Wir beginnen mit der Dringlichen Anfrage 53 (EuGH-Urteil zur Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen), gestellt vom Abgeordneten Christoph Schulze.
In der vergangenen Woche wurde vom Europäischen Gerichtshof eine Vorschrift des niedersächsischen Landesvergabegeset
zes zur Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen gekippt. Manche frohlockten bereits, dass damit die Mindestlohndebatte in Deutschland beendet sei. Die Berichterstattung und Kommentierung, unter anderem im „Handelsblatt“ am 04.04.2008, brachte dazu aber widersprüchliche Meinungen, und das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2006 gegenteilig geurteilt.
Aus diesem Grunde frage ich die Landesregierung: Wie beurteilt die Landesregierung das EuGH-Urteil insbesondere unter dem Aspekt der aktuellen Diskussion zu einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die im niedersächsischen Landesvergabegesetz enthaltene Tariftreueverpflichtung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen auf dem Gebiet des Bauwesens und des öffentlichen Personennahverkehrs nicht mit der EU-Entsenderichtlinie vereinbar ist. Die entsprechende Vorschrift des niedersächsischen Landesrechts und wahrscheinlich auch anderer Länderrechte verstößt damit gegen zwingendes höherrangiges europäisches Recht und darf als solche bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Land Niedersachsen nicht mehr angewendet werden.
Es wurde unter europarechtlichen Gesichtspunkten überprüft. Man kann auch keinen Wertungswiderspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts darlegen, weil die Berliner Tariftreueverpflichtung dem Grundgesetz nicht widerspricht, sondern mit ihm konform geht. Also ist es dort kein Widerspruch, sondern das höhere Recht von Europa muss zugrunde gelegt werden.
Aber der Begründung des EuGH-Urteils - das ist die eigentlich spannende Frage - ist zu entnehmen, dass das Gericht nur solche Tariftreueverpflichtungen von der EG-Entsenderichtlinie als gedeckt ansieht, die sich auf allgemeinverbindliche Tarifverträge bzw. Mindestlohnverordnungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz oder aber auf einen gesetzlichen Mindestlohn beziehen. Darin liegt schon die Antwort auf Ihre Frage, nämlich: Das Urteil zeigt die Möglichkeiten direkt auf, wie man Lohndumping und ruinösen Lohnwettbewerb bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen verhindern kann.
Das ist in der Landesregierung keine einheitliche Auffassung. Die SPD ist nach wie vor daran, den Mindestlohn durchzusetzen. Die CDU sieht das derzeit noch anders. Ich gehe davon aus, dass uns diese Debatte weiter begleiten wird und die Lösung im Urteil dargelegt wurde. - Vielen Dank.
Die CDU strebt an, dass nicht der Staat, sondern die Tarifpartner - Gewerkschaften und Arbeitgeber - über den Lohn entscheiden. Sie wissen, dass wir das Entsendegesetz und branchengebundene Lösungen auf Bundesebene unterstützen.
Aus den Reihen der Landesregierung waren immer wieder Äußerungen zu hören, wonach öffentliche Aufträge an eine Tarifbindung gekoppelt werden sollten. Das Thema wurde sogar zur Bedingung für die nächsten Koalitionsverhandlungen erklärt. Frau Ministerin, stimmen Sie mit mir darin überein, dass das nach dem EuGH-Urteil so nicht mehr geht, sondern dass einer Tarifbindung - die Mehrheit der brandenburgischen Unternehmen ist nicht tarifgebunden; sie hätten auch ein echtes Problem damit - damit eine Absage erteilt ist?
Dem ist eindeutig so. Deshalb kämpfen wir weiter für den gesetzlichen Mindestlohn. Sie sagen immer, die Tarifpartner sollten die Hoheit über die Festsetzung der Löhne behalten. Es wäre gut, wenn die Gewerkschaften anständige Löhne aushandeln könnten, von denen die Menschen leben können.
Solange aber Tarifparteien - auch christliche Gewerkschaften! Löhne von unter 5 Euro pro Stunde, manchmal sogar von 2,75 Euro, aushandeln, muss man dafür sorgen, dass es eine Grenze gibt, unter die der Lohn nicht fallen darf.
(Bischoff [SPD]: Christliche Gewerkschaften! - Holz- schuher [SPD]: Sogenannte christliche Gewerkschaften! - Lunacek [CDU]: Den Tarifvertrag mit 2,75 Euro zeigen Sie mir einmal!)
Ob diese Untergrenze zwischen Tarifpartnern vereinbart ist oder nicht, spielt dabei aus sozialdemokratischer Sicht keine Rolle.
Frau Ministerin, Ihr Koalitionspartner, die CDU, hat öffentlich eine andere Position vertreten, als Sie hier dargelegt haben. Sie betonten gerade, die gesamte Landesregierung stehe hinter Ihrer Position. Darf ich mich vergewissern, dass das Kabinett als Ganzes die von Ihnen vorgetragene Auffassung teilt?
Zweitens: Der Berliner Senat hat angekündigt, eine Bundesratsinitiative zu starten. Gibt es insoweit bereits Absprachen mit dem Land Berlin? Würden Sie mir zustimmen, dass nach dem EuGH-Urteil die Frage des Subsidaritätsprinzips neu bewertet und gewichtet werden muss, um in eine Situation zu kommen, in der politische Entscheidungen getroffen werden
können, das heißt, politische Sachverhalte nicht vor den obersten Gerichten ausgefochten werden müssen?
Was den ersten Teil angeht, so haben Sie mich missverstanden. Ich habe deutlich gesagt, dass es unterschiedliche Haltungen innerhalb der Landesregierung gibt; das wissen auch Sie. Auf dieser Feststellung hat auch Herr Junghanns bestanden. Daran halten wir uns natürlich. Das ist allseits bekannt.
Wir sind aber sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene in einem Diskussionsprozess. Die Parteien, insbesondere die Fachpolitiker, bewegen sich aufeinander zu. Es geht darum, solche Fragen nicht vor Gerichten auszuhandeln, sondern es geht darum, festzustellen, was eine Gesellschaft für richtig und notwendig hält. Ich sage es immer wieder: Schauen Sie nach Großbritannien! Dort war ein gesellschaftlicher Konsens die Grundlage dafür, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer für den Mindestlohn gestritten haben und jetzt - man ist dort ein paar Phasen weiter - auf dessen Einhaltung achten. An der Spitze dieser Bemühungen steht dort ein Industrieller. Es muss auch in Deutschland gelingen, dass diese Frage nicht vor Gerichten ausgehandelt werden muss.
Vielen Dank. - Wir kommen zu den regulären Kleinen Anfragen. Es folgen jetzt drei Fragen zum Thema Anschlussbeiträge, die wir bündeln und gemeinsam beantworten lassen.
Die Frage 1673 (Anschlussbeiträge nach § 8 Kommunalabga- bengesetz [KAG]) stellt der Abgeordnete Bochow.
Mit Rundschreiben vom 19.02.2008 hat der Innenminister darauf hingewiesen, dass mit dem Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg nunmehr Grundstücke von sogenannten Altanliegern, die vor dem Inkrafttreten des KAG an eine leitungsgebundene Wasserver- bzw. Abwasserentsorgungseinrichtung angeschlossen oder anschließbar waren, zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden können.
Ich frage die Landesregierung: Sollte aus ihrer Sicht der Vollzug von § 8 KAG gegenüber Altanschließern ausgesetzt werden, bis auf Landesebene das Urteil ausgewertet ist, auch um unbillige Härten und nachteilige Auswirkungen auf mittelständische Unternehmen gegebenenfalls zu verhindern?
Danke. - Die Frage 1674 (Auswirkungen des OVG-Urteils zu Trink- und Abwasseranschlüssen) stellt die Abgeordnete Adolph.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2007 die Frage geklärt, ob
und unter welchen Voraussetzungen auch solche Grundstücke zu einem Anschlussbeitrag herangezogen werden können, die bereits vor dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes am 9. Juli 1991 an die öffentliche Abwasserentsorgungs- bzw. Trinkwasserversorgungsanlage angeschlossen waren.
Ich frage die Landesregierung: Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die Heranziehung von sogenannten Altanschlüssen im Land Brandenburg genau?
Die Frage 1675 (Anschlussbeiträge nach § 8 Kommunalabga- bengesetz [KAG]) stellt der Abgeordnete Gujjula.
Mit Rundschreiben vom 19.02.2008 hat der Innenminister darauf hingewiesen, dass mit dem Grundsatzurteil des OVG Berlin-Brandenburg nunmehr Grundstücke von sogenannten Altanliegern zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden können. In dem Rundschreiben kündigte er an: „… eine Auswertung hinsichtlich eines weiteren Umsetzungsbedarfs soll noch folgen. […] wird über die Auswertung des Urteils nochmals per Rundschreiben informiert.“
Ich frage die Landesregierung: Hat sie das Urteil inzwischen hinsichtlich des „Umsetzungsbedarfs“ ausgewertet und über die Auswertung - wie angekündigt - per Rundschreiben an die unteren Landesbehörden informiert?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin Adolph, sehr geehrte Kollegen Bochow und Gujjula, die drei mündlichen Anfragen beantworte ich zusammen. Es geht für uns alle um das sehr leidige Thema Abwasser, das uns seit Gründung des Landes Brandenburg beschäftigt. Seit 1990 ist eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen worden, darunter auch falsche Entscheidungen. Wir müssen jetzt mit diesen Entscheidungen, das heißt mit dem, was wir heute vorfinden, umgehen.
Dass Entscheidungen getroffen werden mussten, war klar, weil die Abwassersituation zum damaligen Zeitpunkt ein Handeln zwingend erforderlich machte. Es geht jetzt um die rechtlichen Konsequenzen eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2007. Nach diesem Urteil können auch sogenannte Altanlieger noch zu Herstellungsbeiträgen für Nachwendeinvestitionen - ich wiederhole: für Nachwendeinvestitionen - an leitungsgebundenen Einrichtungen herangezogen werden, sofern in ihrem Abrechnungsgebiet nach dem 01.02.2004 eine rechtswirksame Abgabensatzung vorhanden war und die Beitragsforderung nicht verjährt ist.
Die drei Anfragen beantworte ich im Namen der Landesregierung wie folgt: Das Urteil ist noch nicht vollständig ausgewertet. Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz hat ein Gutachten zum Schuldenmanage
mentfonds und zu den Auswirkungen, auf die sich die hier gestellten Fragen beziehen, in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten liegt noch nicht vor. Wenn es vorliegt, werden wir eine Bewertung des Urteils vornehmen, die betreffenden Ausschüsse des Landtages und die Kommunen über das Ergebnis informieren und entsprechende Anwendungshinweise geben.
Herr Kollege Bochow, die Aussetzung eines vom Parlament beschlossenen geltenden Gesetzes steht Mitgliedern der Landesregierung nicht zu. Sofern die Beitragserhöhung in Einzelfällen zu unzumutbaren Härten führt, gibt es für Unternehmen die Möglichkeit der Stundung der Forderung.
Da in den vergangenen Tagen viel darüber geschrieben wurde, möchte ich noch einmal Missverständnissen und Irrtümern vorbeugen und herausstellen: Weder die Landesregierung noch der Landtag hatten beabsichtigt, Beiträge im Hinblick auf einen Anschluss, der vor 1990, also zu DDR-Zeiten, errichtet wurde, zu erheben. Aus allen Unterlagen ergibt sich, dass diese Absicht nie bestand.