Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

In Nordrhein-Westfalen ist das der Fall. Diese Grundlage ist jedoch nicht in Brandenburg gegeben.

Gemäß dem Landtagsbeschluss sollen wir Ausnahmen vom Ladenschlussgesetz zulassen und uns grundsätzlich den Berliner Regelungen anschließen. Angesichts des Ergebnisses ist genau dies eingetroffen.

Ich sage noch einmal, ich möchte nicht prüfen müssen, in welcher Gemeinde oder in welchem Landkreis diese Lockerung rechtfertigende oder nicht rechtfertigende Festivitäten stattfinden. Die Kommunen sind in der Lage, selbstständig darüber zu entscheiden, und haben es getan.

Vielen Dank, und wir wünschen allen Beteiligten einen guten Umsatz. - Damit kommen wir zur Frage 692 (Position der Lan- desregierung im Umgang mit der NS-Vergangenheit), die von der Abgeordneten Kaiser gestellt wird. Bitte schön.

Der stellvertretende Ministerpräsident Jörg Schönbohm hat mit seiner Rede am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen nach Einschätzung von weiten Teilen der Öffentlichkeit - auch über Brandenburg hinaus - die Opfer des NS-Terrors verhöhnt und gedemütigt.

(Unruhe bei der CDU)

Auch aus dem Lager der Koalition wurden Rücktrittsforderungen sowie der Vorwurf laut, der Innenminister habe damit dem Ansehen Brandenburgs im In- und Ausland geschadet.

(Zuruf von der CDU: Das ist nur eine inoffizielle Mei- nung!)

Anfang Mai wurde nun bekannt, dass einer der Kritiker des Ministers, der Generalsekretär des Internationalen Sachsen

hausen-Komitees, Hans Rentmeister, zu DDR-Zeiten hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit war.

(Zuruf von der CDU: Da kennen Sie sich aus!)

Mit Rückendeckung der Landesregierung hat die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten daraufhin unverzüglich die Zusammenarbeit eingestellt. In dem Zusammenhang verlautete aus Koalitionskreisen, angesichts der politischen Biografie Rentmeisters rücke die Kritik an Schönbohm nun in ein anderes Licht.

Eine öffentliche Stellungnahme des Ministerpräsidenten in der um diese Sachverhalte aufgeflammten politischen Debatte ist mir bisher nicht bekannt.

Ich frage deshalb die Landesregierung: Welche Position bezieht sie zu den genannten Vorgängen?

Das wird sich jetzt gleich ändern; denn der Ministerpräsident antwortet auf die Frage.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kaiser, die Gedenkrede von Innenminister Jörg Schönbohm zum 61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen am 23. April dieses Jahres hat Widerspruch, Kritik und auch Zustimmung ausgelöst. Nach Einschätzung der Landesregierung und des Kollegen Schönbohm selbst wurden seine Äußerungen missverstanden. Der Innenminister hat dies öffentlich eingeräumt und den Opfern der NS-Diktatur sein Bedauern ausgesprochen.

Frau Kaiser, dem Innenminister zu unterstellen, er habe Verbrechen der Nazi-Zeit relativiert oder relativieren wollen, ist abwegig.

(Zuruf von der CDU: Infam!)

Das weiß jeder, der Jörg Schönbohm kennt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Eine Verhöhnung oder Demütigung der Opfer des NS-Terrors lässt sich aus seinen Äußerungen nicht herleiten.

Das sowjetische Speziallager Sachsenhausen ist vom Konzentrationslager Sachsenhausen der Nationalsozialisten sehr wohl zu unterscheiden. Deshalb gab es kein übergreifendes, gemeinsames Gedenken für die Opfer beider Lager vor und nach 1945 am gleichen Ort. Dennoch gehört zur Vollständigkeit, zu sagen, dass zur besagten Veranstaltung am 23. April auch die Verbände für die Opfer des Stalinismus vom Internationalen Sachsenhausen-Komitee eingeladen worden waren und Kränze niedergelegt haben.

In den Speziallagern waren Menschen inhaftiert, die im nationalsozialistischen Unrechtssystem schwere Schuld auf sich geladen hatten, Mörder, KZ-Aufseher und andere, Menschen, die - gerade, was KZ-Häftlinge anging - Schuld auf sich geladen

hatten. Weil das so war, kann ich mir die Empörung ehemaliger KZ-Häftlinge auch erklären.

Zur historischen Wahrheit gehört aber noch etwas anderes: In diesen Speziallagern waren unzählige, Zehntausende Unschuldige, willkürlich Verhaftete eingepfercht, darunter Tausende Jugendliche, also Menschen, die sich schon aufgrund ihres Lebensalters während der Zeit des Nationalsozialismus gar nicht haben schuldig machen können. Tausende von ihnen sind zu Tode gekommen, erschlagen, verhungert, an Seuchen zugrunde gegangen. Viele sind noch danach in Freiheit an den Folgen gestorben. Das, Frau Kaiser, gehört zur historischen Wahrheit.

Ich meine, dass auch an die Geschichte der Speziallager, die zu DDR-Zeiten tabuisiert bzw. verschwiegen wurde, wodurch das Leiden der dort Inhaftierten verlängert worden ist, erinnert werden muss. Die Verbrechen des Stalinismus müssen aufgearbeitet und publik gemacht werden. Deshalb werden in Verbindung mit den historischen Anlässen jeweils eigene Gedenkveranstaltungen durchgeführt. Gerade die Gedenkstätte Sachsenhausen steht heute für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Verbrechen, mit den einmaligen Verbrechen des Nationalsozialismus, aber auch mit den Verbrechen des Stalinismus. In einem eigenen Museum der Gedenkstätte wird seit 2001 die Geschichte des sowjetischen Speziallagers dargestellt. Dem Leiter der Gedenkstätte, Herrn Dr. Morsch, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte ich für ihre engagierte und differenzierte Arbeit, die immer schwierig ist, weil es um Menschen geht, an dieser Stelle ausdrücklich danken.

(Beifall bei SPD und CDU)

Frau Kaiser, damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage. Nachdem die Leitung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Beirat der Stiftung Kenntnis von der StasiTätigkeit erhalten hatten, haben beide unverzüglich reagiert. Sowohl der Leiter der Einrichtung als auch der Beirat haben die Zusammenarbeit mit Herrn Rentmeister beendet.

Anders als in der Öffentlichkeit mehrfach dargestellt, ist das Internationale Sachsenhausen-Komitee nicht Teil der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Es handelt sich um einen privaten Verein. Im internationalen Beirat der Stiftung, dem gemäß der Stiftungssatzung Verbände der Überlebenden und andere Opferorganisationen angehören, wird einer von 19 Sitzen von einem Vertreter des Internationalen SachsenhausenKomitees wahrgenommen, und zwar von dessen Präsidenten.

Ich kann die Reaktion sowohl von Herrn Morsch als auch des Beirats nachvollziehen. Es geht darum, Frau Abgeordnete, dass Herr Rentmeister elf Jahre lang hauptamtlich für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat. Ein ehemaliger Angehöriger eines Unterdrückungsapparates, wie es die Stasi nun einmal war, kann sich aus meiner Sicht nicht glaubwürdig für die Opfer totalitärer Gewaltherrschaft einsetzen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Dass die Staatssicherheit ein Unterdrückungsapparat war, hinterhältig und menschenverachtend - es ist zwar schwer erklärbar, aber ich habe den Eindruck, dass man 16 Jahre nach der Wende daran erinnern muss. Deshalb wollte ich das noch einmal ganz deutlich aussprechen.

(Lebhafter Beifall bei SPD und CDU)

Herr Ministerpräsident, es gibt weiteren Fragebedarf. - Zunächst bitte die Fragestellerin, Frau Kaiser.

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, für Ihre Antwort. Ich habe noch zwei Nachfragen. An dieser Stelle möchte ich zunächst aber sagen, dass ich Herrn Innenminister Schönbohm, Ihrem Stellvertreter, nichts unterstellt habe, sondern dass ich mich in meiner Fragestellung ausdrücklich auf nachprüfbare öffentliche Äußerungen, Zitate bezogen habe.

Meine erste Nachfrage: Wie wird die Landesregierung die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Sachsenhausen-Komitee jetzt gestalten und darauf hinwirken, weiteren politischen Schaden zu verhindern?

Meine zweite Nachfrage: Da wir dem Minister des Innern ja nicht Unwissenheit oder Unbedachtheit unterstellen, frage ich: Teilt die Landesregierung die Auffassung des Gedenkstättenleiters von Buchenwald wie auch der Fraktion der Linkspartei.PDS dieses Hauses, dass erstens massenhafter, industriell organisierter Mord und Folter in NS-Konzentrationslagern von zweitens den Vorgängen in den Internierungslagern der Besatzungsmächte in Kriegsfolge - „Speziallager“ ist ja einfach nur die russische Bezeichnung für „Internierungslager in Kriegsfolge“ - von uns drittens...

(Zuruf von der CDU: Hören Sie endlich auf! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Lassen Sie mich meine Frage einfach sachlich zu Ende stellen.

(Werner [CDU]: Sie verhöhnen die Opfer! - Weitere Zu- rufe von der CDU)

- Ich zitiere die Position des Gedenkstättenleiters von Buchenwald, die man nachlesen kann. - Noch einmal: Erstens NS-Zeit, zweitens die Vorgänge in den Internierungslagern in Kriegsfolge und drittens, dass man Verbrechen und Inhumanität aus dem stalinistischen System differenziert betrachten und konkret beim Namen nennen und das Gedenken historisch differenziert sein muss, um eben die Interpretation, dass man NS-Verbrechen relativiere, nicht zuzulassen?

Frau Kaiser, gerade das Land Brandenburg hat sowohl in den Gedenkstätten Sachsenhausen als auch in Ravensbrück mit den dort tätigen Komitees und Verbänden eine intensive, differenzierte und über eineinhalb Jahrzehnte ausgesprochen gute Zusammenarbeit. Diese Zusammenarbeit werden wir fortführen. Die Tätigkeit des Landes Brandenburg ist von den Opferverbänden auch mir gegenüber mehrfach sehr positiv hervorgehoben worden. Daran wird sich nichts ändern.

Wir wenden, und zwar aus tiefer Überzeugung, viel Kraft auf damit komme ich zu Ihrer zweiten Nachfrage -, um das Gedenken an die aus meiner Sicht singulären Verbrechen der Nazis zutreffend zu gestalten. Ich habe das in meiner Antwort schon gesagt: Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind mit nichts anderem zu vergleichen. Das steht für mich außer Frage. Darü

ber brauchen wir nicht zu diskutieren. Andererseits bin ich jedoch nicht bereit, Frau Kaiser, Verbrechen gegen Menschen in irgendeiner Form als Kriegsfolge abzutun und zu sagen, dass diese Verbrechen deshalb quasi zu rechtfertigen seien. Damit kommen Sie bei mir keinen Millimeter weiter.

(Lebhafter Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Der Innenminister möchte ergänzen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kaiser, nach dem, was ich eben gehört habe, fällt es mir schwer, ganz ruhig zu bleiben, aber ich werde mich darum bemühen.

Es geht mir darum, dass Sie 16 Jahre nach der Deutschen Einheit nicht die Wahrheitsliebe, die innere Kraft und das menschliche Verständnis haben, derer zu gedenken, die in diesen Lagern eingepfercht, gefoltert und umgebracht worden sind.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Das kann nicht wahr sein, Herr Minister!)

Dieser Opfer durfte in der DDR nicht gedacht werden. Daher sind Sie heute verpflichtet, dies zu tun. Ich habe an diesem Tag gesagt, es sei ein Tag der Freiheit für diejenigen gewesen, die frei gekommen sind. Ich habe mit Blick auf die Opfer des Stalinismus, für die Kränze niedergelegt worden sind, gesagt, sie seien die Opfer der nachfolgenden Unfreiheit.