Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Regieret jemand, so sei er sorgfältig.“ Das hat bereits Paulus in den Briefen an die Römer im Neuen Testament empfohlen. Betrachtet man die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage zur Situation von Studierenden, vermisst man leider diese Sorgfalt.
Bereits in der Vorbemerkung der Antwort muss sich die Landesregierung eingestehen, auf viele Fragen keine Antwort zu haben. Zu insgesamt 33 Einzelfragen liegen angeblich weder Daten noch Erkenntnisse vor. Diese mangelhafte Sorgfalt ist erschütternd bis dreist. Erschütternd ist sie vor allem dann, wenn zu wesentlichen Fragen wie den Belangen von Menschen mit Behinderungen keine Aussagen getroffen werden können. Dreist ist sie, wenn die geforderten europäischen Vergleichszahlen lediglich ein einziges Mal angegeben werden, obwohl sie vorliegen. Der Blick über den Tellerrand hinaus wäre an manchen Stellen sehr sinnvoll gewesen. Auf der Homepage der OECD findet man jährliche Bildungsberichte mit den wesentlichen Kennzahlen.
Unverständlich ist es, wenn auf Fragen bewusst nicht geantwortet wird. Äußerst ungewöhnlich ist es, wenn Fragen gar geändert werden. Die Fraktion der Linkspartei.PDS hat zum Beispiel nicht nach der Absolventenquote gefragt, um von Ihnen die Zahl der Absolventen pro Professor zu hören.
Außerdem ist es - vorsichtig ausgedrückt - erstaunlich, wenn Frau Ministerin Wanka durch die Lande zieht, ein Darlehensmodell für die Studienfinanzierung vorschlägt und dann als Ministerin antwortet, ein solches Modell sei ihr gar nicht bekannt.
Meine Damen und Herren von der Landesregierung, die Situation junger Menschen vor, während und nach dem Studium verdient einen solchen Umgang nicht; ein deutlich höheres Maß an Sorgfalt wäre bei der Wichtigkeit dieses Themas angebracht. Eine Interpretation der markantesten Fakten vermisst
So wundert es nicht, dass Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage vor allem eines belegt: Die Situation von Studierenden ist für diese Landesregierung kein Thema. Das widerspricht mindestens Ihren regierungsoffiziellen Verlautbarungen, nach denen nicht nur Bildung und Wissenschaft, sondern auch die Entwicklung junger Menschen in Brandenburg ein Schwerpunktthema ist.
Frau Prof. Wanka, Sie persönlich und das von Ihnen geleitete Ministerium haben in der Hochschullandschaft einen verdienten Ruf. Gerade ob Ihres sonst so souveränen Agierens bin ich schon enttäuscht, dass Sie sich hier eine solche Blöße geben.
Das parlamentarische Mittel der Fragen an die Regierung sollten wir gemeinsam hoch schätzen und entsprechend handhaben. Meine Fraktion und ich erwarten, dass dieses verfassungsmäßige Recht der Abgeordneten umgesetzt wird und eine Aktion wie jüngst die des Kollegen Schulze von der SPD nicht zum Alltag werden muss.
Insgesamt bleibt zu konstatieren: Die Regierung war hier nicht besonders sorgfältig, das Ministerium war wenigstens fleißig. Zahlreiche Daten und Tabellen mussten der 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes entnommen werden. Diese zeichnen zwar ein lückenhaftes, aber doch brauchbares Bild der Bedingungen von Studium und Lehre in Brandenburg.
Lassen Sie mich daher auf zwei zentrale Punkte eingehen: die soziale Komponente eines Studiums und die besondere Situation von Frauen in Brandenburg.
Zur sozialen Frage des Studiums: Unsere Befürchtungen haben sich durch die Antwort bestätigt. Über die Aufnahme eines Studiums entscheiden in Brandenburg überwiegend nicht die Begabung oder das Interesse, sondern der Geldbeutel der Eltern und die eigene soziale Herkunftsgruppe. So zitiert die Antwort der Landesregierung die Analyse der HIS GmbH von 2003:
„Hinsichtlich von Brandenburg ist festzuhalten, dass die... Übergangsquoten an die Hochschulen mit Ausnahme der gehobenen Schicht in allen Schichten unterhalb der Durchschnittswerte für die neuen Länder insgesamt liegen. Zugleich“
„ist die soziale Selektivität der Entscheidung pro Studium in Brandenburg deutlich stärker ausgeprägt als in den neuen Ländern insgesamt.“
Das ist ein Warnsignal an alle, die Gleichberechtigung ehrlich meinen. Allein diese Einschätzung müsste uns zu gemeinsamem Handeln bewegen.
Weitere Daten unterstreichen den Ernst der Lage. Bereits die Aufnahme eines Studiums ist vom Bildungsgrad und vom Erwerbsstatus der Eltern abhängig. Während die Bildungschancen für ein Kind bei Eltern mit Hochschul- oder mittlerer Reife in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen sind, nahmen sie bei Eltern mit Hauptschulabschluss erheblich ab. Auch sinkt die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme eines Studiums, wenn ein Elternteil oder gar beide Eltern erwerbslos sind.
All diese Daten sind seit Jahren bekannt und Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, müssen sich zumindest vorwerfen lassen, die soziale Selektivität nicht verringert zu haben.
Auch während des Studiums macht sich die soziale Schieflage bemerkbar. Je niedriger die soziale Herkunftsgruppe der Studierenden, umso mehr sind sie aufgrund fehlender Zuwendungen der Eltern zum Arbeiten gezwungen. Ein Student aus der sozial niedrigen Herkunftsschicht erhält von seinen Eltern gerade einmal halb so viel pro Monat wie ein entsprechender Student aus der hohen sozialen Schicht. Je niedriger die soziale Herkunftsgruppe der Studierenden, umso häufiger muss das BAföG in Anspruch genommen werden. Erfreulicherweise hat die BAföG-Reform von 2001 auch in Brandenburg positive Effekte.
Besonders die Begrenzung der Verschuldung auf 10 000 Euro und die erleichterte Antragstellung haben die Attraktivität des BAföG gesteigert. Trotzdem hält die Linkspartei.PDS an ihrer Forderung nach einer elternunabhängigen Studienfinanzierung fest.
Hinsichtlich der gleichberechtigten Teilhabe an Hochschulbildung in Brandenburg zeichnen die Zahlen ein düsteres Bild. Nur wer soziale Schranken vor und im Studium abbaut, garantiert Bildung unabhängig vom Geldbeutel. Das muss unser hoffentlich gemeinsames Ziel bleiben. In diesem Zusammenhang ist und bleibt die Ablehnung von Studiengebühren jeglicher Art eine tatsächliche Pflicht der Politik, meine Damen und Herren.
Zur besonderen Situation von Frauen im Studium: Bei Frauen kommt neben dem sozialen Aspekt noch ein geschlechtsspezifischer hinzu. Lag der Anteil von Frauen bei der Hochschulzugangsberechtigung in den letzten Jahren noch bei rund 60 %, so sinkt dieser Anteil bei den Studienanfängern auf deutlich unter 50 %. Noch geringer ist die Quote hinsichtlich der Promotionen. Diese bedauerliche Pyramide setzt sich bei den Berufungen fort.
Bemerkenswert ist ebenso die Frage der Erwerbstätigkeit. Frauen arbeiten parallel zum Studium wesentlich häufiger als Männer, verdienen aber lediglich drei Viertel des Geldes. Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, meine Damen und Herren, sieht anders aus.
Besonders bedenklich ist die Situation von Studierenden mit Kindern. Ihr Anteil ist in Brandenburg sehr hoch, die Vereinbarkeit von Kind und Studium lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Da reicht es nicht, wenn sich die Landesregierung auf den § 3 des Brandenburgischen Hochschulgesetzes bezieht und die Aufgabe den Hochschulen zuweist.
Sie haben an den verschiedensten Stellen Ihren demografischen Bericht in den Mittelpunkt gestellt. Angesichts der von Ihnen selbst aufgezeigten Lage muss man sich die Frage stellen, ob Sie den demografischen Bericht und seine Schlussfolgerungen denn auch selbst ernst meinen. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung unseres Landes muss der Aspekt Frauen mit Kind und Studierende mit Kind mehr Beachtung bekommen. Die Kinderbetreuung für Studierende steckt hier wirklich noch in den Kinderschuhen. Das müssen wir zusammen ändern.
Meine Damen und Herren! „Regieret jemand, so sei er sorgfältig.“ Nehmen Sie ruhig Ihre Antwort auf die Große Anfrage noch einmal zur Hand, lesen Sie sie sorgfältig und stellen Sie dann Fragen! Wissen wir über die Situation von Studierenden in Brandenburg wirklich Bescheid? Haben wir die vorhandenen Ergebnisse sorgfältig in unser Handeln einfließen lassen? Haben wir nach einer sorgfältigen Analyse die richtigen Schlüsse gezogen?
Betrachtet man die Ergebnisse der Großen Anfrage, muss man leider alle drei Fragen verneinen. Nehmen Sie die Anfrage als Angebot auf! Lassen Sie sie in Ihr Handeln einfließen! „Regieret jemand, so sei er sorgfältig.“ - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sokrates hat einmal gesagt, dass man auch schlauer wird, wenn man Fragen formuliert, und nicht nur, wenn man Antworten bekommt. Herr Jürgens, ich finde es sehr lobenswert, dass Sie sich so intensiv mit der Situation der Studierenden im Land Brandenburg beschäftigen. Allerdings verstehe ich Ihren Angriff auf Frau Prof. Wanka nicht. Man stelle sich einmal lebenspraktisch vor, was das Ministerium tun müsste, um die Antworten für die einzelnen Hochschulstandorte und für das Land Brandenburg zu bekommen. Wir hätten jenseits vom Datenschutz eine Riesenuntersuchung über die Lage der Studierenden in Auftrag geben müssen. Ich erinnere mich noch gut an den Protest des AStA der Universität Potsdam, als wir eine Chipkarte einführen wollten, mit der man sich elektronisch immatrikulieren kann. Von Überwachung von vorne bis hinten und von Datensicherheit wurde gesprochen. Ich stelle mir vor, wie die Reaktion gewesen wäre, wenn man mit Fragebögen an die Universitäten gekommen wäre, in denen abgefragt wird: Was verdient ihr? In welchem Semester seid ihr? Wann habt ihr gewechselt? Wie geht es eurem Kind?
Nur so viel dazu. Ich finde Transparenz gut, aber der gläserne Student ist nicht in unserem Interesse, auch nicht in Ihrem.
Demzufolge unterstütze ich - danke schön an die CDU - auch die Herangehensweise des MWFK, sich im Großen und Ganzen auf die 17. Sozialerhebung von 2003 zu beziehen.
Ich will angesichts der fortgeschrittenen Zeit nicht referieren, was in den Fragen und Antworten steht. Jeder, der sich dafür interessiert, kann das nachlesen.
In der Tat haben wir einen gleichen Schwerpunkt, das ist die soziale Situation der Studierenden im Land Brandenburg. Einen ganz wesentlichen Beitrag zur Verbesserung derselben stellt die BAföG-Novelle aus dem Jahr 2001 dar. Es wurde erwähnt, die rot-grüne Bundesregierung hat als eines der ersten Reformpro
jekte dafür gesorgt, dass BAföG wieder wertvoller, wieder wichtiger wird, dass mehr Leute BAföG bekommen. Das ist natürlich auch ganz besonders wichtig für das Land Brandenburg. Wir wissen, dass unsere Studierenden nicht so reiche Eltern haben, wie das vielleicht in Baden-Württemberg und Bayern der Fall ist. So bekommen dann auch 30 % der Brandenburger Studierenden BAföG, davon 36 % voll und der Rest in Teilförderung. Wichtig ist, dass 69 % unserer brandenburgischen Studierenden nicht studieren könnten, wenn es dieses BAföG nicht gäbe. Ich denke, das macht die soziale Dimension deutlich.
Klar ist auch, dass Stipendien keinen großen Beitrag leisten. Nur 2 % aller Studierenden verfügen über ein Stipendium. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Aspekt in der Debatte über die Einführung von Studiengebühren, die wir nicht heute, aber irgendwann führen werden. Es ist nicht so wie in Amerika oder in anderen Ländern auf dieser Welt, dass es umfangreiche Programme gibt, die Stipendien ausweisen und auch die Lebenshaltungskosten und die Studienkosten tragen. Das ist einfach in Brandenburg und in ganz Deutschland nicht der Fall.
Die durchschnittliche Höhe des BAföG lag 2003 bei 369 Euro. Das ist nicht viel. Es reicht für viele Studierende natürlich nicht zum Leben. Demzufolge müssen sie entweder nebenher arbeiten oder sind auf die Unterstützung durch ihre Eltern angewiesen.
Jetzt ist die Frage: Was bedeutet es, wenn ich neben dem Studium arbeiten muss? - Das kann natürlich auch praktisch sein, weil ich da erste Berufserfahrungen bekomme. Es kann aber auch Umfänge annehmen, die die Regelstudienzeit überschreiten lassen. Das liegt nicht in unserem Interesse. Deshalb ist wiederum ganz wichtig, dass BAföG vorhanden ist, dass nicht nur die Universitäten ihre Strukturen optimal ausrichten, was die Professorenanzahl, was die Raumkapazitäten anbelangt, sondern dass wir auch den Studenten ein soziales Umfeld ermöglichen, das ein schnelles Studium möglich macht und verhindert, dass nebenher so viel gearbeitet werden muss, dass man mit dem Studium in Verzug kommt.
Ich weiß natürlich, dass die Landesregierung hierfür nicht zuständig ist; das ist auch ganz klar. Aber ich möchte die Landesregierung ganz deutlich auffordern, weiterhin Druck auf die Bundesregierung auszuüben, dass beim BAföG keine Abstriche gemacht werden.
Noch eine Bemerkung zur sozialen Differenzierung des Schulsystems. Ich denke, es war eines der positiven Ergebnisse der letzen PISA-Umfrage, dass Brandenburg zu den Ländern gehört, in denen die soziale Herkunft mit am wenigsten über die Schulkarriere entscheidet. Das ist ein Qualitätsmerkmal unseres brandenburgischen Schulsystems. Das sollten wir weiter unterstützen, das machen wir auch mit Frühförderung in der Grundschule. Ich denke, das ist auch ein Erfolg, auf den wir stolz sein können. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Geywitz. - Während für die DVU-Fraktion der Abgeordnete Nonninger ans Rednerpult tritt, begrüße ich die Besuchergruppe aus Märkisch-Oderland, die der Kollege Heinze eingeladen hat. Herzlich willkommen hier im Landtag!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Behandlung dieser Großen Anfrage versucht die Linkspartei.PDSFraktion wieder einmal, sich populistisch als alleiniger Sachwalter der Studenten zu profilieren.
Die DVU-Fraktion fordert nicht erst seit heute, der Entwicklung von Wissenschaft und Forschung einen deutlich höheren Stellenwert einzuräumen. Trotz aller aufgelisteten positiven Entwicklungen darf eines nicht aus dem Blickfeld geraten: Brandenburg liegt bei den Hochschulausgaben weiterhin am Ende der bundesweiten Skala.
Leider kann die Landesregierung hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung der Hochschulzugangsberechtigten und Studienanfänger in Brandenburg keine aktuellen Daten vorlegen. Fakt ist - dieser Einschätzung kann sich die Landesregierung nicht verschließen -, dass trotz BAföG und eines bisher gebührenfreien Erststudiums der Anteil der Studierenden aus bildungsfernen Schichten in den letzten Jahren gesunken ist. Bereits heute geben 57,9 % der Studentinnen und 47,1 % der Studenten im Erststudium an, während der Lehrveranstaltung gegen Bezahlung tätig zu sein. Diese Zahlen dürften sich wohl noch weiter nach oben entwickeln, wenn es zur Einführung von Studiengebühren kommt. Sollten sich junge Menschen dann doch noch zum Studium entschließen, wäre ein Ergebnis, dass die Studenten mehr arbeiten müssten, um sich das Studium finanziell überhaupt leisten zu können. Daraus ergibt sich dann unweigerlich eine weitere Verlängerung des Studiums oder es führt sogar zum Abbruch.
Eine Studie zur Ursachenanalyse von Studienabbrüchen belegt, dass insbesondere finanzielle Probleme die Hauptursache für Studienabbrüche sind. Insgesamt beendet ein knappes Drittel das Studium ohne Abschluss. Diese Zahlen sind erschreckend genug.
Die DVU-Fraktion, meine Damen und Herren, lag wohl wieder einmal richtig, als sie Anfang dieses Jahres den Antrag einbrachte, dass für ein Erststudium an Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen keine Studiengebühren erhoben werden dürfen. Die Regierungsparteien und die so soziale Linkspartei.PDS lehnten diesen Antrag ab. - Danke.