Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen. Bevor ich die heutige Sitzung eröffne, gestatten Sie mir einige Bemerkungen anlässlich einiger Vorkommnisse aus den letzten Tagen und Wochen. Meine Damen und Herren, wir sind sicher vieles gewohnt, vielleicht manchmal auch zu viel – Schreihälse, Beleidigungen, Trillerpfeifen, Schmähungen, Drohungen, geschmacklose Transparente, beschmierte Wände, eingeschlagene Scheiben, sowohl an Büros als auch zu Hause. Ich denke, dass genug genug ist. Wer meint, wir würden uns alles gefallen lassen, der irrt. Volksvertreter sind keine Fußabtreter.
Ich denke, wer Politik macht, macht sie aus Überzeugung. Er tut es nicht, um Geld zu verdienen, das kann man anderswo besser. Er tut es, um etwas zu verändern. Volksvertreter vertreten auf Zeit das Volk nach ihrem Gewissen. Sie sind nicht an Weisungen gebunden, niemandem Rechenschaft pflichtig, keiner Fraktion, keiner Regierung und auch nicht der Presse. Wollen sie wiedergewählt werden, stellen sie sich der Öffentlichkeit, den Wählern. Das freie Mandat gehört zum Kern unserer Demokratie. Die heutige Arbeitsteilung im Parlament hilft, Komplexität der Probleme zu reduzieren und Politik vorhersagbarer, für den Bürger am Ende verlässlicher zu gestalten. Dabei ist uns eines wichtig, nämlich die Abwägung zwischen dem Gemeinwohl und Sonderinteressen zu führen. Das führt sowohl zwischen den Fraktionen, der Regierung und der Opposition als auch zwischen einzelnen Abgeordneten zu ganz verschiedenen Ergebnissen. Das ist gut so, denn wir vertreten damit alle das ganze Volk. Jeder Einzelne wirbt für seine Positionen, seine Haltungen, seine Entscheidungen und auch Leistungen. Menschen unterstützen sie darin. Soll es andere überzeugen, geschieht dies mit Leidenschaft und im Wahlkampf erst recht. Abgeordnete, alle Amtsträger auf kommunaler, Landes- und Bundesebene kennen das.
In den letzten Tagen allerdings hat diese Auseinandersetzung an Intensität zugenommen. Und nicht nur das: Staatliche Autorität wird nicht nur hinterfragt, sie wird herausgefordert. Die freie Presse wird diffamiert. Auch dabei bleibt es nicht. Aus Hass und Hetze werden immer öfter auch Taten der Gewalt, fast wöchentliche Übergriffe auf Mandats- und Amtsträger, Morddrohungen an Frau König-Preuss und andere, schwere Verwüstungen bei Frau Muhsal, zerstochene Autoreifen bei Herrn Bühl. Die Liste ließe sich fortführen. Menschen werden gehindert, die Büros von Kollegen zu betreten. Veranstaltungen werden bewusst und schwer gestört. Letzte Woche wurden junge Menschen bei ei
ner Wahlveranstaltung in Vacha verletzt, weil sie für ihre Partei werben, andere, weil sie für eine Lebensform oder für ihren Abgeordneten eintreten.
Gestern nun aber wurde die Vizepräsidentin dieses Hauses, Frau Jung, in ihrem Büro angegriffen, weil sie anderer Meinung ist als der Angreifer. Warum ist das so? Aus dieser Aggressivität und nackten Gewalt sprechen Unversöhnlichkeit und Hass. Bei den einen sind alle Hemmungen gefallen, die Sicherungen knallen aus lebensweltlich empfundener Frustration durch. Von anderen werden politische Motive vorgeschoben, um völlig enthemmt und entsichert wüten zu können. Wir erleben momentan eine Polarisierung politischer Debatten, die wir lange nicht gewohnt waren. Politische Angebote werden mit einem alleinigen Wahrheitsanspruch verwechselt. Der politische Wettbewerber ist nicht mehr der mit gleicher Würde begabte Mensch, sondern der Feind. Das ist nicht neu. Wohin so etwas führen kann, sollte jedem von uns bewusst sein. Aber: Es passt nicht zu einer freiheitlichen Demokratie, die von akzeptierten Entscheidungsverfahren der Mehrheitsentscheidung und vor allem von Gewaltfreiheit lebt. Dreierlei ist erforderlich: Erstens, wir müssen vielleicht mit einer stärkeren Polarisierung leben lernen. Konflikte lassen sich nicht dauerhaft im Konsens auflösen, aber sie bedürfen auch nicht des weiteren Anheizens. Dazu gehört – zweitens –, die Absolutheitsansprüche derer zurückzuweisen, die nur eine Wahrheit kennen und uns selbst daraufhin auch immer wieder selbstkritisch zu prüfen. Dazu gehört – drittens –, dass wir unsere freiheitliche Grund- und Werteordnung wie unseren Augapfel hüten und jenen den Rücken stärken, die uns hierbei helfen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung über alle Gräben hinweg. Denn: Kommt die Gewalt, dann geht die Demokratie.
Meine Damen und Herren, ich möchte daher den Polizisten für die schnelle Ergreifung des Täters von gestern danken. Allen Fraktionen im Haus bin ich dankbar für die entschiedene Verurteilung dieser Tat. Es unterstreicht: Ein solcher Angriff ist ein Angriff auf jeden einzelnen von uns, auf uns alle. In diesem Sinne wünsche ich uns in den nächsten Wochen doch besser werdende Beratungen und lassen Sie uns vielleicht an der einen oder anderen Stelle, wo wir etwas tun können, auch ein besseres Vorbild für den einen oder anderen sein, der sich hier missgeleitet vorkommt und fühlt. Herzlichen Dank.
Ich darf ihnen herzlich danken. Ich heiße nunmehr alle Abgeordneten herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung, die ich hiermit eröffne.
Für die Plenarsitzung hat als Schriftführerin neben mir Frau Abgeordnete Müller Platz genommen. Die Redeliste wird von Frau Abgeordneter Floßmann geführt.
Frau Abgeordnete Lehmann hat sich zunächst entschuldigt, ist aber heute mit Verstärkung da. Deshalb noch mal ganz herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihrer Tochter.
Entschuldigt haben sich darüber hinaus: Frau Abgeordnete Tasch, Frau Abgeordnete Christina Liebetrau und Herr Abgeordneter Björn Höcke. Frau Liebetrau ist auch da, aber ohne Verstärkung. Trotzdem freut es uns, dass Sie da sind.
Der Ältestenrat hat gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung für Herrn Michael Hesse vom MDR FERNSEHEN, für Katja Schubach von Radio OKJ und für Herrn Michael Tuscher von Radio LOTTE Weimar Dauerarbeitsgenehmigungen für Bild- und Tonaufnahmen im Plenarsaal erteilt. Weiterhin hat der Ältestenrat gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung für Olaf Kosinsky von Wikipedia eine Arbeitsgenehmigung für Bild- und Tonaufnahmen im Plenarsaal der heutigen Sitzung erteilt.
Ich darf darauf aufmerksam machen, dass der Landfrauenverband für heute zum parlamentarischen Abend eingeladen hat, der nach dem Ende der Plenarsitzung gegen 19.00 Uhr beginnen wird.
Der Tagesordnungspunkt 2 wird von der Tagesordnung abgesetzt, da der Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft noch nicht abschließend beraten hat.
Die Beschlussempfehlung zu Tagesordnungspunkt 3 hat die Drucksachennummer 6/4404 und als Berichterstatter wurde Herr Abgeordneter Geibert benannt.
Zu Tagesordnungspunkt 24 kommen folgende Mündlichen Anfragen hinzu: die Drucksachen 6/ 4354, 6/4367, 6/4369, 6/4383, 6/4391, 6/4394, 6/ 4396 bis 6/4402, 6/4406, 6/4412 und 6/4413.
Die Landesregierung hat mitgeteilt, zum Tagesordnungspunkt 17 von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 Geschäftsordnung Gebrauch zu machen.
Ich darf darauf hinweisen, dass wir vor der Aktuellen Stunde noch die Vereidigung eines Ministers durchführen.
Danke, Herr Präsident. Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich, zu Tagesordnungspunkt 5 die erste und zweite Beratung durchzuführen.
Zum Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unter Tagesordnungspunkt 14, der sozusagen gemäß Geschäftsordnung zwingend
notwendig ist, würden wir vorschlagen, diesen Tagesordnungspunkt am heutigen Tag als ersten Tagesordnungspunkt nach den Aktuellen Stunden aufzurufen.
Herr Präsident, ich beantrage, den Antrag „Situation der Thüringer Lehramtsanwärter verbessern – Lehrernachwuchs sichern“ in Drucksache 6/3436 auf die Tagesordnung zu setzen. Die abschließende Beratung im Ausschuss hat stattgefunden. Wir schlagen vor, den Punkt gemeinsam mit TOP 18 aufzurufen.
Gemeinsam mit TOP 18. Herr Möller, hatten Sie sich noch gemeldet? Das ist nicht der Fall, dann stimmen wir einzeln ab. Frau Rothe-Beinlich, Entschuldigung.
Namens der Koalitionsfraktionen beantragen wir, den Antrag „Flächendeckendes Moratorium zur Aussetzung ergangener Sanierungsanordnungen von Zweckverbänden und unteren Wasserbehörden“ dringlich auf die Tagesordnung zu nehmen. Die Dringlichkeit würde der Kollege Kummer begründen.
Gut, dann fangen wir damit an und Herr Kummer hat zunächst das Wort, die Dringlichkeit zu begründen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der letzten Novelle des Thüringer Wassergesetzes im Jahr 2009 wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Zweckverbände mit ihren Abwasserbeseitigungskonzepten bestimmte Grundstücke aus ihrem Verbandsgebiet ausschließen können. Damit wurde aus meiner Sicht das Solidarprinzip in der Abwasserbehandlung im ländli
chen Raum aufgegeben. Das führte dazu, dass inzwischen nicht nur Einzelgrundstücke vollbiologische Kleinkläranlagen selbst errichten müssen, sondern dass zum Teil ganze Ortschaften betroffen sind. Bürger fühlen sich überfordert. Bürgerinitiativen haben sich gebildet; die fordern, dass es zentrale Kläranlagen für ihren Ort gibt und dass sie mit der Aufgabe der Abwasserbehandlung nicht alleingelassen werden. Ich denke, Politik soll in einer solchen Situation helfen. Das ist Ziel des Tagesordnungspunkts, den wir mit Dringlichkeit heute beraten wollen.
Durch die Abläufe, die das Wassergesetz 2009 vorgibt, ist es inzwischen so, dass nach Fortschreibung der Abwasserbeseitigungskonzepte sehr, sehr viele Bürger schon zum Jahresende hin Kläranlagen errichten müssen. Die haben Widersprüche abgegeben und hoffen, dass sie letzten Endes nicht doch mit dieser Aufgabe bis zum Jahresende alleingelassen werden. Unsere Bitte, die wir mit diesem Moratorium äußern wollen, würde helfen, die Bescheide auszusetzen, bis eine Änderung des Wassergesetzes entsprechend in Kraft tritt, die hier andere Möglichkeiten gewährleistet.
Meine Damen und Herren, im Mai hatten wir diesen Tagesordnungspunkt vom Inhalt her schon einmal besprochen. Ich hatte damals hier am Pult gesagt, dass es eine Bitte des Umweltministeriums an die unteren Wasserbehörden gab, diese Bescheide entsprechend auszusetzen, bis das neue Wassergesetz kommt. Ich habe in der Folge eine ganze Reihe von Anrufen und Schreiben bekommen, wo mir Menschen mitgeteilt haben, dass diese Bitte bei ihnen nicht ankam. Das ist der eine Grund, warum hier heute das Moratorium kommt, denn es muss dann noch einmal unterstrichen werden, wenn es bisher bei den handelnden Personen nicht ankam.
Der zweite Grund: Wir hatten eine Einladung von vielen Bürgerinitiativen aus ganz Thüringen nach Kleingeschwenda. Es waren eine Reihe von Kollegen hier aus dem Haus mit dabei, unter anderem auch Herr Kowalleck, der dort versprach, mit dem Landrat ein Gespräch über die Aussetzung von Bescheiden zu führen, weil uns die Bürger eben sehr drastisch ihre Betroffenheit geschildert haben. Ich habe inzwischen gehört, der Landrat war nicht bereit, mit Herrn Kowalleck darüber zu reden. Auch diese Art des Umgangs mit den Bürgerinitiativen, mit uns macht noch einmal deutlich, wie wichtig die Bitte zum Aussetzen der Bescheide ist.
Einen dritten Grund will ich benennen – das treibt das Ganze aus meiner Sicht noch mal auf die Spitze. Der Zweckverband zur Wasserver- und Abwasserentsorgung der Gemeinden im Thüringer Holzland hat seine Bürger jetzt informiert, dass sie für ihre vollbiologischen Kleinkläranlagen, die der Verband beschieden hatte, keine Förderung mehr bekommen. Grund dafür ist ein Rechtsstreit zwischen
dem Landesverwaltungsamt und dem Zweckverband. Das Landesverwaltungsamt ist der Meinung, dass die Abwasserbeseitigungskonzepte die Herausnahme dieser Grundstücke aus dem Zweckverband und die Verbescheidung von vollbiologischen Kleinkläranlagen zu Unrecht vorsehen. Der Zweckverband hat …
Es gibt einen Rechtsstreit in der Hinsicht und dementsprechend kann das Umweltministerium diese Kleinkläranlagen nicht mehr fördern, weil es das Ende des Rechtsstreits abwarten muss.
Das Problem ist aber, dass die Bescheide weiterhin existieren. Das heißt, wenn der Bürger jetzt die Kleinkläranlage errichtet,
für die er einen Bescheid hat, bis zum Jahresende, kann er dafür noch nicht mal eine Förderung in Anspruch nehmen. Dann kann es ihm passieren, dass der Rechtsstreit hinterher zum Ergebnis kommt, es wird dort ein zentraler Kläranlagenanschluss als die bessere Variante gesehen. Dann hat der Bürger nicht nur keine Förderung bekommen, sondern er muss auch noch damit rechnen, dass er zentral angeschlossen wird, obwohl er die Kleinkläranlage selber gebaut hat.
Meine Damen und Herren, es ist eine extrem schwierige Situation, es ist eine große Verunsicherung und deshalb wünsche ich mir, dass der Thüringer Landtag die Bitte hier entsprechend äußert. Wir haben im Moment leider keine Rechtsgrundlage für die Bitte. Ich hätte mir gewünscht, dass wir es mit einer Novelle des Wassergesetzes hinbekommen hätten. Da habe ich noch vorherige Woche gehofft, dass es klappt, aber die Kollegen von der CDU wissen ja selbst,
die in der letzten Legislatur das Wassergesetz novellieren wollten und es in der ganzen Legislatur nicht hinbekommen haben,
dass das manchmal nicht so einfach ist, weil es schwierig ist, wenn Bedenkenträger sich gegenseitig ihre Bedenken mitteilen.