Protokoll der Sitzung vom 31.08.2005

Am 24. April hat die EU in überstürzter Weise die Beitrittsverträge mit Bulgarien und Rumänien unterzeichnet. 2007 sollen beide Länder aufgenommen werden. Das EU-Parlament beschloss trotz erheblicher Widerstände den Beitritt. Kritische Stimmen kamen selbst vom Grünen-Abgeordneten CohnBendit:

„Es gibt keinen Grund, schon jetzt abzustimmen. Wir können nicht immer Blankoschecks ausstellen.“

Das war kein DVU-Anhänger. Weiter sagte er, beide Länder hätten Fortschritte erzielt, es gebe aber noch viele Defizite auf dem Weg in die EU.

Auch unser Brandenburger EU-Abgeordnete Ehler listete auf 16 Seiten auf, was die EU selbst alles an Defiziten zusammengetragen hat. Dies tat er von sich aus und nicht auf Wunsch der DVU.

„Rumänien ist nach wie vor das Ausgangs- und Transitland für den Menschenhandel nach Deutschland und Eu

ropa.... Die Vorbereitung von Gesetzen ist nach wie vor mangelhaft.... Eine kürzlich durchgeführte amtliche Untersuchung hat ergeben, dass die Mehrheit der Richter in Rumänien im Amt politisch unter Druck gesetzt wird.“

Dann natürlich das Thema Korruption: Im Länder-Ranking belegt Rumänien gemeinsam mit dem Iran Platz 87.

Der EVP-Fraktionschef Pöttering brandmarkte, dass die geschätzten 44 Milliarden Euro, die die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens kosten werden, bislang in keinem Haushalt aufgeführt worden seien.

In Rumänien und Bulgarien liegt das Durchschnittseinkommen übrigens bei 25 % des EU-Durchschnitts. Auf das selbst in großen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten steckende Deutschland und somit auch auf Brandenburg kommen also noch härtere Zeiten zu. Der statistische Effekt wird sich für Brandenburg noch verschärfen. Zudem dürfte eine Migrationswelle ungeahnten Ausmaßes nach Europa schwappen. Aus Rumänien, das 15 Jahre nach der Grenzöffnung bereits das erste Land mit mehr Rentnern als Erwerbstätigen ist, wollen 70 % der 20- bis 40-Jährigen, auswandern. Bulgarien soll noch rasanter ausbluten: nach 9 Millionen Einwohnern 1990 auf 7 Millionen heute und schätzungsweise 5 Millionen im Jahre 2040. Die DVU-Fraktion fordert mit ihrem heutigen Antrag die Landesregierung auf, sich bereits heute auf die Folgen aus diesen Beitrittsszenarien einzustellen.

Noch größere Belastungen für Deutschland und für unsere Region Berlin-Brandenburg dürften durch den beabsichtigten Türkei-Beitritt entstehen. Nach einer Studie des Osteuropa-Instituts würde der Türkei-Beitritt Jahr für Jahr bis zu 14 Milliarden Euro kosten, was wahrscheinlich noch zu niedrig gegriffen sein dürfte. Dazu ein Zitat von Professor Wehler aus dem „Focus“, Ausgabe 8/2004:

„Ökonomisch gesehen ist die Türkei ein Fass ohne Boden. Sie erwirtschaftet bei einer Inflationsrate von rund 40 % nicht einmal 20 % des durchschnittlichen europäischen Sozialprodukts. Die Beitrittshilfen würden einen riesigen Umfang, die jährlichen EU-Zuschüsse 20 bis 40 Milliarden Euro erreichen. Ein Fünftel davon entfielen auf den deutschen Nettozahler.“

Nicht nur deswegen ist der angestrebte EU-Beitritt völlig unlogisch. Ganze 3 % der Türkei können als europäisch gelten. Die Türkei ist ein asiatisches Land, sowohl geografisch als auch kulturell.

(Dr. Klocksin [SPD]: Sie sind ja ein Fachmann!)

Aufgrund der ökonomischen Rückständigkeit sind große Zuzugsbewegungen primär nach Deutschland zu erwarten, weil in Deutschland bereits 2,8 Millionen Türken sesshaft sind. Von der DVU-Fraktion kommt ein klares Nein zum Türkei-Beitritt.

(Beifall bei der DVU)

Und von mir das Signal, dass Ihre Redezeit beendet ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dann beende ich die Rede hiermit.

(Beifall bei der DVU)

Wir sind damit am Ende der Rednerliste angelangt. Die DVUFraktion beantragt die Überweisung des Antrags auf Drucksache 4/1754 an den Ausschuss für Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik. Wer diesem Anliegen folgen möchte, möge die Hand heben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei übergroßer Mehrheit ohne Gegenstimmen abgelehnt.

Damit stimmen wir über den Antrag in der Sache ab. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mit übergroßer Mehrheit ohne Enthaltungen abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 17 und rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Familienförderungsgesetz

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 4/1755

Ich eröffne die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brauchen ein Familienförderungsgesetz und dies so schnell wie möglich. Brandenburg befindet sich in einer katastrophalen demografischen Lage. Geprägt durch zunehmenden Geburtenschwund, Abwanderung besonders aus dem äußeren Entwicklungsraum sowie anhaltende Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau entwickelt sich Brandenburg, wenn die Entwicklung weiter voranschreitet, zum demografischen Schlusslicht der Bundesrepublik Deutschland, wenn es dies nicht schon ist.

Im Altersaufbau der Bevölkerung Brandenburgs kommt es immer mehr zu einer dramatischen Verschiebung. Junge Leute werden zur Minderheit im Land. Die Zahl der Kinder sank, dagegen stieg die Zahl älterer Menschen und steigt weiter. All das ist den meisten der Anwesenden bekannt; ich brauche es nicht näher zu erläutern. Auch das zuständige Ministerium konnte die Augen vor diesen Tatsachen nicht länger schließen. Am diesjährigen internationalen Familientag im Mai hat Frau Ministerin Ziegler - so war es jedenfalls der Presse vom 14. Mai zu entnehmen - sogar die absolute Vorfahrt für Familien und Kinder auf allen Politikfeldern gefordert.

Auch die Koalitionsfraktionen haben sich dieser Problematik angenommen und bereits Anfang April einen Antrag ins Plenum eingebracht, der „Brandenburg familienfreundlich gestalten“ lautete. Der Antrag bestand aus zwei Teilen; die meisten werden sich daran erinnern. Im ersten Teil sollte der Landtag den Propagandaparolen des Ministeriums zustimmen und im

zweiten Teil wurde die Landesregierung aufgefordert, ein familienpolitisches Maßnahmenpaket zu erarbeiten. Getreu dem Programm der DVU soll eine familien- und kinderfreundliche Politik betrieben werden, soll beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung gefördert werden. Diese Forderung fand natürlich unsere Zustimmung. Ansonsten war der Antrag „Brandenburg familienfreundlich gestalten“ der Koalitionsfraktionen Selbstbeweihräucherung pur in dieser doch so wichtigen Angelegenheit. Bereits damals konnte man sich ausrechnen, wie das angekündigte so genannte familienpolitische Maßnahmenpaket aussehen wird, das noch dazu kostenneutral gestaltet werden soll: Viel heiße Luft und sonst nichts!

Trotzdem ist es erfreulich, dass diese Landesregierung im Jahr 2005 auf den Gedanken kommt, unser Brandenburg familienfreundlicher zu gestalten.

Wie sieht denn die Bilanz der rot-schwarzen Familienpolitik schließlich regieren beide Parteien schon seit 1999 - aus? Massenabwanderung besonders der jungen und gebildeten Menschen, insbesondere aus den berlinfernen Regionen des Landes. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Brandenburg, die von Sozialhilfeleistungen leben müssen, stieg dramatisch, während die Familien immer stärker zur Kasse gebeten werden - siehe Kita-Gebühren, Kosten der Schülerbeförderung usw. So sieht die Bilanz der rot-schwarzen Regierung im Land Brandenburg aus.

Deshalb freut uns umso mehr, dass die Landesregierung ihre vielen Fehlleistungen der letzten Jahre erkannt hat und nun umsteuern möchte. Doch wir als DVU-Fraktion befürchten, dass dieses familienpolitische Maßnahmenpaket, welches die Landesregierung plant, nur ein Feigenblatt sein wird, um die Fortführung der antisozialen, antiwirtschaftlichen und familienfeindlichen Politik zu bemänteln. Wohin diese asoziale, familienfeindliche Politik geführt hat, belegen die jüngsten Fälle von Kindstötung und -misshandlung.

(Zuruf von Ministerin Ziegler: Das ist ja unglaublich!)

Da bringt eine Frau neun Neugeborene um und verscharrt ihre Leichen in Blumenkästen. Eine andere ließ vor geraumer Zeit ihre zwei kleinen Kinder in ihrer Wohnung verdursten.

Wenn der Innenminister, Herr Schönbohm, dann erklärt, diese Verwahrlosung der Gesellschaft sei ein Erbe der SED-Diktatur, dann stimmt dies nur sehr bedingt. Zum größten Teil ist dies nämlich ein Erbe der asozialen und familienfeindlichen Politik der letzten 15 Jahre hier im Land Brandenburg. Darüber sollte man einmal nachdenken.

(Beifall bei der DVU)

Doch wie in anderen Politikfeldern steckt die Landesregierung auch hier den Kopf in den Sand, obwohl es bereits fünf nach zwölf ist, und glaubt, sich wieder einmal mit Versprechungen wie mit dem genannten Maßnahmenpaket - aus der Verantwortung mogeln zu können. Deshalb fordert unsere Fraktion die Landesregierung heute mit dem vorliegenden Antrag zum verbindlichen Handeln auf. Wir wollen klipp und klar eine gesetzliche Grundlage für eine Familienpolitik, die diesen Namen verdient und in Brandenburg zu einer Trendumkehr der katastrophalen demografischen Entwicklung führt. Ähnlich wie in Sachsen-Anhalt, in dem ein Familienförderungsgesetz vom

Landtag verabschiedet und in Gang gesetzt wurde, ist es auch in Brandenburg allerhöchste Zeit, auf dem Gesetzeswege eine Umkehr der derzeitigen bevölkerungspolitischen Lage des Landes in die Wege zu leiten. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vorerst bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich rufe den Redebeitrag der Koalitionsfraktionen auf. Der Abgeordnete Schulze erhält das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man fast darüber lachen. Es ist einfach nur schlimm, dass die neun vermutlich getöteten Kinder in Eisenhüttenstadt neuerdings für alles in diesem Lande herhalten müssen. Das ist einfach nur widerlich. Es schüttelt mich wahrhaftig.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linkspartei. PDS)

Insofern sehe ich mich außerstande, nach diesem Redebeitrag, diesem Getöse hier, eine sachliche Auseinandersetzung mit der Problematik Familienpolitik zu führen - abgesehen davon, dass wir eine solche bereits geführt haben, wie man im Protokoll über die 13. Plenarsitzung am 14. April nachlesen kann.

Ich glaube, wir brauchen nicht mehr Gesetze. Ich glaube auch nicht, dass man mit Gesetzen Bevölkerungspolitik machen kann. Es ist abartig, per Gesetz Bevölkerungspolitik machen zu wollen, und erinnert mich an bestimmte Dinge. Aber Vergleiche mit anderen historischen Epochen hinken bekanntlich immer und fallen nur dem auf die Füße, der sie zieht; deshalb will ich das nicht tun.

Wir brauchen keine neuen Gesetze, brauchen kein Familienförderungsgesetz. Was wir tun müssen, ist Folgendes: Wir müssen die konkreten Projekte, das, was tagtäglich getan wird, die Dinge, die vorhanden sind, verbessern, justieren und immer wieder nachjustieren. Wir sind dabei. Dass Ihnen das entgeht und Sie hier nur Oppositionsgetöse machen, kennen wir von Ihnen nicht anders. Wenn Sie nun sagen, Sie müssten Opposition machen, wäre immer noch dazu zu sagen: Kritik muss man so anbringen, dass sie wirken kann. Wenn Sie sie in einer derart schnippischen, herablassenden, zum Teil auch destruktiven und unsachgemäßen Formulierung bzw. Herangehensweise bringen, ist es völlig unmöglich, mit Ihnen in einen Dialog zu treten. Insofern stellen Sie sich selbst ins Abseits. Auch deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schulze. - Für die Linkspartei.PDS spricht Frau Kaiser.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Fechner, wenn Sie hier Familienfreundlichkeit zum Vorwand nehmen, um bedauerliche, erschreckende, individuelle Tragödien, die aber eher Einzelfälle sind, in Ihrer ideologischen Debatte zu missbrauchen, dann ist meiner Fraktion - ich schließe mich da Herrn Schulze an - erneut klar: Wir haben mit Ihrer Denkhaltung, mit Ihrer Politik in diesem Parlament nichts zu tun.

(Beifall bei Linkspartei.PDS und SPD)

Familienförderung sollte dort wirksam werden und wird dort gebraucht, wo Menschen aus freiem Willen und meist aus Zuneigung füreinander für andere Verantwortung übernehmen, also vorrangig dort, wo Kinder aufwachsen oder Senioren versorgt oder gepflegt werden.