Protokoll der Sitzung vom 11.10.2007

Herzlichen Dank. - Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 4/5186, Einrichtung eines grundständigen Studiengangs für das Lehramt an beruflichen Schulen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es wurde mehrheitlich gegen diesen Antrag gestimmt. Damit ist er abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6 und rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Residenzpflicht für Brandenburg und Berlin aufheben

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 4/5187

Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Weber spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Während sie zum Pult geht, begrüße ich ganz herzlich die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Finow, die inzwischen hier bei uns im Saal Platz genommen haben. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man mit Asylsuchenden und Flüchtlingen in Brandenburg ins Gespräch kommt, drängen sich nach kurzer Zeit immer dieselben Probleme und Fragen auf.

Ein immer wiederkehrendes Problem ist die Residenzpflicht für Asylsuchende und Geduldete. Aufgrund der Residenzpflicht ist es Menschen verboten, den ihnen zugewiesenen Landkreis oder die Stadt ohne einen Erlaubnisschein ihrer zuständigen Ausländerbehörde zu verlassen. Verletzt man die Residenzpflicht und wird aufgegriffen, so wird dies als Ordnungswidrigkeit mit einem Ordnungsgeld geahndet. Erkennungsdienstliche Maßnahmen werden durchgeführt. Bei Wiederholung wird ein Strafverfahren eingeleitet, das Einfluss auf die Kriminalitätsstatistik von Ausländern hat.

Abgesehen davon, dass die Bewilligung solcher Urlaubsscheine von Kreis zu Kreis sehr unterschiedlich und durch das Ermessen der jeweiligen Mitarbeiter bestimmt ist, kommt es auch zu sonderbaren Erscheinungen. Ich möchte eine benennen: Wenn Bewohner des Wohnheims Waßmannsdorf/Schönefeld einen solchen Erlaubnisschein benötigen, müssen sie zu ihrer zuständigen Behörde nach Königs Wusterhausen. Beide Orte liegen im Landkreis Dahme-Spreewald. Mittels des öffent

lichen Nahverkehrs gelangen sie nur von einem Ort zum anderen, wenn sie mit der S-Bahn über Berlin, also durch ein anderes Bundesland, fahren. Damit verletzen sie die Residenzpflicht. Wiederholt wurden Menschen auf diesem Weg von der Polizei aufgegriffen und Ordnungsverfahren eingeleitet.

An anderen Stellen mussten Asylbewerber durch kreisfreie Städte oder andere Landkreise, was schließlich dazu führte, dass auch der Oberbürgermeister der Stadt Potsdam eine Veränderung der bestehenden Regelungen zur Residenzpflicht gegenüber dem Innenministerium einforderte.

Viele Flüchtlinge bleiben über Jahre in ein und derselben Unterkunft. Kinder wachsen auf, Jugendliche reifen und aktive Menschen, die ihre Lebensumstände einmal mit viel Energie und großem Risikobewusstsein, aus welchen Gründen auch immer, selbst verändern und für sich und ihre Familien Schutz und Entwicklungsmöglichkeiten finden wollten, werden in zum Teil abgelegenen Orten regelrecht verwahrt. Weit entfernt von Einkaufsmöglichkeiten und kulturellen Einrichtungen bleiben die Heimbewohner isoliert. Dieser Zustand dauert nicht nur eine kurze Zeit der Aufnahme oder Eingewöhnung.

Die Residenzpflicht ist eine in der EU einmalige Form der Isolierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen. Sie wurde eingeführt, um Asylbewerberinnen und Asylbewerber während ihres Verfahrens an bestimmte Orte zu binden und so besser überwachen zu können. Sie stellt damit eine den Lebensalltag wesentlich dominierende Erfahrung der Isolierung und Ausgrenzung dar.

Hier werden staatspolitische und ordnungstechnische Interessen gegen Menschenrechte aufgewogen und in der Konsequenz Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen oder zugelassen. Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sagt aus:

„Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates.“

Ich betone: „jeder Mensch“, nicht jeder Deutsche, nicht jeder Europäer, sondern dort steht „jeder Mensch“, und auch nicht innerhalb seines Staates, sondern innerhalb eines Staates.

In allen anderen europäischen Ländern wird dies respektiert. Eine Residenzpflicht kennt nur Deutschland. Die vorherige Ausländerbeauftragte Almuth Berger äußert sich in dem Buch von Prof. Karin Weiss „Zuwanderung und Integration in den neuen Bundesländern“ auf Seite 174:

„Die stark gesunkenen und weiter sinkenden Zahlen von Asylsuchenden sollten weniger restriktive Regelungen möglich machen.“

Das gilt auch für die Residenzpflicht, die als belastend und diskriminierend erlebt wird und nicht zuletzt Menschen kriminalisiert. Weiter schreibt sie:

„Besonders Kinder und inzwischen Jugendliche, die den größten Teil ihres Lebens und ihrer Entwicklung hier verbracht haben und faktisch Inländer sind, leiden unter dieser Situation, die eine Perspektive für sie unmöglich macht.“

Die restriktiven Regelungen, unter denen die annähernd 6 000

Menschen, die mit einer Aufenthaltsgestattung während ihres Verfahrens oder einer Duldung leben, erschweren auch eine zeitweilige Integration und lassen auch zeitweilig kein selbstbestimmtes Leben zu. Erzwungene Passivität - sagen Sie jetzt bitte nicht, sie könnten den Hof fegen - führt zu physischen und psychischen Krankheiten. Die Menschenrechte auf körperliche und seelische Unversehrtheit, Gesundheitsversorgung und Bildung sind nicht immer sichergestellt. Auch demokratische Rechte von Asylbewerbern werden behindert. So erhielten Asylsuchende für den Besuch einer politischen Veranstaltung in Jena keine Urlaubsscheine. Dort fand ein Kongress von Flüchtlingsselbsthilfegruppen statt, auf dem auch über die Residenzpflicht debattiert wurde. Für die unerlaubte Teilnahme an dem Kongress wurde der Asylbewerber Cornelius Yufanyi strafrechtlich verfolgt.

Die eingeschränkte Freizügigkeit ist neben den Erschwernissen beim Zugang zum Arbeitsmarkt ein wesentlicher Grund, warum sich Asylbewerber nicht in das Arbeitsleben integrieren können. Wir reden in letzter Zeit sehr viel vom demografischen Wandel: Fachkräftemangel und gezieltes Anwerben von Arbeitskräften. Die Potenziale, welche die Menschen in den Asylbewerberheimen haben, deren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen, lassen wir ungenutzt verkümmern bzw. entwickeln sie bei den Kindern und Jugendlichen nicht in dem nötigen Maße.

Dabei könnten wir den dauerhaft, aber auch den nur für eine Zeit bei uns weilenden Menschen Selbstbewusstsein und Würde geben. Mit der Möglichkeit, für sich selbst und für ihre Familien sorgen zu können, bereichern wir sie und unsere Gesellschaft und sparen dabei die Alimentierung in Größenordnungen. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass solche Fähigkeiten bei allen vorhanden sind. Wem es gelungen ist, trotz aller Repression die Festung Europa zu erklimmen und das besonders geschützte „Burgkastell Deutschland“ zu erreichen, kann nicht auf den Kopf gefallen sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf eine Konsequenz der eingeschränkten Freizügigkeit und Überwachung möchte ich Sie aber besonders hinweisen. Jüngste Untersuchungen haben festgestellt, dass dort, wo die meisten ausländischen Mitbürger leben, die Akzeptanz des Andersseins und der kulturellen Vielfalt am größten ist. So haben in der Stadt Freiburg im Breisgau 25 % der Bürger keinen deutschen Pass und 50 % der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Dennoch finden dort kaum ausländerfeindliche Straftaten oder Hetzkampagnen statt.

Bei uns in Brandenburg haben wir einen viel geringeren Anteil von Ausländern. Aber wie werden diese von den Brandenburgerinnen und Brandenburgern wahrgenommen? Im Alltag erfahren sie: Das ist die Sorte von Menschen, die in der Regel kaserniert untergebracht ist, das sind die Leute, die sich nicht freizügig bewegen können. Es wird von staatlicher Seite ein Gewalt- und Gefahrenpotenzial unterstellt. Das spürt der Normalbürger, das nimmt er wahr.

Im Ergebnis bilden sich Vorurteile und Nährboden für rassistisches Gedankengut. Wohin das führt, sehen wir immer häufiger auf unseren Straßen. Fremdenfeindliche Parolen, wie sie oft auch in diesem Haus zu hören sind, fallen auf einen vorbereiteten Boden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Mi

nister Schönbohm, es ist an der Zeit, in der Asyl- und Flüchtlingspolitik einen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Ein erster Schritt im Land Brandenburg dazu kann die Regelung nach § 58 Abs. 6 des Asylverfahrensgesetzes sein, die es gestattet, dass sich Asylbewerber und Geduldete vorübergehend in allen Landkreisen und kreisfreien Städten des Landes Brandenburg aufhalten dürfen. Die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Hessen haben schon einen Schritt in diese Richtung getan, indem sie den Aufenthaltsbereich über die Kreisgrenzen hinaus erweitert haben.

Da unser Land Berlin umschließt und viele Verkehrsverbindungen sternförmig auf Berlin zulaufen, wäre - zweitens - eine Vereinbarung mit dem Senat anzustreben, um eine Freizügigkeitsregelung für beide Länder zu erreichen. Später könnte diese Regelung vielleicht auch einmal für die kreisfreie Stadt Berlin gelten.

Mit diesen Regelungen wäre es für Flüchtlinge und Geduldete leichter, soziale Kontakte zu pflegen, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, selbstbewusst und selbstbestimmt zu leben und die Akzeptanz der Mehrheitsbevölkerung zu erlangen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank, Frau Weber. - Das Wort erhält die Abgeordnete Stark.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 1982 ist die Rechtslage so, dass Asylsuchende, deren Anträge noch nicht bearbeitet worden sind, einer Aufenthaltsbeschränkung unterliegen. Das ist die sogenannte Residenzpflicht. Dieser Begriff allein ist es schon wert, hinterfragt zu werden. In der Regel ist es so, dass Flüchtlinge nicht „residieren“, sondern dass sie eher unter sehr provisorischen Lebensbedingungen hausen, und dies manchmal jahrelang.

Für die Residenzpflicht, die aber in diesem Gesetz 1982 verankert worden ist, war unter drei Prämissen argumentiert worden: erstens Sicherheit und Sicherstellung der öffentlichen Ordnung, zweitens bessere Verteilung der Lasten und drittens schnellere Erreichbarkeit im Asylverfahren.

Nun lässt sich an dieser Stelle sicher trefflich über den Sinn dieser Residenzpflicht streiten, also über die gesetzliche Zuweisung der Aufenthaltsbereiche, die sich in der Regel auf unsere Landkreisgrenzen beziehen. Insbesondere muss man sich aber, meine ich, bei der Debatte auch vor Augen führen, dass seit 1982 die Zahl der Asylbewerber rapide zurückgegangen und die Verfahrensdauer rapide angestiegen ist. Für die Einzelschicksale bedeutet das manchmal jahrelanges Warten. Fünf bis zehn Jahre können es unter Umständen sein, die man zum Beispiel im Landkreis Prignitz oder im Landkreis Uckermark verbringt. Das heißt, die Asylbewerber dürfen nur aufgrund besonderer Antragsverfahren ihren Landkreis verlassen - also hochbürokratisch.

Deshalb ist es schon - ich meine, das ist auch der Sinn Ihres Antrags - wichtig, dies immer wieder ins Gespräch zu bringen und sich politisch auf Bundes- und Landesebene die Frage zu stellen, ob es denn noch zeitgemäß und aktuell ist, mit Asylbewerbern derartig umzugehen. Ich teile die Position des Oberbürgermeisters von Potsdam und anderer Persönlichkeiten, die der Regelung, wie sie jetzt formuliert ist, durchaus kritisch gegenüberstehen.

Die SPD-Fraktion würde es sehr begrüßen, wenn an dieser Stelle humanere und nicht zuletzt auch unbürokratischere Regelungen zum Tragen kommen würden. Es ist also für Asylbewerber heute nicht möglich, soziale Kontakte über den Landkreis hinaus zu pflegen, zum Beispiel Besuch eines Fußballspiels, Einkauf im Supermarkt oder Besuch einer Freundin, und das über Jahre. Das muss man sich einmal vor Augen führen. Es sind in der Mehrzahl unbescholtene Leute, sie haben sich sozusagen nichts zuschulden kommen lassen. Darüber muss man, meine ich, reden.

Aber das, was Sie jetzt in Ihrem Antrag fordern, das heißt, den völlig erlaubnisfreien Aufenthalt eines Asylbewerbers, kann es bei allem guten Willen an dieser Stelle auch nicht geben, weil die Intention - schnelle Erreichbarkeit im Asylverfahren, Aufteilung über das Land und bessere Verteilung der öffentlichen Lasten durchaus gerechtfertigt ist. Man muss das Sowohl-als-auch sehen. Hier ist gefragt, einen guten Kompromiss zu finden. Es lohnt sich - deshalb auch vielen Dank für Ihren Antrag -, das Thema noch einmal zu bearbeiten und zu besprechen. Ich glaube, wir könnten es so verstehen, dass auch der Gesetzgeber auf Bundesebene - es handelt sich um ein Bundesgesetz -, ausgehend von unserer Debatte dieses Thema noch einmal aufgreifen müsste.

Wir müssen also leider Ihren Antrag ablehnen, der den völlig erlaubnisfreien Aufenthalt eines Asylbewerbers fordert, weil wir an dieser Stelle mit dem jetzt geltenden Bundesgesetz in Konflikt kommen würden. Das können wir natürlich so nicht mittragen. Aber ich verstehe Ihren Antrag durchaus als Anstoß, dieses Thema unter sozialen und humanen Gesichtspunkten weiter zu besprechen. Ich meine, dass wir es auch auf die jeweiligen Ebenen weitertransportieren sollten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Es spricht der Abgeordnete Claus, DVUFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Rechtsbruch zwingt den Gesetzgeber nicht, das Recht aufzuheben. Genau das ist Sinn und Zweck Ihres Antrags, meine Damen und Herren der LINKEN, auf dauernde Verletzung der räumlichen Beschränkung durch Asylsuchende hinzuweisen. Das ist aber eine magere Begründung diesmal; ich habe schon bessere von Ihnen gehört. Da könnte man genauso gut sagen: Es kommt immer wieder zu Schlägereien, also schaffen wir den Straftatbestand der Schlägerei oder Körperverletzung ganz und gar ab.

Meine Damen und Herren der LINKEN, ich will ja nicht polemisch werden, aber offensichtlich ist das die einzige Methode,

Ihnen den Unsinn Ihres heutigen Antrags vor Augen zu führen. Ich werde Ihnen auch sagen, warum. Für die Residenzpflicht nach § 56 Asylverfahrensgesetz und § 61 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz gibt es gute rechtspolitische Gründe. Mit der Vorschrift des § 56 Asylverfahrensgesetz wird das gesetzliche Aufenthaltsrecht des § 55 Abs. 1 näher ausgestaltet.

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach entschieden, dass die gesetzlich angeordnete und vorgesehene räumliche Beschränkung weder gegen die Grundrechte auf Freiheit der Person und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit noch gegen das Asylgrundrecht verstößt. Insbesondere, so das Bundesverfassungsgericht, lassen sie den notwendigen Abschiebungsschutz unberührt, gewährleisten die Möglichkeit der personalen Durchsetzung des Asylanspruchs und sind nicht unverhältnismäßig. So das Bundesverfassungsgericht, Entscheidung Nummer 80/182 und weitere Nachweise.

(Sarrach [DIE LINKE]: Ist das der 80. Band?)