Protokoll der Sitzung vom 11.10.2007

(Sarrach [DIE LINKE]: Ist das der 80. Band?)

- Das ist richtig.

Dieses Ganze wird von dem Rechtsgedanken getragen, dass auch das Grundrecht der Freizügigkeit aufgrund Gesetzes eingeschränkt werden darf - Herr Sarrach, das werden Sie bestimmt wissen, Sie sind ja Rechtsanwalt -, wenn der öffentlichrechtliche Zweck dies gebietet. Dabei haben wir immer den Sinn und Zweck des Aufenthaltsgesetzes sowie des Asylverfahrensgesetzes zu berücksichtigen.

In diesem Kontext müssen aufenthaltslenkende Maßnahmen der Ausländerbehörde immer im Zusammenhang mit der Verteilungszuweisung gesehen werden, die grundsätzlich nicht durch Einzelanordnung der Ausländerbehörde oder Wirkung gegenüber anderen Ausländerbehörden unterlaufen werden dürfen. Hier bedarf es einer allgemeinen abstrakt-generellen Regelung, wie sie § 56 Asylverfahrensgesetz sowie § 61 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz vorsehen.

Frau Weber, ich weiß nicht, ob Sie irgendetwas wiedergutmachen wollen; vielleicht haben Sie bei Ihren Ausführungen die Residenzpflicht der DDR-Bürger von 1961 bis 1989 vergessen. Auch die DDR-Bürger durften nicht überall hin. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Wir setzen mit dem Beitrag des Abgeordneten Petke fort. Er spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird den vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE ablehnen.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Natürlich!)

- Natürlich ist das nicht.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Doch! Erinnern Sie sich an den letzten Parteibeschluss? Sie wollen doch Ihre eigenen Beschlüsse nicht infrage stellen?)

- Frau Kollegin Kaiser, wenn ich Sie an dieser Stelle korrigieren darf: Sinnvollen Anliegen, die überzeugend sind, stimmen wir zu.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das ist noch nie passiert!)

Meine Vorredner haben an mehreren Stellen nachgewiesen, dass der vorliegende Antrag Ihrer Fraktion dringend rechtlich zu überarbeiten ist. Er ist aber nicht nur rechtlich fragwürdig; wir stimmen ihm auch politisch nicht zu.

Es gibt gute Gründe für die Residenzpflicht, das heißt dafür, dass das Aufenthaltsrecht beschränkt ausgeübt wird. Dennoch möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der bisher in der Debatte noch gar nicht angesprochen worden ist: Von der Residenzpflicht gibt es Ausnahmen. In bestimmten Fällen kann die Behörde im Ermessen handeln; so heißt es im Gesetz. In anderen Fällen hat die Behörde im Ermessen zu handeln, also eine Ausnahme zu gewähren.

(Sarrach [DIE LINKE]: Das ist kein Ermessen!)

- Das ist dann kein freies, sondern gebundenes Ermessen. Kollege Sarrach, mit diesem Hinweis haben Sie vollkommen Recht.

Darauf können sich die betroffenen Personen berufen; das tun sie auch. Insofern ist das, was die Rednerin Ihrer Fraktion zu Beginn vorgetragen hat, schlicht falsch. Die Regelung zur Residenzpflicht ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt. Auch die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht ist mehrfach festgestellt worden.

Für die hier geltende Regelung gibt es ordnungspolitische, arbeitsmarktpolitische und sicherheitspolitische Gründe. Wir halten an der Regelung fest, weil sie in der Praxis notwendig ist.

Natürlich muss über das, was angesprochen worden ist, diskutiert werden. Wenn jemand Gründe hat, zum Beispiel Besuche von Angehörigen oder das Erledigen von Besorgungen, die ihn über die Grenzen des jeweiligen Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt hinausführen, dann wird er dafür in der Regel eine Genehmigung bekommen. Eine entsprechende Praxis der Ausländerbehörden ist mir bekannt.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.

Herr Petke, ich würde von Ihnen gern Folgendes wissen: Worin unterscheiden sich die ausländerrechtlichen Regelungen in Deutschland von denen in den anderen europäischen Ländern, wo ausnahmslos keine Residenzpflicht vorgeschrieben ist?

Ich muss gestehen, dass ich die Regelungen in den anderen europäischen Ländern im Einzelnen nicht kenne. In Deutschland gilt eine Regelung, die der Deutsche Bundestag mehrheitlich verabschiedet hat. Wir hatten in der Vergangenheit aus vielerlei Gründen sehr viele Bewerber um die Gewährung des Asylrechts in Deutschland. Die Masse der Bewerber war nicht poli

tisch verfolgt. Es gab andere Gründe, warum sie nach Deutschland gekommen sind, zum Beispiel materielle Gründe und die Situation im Heimatland. Wir standen - und stehen immer noch - vor der Herausforderung, mit der Umsetzung des Asylrechts umzugehen. Deutschland hat insoweit einen eigenen Weg gefunden. Wenn Sie in die nähere Vergangenheit blicken, stellen Sie fest, dass es sich das eine oder andere unserer Grenzländer ziemlich leicht gemacht und die Leute nach Deutschland weitergeschickt hat. Angesichts dessen haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat reagiert und das Asylrecht verändert - ob der damaligen Situation auch verändern müssen. An dieser Stelle ist ein Fingerzeig auf andere nicht angebracht.

Lassen Sie uns über die hier geltende gesetzliche Vorschrift reden. Für mich hat sie sich bewährt; sie ist schlicht notwendig. Vorhin ist darauf hingewiesen worden, dass sich die große Mehrzahl derjenigen, die sich auf das Asylrecht berufen, rechtsstaatlich verhält. Es gibt aber auch die Realität des Missbrauchs von Sozialleistungen, von Schleusungen und anderen Vorkommnissen. Deshalb müssen wir unseren Behörden - auch mit Blick darauf, Steuergelder vernünftig zu verwenden - die Möglichkeit der Kontrolle bzw. der Gewinnung von Übersicht geben.

Das alles ist vereinbar. Sie haben vorhin falsche Argumente vorgebracht; das habe ich richtiggestellt. Wir sehen weder rechtlich noch politisch die Notwendigkeit, Ihrem Antrag beizutreten. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Wir setzen mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Es spricht Innenminister Schönbohm.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus meiner Sicht schränken die in dem Antrag genannten bundesrechtlichen Regelungen zur Residenzpflicht von Asylbewerbern und geduldeten, vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern deren Bewegungsfreiheit nicht unnötig ein. Dazu ist bereits einiges gesagt worden. Ich möchte noch einmal im Zusammenhang vortragen, weil wir uns darüber klar werden sollten, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen.

§ 56 Asylverfahrensgesetz beschränkt das Aufenthaltsrecht eines Asylbewerbers räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde, dem er zugewiesen ist. In § 58 desselben Gesetzes wird aber geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Ausländerbehörde einem Ausländer die Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des gesetzlich zugewiesenen Aufenthaltsbereichs erteilen kann oder erteilen muss. So ist die Erlaubnis zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung eine unbillige Härte bedeuten würde.

Falls diese besonderen Voraussetzungen nicht vorliegen, kann die Ausländerbehörde die Erlaubnis dennoch nach pflichtgemäßem Ermessen erteilen; es gibt also einen Handlungsspielraum. Dieser wird in einer Vielzahl von Fällen genutzt, zum Beispiel dann, wenn der Asylbewerber im Bereich einer anderen Ausländerbehörde eine Arbeitsstelle hat, wenn er als Mit

glied einer Sportmannschaft, Musikkapelle oder Hilfsorganisation an Veranstaltungen des Vereins bzw. der Organisation außerhalb des zugewiesenen Bereichs teilnehmen möchte oder wenn er aus einem besonderen Anlass - Hochzeit, Tod, besondere Geburtstage - nahe Verwandte, die sich im Bundesgebiet außerhalb des ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereichs aufhalten, besuchen möchte.

Weitere Gründe sind zum Beispiel gegeben, wenn im Rahmen des Besuchs einer allgemeinbildenden Schule ein Schullandheimaufenthalt erfolgt oder eine Studienfahrt durchgeführt wird.

Ich nenne diese Beispiele bewusst, um zu verdeutlichen, dass die Ausländerbehörden einen Ermessensspielraum haben, der weit über das hinausgeht, was hier dargestellt worden ist. Es gibt also entsprechende Regelungen.

Für die Umsetzung sind die Landkreise und die kreisfreien Städte, aber auch Berlin verantwortlich. Die Behörden haben hier einen sehr weitreichenden Ermessensspielraum, von der gesetzlichen Aufenthaltsbeschränkung im Einzelfall abweichende Regelungen zu treffen. Sie können davon ausgehen, dass die brandenburgischen Ausländerbehörden ihren Ermessensspielraum nutzen.

Wenn Sie Fälle kennen, in denen das Ihrer Meinung nach nicht geschehen ist, dann lassen Sie uns das bitte wissen; wir werden der Sache nachgehen.

Nach § 58 Abs. 6 des Gesetzes kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass sich Ausländer auch ohne Erlaubnis vorübergehend in einem mehrere Ausländerbehörden umfassenden Gebiet aufhalten können. Bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass die Verordnungsermächtigung dem Zweck dient...

(Unruhe)

- Ich kann leider nicht lauter sprechen, Herr Präsident. Es geht um Rechtsfragen. Ich weiß, dass das eine trockene Materie ist. Dennoch sind Rechtsfragen wichtig; denn sie bestimmen das Leben manchmal mehr, als uns recht ist. Aber so ist es im Rechtsstaat.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD)

Bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass die Verordnungsermächtigung dem Zweck dient, besonderen örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Das betrifft insbesondere die Fälle, in denen der betreffende Ausländer aufgrund des Zuschnitts des Verwaltungsbezirks gezwungen ist, bei einer Fahrt zu anstehenden Terminen, beispielsweise bei der zuständigen Ausländerbehörde, mehrere Verwaltungsbezirke zu durchqueren, damit nicht große Umwege in Kauf genommen werden müssen. Durch eine Rechtsverordnung kann dem Rechnung getragen werden.

Frau Weber, Sie haben ein Beispiel aus Königs Wusterhausen genannt. Wenn es so ist, wie Sie es geschildert haben, dann ist das nicht in Ordnung. Veranlassen Sie bitte den, wie ich vermute, Ihnen nicht nur flüchtig bekannten Bürgermeister, dem die Ausländerbehörde in Königs Wusterhausen untersteht, einen Antrag zu stellen, damit dieser Missstand abgestellt wird. Das

kann man doch machen. Nennen Sie bitte nicht Beispiele, die auf eine Nichtnutzung des Ermessensspielraums zurückgehen, um das ganze System ad absurdum zu führen.

(Beifall bei der CDU sowie des Abgeordneten Schulze [SPD])

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, die Frage ist doch klar.

(Dr. Scharfenberg [DIE LINKE]: Sie waren doch immer so entgegenkommend!)

Wenn die Landesregierung eine Regelung, wie von Ihnen gewünscht, träfe, stünde diese im Widerspruch zum Bundesrecht. Von daher ist alles gesagt, was hier zu sagen ist.

Ich stelle zusammenfassend fest: Das Asylverfahrensgesetz des Bundes bietet für die Ausländerbehörden einen ausreichenden Ermessensspielraum, die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern im verfassungsgemäßen Rahmen zu gewährleisten. Insofern sehe ich keinen Handlungsbedarf für den Landtag.

Es gibt für die Bundesländer eine Ermächtigungsgrundlage dahin gehend, eine Regelung zum erlaubnisfreien Aufenthalt innerhalb von Brandenburg bzw. im Bereich mehrerer Bundesländer zu schaffen.

Von daher bitte ich Sie, dem Antrag nicht zuzustimmen. - Danke.