Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

Sie, Herr Schönbohm, haben das Ansehen dieses Landes in unverantwortlicher Weise diskreditiert.

Ich frage mich: Was gilt dieser Amtseid noch, wenn Sie, Herr Ministerpräsident, wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, weiter in Nibelungentreue an Herrn Schönbohm festhalten?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Aus taktischen Erwägungen, wie die Medien zu Recht schreiben, belassen Sie den Innenminister vorerst im Amt. Er sei der Stabilisator der Koalition. Oder - wie Kollege Schulze vor zwei

Tagen sagte -: Schönbohm ist die eiserne Klammer um die CDU. - Wie instabil muss diese Regierung eigentlich sein? Wie instabil ist die CDU? Aber wahrscheinlich tun Sie gut daran. Wird die Karte Schönbohm erst aus dem Kartenhaus gezogen, stürzt wohl Ihr mühsam zusammengebasteltes Gebilde zusammen.

(Schulze [SPD]: Das hätten Sie gern! - Karney [CDU]: Keine Angst, das geschieht nicht!)

Meine Damen und Herren, es ist richtig: Am Ende des Gesprächs, das wir beide im RBB führten, stand die Verabredung, dieses unbegreifliche Verbrechen des neunfachen Kindsmordes aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Ja, Herr Schönbohm, ich habe Ihnen abgenommen, dass Sie es ernst meinen. Ich habe Ihnen abgenommen, dass Sie aus tiefstem Herzen auf der Suche nach den Gründen für ein solch abscheuliches Verbrechen sind.

Sie haben auch Recht: Wir müssen uns einem solchen Verbrechen stellen, müssen auf die Suche gehen - sachlich, aber auch ideologiefrei. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, weshalb Sie zwei Tage danach noch einmal nachgelegt haben. In der Zeitschrift mit den vier großen Buchstaben haben Sie erneut ein Interview gegeben. War das wieder nur ein Missverständnis? Dort nämlich stellten Sie fest:

„Dieses Thema eignet sich nicht für den Wahlkampf. Aber vielleicht war auch der von mir gewählte Zeitpunkt nicht glücklich.“

Also nur der Zeitpunkt? Auf die sich daran anschließende Frage: Haben Sie irgendwelche Beweise für Ihre kühnen Thesen?, antworteten Sie: Die Beweise sind für mich die genannten Teilnahmslosigkeiten bei Straftaten. - Damit ist eines offenkundig: Es war kein einmaliger Ausrutscher. Sie, Herr Minister, sind der tiefen Überzeugung, dass Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft, die Tatsache, dass sich in Brandenburg Bürger teilnahmslos verhalten, ihre Ursache vor allem in der Herkunft aus der DDR haben. Das ist Ihre Denkweise. Das Interview in der „Welt“ von heute bzw. in der „Berliner Morgenpost“ bestätigt das erneut. Als politischer Repräsentant der Brandenburger sind Sie damit fehl am Platze.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es liegt klar auf der Hand: Sie, Herr Innenminister, haben entgegen unserer Verabredung die tragischen Vorgänge weiter im Wahlkampf instrumentalisiert.

„Für jemanden, der das Land mitregieren will, reicht es nicht, nur die Landschaft und die Geschichte des Landes zu lieben. Man muss auch die Menschen mögen, achten und respektieren, die hier leben.“

Dieses Zitat stammt aus der Rede des Ministerpräsidenten auf der Landesvertreterkonferenz am 6. August. Herr Ministerpräsident, ich teile Ihre Ansicht. Ich denke, das ist der Anspruch, der an Politiker, vor allen Dingen an Spitzenpolitiker, dieses Landes zu stellen ist. Nur, mit der großzügigen Bemerkung, jeder habe einen Fehler frei, haben Sie sich letzten Endes auch in die Reihe der Schönbohm-Verteidiger gestellt. Was meinen Sie eigentlich? Einen Fehler pro Jahr? Einen Fehler pro Monat? Einen Fehler pro Tag?

Der Innenminister ist nicht nur einmal durch Fehlleistungen aufgefallen. Ich will Sie nur erinnern an den Eklat um das Zuwanderungsgesetz, die Affäre um Wirtschaftsminister Fürniß, die Aussage, Schulschwänzer gehörten in elektronische Fußfesseln, die V-Mann-Affären usw. usf.

Herr Schönbohm, Sie sind ein anhaltendes politisches Risiko für Brandenburg.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Michael Schumann hat Ihnen vor fünf Jahren einmal vorgeworfen, Sie hätten die Sensibilität eines Panzerkreuzers. Dem ist heute nichts hinzuzufügen.

Ich hätte Ihnen das nötige Verantwortungsgefühl zugetraut, rechtzeitig den Hut zu nehmen. Ich denke, Sie sollten nicht nur Schaden vom Land Brandenburg abwenden, sondern auch Schaden von Ihrer Partei, der CDU.

(Unruhe bei der CDU)

Da Sie dieses Verantwortungsgefühl offenkundig nicht besitzen, steht unser Antrag heute zur Abstimmung. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Den Beitrag der SPD-Fraktion bringt der Abgeordnete Baaske zu Gehör.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es vorwegnehmen und rundheraus sagen: Die SPD-Fraktion wird den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS ablehnen. Dieser Antrag - Frau Enkelmann hat es gerade noch einmal unterstrichen - ist der simpelste Wahlkampf mit dem absolut falschesten Thema.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sie, Frau Enkelmann, haben eben gesagt, dass Herr Schönbohm seine Äußerungen zu Wahlkampfzwecken missbraucht habe. Genau dasselbe unterstelle ich Ihnen: dass Sie nämlich diese Äußerung von Herrn Schönbohm heute wieder instrumentalisieren, und zwar, um sie für den Wahlkampf Ihrer Partei zu nutzen.

(Beifall bei SPD und CDU - Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Warum schützen Sie ihn?)

Sie glauben, spontane Stimmungen aufnehmen zu können, um auf dieser Welle auf billigen Stimmenfang zu gehen. Das wird aber, wenn man sich dieses Themas etwas seriöser annimmt, nicht funktionieren.

Auch bei uns in der SPD-Fraktion - wir haben gut Dresche dafür gekriegt; das gebe ich gern zu - gingen viele Telefonate ein. Wir haben viele E-Mails, auch Briefe bekommen. Hierin wurde Herr Schönbohm zu mindestens 99 % scharf kritisiert. Wir haben auch aus dem Westteil Deutschlands Informationen,

E-Mails und Briefe bekommen. Auch dort kam Herr Schönbohm nicht besser weg, ganz im Gegenteil.

Diese Attacken greifen aber zu kurz. Ich will das erläutern und erlaube mir dabei, auf Sie, sehr geehrter Herr Innenminister, direkt zuzugehen. Sie haben zumindest indirekt eine Kollektivierung und eine vermeintliche Proletarisierung Ostdeutschlands mitverantwortlich gemacht für ein ungeheures und singuläres Verbrechen, ein Verbrechen, das sich meines Erachtens und nach bisherigen Erkenntnissen jeder nüchternen Betrachtung entzieht. Mit dieser Äußerung haben Sie - das haben Sie in der „Berliner Zeitung“ vom 9. August so gesagt - der Einheit Deutschlands geschadet - der Einheit Deutschlands, Frau Enkelmann, die Ihre SED/PDS eigentlich nie wollte. Angesichts der Äußerungen, die ich von Ihnen höre, habe ich nachdrücklich den Eindruck, dass Sie sie immer noch nicht wollen.

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Das ist jetzt auch billig!)

Herr Schönbohm, Sie haben die Menschen in Brandenburg verletzt und dabei eindeutig auch sich selbst geschadet. Mit Ihrer kurz darauf erfolgten Erklärung, im Osten Deutschlands sei der Zusammenhalt geringer als in Westdeutschland gewesen, haben Sie das Ganze noch getoppt.

Für mich waren diese Sätze einfach nicht erklärbar. Sie waren wohl eher ein Zeichen dafür, dass Sie eine rationale Erklärung für einen Vorgang suchten, den man schlicht und einfach nicht erklären kann. Doch Sie haben dies - hier widerspreche ich Frau Enkelmann ganz ausdrücklich - in den Äußerungen sogar ehrlich gemeint, ganz anders, als es der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber tat, der nur aus wahltaktischen Gründen auf die Menschen in Ostdeutschland einprügelte und sich dumpfer Vorurteile gegenüber Ostdeutschen bediente.

Meine Damen und Herren, ich war wie die allermeisten in diesem Hause und erst Recht in meiner Fraktion alles andere als ein Freund des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Ich habe mich nie mit dem System angefreundet. Ich empfand sozialistische Erziehung als Nötigung. Ich fühlte mich eingesperrt und oft genug auch drangsaliert. Unsere politischen Fragen und Meinungen - das wissen wir genau - wurden allzu schnell und allzu leichtfertig als falscher Klassenstandpunkt abgetan und haben uns Ärger eingebracht. Fast alle von uns haben auch genug Ärger mit der Staatssicherheit und mit der Volksarmee gehabt; wenn beide zusammenkamen, dann kam es richtig dicke. Aber ich konnte in diesem Land auch mein Abitur machen und sogar meinen Wunschberuf studieren und später auch in ihm arbeiten. Einem guten Freund von mir, der heute Sprecher einer großen Bürgerbewegung in Brandenburg ist, wurden alle denkbaren Hürden errichtet und alle Wege verbaut. Er durfte nicht studieren, was er studieren wollte, nur deswegen, weil sein Vater Pfarrer war. Es war widerlich, eingesperrt zu sein und dies nicht kritisieren zu dürfen.

Aber ich war sicherlich nie der radikale Widerstandskämpfer; denn dieses kleine Land mit diesen hohen Mauern war auch meine Heimat, in der ich gerne gelebt habe. Dies lasse ich mir und dies lassen wir uns nicht nehmen. Es ist eine Heimat, Herr Schönbohm, in der ganz entgegen Ihrer Annahme die Menschen sehr stark zusammenhielten. Sich gegenseitig zu helfen war hier Konsens; dies war in der geschlossenen Gesellschaft aber auch notwendig. Sicherlich konnte man sich nicht überall

offenbaren. Man musste sehr vorsichtig sein, wenn man seine eigene Meinung sagen wollte, erst recht, wenn sie gegen das System ging. Aber die Nischengesellschaft funktionierte. Andere fallen zu lassen gab es so gut wie nicht. Ich bin viel herumgekommen und habe in allen meinen Ferien im Straßenbau, im staatlichen Forst, im Stahlwerk Brandenburg und später auch als Lehrer in einem so genannten Lehrerkollektiv gearbeitet. Warum wir es später Kollegium nennen mussten, habe ich nie richtig verstanden. Aber wir haben in der DDR fast alle in Kollektiven, in Gemeinschaften gelebt und gearbeitet. Es war eine andere Gesellschaftsform, eine andere Art des Zusammenlebens. Das hat uns aber nicht zu schlechteren Menschen gemacht. Deshalb sind Ihre Theorien und Ihre Schlussfolgerungen daraus für uns, für viele Menschen in diesem Lande, einfach falsch.

Mit der Wende sind viele bis heute nicht klargekommen. Es gab und gibt berechtigte Enttäuschungen, die sich in Lethargie oder auch in Schwermut äußern. Die Ellenbogen wurden spitzer, der Kampf um Arbeit und Wohlstand machte die Menschen egoistischer. Auch das gemeinsame Hinsehen in Bezug auf das Wohlergehen der Kollegen und Nachbarfamilien ist sicherlich weniger geworden. Damit ist genau der Zustand eingetreten, den Sie, Herr Schönbohm, heute zu Recht beklagen.

Sie haben sich für Ihre zu kurz gegriffenen Äußerungen bei denjenigen entschuldigt, die Sie verletzt haben oder die sich verletzt fühlten. Auch dies fällt vielen Politikern heute schwer. Doch das reicht der PDS offensichtlich nicht. Sie will das Spiel weitertreiben. Aber wir werden über dieses Stöckchen nicht springen. Für mich und die SPD-Fraktion ist erstens entscheidend, dass Sie sich entschuldigt haben, zweitens, dass die Thesen sich erledigt haben, drittens, dass unsere Koalition erfolgreich weiterarbeiten will, und viertens, dass wir unsere gesamte Kraft darauf konzentrieren wollen, das Land voranzubringen. Was wir nicht wollen, ist, dass ein populistischer Keil in die Koalition getrieben wird und dass der Mann, der die CDU in Brandenburg eigentlich erst regierungs- und koalitionsfähig gemacht hat, wegen einer Äußerung mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wird.

Sehr geehrter Herr Innenminister, wir sind davon überzeugt, dass Ihre Entschuldigung ernst gemeint war, dass Sie Ihre Äußerungen unbedacht getätigt haben, dass Sie sich weiterhin für unser Land engagieren und dass Sie sehr nachdenklich wurden. Deshalb sehe ich und sieht die SPD-Fraktion keinen Grund, dem Antrag der PDS zuzustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der DVU-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Hesselbarth.

Die schmutzige Seite des Wahlkampfes hat den Landtag erreicht.

(Dr. Klocksin [SPD]: Nicht den ganzen Landtag!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linkspartei.PDS versucht aus der Unfähigkeit des Innenministers Kapital zu

schlagen. Das ist Ihr gutes Recht, Herr Vietze. Aber die DVUFraktion wird das nicht unterstützen. Dieses Wahlkampfmanöver ist einfach zu durchsichtig.

Herr Schönbohm, Ihre Äußerung zu den Kindermorden war nicht Ihr erster Ausrutscher und wird erfahrungsgemäß auch nicht Ihr letzter gewesen sein. Von einem verdienten deutschen General kann man erwarten, dass er sich der nötigen Konsequenzen bewusst ist, wenn er seinem Land und auch seiner eigenen Partei so gravierend geschadet hat. Gestehen Sie sich endlich ein, dass Sie Ihrem schwierigen Amt nicht mehr gewachsen sind! Treten Sie also zurück, Herr Schönbohm, und nehmen Sie Ihren Kabinettskollegen gleich mit, der Sie aus purem Eigeninteresse in der Regierung behalten will! Ihre Unfähigkeit will er für seinen Wahlkampf ausnutzen.

Meine Fraktion wird sich an der Diskussion über diesen Antrag nicht weiter beteiligen. Wir werden auch nicht an der Abstimmung über diesen Antrag teilnehmen. Wir erwarten, dass die angesprochenen Kabinettsmitglieder sich an ihren Amtseid erinnern und konsequent weiteren Schaden vom Land Brandenburg abwenden werden.

(Beifall bei der DVU - Die Mitglieder der DVU verlassen den Saal.)

Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Lunacek.