einbringen. Es geht eben genau nicht um eine Pflicht, das hat Frau Lehmann auch schon gesagt, sondern es geht um eine Möglichkeit, die Jugendlichen viel zu lange verwehrt wurde.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher arbeitet die Landesregierung gemeinsam mit vielen Akteuren und Jugendlichen an der „Landesstrategie Mitbestimmung“, um den vielen Tausend Jugendlichen, die sich tagtäglich beispielsweise in den Jugendverbänden engagieren, auch die Möglichkeit zu eröffnen, dass sie sich tatsächlich bei einer jugendgerechten Beteiligungsstruktur in Thüringen einbringen können. Uns geht es dabei insbesondere um eine nachhaltige Stärkung der direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene, weil wir alle wissen, lokales Handeln ist das Entscheidende. Da sind die Projekte, da sind die konkreten Anknüpfungspunkte für die jungen Menschen vor Ort, wo sie anfangen, sich zu engagieren. Genau das wollen wir natürlich fördern. Die Inanspruchnahme dieser Mitbestimmungsmöglichkeiten funktioniert natürlich nicht im luftleeren Raum, das muss uns auch allen klar sein, sondern es bedarf unterstützender Maßnahmen, die dies fördern. Diese Maßnahmen wiederum sollen gebündelt durch eine Thüringer Erstwählerkampagne umgesetzt werden mit dem Ziel, das Wahlrecht für die etwa 30.000 zusätzlichen Neuwahlberechtigten im Alter von 16 bis 18 Jahren noch bekannter zu machen. Logisch ist: So etwas kann man natürlich erst machen, wenn das Gesetz dazu auf den Weg gebracht, verabschiedet ist. Vorher hätten Sie uns gesagt: Jetzt lassen Sie uns doch erst mal abwarten, ob es überhaupt zu dem Gesetz kommt. Wir gehen da formal ganz korrekt vor und wünschen uns eine ressortübergreifende Zusammenarbeit zum einen innerhalb der Landesregierung, aber natürlich auch die Einbindung aller relevanten Akteurinnen und Akteure, wie zum Beispiel der Landeszentrale für politische Bildung und auch weiterer staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure.

Positiv stimmen uns übrigens insbesondere die Ergebnisse der Erstwählerkampagnen aus anderen Bundesländern, die haben wir uns mal genauer angeschaut. So lag im Zuge von Erstwählerkampagnen beispielsweise die Wahlbeteiligungsquote der 16- und 17-jährigen Wahlberechtigten bei den Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg deutlich über jener der 18- bis 23-jährigen Wahlberechtigten bzw. der 18- bis 25-jährigen Wahlberechtigten. Auch in Hamburg lag die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen über der der nächstälteren Altersgruppe. Das zeigt, dass die Erstwählerinitiativen wirksam sind und informieren, motivieren und damit auch die Eigenaktivität von jungen Menschen vor Ort stärken.

Lassen Sie mich abschließend noch deutlich machen, dass wir Grüne weiterhin für eine Ausweitung des Wahlrechts ab 16 – auch auf Landesebene – werben. Das ist unsere tiefe Überzeugung. Leider ist die verfassungsändernde Mehrheit aufgrund der anhaltenden Ablehnung durch die CDU dafür nicht in Sicht – was wir ausdrücklich bedauern. Wir hoffen aber, dass ein Umdenken hierfür nach den nächsten Kommunalwahlen auch bei der CDU einsetzt. Dann wird sich nämlich zeigen, dass Jugendliche sehr wohl verantwortungsbewusst sind und auch über entsprechend politische Kompetenzen verfügen und keine manipulierbaren Wesen sind, die sich nicht für Politik interessieren. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächste hat Frau Abgeordnete Engel, Fraktion Die Linke, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen am Livestream, lieber Gast auf der Besuchertribüne, eigentlich wollte ich es recht kurz machen, aber da nun Herr Kellner so eine Grundsatzdebatte über die Absenkung des Wahlalters angestoßen hat und auch meine Kollegin Anja Müller hoch motiviert ist, meine Rede noch zu hören, halte ich sie dann doch und versuche, das möglichst schnell über die Bühne zu bringen.

Durch die Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre haben Jugendliche den Rechtsstatus eines Bürgers ihrer Gemeinde bzw. ihres Landkreises erhalten und können so wesentlich mehr Einfluss auf die Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfelds nehmen. Denn über das aktive Wahlrecht bei Gemeinderats-, Kreistags- und Bürgermeisterwahlen hinaus haben Jugendliche ab 16 Jahren hiermit auch weitere Beteiligungsmöglichkeiten erhalten, wie zum Beispiel Beantragung

(Abg. Rothe-Beinlich)

und Unterzeichnung von Bürgerbegehren und Stimmrecht bei Bürgerentscheiden. Um diese Tatsache und das damit verbundene Wahlrecht für Jugendliche noch bekannter zu machen und die Beteiligung an Wahlen auf der kommunalen Ebene nachhaltig zu stärken, fordern wir die Landesregierung mit dem vorliegenden Antrag auf, eine Erstwählerkampagne zu initiieren. Unser Ziel ist es dabei, Erstwählerinnen zu ermutigen, sich an den Kommunalwahlen im kommenden Jahr zu beteiligen, aber sie auch zu motivieren, sich mit dem Themenfeld Politik auseinanderzusetzen.

Und ja, Herr Kellner, auch wir haben uns die Mühe gemacht, verschiedene Studien zu lesen. Diese Studien, zum Beispiel eine empirische Forschung der Universität Stuttgart, belegen, dass das politische Interesse von Jugendlichen in etwa genauso hoch ist wie das von Erwachsenen. Zu behaupten, dass Jugendliche nicht an Politik interessiert sind, wäre demnach ein Widerspruch der aktuellen Erkenntnisse. Die hier oft und auch von Ihnen, Herr Kellner, angeführte Skepsis Jugendlicher zum Beispiel gegenüber einer Wahlaltersabsenkung hat daher andere Gründe. Es gibt Leute, die machen sich die Mühe, die reden mit Jugendlichen und fragen danach, warum es diese Skepsis gibt, zum Beispiel Prof. Dr. Klaus Hurrelmann. Er fand heraus, dass Jugendliche oftmals an sich selbst den Anspruch stellen, erst über ein umfassendes politisches Wissen verfügen zu müssen, um überhaupt an Wahlen teilnehmen zu können.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Denen geht es anders als Ihnen!)

Genau diese diffusen Bedenken sind es, die wir den Jugendlichen mit dieser Kampagne, mit der Einführung einer adäquaten Erstwählerkampagne, nehmen wollen. Mit dieser können wir Sachverhalte überparteilich und jugendgerecht vermitteln, zum Beispiel die Bedeutung und die Aufgaben von Kommunalpolitik, einen Überblick über die Parteiprogramme und deren Kandidaten, das Wissen über den Wahlvorgang an sich – wie funktioniert die Stimmabgabe, wie sieht ein Stimmzettel aus – sowie die Möglichkeit der Mitbestimmung über den bloßen Wahlakt hinaus. Meine Kollegin Frau RotheBeinlich erwähnte es bereits, dass eine solche Erstwählerkampagne auch nachhaltig fruchten kann. Das zeigen zum Beispiel die Auswertungen aus Baden-Württemberg, dort wurde bereits 2014 im Vorfeld der Kommunalwahlen eine Kampagne unter dem Titel „Wählen ab 16“ durchgeführt. Dort konnte festgestellt werden, dass sich die Erstwählerkampagne, ich zitiere, „grundsätzlich positiv auf die Wahlbeteiligung der Jugendlichen ausgewirkt“ hat. Dennoch sollte sich natürlich eine Gesamtbewertung einer solchen Kampagne nicht allein auf die Höhe der Wahlbeteiligung beziehen. In BadenWürttemberg wurden des Weiteren durch die Erstwählerkampagne nicht nur erfolgreich gesellschaft

liche und politische Gruppierungen mit Vertretern der Verwaltung und der Kommunen vernetzt, sondern diese Kampagne gab auch den Anstoß für zahlreiche weiterführende kommunale Aktivitäten. Zudem ist es dort auch gelungen, Multiplikatoren nicht nur zu gewinnen und zu qualifizieren, sondern auch zu halten, sodass sie im Nachhinein eingesetzt werden können.

Liebe Kolleginnen, es hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt, dass Demokratie und der Erhalt unserer demokratischen Grundordnung leider nicht selbstverständlich sind. Daher ist es umso wichtiger, dass wir uns dafür einsetzen und insbesondere das Recht auf freie Wahlen stärken. Mit einer gut durchdachten Erstwählerkampagne in Thüringen können wir diejenigen erreichen, welche die politische Zukunft unseres Landes bestimmen werden, nämlich unsere Jugendlichen. Daher bitten ich und meine Kollegin Anja Müller, die leider nicht mehr im Raum ist, Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat Minister Poppenhäger das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, angesichts der sicherheitspolitischen Lage im Innenhof am Grill will ich mich kurzfassen

(Beifall Abg. Mühlbauer, SPD)

und nur wenige Worte sagen.

Die Politik hat die Aufgabe, für geeignete Rahmenbedingungen zu sorgen, damit möglichst viele Menschen die Gelegenheit haben, ihre Potenziale zur politischen Teilnahme zu entfalten. Ich kann Ihnen versichern, die Landesregierung nimmt diese Aufgabe, diese gerade beschriebene gesellschaftspolitische Verantwortung insbesondere auch gegenüber der jüngeren Generation an. Im Zeitalter veränderter Lebenssituationen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist es außerordentlich wichtig, die sich täglich neu ergebende Themenvielfalt, die unser Leben prägt, in die politischen Entscheidungsprozesse aufzunehmen und die ohnehin bestehende Selbstverständlichkeit einer frühzeitigen Mitwirkung junger Menschen gesetzlich zu verankern.

Ich will noch mal an die Union appellieren. Herr Kellner, Ihren Redebeitrag nehme ich auf. So offen wie die Landesregierung Ihrem Antrag vor wenigen Stunden auf eine Erhöhung des Wahlalters für zu

(Abg. Engel)

wählende Mandatsträger entgegengetreten ist, so wünsche ich mir auch, dass Sie dem Anliegen der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

für eine Absenkung des Wahlalters für junge Menschen ebenso offen und ergebnisorientiert entgegentreten.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Das kann man nicht vergleichen, Herr Minister!)

Man kann es sehr wohl vergleichen in dem Zusammenhang, in dem ich das gerade gesagt habe.

Es gilt, das politische Interesse der Heranwachsenden auszubauen und ihnen auch eine frühe Orientierung auf dem Weg hin zu kompetenten politischen Entscheidungen als Bürgerinnen und Bürger zu geben. Das zivil- und bürgerschaftliche Engagement der jungen Leute stellt einen Eckpfeiler bei der Gestaltung unseres demokratischen Gemeinwesens für die Zukunft dar. Natürlich sind Elternhaus, sind Schule, sind die demokratischen Organisationen gefordert, Interesse, Verständnis und Engagement für die Entscheidungsprozesse zu wecken. Wer aber als Jugendlicher erfährt, dass seine Stimme vor Ort tatsächlich auch etwas zählt, der bringt sich vielleicht auch eher in der Kommune ein. Eine Erstwählerkampagne auf der Grundlage bestehender Informationsangebote erscheint insofern durchaus geeignet, den jungen Menschen früh

zeitig den Weg zur Übernahme politischer Verantwortung aufzuzeigen. Die Landesregierung unterstützt daher das Anliegen der Koalitionsfraktionen ausdrücklich. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist keine Ausschussüberweisung beantragt, deshalb stimmen wir jetzt direkt über den Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 6/3933 ab. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Stimmen aus den Koalitionsfraktionen. Die Gegenstimmen, bitte. Gegenstimmen aus den Reihen der AfD-Fraktion und der CDU-Fraktion. Stimmenenthaltungen kann ich nicht erkennen. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und die Sitzung für den heutigen Tag.

Ende: 21.05 Uhr