Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

ner Enquetekommission, die übrigens auf Antrag der PDSFraktion zustande gekommen ist, gearbeitet haben, um das Wie zu besprechen, und dass es einen sehr ausführlichen Bericht über deren Ergebnis gegeben hat?

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Frau Kollegin Osten, ich danke für diesen Hinweis. Das war mir bekannt. Der umfangreiche Bericht hat selbstverständlich auch in den über 100 Stunden Innenausschusssitzungen eine Rolle gespielt. Deswegen habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in meiner Partei bzw. in der CDU-Fraktion ebenfalls ein mitunter schmerzhafter Prozess gewesen ist, sich der Gemeindegebietsreform und insbesondere dem Modell der amtsfreien Gemeinde zu nähern.

Sie können doch nicht ernsthaft von Mitarbeit sprechen, wenn Sie zwar in einer Enquete mittun, sich aber dann, wenn es um die Umsetzung geht, verweigern. Vorbereiten kann man jede Menge Entscheidungen. Als es ernst wurde, als hier sechs Gemeindegebietsreformgesetze zur Abstimmung standen, als es draußen ernst wurde und Sie damit umgehen mussten, dass ein nicht unbeachtlicher Teil der Gemeindevertreter äußerte, sie wollten eine derartige Reform nicht, habe ich die Kollegen Ihrer Fraktion als klare Gegner dieser Reform erlebt.

Das ist etwas, was die PDS in der letzten Legislaturperiode gekennzeichnet hat, aber wohl auch in dieser kennzeichnet: Auf der einen Seite bejahen Sie die Reformnotwendigkeit, aber auf der anderen Seite sagen Sie Nein, wenn es Ernst wird. Das erleben wir überall dort, wo es um notwendige Veränderungen geht. Deshalb geht es gar nicht darum, hier irgend etwas nicht korrekt darzustellen, sondern lediglich um die Darstellung der Tatsachen.

Lassen Sie mich einen Ausblick geben. Meines Erachtens weiß jeder von uns, dass die Gemeindegebietsreform notwendig war, um die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung zu gestalten. Die Finanzprobleme sind angesprochen worden. Leider sind davon nicht allein die Kommunen betroffen, sondern genauso das Land und der Bund. Die Demografie ist ebenfalls angesprochen worden. Hätten wir die Gemeindegebietsreform vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in einigen Landesteilen nicht durchgeführt, so wäre dort schon allein wegen der dafür notwendigen, aber nicht mehr vorhandenen Einwohnerzahl die gemeindliche Selbstverwaltung nicht mehr gewährleistet.

In Bezug auf die Linkspartei.PDS ist anzumerken, dass der eine oder andere - insbesondere ein Kollege - leider den Weg gegangen ist, das in den Ausschüssen erworbene Wissen als Anwalt für sich privat auszuschlachten. Dies haben wir in den Ausschüssen angesprochen, aber es hat sich leider nichts geändert. Ich wünsche mir, dass es in Bezug darauf eine ganz klare Trennung zwischen dem Mandat, das hier wahrzunehmen ist, und der Tätigkeit als Anwalt gibt, aber offensichtlich spielen dabei doch monetäre Gründe eine Rolle.

Wir werden die Kommunalverfassung weiter verändern. Uns geht es um die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Es geht um Themen wie die Direktwahl der Landräte und die wirtschaftliche Betätigung. Es geht um die Modernisierung der kommunalen Ebene und vor allen Dingen - das ist mein größter

Wunsch - um eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Kommunen auf der einen und zwischen den Kommunen und dem Land auf der anderen Seite. Wenn wir dies beherzigen, dann werden wir die kommunale Selbstverwaltung in Brandenburg gemeinsam weiter voranbringen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Für die Landesregierung spricht Minister Schönbohm. - Bitte, Herr Schönbohm.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach über zwei Jahren der Gesetzesbeschlüsse zur landesweiten Gemeindegebietsreform stellt die Fraktion Linkspartei.PDS eine Große Anfrage zu den Ergebnissen dieser Reform und formuliert hierzu 94 Einzelfragen zu drei Fragekomplexen. Dabei geht es unter anderem um die effiziente Funktionalität der Gemeinden und ihrer Verwaltung, um die Ortsteilentwicklung und die Ortsbeiräte sowie um Aufgabenübertragung und Landesentwicklungsplanung. Ich meine, Herr Kollege Theel, dass wir doch sehr differenzierte Antworten gegeben haben, um darzustellen, was wir wissen und was wir nicht genau wissen. Dies werde ich anhand eines Beispiels noch einmal erläutern.

Zwischendurch können wir jedoch folgende Ergebnisse schon einmal feststellen: Die Selbstverwaltung der Gemeinden ist durch die schlanker gewordenen Verwaltungsstrukturen gestärkt worden. Es gibt keine Entfremdung zwischen Bürgern und Verwaltung. Die kundenorientierten Serviceleistungen werden von den Bürgern in Anspruch genommen. Zum Erhalt der lokalen Identität wurden Ortsteilrechte ausgebaut. Die Entwicklung der Ortsteile ist durch die Beteiligung der Ortsbeiräte an allen wesentlichen, die Ortsteile betreffenden Entscheidungen sichergestellt. Dazu gehören zum Beispiel die umfangreichen Antrags-, Vorschlags-, Anhörungs-, Unterrichtungs- und Entscheidungsrechte. Diese dienen der schnellstmöglichen Integration der Ortsteile in die Gesamtgemeinde.

Wie oft ist gerade zu Beginn der Diskussion über die Gemeindegebietsreform von einem zu besorgenden Identitätsverlust der Bürgerinnen und Bürger gesprochen worden! Davon ist in den vielen Gesprächen, die auch ich selbst vor Ort geführt habe und jetzt noch führe, keine Rede mehr. Es gibt Beispiele, bei denen das so ist, aber ihre Zahl ist verschwindend gering. Bezeichnend ist daher auch eine der Überschriften der Großen Anfrage. Sie als Linkspartei.PDS fragen nicht mehr nach dem Verlust örtlicher Identität - dass dies eintritt, haben Sie während der gesamten Diskussion behauptet -; vielmehr fragen Sie nach der Stärkung lokaler Identität. Das ist eine andere Fragestellung. Also ist die örtliche Identität erhalten geblieben; jetzt geht es um die Frage, wie sie gestärkt wird. Darüber können wir sprechen und dazu kann man auch unterschiedliche Auffassungen haben. Mich überrascht das nicht, denn zu einem Zeitpunkt, als mit einer Vielzahl verwaltungsgerichtlicher und verfassungsrechtlicher Verfahren die Auswirkungen der freiwilligen und gesetzlichen Gemeindegebietszusammenschlüsse durch bevollmächtigte Anwälte bekämpft wurden, hatten sich die Bürger überraschenderweise zum Teil schon in die neuen Strukturen eingefunden.

Aus den Antworten auf die Anfrage können Sie einen sehr offenen Umgang meines Hauses mit den bei einem solchen großen Reformprozess nicht ausbleibenden Problemen erkennen. Wir haben dabei die Landräte und Oberbürgermeister ausdrücklich aufgefordert, bei der Beantwortung der Fragen mitzuarbeiten und ihre Erfahrungen mitzuteilen. Der Grundtenor der Antworten ist positiv und ein erhöhter Beratungsbedarf gegenüber den neu geschaffenen und vergrößerten Gemeinden ist nicht mehr festzustellen.

Zu Ihrem Beispiel, Her Theel. Ich möchte Ihnen die Frage 32 in Erinnerung rufen: Wie schätzt die Landesregierung - das heißt, aufgrund welcher Erkenntnisse - die Akzeptanz der Gemeindegebietsreform bei den von der Eingemeindung betroffenen Einwohnern ein? Unsere Antwort ist außerordentlich differenziert. Aufgrund einer Stellungnahme der hierzu befragten Landkreise und kreisfreien Städte lässt sich die Situation wie folgt darstellen:

Knapp zwei Jahre nach Wirksamwerden der Gemeindegebietsreform und nach den überwiegend bestätigten Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts bezüglich der Verfassungsbeschwerden der ehemals amtsangehörigen Gemeinden wird die Gemeindegebietsreform von den Bürgern weitgehend akzeptiert. In einigen Landkreisen wird eingeschätzt, dass die Gemeindegebietsreform die Bürger weit weniger berührt hat, als viele Kommunalpolitiker glaubten. In einigen Landkreisen wird die Akzeptanz der Bürger differenzierter eingeschätzt. Zum Teil identifizieren sich die Einwohner mit der neuen Gemeinde, wobei die Verbundenheit zu den einzelnen Ortsteilen überwiegt. Zum Teil akzeptieren die Einwohner die Gemeindegebietsreform nicht, weil sie direkt von Folgewirkungen wie Straßenumbenennungen oder veränderten Abgabesätzen betroffen sind.

Das alles beschreiben wir und zeichnen damit ein sehr realistisches Bild. Eines ist klar: Sie können bezüglich der großen Gemeindegebietsreform für jede Behauptung ein Beispiel anführen. Es geht jedoch nicht um Einzelbeispiele, sondern um das Gesamtergebnis. Darum befassen wir uns mit der Frage: Wie ist das Gesamtergebnis dieser Reform für die Weiterentwicklung der Kommunen zu werten? Dabei ist deutlich geworden, dass unter Bürgernähe nicht mehr die zurückzulegende Entfernung zwischen Wohnsitz und Verwaltung verstanden wird. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen unter Bürgernähe die Vorhaltung einer kundenfreundlichen und effizienten Verwaltung. In diesem Bereich haben wir durch die Qualifizierung der Mitarbeiter und durch Schaffung effizienter Strukturen deutliche Fortschritte erzielt.

Die Große Anfrage macht sehr deutlich, dass die Große Koalition einiges bewegt hat. Als die Gemeindegebietsreform im Plenum debattiert wurde, haben viele von Ihnen nicht an ihren Erfolg geglaubt. Ich erinnere mich auch gut an die lebhaften Bürgermeisterkonferenzen, an denen 900 Bürgermeister teilgenommen haben. Heute ist die Gemeindegebietsreform kein Thema mehr. Die Ergebnisse der kommunalen Verfassungsbeschwerden werden - wenn überhaupt - nur noch beiläufig notiert. Die Mitbürger bringen sich in neuen Gemeinden in Vereinen sowie in sonstigen Formen freiwilliger Tätigkeit und als ehrenamtliche Mandatsträger für ihre Gemeinden ein. Einmal mehr zeigt sich - ich meine, das ist eine wichtige Lehre, die wir gemeinsam ziehen können -, dass nicht Kleinmut, sondern mutige, von politischen Mehrheiten getragene Entscheidungen

dieses Land voranbringen. An dieser Stelle möchte ich denen danken, die daran mitgewirkt haben, dass wir diesen Prozess vor Ort umsetzen konnten.

Die durch die Reform vergrößerten Gemeindestrukturen und deren steigende Leistungsfähigkeit stellen eine wesentliche Grundlage und Voraussetzung für künftige Aufgabenübertragungen dar. An diesem Punkt werden wir weiter arbeiten. Hauptziel der Landesentwicklungsplanung war und ist die Gewährleistung der Stabilität und Entwicklung der vorhandenen Strukturen. Die Strukturpolitik wird nunmehr auf eine reduzierte Zahl von Gemeinden ausgerichtet bzw. konzentriert und damit auch erleichtert.

Ich denke, die Gemeindegebietsreform wurde erfolgreich abgeschlossen und die Bürger sind in den neuen Strukturen angekommen. Die Verwaltungen der neuen Gemeinden haben sich gefunden. Probleme wie der postalische Nachvollzug sind weitgehend ausgeräumt; in einigen Bereichen gibt es jedoch noch Probleme.

An eines möchte ich in diesem Zusammenhang erinnern: Der Erfolg der Gemeindegebietsreform misst sich auch am Erfolg meines Hauses vor dem Verfassungsgericht. Diesbezüglich hat es viele Unkenrufe gegeben. Beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg waren 255 Verfassungsbeschwerden anhängig. Mit Stand vom heutigen Tag hat das Gericht 183 Verfassungsbeschwerden entschieden; 72 Verfassungsbeschwerden müssen noch entschieden werden. Von den 183 Verfassungsbeschwerden wurden bisher 151 zugunsten des Landes Brandenburg entschieden. In einigen wenigen Fällen hat das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber lediglich aufgegeben, die versäumte Anhörung nachzuholen und eine Neuregelung bis spätestens 1. Januar 2006 zu schaffen; Kollege Schulze hat darauf hingewiesen. Im Ergebnis wurden für zehn Verwaltungseinheiten erneute gesetzliche Regelungen im Rahmen eines Bestätigungsgesetzes getroffen. Bisher war noch keine Verfassungsbeschwerde gegen das Bestätigungsgesetz erfolgreich. Lediglich für Gemeinden von zwei Verwaltungseinheiten hat das Verwaltungsgericht die Verfassungsbeschwerden bestätigt und die gesetzliche Regelung für nichtig erklärt. Das Entscheidende: In diesen beiden Fällen haben sich die betroffenen Gemeinden unter Moderation des Innenministeriums anschließend freiwillig auf leitbildgerechte Lösungen verständigt. Ich meine, nichts anderes als dieses Beispiel könnte besser belegen, dass die Gemeindegebietsreform ein Erfolg war. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herzlichen Dank, Herr Innenminister. - Ich gebe noch einmal der antragstellenden Fraktion das Wort. Herr Sarrach, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Petke, ich glaube, Sie haben den Unterschied zwischen Ablehnung und Verweigerung nicht verstanden. - Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen: Als der Landtag in der zweiten Wahlperiode die Enquetekommission „Gemeindegebietsreform“ gebildet hatte, gab es einen mehrheitlichen Beschluss von SPD und PDS, der von der CDU abgelehnt wurde. Das Minderheitenvo

tum, unter anderem von Herrn Homeyer, beinhaltete: Wir müssen uns wegen unserer kleinen Gemeinden nicht schämen. Das ist doch auch Brandenburg. - Was war das Ergebnis? Nach der Regierungsbildung 1999 fuhr man die radikale Variante.

Die Verweigerung bezog sich damals auf das Ob einer Gebietsreform, die Arbeit der damaligen Enquetekommission und die Amtsgemeinde. Als es dann darum ging, die jetzige Gebietsreform mit zu begleiten, stellte die PDS-Fraktion die Forderung nach einem gesetzlichen Leitbild auf, brachte einen Gesetzentwurf ein, zeigte Alternativen auf und plädierte für eine längere Freiwilligkeitsphase. Vor allem aber thematisierte sie den Respekt vor Bürgerentscheiden vor Ort und den Respekt vor der Volksinitiative. All dies fand am Ende des Gesetzgebungsverfahrens keine Berücksichtigung bei der Koalition. Ich glaube, Sie haben deutlich ausgeprägte Erinnerungslücken.

Zu Ihrem anderen Vorwurf möchte ich Folgendes sagen: Uns unterscheidet vieles, zwei Dinge jedoch mit Sicherheit. Ich musste meine Meinung nicht nach dem Wind drehen und ich weiß wenigstens, wovon ich rede.

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Seit zwei Jahren ist die überwiegend mit Zwang von oben durchgesetzte Gemeindegebietsreform in Kraft. Aus Sicht meiner Fraktion war es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und von der Landesregierung Antwort auf die Frage zu bekommen, ob die verfolgten Zielstellungen erreicht worden sind. Ich hatte erwartet, dass die Landesregierung wenigstens jetzt, mit einem zeitlichem Abstand, kritischer und offener auch weniger positive Beispiele bzw. Ergebnisse der Reform darstellt. Diese Beispiele gibt es, wir kennen sie aus unseren Wahlkreisen. Die Landesregierung ist jedoch lediglich darum bemüht, die praktischen Probleme in den Großgemeinden und insbesondere die großen Enttäuschungen der Bürgerinnen und Bürger nach der Verabschiedung der Gesetze und den ersten Urteilen des Verfassungsgerichts herunterzuspielen.

Es geht auch um einen rechtspolitischen Aspekt, über den ich sprechen möchte. Es ist gut, dass hier verschiedene politische Einschätzungen geäußert werden können. Der Landtag ist von Verfassungs wegen verpflichtet, Gesetze nach dem Erlass zu beobachten und nötigenfalls nachzubessern und zu korrigieren. Diese Beobachtungspflicht beinhaltet, danach zu sehen, ob ein Gesetz nach seinem Erlass nicht oder nicht so wirkt, wie es sich der Gesetzgeber gedacht hat - jedoch nicht bezogen auf das Gesamtergebnis, Herr Innenminister, sondern bezogen auf den Einzelfall! Schließlich ist es ein Ziel guter Gesetzgebung, solche Gesetze zu erlassen, die von einer möglichst großen Anzahl Bürgerinnen und Bürger freiwillig befolgt werden, weil sie von der Gerechtigkeit und der Notwendigkeit dieses Gesetzes überzeugt sind.

Dieses Ziel wurde offensichtlich nach der Verabschiedung der Gemeindegebietsreformgesetze angesichts von mehr als 250 Verfassungsbeschwerden bei 302 betroffenen Gemeinden verfehlt. Das bedeutet nicht, dass die gesamte Reform zurückgerollt werden soll. Natürlich hat man in vielen Gemeinden seinen Frieden mit der Reform gemacht und sich damit arrangiert. Hieraus ist niemandem ein Vorwurf zu formulieren.

Der Landtag hat aber nun einmal die Verantwortung dafür, dass nichtfunktionierende Gemeindezusammenschlüsse beobachtet

und im Zweifel korrigiert werden. Das sind politisch zu treffende Entscheidungen, die nicht auf die Gerichte verlagert werden können; denn das Verfassungsgericht darf nicht so in die Gesetzgebungsbefugnisse des Landtags eindringen, dass das Gericht zum Ersatzgesetzgeber wird. Deshalb ist auch der überwiegende Misserfolg kommunaler Verfassungsbeschwerden kein Grund, sich im Landtag und in der Landesregierung auf die Schulter zu klopfen und zu sagen, die Gesetze seien alle fehlerfrei und gut. Seit Sokrates wissen wir, dass das, was immer die Regierenden - gerade auch fehlerhaft - verordnen, von den Regierten zu tun ist. Das Verfassungsgericht prüfte deshalb nicht, ob der Landtag die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat. Der breite Beurteilungsspielraum und die große politische Gestaltungsfreiheit unterliegen nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Das wird von den klagenden Gemeinden im Ergebnis auch eingesehen.

Was dem Demokratie- und Rechtsstaatsempfinden vor Ort aber einen empfindlichen Dämpfer verpasste, war die Tatsache, dass vielen Gemeinden vor dem Verfassungsgericht keine mündliche Verhandlung zugestanden wurde, obwohl doch jede Neugliederung ein spezieller Einzelfall war.

Wenigstens vor dem Verfassungsgericht, so war die Erwartung, wird man uns zuhören, denn wie im kleistschen „Michael Kohlhaas“ hieß es nach den Erfahrungen mit dem Innenministerium, den Kommunalaufsichten und dem Landtag: Es gibt aber noch Richter in Brandenburg. - Das Letztere wird jetzt leider anders gesehen.

Wenn in der Beantwortung auf die Große Anfrage die Landesregierung einschätzt, dass die Reform durch die Bürger weitgehend akzeptiert wird, muss man eben auch ein hohes Maß an Resignation und Ohnmachtsgefühl mitdenken und diese Einschätzung relativieren.

Vor allem wird das Innenministerium in diesem Zusammenhang weniger als Partner, sondern aus verständlichen Gründen mehr als Gegner empfunden, weshalb ich mich nicht wundere, dass Bürgerreaktionen zunehmend ausbleiben. Es besteht also kein Anlass, von einer Entspannung vor Ort zu sprechen.

Es gibt viele Beispiele für Probleme und Auseinandersetzungen. Für Unmut sorgt zum Beispiel, dass in den Großgemeinden durch Beschluss der Gemeindevertretung die Eingliederungsverträge ausgehebelt werden, die so genannte Zielprämie nicht in den Ortsteilen ankam und Investitionen nicht fortgesetzt werden. Ohne Erwähnung blieb, dass es Gemeinden gab, in denen 2003 zum Boykott der Kommunalwahl aufgerufen wurde.

Häufig müssen Ortsbeiräte um ihre Befugnisse und Kompetenzen mit der Großgemeinde kämpfen, obwohl selbst die jeweilige Kommunalaufsicht diesen Ortsbeiräten Recht gibt, Herr Schulze. Ihr Beispiel Zossen ist gerade kein Beispiel, das Sie hier tauglich anbringen konnten.

Schließlich finden sich rund um das angeordnete Wohlverhalten viele Probleme mit großen Auswirkungen. Das haben wir weiterhin im Blick zu behalten. Aus dieser Verantwortung werden wir die Landesregierung und den Landtag nicht entlassen. Deshalb ist die Behandlung der Großen Anfrage nur der Auftakt einer Bilanz.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Damit sind wir am Ende der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt. Sie haben die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zur Kenntnis genommen.

Ich verlasse Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Soziale, kulturelle und wirtschaftliche Bedingungen für Studierende im Land Brandenburg

Große Anfrage 9 der Fraktion der PDS

Drucksache 4/1360

Antwort der Landesregierung

Ich eröffne die Debatte mit dem Beitrag des Abgeordneten Jürgens von der Linkspartei.PDS. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Regieret jemand, so sei er sorgfältig.“ Das hat bereits Paulus in den Briefen an die Römer im Neuen Testament empfohlen. Betrachtet man die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage zur Situation von Studierenden, vermisst man leider diese Sorgfalt.