Lothar Hay
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte werden die Unterschiede zwischen den Regierungsfraktionen und den Oppositionsfraktionen sehr deutlich, was die weitere Entwicklung der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein betrifft.
Das ist für mich in erster Linie keine Systemfrage, sondern es geht darum, sowohl im Bereich der konventionellen Landwirtschaft als auch im Bereich der Ökolandwirtschaft Entwicklungsmöglichkeiten in Schleswig-Holstein zu schaffen, um diesen Wirtschaftszweig zu stärken, damit dieser am Markt teilnehmen kann. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, dass es in Zukunft wieder eine Beibehaltungsförderung für Ökobetriebe gibt.
Die Intensivtierhaltung führt in vielen Bundesländern zunehmend zu Problemen. Intensivtierhaltungsanlagen mit industriellen Produktionsweisen
verdrängen die bäuerliche Landwirtschaft und die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Diese Anlagen führen zu einem Strukturwandel im ländlichen Raum, neue Transportwege werden benötigt, Staubund Keimimmissionen treten verstärkt auf.
Viele Kommunen - das geht durch das ganze Land; das Neueste ist für mich die Gemeinde Wees fürchten um die Attraktivität ihrer ländlichen Räume für andere Ansiedlungen oder als Erholungsgebiete. Bürgerinnen und Bürger vor Ort engagieren sich gegen diese Entwicklung, nicht nur in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen, sondern zunehmend auch in Schleswig-Holstein. In Niedersachsen haben wir inzwischen das Problem, dass die dort vorhandene Güllemenge nicht mehr auf den Äckern ausgebracht werden kann. Da gibt es einen Überschuss. Auch das ist eine Folge der Landwirtschaft.
Der von der Landesregierung vorgelegte Bericht zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung, für den ich mich im Namen der SPD-Fraktion bedanke, zeigt die Handlungsfelder für die Landespolitik deutlich auf, und zwar auch für die nächste Legislaturperiode.
Auf viele Bereiche des Berichtes werde ich aus Zeitgründen nicht eingehen, zum Beispiel den Antibiotika-Einsatz oder die Tiergesundheit. Ich hoffe nur, Frau Ministerin, dass die vorgelegten Zahlen aus der Agrarstatistik stammen. Es darf nicht so sein wie in Niedersachsen, wo es bezüglich der Tierseuchenkasse erheblich höhere Zahlen gibt. Aber darauf können wir sicherlich im Rahmen der Ausschussberatung eingehen.
In dem Ursprungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der zu diesem Bericht geführt hat, geht es um die negativen Auswirkungen der Privilegierung für landwirtschaftliche Gebäude nach § 35 Bundesbaugesetzbuch. Hier will ich ansetzen und einiges dazu sagen. Denn wenn man die von mir eingangs skizzierte Entwicklung stoppen will, dann muss man hier ran.
Es reicht aus meiner Sicht nicht aus, künftig die Privilegierung großer gewerblicher Tierhaltungsanlagen im Außenbereich zu begrenzen und sie an die Aufstellung eines Bebauungsplanes zu knüpfen. Derzeit sind Intensivtierhaltungsanlagen nicht nur durch den § 35 privilegiert, sondern auch durch unzureichende immissionsschutzrechtliche Vorschriften.
Derzeit sind Intensivtierhaltungsanlagen nicht nur durch den § 35 BauGB privilegiert, sondern auch durch umfangreiche immissionsschutzrechtliche
Vorschriften. Die in der 4. Bundes-Immissionsschutzverordnung genannten Bestandsobergrenzen sind zu überprüfen - Herr Voß hat auch darauf hingewiesen - und aus meiner Sicht nach unten zu verändern. Konkret heißt das: Genehmigungsverfahren mit und ohne Öffentlichkeitsbeteiligung schon bei weniger Tieren, und wenn es nach meiner grundsätzlichen Auffassung, was Kommunalpolitik betrifft, geht, immer mit Öffentlichkeitsbeteiligung.
Generell gilt nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, dass der „Stand der Technik“ immer eingehalten werden muss, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Technische Anleitung Luft ist zu überarbeiten und so zu verändern, dass Tierhaltungsanlagen mit wirksamen und geeigneten Abluftreinigungsanlagen ausgestattet sind. Ziel muss es sein, neben Staub und Gerüchen gleichzeitig die Immission von Bioaerosolen zu mindern.
Wichtig ist auch, dass bei den Genehmigungsverfahren für den Bau von Intensivtierhaltungsanlagen ein schlagspezifischer Flächennachweis für eine ordnungsgemäße Verwertung von Wirtschaftsdünger erbracht werden muss. Dann haben wir die Probleme nicht, die es in Niedersachsen gibt. Das sollte uns Warnung genug sein. Der Druck auf Schleswig-Holstein wird zunehmen, weil in Niedersachsen und in Brandenburg vieles schon nicht mehr geht.
Ursprünglich wollte der Gesetzgeber durch die Ausnahmeregelung im Baugesetzbuch die Entwicklungsmöglichkeiten landwirtschaftlicher Betriebe unterstützen. Dieses muss aus Sicht der SPD-Fraktion auch in Zukunft möglich sein. Dafür brauchen wir aber eine Präzisierung der Definition des Begriffes der Landwirtschaft in § 201 Baugesetzbuch. Die bisherige Definition, dass der Betrieb das benötigte Futter zu mehr als 50 % auf betrieblichen Flächen erzeugen kann, hat die von mir kritisierte Entwicklung nicht verhindern können. Frau Ministerin, die Privilegierung unabhängig von der Tierzahl, wie im Bericht dargestellt, halte ich für falsch.
Aus meiner Sicht müssen bei der Neufassung des § 201 Baugesetzbuch auch tierschutzrechtliche Belange, artgerechte Tierhaltung, mit einfließen.
Bei den Intensivtierhaltungsanlagen sind durch eine Neufassung des § 35 Baugesetzbuch den Kommunen praktisch wirksame, effektiv handhabbare planungsrechtliche Möglichkeiten zur Steuerung und
nun kommt es - auch zum Ausschluss von Intensivtierhaltungsanlagen zu geben, wenn es örtlich nicht mehr verträglich ist.
Wir wollen in Schleswig-Holstein - da bin ich mir mit meiner Fraktion einig - auch in Zukunft eine bäuerliche Landwirtschaft erhalten und stärken und ihr Möglichkeiten zur Weiterentwicklung geben. Gerade weil die Landwirtschaft staatliche Transferleistungen erhält und durch die gemeinsame Agrarpolitik ab 2014 auch in Zukunft erhalten muss, müssen die Ansprüche an eine tier- und umweltgerechte Landwirtschaft steigen. Dann können Subventionen auch als gesellschaftlich gewünschte Leistungen besser legitimiert werden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
„Glaubt wirklich irgendjemand, dass es möglich ist, mehr als 20 Hühner auf einem Quadratmeter Beton zusammenzupferchen und ihnen dabei in den 32 Tagen ihrer Existenz bis zur Schlachtreife auch nur halbwegs akzeptable Lebensbedingungen zu bieten? Dass es gesunde Vertreter einer Spezies geben kann, deren Muskelmasse so schnell zunimmt, dass das Knochengerüst mit seinem Wachstum nicht hinterherkommt? Dass man zwei Drittel aller überhaupt verwendeten Antibiotika in die Fleischproduktion stecken kann, ohne dass ein nennenswerter Teil davon irgendwann in der Umwelt oder beim Menschen ankommt?
Wahrscheinlich glaubt das kaum jemand, weshalb ‚Lebensmittelskandalen’ wie der jüngsten Aufregung um resistente Krankheitserreger im Geflügelfleisch etwas Seltsa
mes anhaftet. Hier werden ja keine illegalen Praktiken beleuchtet, sondern nur einzelne Facetten aus dem wohlbekannten Normalvollzug der Fleischproduktion. Und infrage gestellt wird nicht dieser Normalvollzug selbst, sondern die seltsame Lebenskunst, die darin besteht, zwischen den hinreichend bekannten Verhältnissen in den Tierfabriken einerseits und dem Hähnchen aus irgendeiner Kantine andererseits keinerlei Zusammenhang zu erkennen - jedenfalls nicht in der halben Stunde, die es braucht, eine solche Mahlzeit zu verzehren.“
Das war ein Zitat aus „ZEIT ONLINE“ vom 12. Januar 2012.
Neu sind die Erkenntnisse der letzten Wochen und Monate aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, was den Antibiotika-Einsatz betrifft, nicht. Schon 2010 wurde aufgrund von NDR-Berichten bekannt, dass Masthähnchen in vielen Fällen rund zwei Drittel ihrer Lebenszeit - 32 bis 35 Tage - Antibiotika bekommen und dass der Arzneimitteleinsatz in der Hühnermast auf über 2,3 Behandlungen pro Mastdurchgang gestiegen ist.
Im Dezember 2010 stellte ich eine Kleine Anfrage zum Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast. Da sich in Niedersachsen mehr als 50 % der Hähnchenmastbetriebe befinden, wollte ich von der Landesregierung wissen, welcher Trend für Schleswig-Holstein zu erwarten sei. Die Antwort lautete: In Schleswig-Holstein ist die Bedeutung der Masthähnchen im Gegensatz zu Niedersachsen relativ gering. Es ist aber nicht auszuschließen, dass dieser Bereich in Zukunft wachsen wird. Diese Erkenntnis hat die Landesregierung im August letzten Jahres während einer Ausschusssitzung dem Umwelt- und Agrarausschuss mitgeteilt. Wir hatten nämlich im Jahr 2011 bis zum August rund 620.000 neue Mastplätze. Das war im Vergleich zu den Vorjahren eine Steigerung um das Sechsfache.
Im niedersächsischen Wietze ist Europas größte Geflügelschlachterei errichtet worden. Dort werden am Tag 384.000 Hähnchen geschlachtet. Im Jahr sind das 119.808.000 Hähnchen. Im kritischen Agrarbericht 2012, herausgegeben vom Agrarbündnis und gerade auf der Grünen Woche in Berlin vorgestellt, ist zu lesen, dass bundesweit Mastanlagen für 36 Millionen Hähnchen beantragt sind; bei einer Nachfrage der deutschen Verbraucher von gerade einmal 3,2 Millionen.
Dr. Hermann Focke, Tierarzt und lange Zeit Leiter des Veterinäramts im Landkreis Cloppenburg, hat
in einem Interview mit der Zeitschrift „GEO“ vom 18. Januar 2012 darauf hingewiesen, dass es seit dem 1. Januar 2006 EU-weit verboten ist, Antibiotika als Mastbeschleuniger einzusetzen. Trotzdem ist der Absatz von Veterinärantibiotika nicht zurückgegangen. Im Gegenteil, 2006 gab es eine Steigerung um 7 % und 2007 um 9,2 %. Nach den Erkenntnissen von Dr. Focke wird die für eine Heilbehandlung von fünf Tagen vorgegebene Antibiotikamenge auf 15 Tage gestreckt, nur um die Mastergebnisse zu verbessern. Durch die länger andauernde Verabreichung subtherapeutischer Dosen überleben die vitalsten der bakteriellen Keime und bilden auf Dauer Resistenzen gegen die verabreichten Medikamente.
Wenn diese Erkenntnisse zusammengefasst werden, dann ist es bei der Massentierhaltung und der Resistenzentwicklung nicht mehr fünf vor zwölf, sondern deutlich nach zwölf.
Was ist zu tun? - Der Antibiotika-Einsatz muss drastisch gesenkt werden. Für Kontrollen sind die Länder zuständig. Mehr Kontrollen sind nur mit mehr Personal möglich. Verschreibung und Verkauf von Antibiotika im Bereich der Tiermedizin müssen getrennt werden, und um eines werden wir nicht herumkommen: Die Bedingungen für das Halten von Geflügel müssen verändert werden. Oder anders gesagt: Wer weniger Antibiotika in der Tierhaltung will, der muss eine andere Tierhaltung wollen:
Weniger Tiere pro Quadratmeter, Rassen, die langsamer wachsen, dafür aber robuster sind. Wenig hilfreich sind hier im Augenblick die Vorschläge der Bundesministerin. Das ist blinder und kurzfristiger Aktionismus.
Die entscheidende Frage ist von ihr nicht gestellt worden: Wie soll die Tierhaltung in Zukunft aussehen? - Ich komme zum Schluss. - Die Entscheidung liegt klar auf der Hand: Wir alle müssen bereit sein, mehr für ein Hähnchen zu zahlen; nicht 1,99 € im Sonderangebot, sondern deutlich mehr. Sollte sich nichts ändern, so kann ich nur folgenden Hinweis geben: Vor dem Verzehr eines Hähnchens fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rickers, es gibt etwas Neues seit April 2011, weil Sie sagten, es gibt nichts Neues. Anfang Juli 2011 hat das Europäische Parlament eine Entscheidung getroffen, nicht die Kommission. Das Parlament ist wichtiger als die Kommission.
Lassen Sie mich aber einige wenige Anmerkungen machen, weil ich immer noch der Meinung bin, dass dies ein Thema ist, das mehr Aufmerksamkeit
verdient als nur bei denjenigen, die nach der Debatte über die HSH Nordbank nicht geflüchtet sind.
Es gibt in Deutschland mehr als 30.000 Bäuerinnen und Bauern, die sich schon im 190 gentechnikfreien Regionen zusammengeschlossen und erklärt haben, sie wollen auf gentechnisch veränderte Pflanzen verzichten. Die CSU ist weiter als die CDU in Schleswig-Holstein. 2009 hat sich der CSU-Umweltminister klar für ein Selbstbestimmungsrecht bei der Gentechnik ausgesprochen. Hier spielt der Einfluss der katholischen Kirche sicher eine große Rolle. Die Hamburger Bürgerschaft - ich habe mehrfach darauf hingewiesen - hat im Februar 2010 fraktionsübergreifend beschlossen, auf Gentechnik zu verzichten. Dieser Beschluss ist auch durch neue Mehrheitsverhältnisse nicht aufgehoben worden. Weitere Bundesländer sind diesem Beispiel gefolgt: Thüringen, Nordrhein-Westfalen. Portugal hat Madeira zur gentechnikfreien Region erklärt.
Jetzt kommt es. Am 5. Juli dieses Jahres verabschiedete das Europäische Parlament mit großer Mehrheit eine Regelung für ein Verbot von gentechnisch veränderten Organismen durch einzelne Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Bevor - das ist der entscheidende Punkt - das Gesetz in Kraft treten kann, müssen sich allerdings das Europäische Parlament und der Ministerrat darüber einigen, wie es konkret ausgestaltet werden soll. Ich bin der großen Hoffnung, dass man erkennt, wie wichtig es ist, dies schnell umzusetzen.
Wir haben uns in Schleswig-Holstein mit diesen Anträgen entsprechend beschäftigt. Vorgeschlagen wird durch die Regierungsmehrheit die Koexistenz landwirtschaftlicher Anbauformen. Da stellt sich für mich die Frage: Ist eine Koexistenz von herkömmlichen und gentechnisch veränderten Pflanzen möglich? Ich nehme es gleich vorweg. Die Antwort aus Sicht der Sozialdemokraten ist klar: Nein, es geht nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 29. November 2010 in einer Entscheidung die Richtigkeit und die Zweckmäßigkeit der Regelung des derzeit geltenden Gentechnikgesetzes bestätigt. Nun kommt es: Es hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Ausbreitung von gentechnisch verändertem Material, einmal in die Umwelt eingebracht, schwer oder gar nicht begrenzbar sei. Zudem seien die langfristigen Folgen des Einsatzes der Gentechnik wissenschaftlich noch nicht geklärt.
Nun wird von den Befürwortern der Grünen Gentechnik immer wieder behauptet, dass durch die GVOs - das ist die Abkürzung - die Erträge gesteigert werden könnten und damit eine Ernährungssicherheit für die zunehmende Weltbevölkerung gewährleistet werden könnte. Dem entgegne ich: Der Welthunger ist kein Produktions-, sondern ein Verteilungsproblem.
Von den Befürwortern wird behauptet, durch GVOs sei ein effizientes Unkrautmanagement möglich durch mehr Widerstandskraft durch herbizidresistente Pflanzen, und die Umwelt werde geschont aufgrund eines geringeren Pestizideinsatzes. Dem entgegne ich, dass gezüchtete Resistenzen nach einiger Zeit wieder herauswachsen. Genmanipulierte Kulturpflanzen haben in den USA zur Erhöhung des Pestizideinsatzes geführt. Ursache sind zunehmende Resistenzbildungen der Ackerunkräuter, sogar Mehrfachresistenzen.
Gentech-Weizen, der unter Glas Vorteile bietet, ist auf freiem Feld den Ursprungssorten unterlegen und häufiger mit Mutterkorn verseucht. Das haben Versuche der Universität Zürich ergeben. Gentechnisch veränderte Organismen vermischen sich zum Beispiel in Kanada seit Jahren mit herkömmlichen Pflanzen. In Kanada kann kein gentechnikfreier Raps mehr angebaut werden. Koexistenz ist also unmöglich.
Durch Koexistenz geht die Wahlfreiheit verloren. Aus meiner Sicht ist Koexistenz nichts anderes als eine Markteinführungsstrategie.
Wer steckt dahinter? Wer sich also für die Koexistenz einsetzt, erhöht die Abhängigkeit der Landwirte von weltweit wenigen Konzernen, die entsprechendes Saatgut herstellen. Zu 90 % stammt das von der Firma Monsanto aus den USA. Man muss nicht lange darüber nachdenken, wofür Monsanto auch sonst noch verantwortlich ist.
Eine im Oktober 2010 vom Bundesamt für Naturschutz durchgeführte Umfrage ergab, dass 87 % der Befragten den Einsatz der Grünen Gentechnik ablehnen. Eine im März 2011 gestartete öffentliche Petition für ein Zulassungsverbot von gentechnisch veränderten Pflanzen haben innerhalb von drei Wochen online über 60.000 Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet. Mit inzwischen mehr als 100.000 Unterschriften ist es die erfolgreichste Pe
tition in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24. November 2010 auf die besondere Sorgfaltspflicht des Gesetzgebers in Artikel 20 a des Grundgesetzes hingewiesen. Dort ist der Auftrag formuliert: in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.
Lassen Sie mich schließen mit einer fernöstlichen Weisheit - Experten sagen, sie stamme aus der Mongolei -: Man kann im Leben nicht alles erreichen, was man will, aber man kann erreichen, nicht alles zu wollen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kubicki, ich freue mich, dass Sie sich mit etwas Neuem beschäftigen müssen. Es ist das erste Mal in meiner parlamentarischen Zeit, dass ich mich hier im Plenum mit einem gescheiterten Bundesratsantrag beschäftigen muss.
Ich stelle fest: Erstens freue ich mich, dass die Initiative Schleswig-Holsteins gescheitert ist. Zweitens freue ich mich, dass zumindest das durchgesetzt worden ist, was Bayern beantragt hat, dass nämlich in Zukunft, wenn verunreinigtes Saatgut ausgebracht worden ist, Hersteller und Vertreiber schadenersatzpflichtig sind.
Wenn man sich mit der Initiative Schleswig-Holsteins beschäftigt, so ist man auf den ersten Blick geneigt, sie harmlos zu finden, weil über eine allgemeine Verwaltungsvorschrift möglichst bald eine für alle Wirtschaftsbeteiligten praktikable techni
sche Lösung für die Nulltoleranz bei Saatgut geschaffen werden soll. Das hört sich toll an. Nur, bei technischen Lösungen werde ich immer hellhörig, weil ich in verschiedenen Bereichen meine Erfahrungen damit gemacht habe, was geschieht, wenn Techniker etwas vorschlagen. Was auf den ersten Blick harmlos erscheint, stellt aus Sicht der SPDFraktion die Koexistenz zwischen gentechnikfreier Erzeugung und Anwendung der Agrotechnik grundsätzlich infrage und bedeutet das Ende der gentechnikfreien Landwirtschaft.
Die technische Lösung bedeutet den Abschied von der Saatgutreinheit. Das ist mit der SPD in Schleswig-Holstein nicht zu machen.
Ich will mich kurzfassen, weil Herr Kollege Voß schon vieles vorweggenommen hat, was ich mit anderen Worten auch gesagt hätte.
Die grüne Gentechnik hat keine Vorteile, sie liegt nicht im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher in Schleswig-Holstein und in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist ein Irrweg, und sie bringt die Landwirtschaft in die Abhängigkeit von den Saat-Multis, ob sie nun Monsanto oder anders heißen. Das ist mit der SPD nicht zu machen. Wir wollen, dass es beim Saatgut bei der Nulltoleranzlinie bleibt. Insofern freue ich mich, dass die Bundesratsinitiative gescheitert ist, und bedanke mich für die kurzfristige Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit zwei Schlagzeigen dieser Woche beginnen. Im „Nordschleswiger” war am Dienstag zu lesen:
„Nun auch Roundup im Trinkwasser”.
Die zuständigen dänischen staatlichen Stellen befürchten, dass in absehbarer Zeit das gesamte Trinkwasser in Dänemark zu reinigen ist.
Die zweite Schlagzeile lautete und erschien in der flächenmäßig größten Zeitung des Landes:
„Der Gesundheitszustand der europäischen Bienen ist sehr besorgniserregend.”
Dies war die Warnung des ungarischen Agrarministers auf einer Konferenz.
Dies sind zwei Beispiele, die aus meiner Sicht deutlich machen, dass wir eine andere Ausrichtung der Agrarpolitik in Europa und in Deutschland brauchen.
Die Landwirtschaft in Deutschland und in Europa steht am Scheideweg. Sie hat sich längst von ihrem Ursprungsauftrag der reinen Erzeugung von Lebensmitteln zur Ernährung der nationalen Bevölkerung verabschiedet. Sie arbeitet anders als die übrige produzierende Wirtschaft inmitten der Bevölkerung in einem gläsernen System und muss sich daher offen den Anforderungen an Umwelt und Natur sowie den sozialen Aspekten stellen.
Wir bekommen jährlich 360 Millionen € aus Brüsseler Kassen zum Erhalt der flächendeckenden Landwirtschaft. Dies wird in Zukunft aus meiner Sicht und aus Sicht der SPD-Fraktion nur zu rechtfertigen sein, wenn ein fundamentaler Umschwung in der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union stattfindet.
Angesichts der zunehmenden Industrialisierung mit immer größeren Betrieben mit hohen Tierbesatzzahlen und wenigen Arbeitskräften, dem deutlich ausgeweiteten Anbau von Mais für Biogasanlagen, der Finanznot der öffentlichen Kassen sowie der weiter stattfindenden Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben brauchen wir eine neue Leitpolitik für die gemeinsame Agrarpolitik.
Bei einem Punkt bin ich nicht einig mit Ihnen, Frau Dr. Rumpf. Es ist nicht Aufgabe der deutschen Landwirtschaft, in erster Linie für den Weltmarkt zu produzieren. Hierzu sollten wir uns vielleicht einmal mit dem Weltagrarbericht 2008 beschäftigen, der immer noch nicht von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden ist. Dieser Weltagrarbericht hat deutlich gemacht, dass nicht die Steigerung der Produktivität um jeden Preis, sondern die Verfügbarkeit von Lebensmitteln vor Ort entscheidend ist für die Bekämpfung des Hungers.
Der Glaube, die Welternährung könne über eine Intensivierung der Produktion in landwirtschaftlich entwickelten Regionen gesichert werden, ist aus meiner Sicht - das zeigt der Bericht - irreführend.
Der zweite Punkt, über den wir auch kritisch nachdenken müssen: Für die Flächen zur Energiepflanzenproduktion sind aus meiner Sicht und aus Sicht der SPD-Fraktion auf Dauer keine Subventionen
erforderlich. Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich, einmal das Exposé der Nordelbischen Kirche zu lesen, das uns vor Kurzem zugegangen ist.
Die weniger werdenden Fördermittel sind auf die Erzielung eines gesellschaftlichen Mehrwerts hin auszurichten: Erhalt und Vermehrung der Artenvielfalt, Erhalt und Pflege der Kulturlandschaft, Schutz der Naturgüter, verstärkte Berücksichtigung des Tierschutzes, Klimaschutz, Treibhausgasspeicherung, Wertschöpfung und Einkommen im ländlichen Raum sichern, Sicherung von Arbeitsplätzen, Erhalt der Basis für Tourismus und Naherholung.
Die Zeichen aus Brüssel - das hat die Kommission immer klargemacht - stehen eindeutig auf Wende. Viele unserer vorstehenden Forderungen sind darin enthalten. Aus meiner Sicht, aus Sicht der SPDFraktion muss die Landwirtschaftspolitik grüner werden. Um von Deutschland aus etwas zu ändern, darf nicht länger die Parole ausgegeben werden: Alles muss so bleiben, wie es heute ist. Wir müssen uns an die Spitze setzen und dürfen uns nicht als Bremser betätigen. Was Bremser erreichen, wissen wir aus Großbritannien: Sie sind am Ende der Entwicklung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in unserem Antrag und ähnlich im Antrag der Grünen ist verankert, wie wir dies erreichen können. Ziel muss sein, die Landwirtschaft nicht nur als heimische Nahrungsproduktion nach außen zu verteidigen, sondern die Landwirtschaft wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig als Entwicklungsmotor für die ländlichen Räume zu entwickeln. Dafür sollten wir alle gemeinsam arbeiten, die Politik, die Landwirtschaft und alle gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, um die Weichen auf eine grünere, zukunftsfähige Landwirtschaft zu stellen.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe:
„Gar vieles kann, gar vieles muss geschehen, was man mit Worten nicht bekennen darf.“
Und ich schließe: sondern mit Taten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung anfangen: Wie eine neue Agrarpolitik auszusehen hat, werden wir beim übernächsten Tagesordnungspunkt diskutieren, um dort auch deutlich zu machen, wo die Sozialdemokraten stehen. Bei diesem Tagesordnungspunkt werde ich mich mit dem Dioxinskandal beschäftigen. Es ist gesagt worden: Zugrunde liegt das rechtswidrige Handeln eines Futtermittelherstellers aus Uetersen, Harles und Jentzsch. Dieser Skandal ist noch nicht in allen Facetten aufgeklärt. In einem Rechtsstaat ist dies aber die Aufgabe der Staatsanwaltschaft und später der Gerichte. Neben dem noch nicht zu beziffernden Schaden für die vielen landwirtschaftlichen Betriebe ist das Vertrauen der Verbraucher schwer erschüttert.
Nun ist es nicht der erste Skandal in den letzten Jahren. Ich kann mich an die Jahre 1998 bis 2010 erinnern. In diesen Jahren hatten wir regelmäßig Skandale. Wenn man sieht, wer auf Bundesebene die Zuständigkeit hatte, so waren das ein roter
Landwirtschaftsminister, eine grüne Ministerin und zwei schwarze Minister. Insofern wehre ich mich etwas dagegen, dies parteipolitisch in eine bestimmte Richtung zu drücken.
Nach jedem Skandal wurden von der Bundesregierung Konsequenzen und strengere Vorschriften angekündigt. Leider muss man feststellen: Verändert hat sich wenig. Wenn in Zukunft weitere Skandale vermieden werden sollen, dann reicht es nicht aus, 10- oder 14-Punkte-Pläne zu verabschieden. Erforderlich sind schnelle Änderungen des nationalen Rechts.
Ich betone ausdrücklich: des nationalen Rechts.
Frau Ministerin Dr. Rumpf hat darauf hingewiesen, dass es bei der Positivliste, auf die ich noch eingehen werde, auch einer europäischen Einigung bedarf. Wollen wir wirklich darauf warten, bis sich 27 Mitgliedstaaten auf eine Positivliste geeinigt haben, oder machen wir nicht lieber selbst erst einmal Vorschläge, damit das bei uns sicher wird?
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass offensichtlich das freiwillige und amtliche Lebensmittelkontrollsystem den jetzigen Dioxinskandal nicht hat verhindern können. Also bedarf es nicht nur einer Überprüfung, sondern wir müssen auch verbessern. Wenn nötig, müssen wir mehr Kontrolleure einstellen.
So weit besteht sicherlich Einigkeit. Selbst die Verbraucherschutzministerin Aigner hat dies nach längerem Zögern eingestanden und ihre Politik des Schwarze-Peter-Spiels mit Vorwürfen an andere Stellen, auch in Richtung Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aufgegeben.
Was wir allerdings nicht brauchen können - da teile ich die Auffassung von Ihnen, Herr Voß -, ist das, was der ehemalige Landwirtschaftsminister, Herr von Boetticher, laut „Schenefelder Zeitung“ auf einem Neujahrsempfang gesagt hat. Das ist nicht hilfreich, wenn man davon spricht, der Fall sei von den Medien aufgepuscht. Außerdem sei es ein Irrglaube anzunehmen, dass man so etwas in Zukunft verhindern könne. - Herr von Boetticher, damit haben Sie,
glaube ich, dem Anliegen des Landtags und der Landesregierung keinen Gefallen getan.
Handlungsfähige Politik sieht diametral anders aus!
Ich wiederhole an dieser Stelle gern meine Bewertung, die ich bereits im Agrar- und Umweltausschuss zu diesem Thema zum Ausdruck gebracht habe: Die Futtermittelaufsichtsbehörden in Schleswig-Holstein haben mit Frau Ministerin Dr. Rumpf an der Spitze in der Handhabung des Skandals und insbesondere mit der offenen Informationspolitik gegenüber dem Landtag gut gearbeitet. Dafür ausdrücklich auch der Dank der SPDFraktion.
Es geht aus meiner Sicht um eine einfache Sache, nämlich weg von Ankündigungen hin zu Maßnahmen zu kommen. Dafür sind die vorgeschlagenen 14 Punkte der Verbraucherministerkonferenz durchaus eine geeignete Grundlage. Das entspricht ja auch in weiten Teilen dem vorgelegten Antrag von SPD, der LINKEN und SSW. Für mich stehen vier Punkte dabei besonders im Fokus.
Erstens. Die Risikominimierung in den Futtermittelbetrieben durch geänderte Zulassungsverfahren, die Trennung von Produktströmen nach industrieller und futtermitteltechnischer Weiterverarbeitung sowie eine transparente Kennzeichnung der Inhalte von Futtermitteln zum Beispiel über eine Positivliste. Positivliste heißt, nur das, was in dieser Liste steht, darf in Futtermittel hinein, alles andere nicht. Dann sind wir endlich auf der sicheren Seite, zumindest wenn es auch noch kontrolliert wird.
Zweitens. Verbesserung der eigenen und amtlichen Kontrolle mit vollständiger und leicht zugänglicher Darstellung aller gemessenen Ergebnisse - jetzt kommt es - auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Hierzu bedarf es einer Stärkung der staatlichen Infrastruktur bei der Beprobung und bei Laboruntersuchungen. Frau Ministerin Dr. Rumpf hat gesagt, sie brauche eigentlich die doppelte Anzahl von Kontrolleuren. Das heißt, das wären dann nicht fünf, sondern zehn. Wir werden das als Sozialdemokraten unterstützen.
Drittens. Die Landwirte in Schleswig-Holstein sind unabhängig davon, ob ihre Höfe gesperrt waren oder nicht, gleichfalls Opfer des Dioxinskandals. Sie sind angesichts des Preisverfalls für Schweinefleisch in wirtschaftliche Not gekommen. Nun habe ich auch zur Kenntnis genommen - ich lese ja am Wochenende auch das Bauernblatt -, dass der Schweinefleischpreis wieder nach oben gegangen ist. Er lag bei 1,12 €. Aus Angeln habe ich mitbekommen, dass er teilweise sogar unter 1 € abgerutscht ist. Wir müssen uns zur Erinnerung einmal ins Gedächtnis zurückrufen, dass man 1983 - damals gab es noch die D-Mark - umgerechnet 1,50 € für ein Kilogramm Schweinefleisch bekam. Wenn man heute 1,12 € oder 1,20 € bekommt, weiß man, was dort bei der Geldentwertung eigentlich passiert ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Schäden, die durch verunreinigte Futtermittel entstehen, brauchen wir eine finanziell ausreichend hoch angesetzte Haftpflichtversicherung, die zwingend von der Futtermittelindustrie und dem Handel abgeschlossen werden muss.
Wer an der Stelle immer wieder darauf hinweist, dass dies wahrscheinlich wegen der Risiken kaum möglich sei, dass hier mit Rückversicherungen gearbeitet werden muss, dem sage ich: Das ist in anderen Bereichen auch der Fall. Das ist dann teurer, und Rückversicherungen verdienen damit ihr Geld. Das ist aber machbar. Wir brauchen nur die entsprechenden Gesetze. Auch der von Ministerin Aigner angekündigte Weg, günstige Kredite der landwirtschaftlichen Rentenbank sinnvoll zu geben, um finanzielle Engpässe von verschiedenen Höfen zu überbrücken, halte ich für den richtigen Weg. Aber es geht in erster Linie darum, dass wir ein Haftpflichtsystem bei uns bekommen.
Viertens. Neben aktuellen schnellen Verbesserungen im System der Futtermittelkontrolle dürfen wir die übergeordnete Aufgabe nicht aus den Augen verlieren. Damit kommen wir sicherlich auch zu dem übernächsten Punkt. Wir müssen einen gesellschaftlichen Prozess zum Wert von Lebensmitteln und zum eigenständigen Wert gesunder Ernährung anstoßen.
Nur das Wissen um und Bewusstsein für gesunde Lebensmittel kann die Verbraucherinnen und Verbraucher ermuntern, für qualitativ hochwertige Le
bensmittel den richtigen Preis an der Kasse zu zahlen. Dann kostet ein Hähnchen, 40 Tage Mast, 1,2 kg, eben nicht im Sonderangebot bei einer Firma, die zu Edeka gehört, 2,79 €, dann muss ich erheblich mehr dafür bezahlen. Dann kriege ich aber auch ein qualitativ hochwertiges Produkt. Dazu müssen wir aber auch selbst bereit sein, alle, die wir hier sitzen.
Diese Aufgabe ist eine Aufgabe, die man nicht nur in der schulischen Bildung weiter stärker in den Fokus nehmen muss, sondern auch in der außerschulischen Bildung und Weiterbildung. Nur dann werden wir auf dem richtigen Weg sein, dass wir in Zukunft noch mehr gesunde Lebensmittel bekommen.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Punkt ansprechen. Wir haben aus meiner Sicht noch viel zu tun in diesem Bereich. Ich verweise auf die Drucksache 17/1052. Da geht es um das Thema Hähnchenhaltung in Schleswig-Holstein. Da erklärt die Landesregierung, dass der landesweite Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenhaltung von den Überwachungsbehörden nicht erfasst wird. Es ist also noch viel zu tun. Ich wünsche Ihnen zwar keinen guten Appetit, hoffe aber, dass der Antrag von SPD, der LINKEN und Grünen, weil darin viele Punkte enthalten sind, die ohnehin auf der Verbraucherministerkonferenz schon mitgetragen wurden, eine große Zustimmung im Landtag findet.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe im Laufe meiner sehr langen Zugehörigkeit zu diesem hohen Haus gelernt, dass man sich eigentlich über Stilfragen nicht unterhalten sollte. Die SPD-Fraktion hat bewusst auf das Stellen eines eigenen Antrags verzichtet. Frau Redmann hat darauf hingewiesen, dass wir im Oktober einstimmig eine Resolution zum Themen Biomassenutzung, Biogasnutzung verabschiedet haben. Aber es lag im Ausschuss ein Antrag der Grünen vor, und wir hatten die Absicht, uns mit diesem Antrag im Rahmen einer Anhörung zu beschäftigen, wenn der Bericht der Bundesregierung vorliegt.
Nun haben wir festgestellt: Der Bericht der Bundesregierung wird wahrscheinlich frühestens im Mai 2011 vorliegen. Nur aufgrund dessen, was wir in Schleswig-Holstein im Moment haben, müssen wir eigentlich als Parlament ein Interesse daran haben, das wir handeln.
Die Probleme liegen auf dem Tisch. Deshalb bin ich der Meinung, dass es durchaus möglich sein müsste, angesichts der Einigkeit in grundsätzlichen Fragen in diesem Haus, dass man der Landesregierung einen gemeinsam formulierten Antrag für die Beratungen im Bundesrat mitgibt. Wenn jede Fraktion vielleicht auf ein paar Essentials verzichten kann, dann wäre das durchaus möglich, weil wir alle ein Interesse daran haben, dass auch in Zukunft Biomasse in Schleswig-Holstein genutzt werden kann, aber die Auswüchse, die dazu geführt haben, dass die Akzeptanz zunehmend abnimmt, abgestellt werden.
Ein zweiter wichtiger Punkt für mich ist: Es gibt in Schleswig-Holstein eine Firma - die Firma Haase in Neumünster; ich kann nur empfehlen, sie zu besuchen -, die sehr erfolgreich Biogas auf Erdgasqualität veredelt. Auch das ist eine Zukunftstechnolo
gie, die wir in Schleswig-Holstein durchaus stärker nutzen können.
Insofern meine Bitte an die Koalitionsfraktionen: Gehen Sie in sich, ob es einen gemeinsamen Weg noch geben kann! Man kann einen gemeinsamen Antrag auch morgen noch verabschieden. Sollte das nicht der Fall sein, dann müssen wir in der Sache abstimmen. Dann haben wir unsere unterschiedlichen Standpunkte. Aber ich glaube, das wäre im Interesse der Sache der falsche Weg.
Verehrte Frau Präsidentin! Wir sollten uns bei all den Menschen bedanken, die seit Langem engagiert und mit voller Überzeugung für das Recht auf die Erzeugung von gentechnikfreien Nahrungsmitteln eintreten.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland schon circa 30.000 Bäuerinnen und Bauern, die sich in 190 gentechnikfreien Regionen zusammengeschlossen haben, die Initiativen gebildet haben und die per Selbstverpflichtung freiwillig erklärt haben, dass sie keine Gentechnik auf ihren Äckern und Wiesen einsetzen wollen. Auf allen Ebenen ist dadurch Bewegung entstanden mit dem Ziel, gegenüber der Europäischen Union das Recht einzufordern, sich auch gesetzlich abgesichert als gentechnikfreie Region zu erklären.
Dieses Ziel wird von den Oppositionsfraktionen mit den beiden vorliegenden Anträgen unterstützt. Es muss eine Bundesratsinitiative eingeleitet werden. Das Selbstbestimmungsrecht für jedes Bundesland muss eingefordert werden.
In Bayern hat sich der Umweltminister, der einer christlichen Partei angehört, bereits im letzten Jahr klar für ein Selbstbestimmungsrecht bei der Gentechnik ausgesprochen. Er will Bayern zur gentechnikfreien Region erklären. Dies muss in SchleswigHolstein auch möglich sein.
In Hamburg hat die Bürgerschaft Anfang Februar fraktionsübergreifend beschlossen, auf Gentechnik zu verzichten, und möchte dies auf die gesamte Metropolregion ausdehnen.
Auch die Kirche in Nordelbien wird auf allen Pachtflächen in 590 Kirchengemeinden weiter ein Anbauverbot für gentechnisch veränderte Organismen aussprechen, und dies über 2011 hinaus.
Leider war die erste Reaktion auf den Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft, der dort einstimmig zustande gekommen ist, aus unserem Landwirtschaftsministerium, dass auf das noch bestehende EU-Recht verwiesen wurde, was man aber ja auch ändern kann.
Kurze Zeit später fand hier im Landeshaus eine Tagung der Initiative ,,Gentechnikfreies Norddeutschland“ statt, die noch einmal überzeugend dargestellt hat, welche Vorteile es mit sich bringt, wenn Norddeutschland insgesamt zu einer gentechnikfreien Region wird.
Für die SPD möchte ich dazu unterstreichen, das wir diese Initiative weiter unterstützen. Vor allem das Ziel, die gentechnikfreie Produktion zu einem Markenzeichen für Schleswig-Holstein zu machen, ist aus meiner Sicht zukunftsweisend, weil dadurch unsere Landwirte erheblich bessere Chancen in einem sich verändernden gemeinsamen europäischen Agrarmarkt ab 2015 bekommen.
Dafür muss in einem ersten Schritt zunächst das EU-Recht geändert werden. Wir brauchen in den Mitgliedstaaten und Bundesländern ein Selbstbestimmungsrecht zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Wir wollen von der Europäischen Union per Gesetz das Recht erhalten, den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft in unserem Landwirtschafts- und Tourismusland auszuschließen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein Wort zu dem vorgelegten Antrag der Koalitionsfraktionen. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen: die Koexistenz oder vorgeschaltet ein Monitoring. Beides zusammen geht nicht. Aber vielleicht hören wir ja von den Rednern nachher, wie der Weg der beiden Fraktionen aussieht.
Dass es auch anders geht, kann man in Bulgarien sehen. Bulgarien hat sich zwar nicht für ein generelles Anbauverbot ausgesprochen, aber nach dem Parlamentsbeschluss muss zu Schutzgebieten ein Abstand von 30 km, von 10 km zu Bienenstöcken und von 7 km zu biologischen Betrieben eingehalten werden. Das bedeutet ein komplettes Anbauverbot. Richtig so!
Wir waren in Schleswig-Holstein in der rot-grünen Regierungszeit bundesweit führend bei dem Thema „Gentechnikfreie Landwirtschaft“.
Da müssen wir wieder hinkommen. Ein Reinheitsgebot der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft muss ein von den Verbrauchern gefordertes Qualitätskriterium sein.
Die jetzige Regierung möchte im Gegenteil die Forschungsgelder für die Gentechnik erhöhen. Ich glaube, das ist der falsche Weg. Er zeichnet sich aus durch Technikgläubikeit und berücksichtigt nicht die eher negativen Erfahrungen, die es mit gentechnisch veränderten Organismen schon gibt.
Bevor ich mit einem Zitat zum Schluss komme, beantrage ich, dass alle Anträge zur weiteren Beratung an den Umweltausschuss überwiesen werden.
Ich schließe mit einem Zitat: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“. Wenn Sie einem Sozialdemokraten nicht glauben, sollten Sie zumindest dem bedeutendsten deutschen Dichter, Johann Wolfgang von Goethe, vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit zollen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lassen Sie mich drei Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung ist: Wir diskutieren heute über Grüne Gentechnik. Über Rote Gentechnik haben wir in der Vergangenheit mehrfach diskutiert. Bitte vermengen Sie das nicht miteinander. Das sind zwei total verschiedene und mit anderen Ansatzpunkten zu behandelnde Themenfelder.
Zweite Bemerkung, Herr von Abercron: Es dürfte Ihren bekannt sein, dass es die Vier- und Marschlande in Hamburg gibt. Das ist ein sehr großes Ge
müseanbaugebiet. Insofern kann ich die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg gut verstehen, dass sie Hamburg zu einer gentechnikfreien Zone erklärt haben. Das sollten wir auch achten.
Dritte Bemerkung: Dass man auf die Grüne Gentechnik verzichten kann, zeigt sich an dem Beispiel der jetzt zugelassenen Kartoffel Amflora mit einem antibiotikaresistenten Gen. Sie wird nur angebaut, weil die Stärkeindustrie sie angeblich aufgrund der guten Eigenschaften benötigt. Es gibt Saatgutbetriebe in Holland, die auf ganz normalem Wege zwei Kartoffeln mit ähnlichen Eigenschaften gezüchtet haben. Für mich stellt sich dann die Frage, in wessen Interesse es eigentlich ist, dass wir uns hier mit gentechnisch veränderten Organismen beschäftigen. Es handelt sich um große Konzerne, die später ein Patent auf diese genveränderten Organismen haben wollen. Damit machen sie Landwirte von großen Konzernen abhängig. Das ist nicht unser Ziel in Schleswig-Holstein.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landwirtschaft prägt Schleswig-Holstein und stellt mit den vor- und nachgelagerten Arbeitsplätzen zusammen den wichtigsten wirtschaftlichen Motor in den ländlichen Räumen SchleswigHolsteins dar. Allein die landwirtschaftliche Endproduktion belief sich für Schleswig-Holstein im Jahr 2008 auf fast 3,3 Milliarden €. Das entspricht einem Anteil von 6,6 % der deutschen Endproduktion.
Auf der anderen Seite - das muss man immer wieder betonen - unterstützt die Gesellschaft die Landwirtschaft mit Direktzahlungen aus der ersten Säule mit jährlich über 349 Millionen €, und über Agrar- und Umweltmaßnahmen kommen noch einmal 20 Millionen € dazu. Bisher fließen 75 % der Fördermittel des Agrarbereichs als direkte Zahlungen. Hierfür erbringt die Landwirtschaft Leistungen, die sie aber aus Sicht der SPD-Fraktion transparent darlegen muss, damit auch in Zukunft die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Zahlungen erhalten bleibt.
Brauchen wir nicht eine Landwirtschaft, die sorgsam mit Boden, Luft und Wasser umgeht und die Arbeit auf dem Land hält, statt sie wie bisher dem Strukturwandel zu opfern? - Dies war vor Kurzem in einer überregionalen Zeitung zu lesen. Dies haben Regierungsinstitutionen auf Bundesebene im Gegensatz zu Bundesagrarministerin Aigner erkannt. Genannt seien der Sachverständigenrat Umwelt, das Umweltbundesamt oder das Bundesamt für Naturschutz. Dessen Präsidentin verlangt einen Paradigmenwechsel zugunsten einer Ökologisierung der Landwirtschaft, der Sachverständigenrat will Direktzahlungen völlig abschaffen, und das Umweltbundesamt fordert: Alle staatlichen Trans
fers kommen hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen auf den Prüfstand.
Die Europäische Union diskutiert derzeit über Eckwerte für die nächste Förderperiode ab 2013. Aus meiner Sicht ist die Forderung des Bauernverbandes, die Mittel in der ersten Säule auf dem bisherigen Niveau zu erhalten, zwar verständlich, aber kaum zu realisieren. Um zukunftsfähige Strukturen in der Landwirtschaft und im ganzen ländlichen Raum zu sichern, muss die betriebliche Förderung zugunsten der Förderung des Ausbaus der Infrastruktur und zum Schutz von Umwelt und Natur für alle Menschen verändert werden.
Die Botschaft muss sein: weniger Direkthilfen für die Landwirtschaft aus der sogenannten ersten Säule und Weiterentwicklung der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik. Im Kern muss die Landwirtschaft zeigen, dass sie nicht nur Nahrungsmittel produzieren, sondern einen echten EUMehrwert schaffen kann. Dieser Mehrwert muss nach unserer festen Überzeugung in den Bereichen der neuen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, Erhaltung der Biodiversität, modernes Wassermanagement und Ausbau der erneuerbaren Energien liegen.
Nur so kann dem Steuerzahler vermittelt werden, weiter die Landwirtschaft mit hohen Fördersummen zu unterstützen.
Frau Ministerin Rumpf, ich freue mich, dass Sie im Diskussionspapier zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Strukturfonds nach 2013 die richtigen Weichen stellen wollen, um die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein stärker ökologisch auszurichten. Hier sollen in Zukunft die richtigen Fördermaßnahmen angeboten werden, um die auch von uns geforderten Ziele - Schaffung einer ökologischen Grundprämie für die Bereitstellung von bis zu 10 % landwirtschaftlicher Nutzfläche als ökologische Vorrangflächen, Ausbau von Agrarumweltmaßnahmen, die weiterhin gezielt ökologische Anforderungen in den Mitgliedstaaten umsetzen sollen, sowie Förderung von Naturschutzleistungen ohne zwingenden Bezug zur Landwirtschaft durch Landschaftspflegemittel - zu erreichen. Das Diskussionspapier, das Sie vorgelegt haben, ist es aus Sicht der SPD-Fraktion wert, in einem öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs vorgestellt und weiterentwickelt zu werden - ohne Vorbehalte.
Angesichts des Wandels in der Landwirtschaft müssen wir Perspektiven anbieten sowohl für die Landwirte, die sich dem internationalen Wettbewerb stellen wollen, als auch für die Landwirte, die diversifizieren wollen. Ein ,,Weiter so“ nach dem Partikularprinzip mit Vorrang für das Eigeninteresse führt nicht in die Zukunft, und deshalb darf es das in Schleswig-Holstein nicht geben. Interessen einzelner Verbände müssen für das Gemeinwohl zurückstehen. Die neuen Chancen durch die EUVorgaben werden in der Landwirtschaft von modernen Betrieben bereits erkannt und - da bin ich mir sicher - auch ergriffen.
Eine umweltgerechte Bewirtschaftung zum Nulltarif wird es nicht geben; deshalb wird auch in Zukunft die Gesellschaft dafür zahlen müssen.