Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir haben vorgeschlagen, im Zuge der Aufgabenübertragung die Landesregierung zu verpflichten, durch eine bedarfsgerechte jährliche Pauschale die Kosten für diese Sozialhilfemaßnahmen tatsächlich zu decken. Diese Pauschale wäre jährlich um 3 % zu erhöhen. Natürlich gehört die finanzielle Ausstattung der örtlichen Sozialhilfeträger, wie in der Anhörung mehrfach gefordert, in das Ausführungsgesetz und nicht in ein allgemeines Finanzausgleichsgesetz. Mit der Aufnahme in das Ausführungsgesetz zum SGB XII würden die finanziellen Verpflichtungen des Landes aus der Aufgabenübertragung klar und eindeutig geregelt und festgeschrieben. Darüber hinaus wäre der finanzielle Mehraufwand der örtlichen Sozialhilfeträger durch höhere Personal- und Sachkosten zu übernehmen, weil auch hier die alte Regel gilt: Wer bestellt, der bezahlt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Zusätzlich muss durch das Land ein Fonds für überregionale Einrichtungen der stationären Behindertenhilfe und Pflege sowie für Modellprojekte eingerichtet werden. Das heißt, Landkreise und kreisfreie Städte sollen entlastet werden, wenn sie für das ganze Land Brandenburg spezielle Einrichtungen vorhalten, zum Beispiel Einrichtungen für Apalliker - Wachkomapatienten - oder hochgradig epilepsiekranke oder schwerstmehrfachbehinderte Menschen. Mit Modellprojekten könnte man zum Beispiel das Außenwohnen trainieren, auch wenn diese Menschen noch in einer Einrichtung wohnen. Damit würde der Übergang zum ambulanten Wohnen gefördert. Nur mit solchen kostenintensiven Projekten wird man dem Anspruch „ambulant vor stationär“ gerecht, und es bliebe nicht nur bei einer symbolischen Redensart. Wir sind der Meinung, dass neue, derzeit kostspieligere Wege langfristig auch mittelsparend wirken können.

Die örtlichen Sozialhilfeträger sollen nach unserer Auffassung der Landesregierung über die Verwendung der erhaltenen Finanzmittel jährlich Rechenschaft ablegen. Sie müssten aber auch die Möglichkeit haben, Landesmittel für das stationäre Wohnen in den ambulanten Bereich umzusteuern. Dadurch könnten sie eine bedarfsgerechte ambulante Struktur ausbauen

bzw. neu schaffen. So könnten sie ohne Druck den Einrichtungsträgern einen Anreiz geben, die ambulanten Strukturen auszubauen.

Da das Gesetz in der vorliegenden Fassung nicht auf die tatsächlichen Anforderungen der Eingliederungshilfe abzielt und darüber hinaus Landkreise und kreisfreie Städte stärker finanziell belastet, wird meine Fraktion dem Ausführungsgesetz nicht zustimmen. Wir wünschen Ihnen mit diesem Gesetzestorso viel Glück vor dem Verwaltungsgericht. - Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort, für die die Abgeordnete Lehmann spricht.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Mit dem SGB XII hat der Bundesgesetzgeber endlich die Zusammenführung der sachlichen und finanziellen Verantwortung in der Eingliederungshilfe, wonach Fachleute und Fachexperten schon lange gerufen haben, geregelt. Die fachliche und inhaltliche Zusammenlegung wird in diesem Bereich einen Qualitätsschub bringen.

Das Ausführungsgesetz, das nun ein Landesgesetz ist, war in der Tat im Gesetzgebungsverfahren keine leichte Geburt. Es standen viele Fragen zur Diskussion: Greift die Konnexität - ja oder nein? Ist die Finanzierung sachgerecht - ja oder nein? Ist die Mittelverteilung korrekt und gerecht - ja oder nein?

Dies haben wir im Anhörungsverfahren - völlig zu Recht - sehr deutlich gesagt bekommen. Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren, dass wir von der Koalition sehr fleißig, engagiert, ausführlich und gründlich nach Kompromissen und Wegen gesucht haben.

Mit der Beschlussempfehlung legen wir Ihnen einen Kompromiss vor. Das Wort „Kompromiss“ besagt, dass sich nicht jede Seite hundertprozentig wiederfindet, aber dass viele Anliegen, viele Interessen auf der Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfs Berücksichtigung gefunden haben.

Von dem Ausführungsgesetz sind in Brandenburg etwa 25 000 Menschen betroffen. Etwa zwei Drittel davon sind derzeit stationär untergebracht. Wir haben in den Jahren 2003 bis 2005 für diesen Bereich 269 Millionen Euro ausgegeben. Wir werden mit dem Ausführungsgesetz 312 Millionen Euro in das System stellen. Im Verhältnis zu der Zahl für die Jahre 2003 bis 2005 sind es 43 Millionen Euro mehr. Ich habe in der Diskussion aber auch gemerkt - das hat vielleicht etwas mit der Streitkultur zu tun -: Selbst 80 Millionen Euro wären zu wenig und nicht auskömmlich gewesen.

Die Konnexität - der Bundesgesetzgeber hat das im SGB XII so geregelt -, trifft in diesem Fall nicht zu, weil der Bundesgesetzgeber diese Aufgabe bereits auf die örtlichen Sozialhilfeträger übertragen hat. Mit dem Ausführungsgesetz zum SGB XII bleibt lediglich bis zum 31.12. dieses Jahres zu klären, welche Zuständigkeiten der überörtliche Sozialhilfeträger wahrnehmen möchte und sollte. Das Land Brandenburg wird künftig für die Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer

Schwierigkeiten zuständig sein. Ich mahne hier das Fachministerium noch einmal an, unverzüglich auf die Landkreise und freien Träger zuzugehen, damit diese Aufgabe dann zum 01.01. nächsten Jahres nahtlos und unkompliziert vor Ort weitergeführt werden kann.

Ist die Finanzierung sachgerecht, und wie stellt sich die Mittelverteilung dar? - In der Anhörung sind wir auch dafür kritisiert worden, dass wir möglicherweise nicht mit den richtigen Prognosezahlen arbeiten. Aber auf die Gegenfrage, welche Prognosezahlen uns die andere Seite, zum Beispiel die kommunale Seite, vorlegen kann, gab es keine Aussage. Ich will damit nur sagen, dass es in der Tat sehr schwierig ist, in diesem Bereich mit Prognosezahlen zu argumentieren. Deswegen haben wir uns entschieden, einen Gemeinsamen Ausschuss einzurichten, der diese Frage in den nächsten Jahren bis 2009 tiefgründiger klären und analysieren soll. Er soll sich die tatsächliche Leistungsentwicklung in diesem Bereich - damit meinen wir unter anderem Fallzahl- und Kostensatzentwicklung - in den nächsten Jahren genau anschauen, auswerten und natürlich auch entsprechende Vorschläge unterbreiten.

Wir gehen davon aus, dass in diesem Gemeinsamen Ausschuss das Finanzministerium, das Sozialministerium, die örtlichen Sozialhilfeträger und auch die Liga der Wohlfahrtsverbände zusammenarbeiten. Dieser gemeinsame Ausschuss soll nach einer Geschäftsordnung arbeiten. Er soll Empfehlungen für eine angemessene Finanzierung erarbeiten und dafür, wie die Mittel auf die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte verteilt werden sollten. Es geht um die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, die Ausgabenentwicklung in diesem Bereich fachlich, inhaltlich, aber auch finanziell zu steuern.

Der Gemeinsame Ausschuss soll auch Empfehlungen zur Weiterentwicklung dieses Bereichs erarbeiten, insbesondere unter Berücksichtigung von Qualitätsstandards. Bis zum 01.09.2008 soll der Gemeinsame Ausschuss seine Ergebnisse vorlegen. Im Fachausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie werden wir uns die Empfehlungen, Vorstellungen und Vorschläge genau anschauen und - davon gehe ich aus daraus dann neue Vorschläge unterbreiten, wie wir diesen Bereich finanziell weiter steuern.

Es ist insofern kein zahnloser Tiger. Bei dieser konkreten Aufgabenstellung kann ich das jedenfalls so nicht sehen.

Eine weitere Frage lautet, ob die Mittelverteilung in der Tat gerecht ist. Es gab auch die Forderung, sie möglicherweise doch fallzahlbezogen zu gestalten. Das wäre ja auch das Einfachste. Auch das haben wir Fachpolitiker uns sehr genau angesehen und gesagt - auch aus der Sicht der Sozialpolitik -, dass es nicht ganz so einfach ist, weil wir gerade auch in diesem Bereich eine Steuerung haben möchten und haben müssen.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Mich würde interessieren, ob den Fachleuten bekannt ist, dass es durch das SGB XII von vornherein unterschiedliche Belastungen der Landkreise gibt? Sind Sie der Auffassung, dass die Vorfinanzierung dieser Aufgabe durch die Landkreise künftig erfolgen soll, bis der Fachausschuss irgendwann einmal zu seiner Analyse gekommen ist?

Die Finanzausstattung ist in der Tat unterschiedlich. Ich gehe nicht davon aus, dass es unbedingt zu einer Vorfinanzierung kommen muss. Mit der neuen Aufteilung wird jeder Landkreis - davon gehen wir aus - finanziell so ausgestattet sein, dass er diesen Bereich finanziell gut untersetzt hat.

Jetzt haben Sie mich etwas aus dem Konzept gebracht.

Bevor Sie wieder ins Konzept kommen: Es ist noch eine Zwischenfrage angemeldet worden. Möchten Sie diese beantworten?

Nun bin ich sowieso draußen. Bitte.

Das Thema der Verfassungsmäßigkeit wurde sowohl von Frau Kolodzeike als auch von Ihnen angesprochen. Haben Sie denn einmal geprüft, ob dieses Gesetz verfassungskonform ist und, wenn ja, mit welchen Argumenten?

Wir haben das geprüft und gehen davon aus, dass die Konnexität hier nicht greift. Ansonsten würde ich sagen: Lassen Sie doch letzten Endes die Juristen und die Verfassungsrichter entscheiden.

Die Frage lautete, ob die Mittelverteilung, bezogen auf die einzelnen Landkreise, gerecht ist oder nicht oder ob wir zu einer Fallzahlfinanzierung kommen sollten? - Aus fachpolitischer Sicht sage ich, dass ich dem nicht uneingeschränkt zustimmen möchte, weil zum Beispiel ein Drittel der Heimbewohner, die derzeit in Brandenburg in stationären Einrichtungen betreut werden, gut und gern auch in der Familie, in einem betreuten Wohnen oder in anderen ambulanten Formen betreut werden könnten.

Es ist in der Tat in diesem Bereich ein Umsteuern erforderlich. Insofern wollen wir natürlich auch eine finanzielle Steuerung, die mit fachlicher Steuerung einhergeht, gewährleisten, wobei aber auch die Finanzierung auskömmlich sein soll. Wir haben deshalb die 312 Millionen Euro gesplittet und werden 92 % davon in das FAG stellen und als allgemeine Schlüsselzuweisung den Landkreisen zur Verfügung stellen. 8 % - das sind noch einmal etwa 25 Millionen Euro - wollen wir zurückbehalten. Diese 25 Millionen Euro werden dann zum Ausgleich von Härtefällen genutzt.

Bei diesem Rechenmodell ergibt sich eine relativ ausgewogene

Finanzausstattung der Landkreise und kreisfreien Städte. Die geringste Finanzausstattung der Landkreise beläuft sich, gemessen an den durchschnittlichen Ist-Ausgaben 2003 bis 2005, auf plus 9 %.

Hinzu kommt - darüber bin ich sehr froh -, dass sich mittlerweile die kommunale Seite längst auf den Weg gemacht hat, eine kommunale Struktur zu schaffen, die so genannte Servicestelle Entgelte. Ich gehe davon aus, dass wir mit dieser kommunalen Struktur eine neue Qualität in diesem Bereich bekommen werden. Ich habe dabei sehr großes Vertrauen auch bezüglich der Aufgabenstellung dieser Servicestelle, die sich vorgenommen hat, Leistungsvergütungs- und Prüfungsvereinbarungen für alle Landkreise abzuschließen, die Wirtschaftlichkeit und die Qualität der Leistungen anhand von Prüfungsvereinbarungen unter die Lupe zu nehmen, die Angebots- und Bedarfsplanung mit zu thematisieren. Über diese kommunale Struktur werden wir perspektivisch auch einen einheitlichen Standard in diesem Bereich gewährleisten.

Wichtig ist, dass wir mit dieser Kommunalisierung - die Kommunalisierung ist übrigens unstrittig; die wollen alle - dahin kommen, für jeden einzelnen behinderten Menschen nicht nur schlechthin einen individuellen Hilfebedarf zu ermitteln, sondern für jeden einzelnen behinderten Menschen zu einem Gesamtplan zu kommen. Entsprechend diesem Gesamtplan werden Leistungen gewährt: wenn es erforderlich ist, nach SGB V, wenn es erforderlich ist, nach SGB XI, wenn es erforderlich ist, nach SGB XII. Wenn wir dies in Fallkonferenzen gemeinsam mit Betroffenen, mit Angehörigen, mit den Betreuern, mit der Liga und mit der kommunalen Seite erreichen, dann haben wir wirklich einen qualitativ sehr guten Stand erreicht. Angesichts der kommunalen Struktur bin ich sehr zuversichtlich, dass uns dies gelingen kann.

Diesen Prozess werden wir landespolitisch selbstverständlich weiter zu begleiten haben. Insofern ist es nicht zutreffend, dass wir uns aus diesem Bereich zurückziehen und dass uns die Interessen und Bedürfnisse der behinderten Menschen nicht am Herzen liegen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Danke.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lehmann. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Fechner. Sie spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie fast alle Gesetzentwürfe, die von dieser Landesregierung kommen, sorgt auch dieser Entwurf für viel Aufregung und Verärgerung. Die Landkreise liefen und laufen Sturm gegen die künftige Finanzierung der stationären Pflege und befürchten Millionenverluste. Sogar mit Klage vor dem Verfassungsgericht wurde gedroht.

Worum geht es bei der ganzen Aufregung? Das Kabinett hat vor geraumer Zeit entschieden, den Landkreisen die finanzielle Verantwortung für die stationäre Pflege zu übertragen und dafür bis 2009 einen Festbetrag zu zahlen. Bisher war das Land für die stationäre Pflege zuständig. Mit dieser Neuerung setzt

das Land eine Änderung des SGB XII um. Bis 2009 will das Land dafür jährlich 312 Millionen Euro zur Verfügung stellen, und darum geht es letztendlich, ums Geld. Das Ministerium ist der Meinung, dass dieser Betrag ausreichend sei, er liege sogar um 26 Millionen Euro über den Kosten, die die Kommunen im vergangenen Jahr für diese Aufgabe angemeldet hätten.

Aber das sahen und sehen nicht alle Beteiligten so. Mittlerweile hat sich der Ausschuss ausführlich mit dem Gesetzentwurf beschäftigt, und eine sehr umfangreiche, zeitintensive Anhörung hat dazu stattgefunden. Von allen Anzuhörenden wurde begrüßt, dass die sachliche und finanzielle Verantwortung für die stationäre Pflege nun in einer Hand liegt. Allerdings wurden auch etliche Änderungswünsche geäußert.

Nach wie vor gibt es Bedenken, was die Höhe der bereitgestellten Mittel anbelangt. Aufgrund der Anhörung fanden dann doch noch kleinere Änderungen am Gesetzentwurf statt. So wird es zum Beispiel einen Gemeinsamen Ausschuss geben, der beim Sozialministerium eingerichtet wird. Frau Lehmann hat dies ausführlich dargelegt. Nur noch so viel: Die vorrangige Aufgabe des Ausschusses wird darin bestehen, die tatsächliche Leistungsentwicklung zu beobachten und zu begleiten. Am 1. September 2008 wird dieser Ausschuss über die Ergebnisse berichten können. Erst zu diesem Zeitpunkt - September 2008 werden verlässliche Aussagen vorliegen, ob die Finanzausstattung der Landkreise und der Kommunen bezüglich der erweiterten Aufgabenübertragung ausreichend war oder ob es hier Nachbesserungen bedarf, und so lange werden wir uns wohl oder übel gedulden müssen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Nun hat für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Schier das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem SGB XII haben wir uns länger als ein Jahr beschäftigt. Insgesamt drei Fachkonferenzen mit Kreisen und Trägern von Einrichtungen hier im Landtag und zahlreiche Besuche in verschiedenen Einrichtungen haben zu folgendem Schluss geführt:

Erstens: Die Aufgabenwahrnehmung für ambulante, teilstationäre und stationäre Behindertenhilfe gehört in eine Hand, und zwar in die des örtlichen Trägers der Sozialhilfe. Darin stimmen die Kreise und die Leistungserbringer mit uns überein.

Zweitens: Der Ausbau der ambulanten Betreuung ist nicht in allen Kreisen dem der stationären Betreuung vorgezogen worden. So gibt es erheblichen Ausbaubedarf im ambulanten Bereich. Auch darin sind wir uns weitgehend einig.

In vielen Gesprächen sind aber unterschiedliche Interessenlagen deutlich geworden. Zum einen geht es um die finanzielle Ausgestaltung des Gesetzes. Zum anderen wird die Befürchtung geäußert, dass die Leistungserbringer erhebliche Einbußen hinnehmen müssen.