Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

Vor diesem Hintergrund müssen wir einfach feststellen: Der vorliegende Antrag ist so, wie er gestellt worden ist, ein Antrag, der etwas verschleiern soll. Die PDS wäre ja gar nicht für Volksinitiativen - wenn sie die Mehrheit hätte. Die PDS wäre ja gar nicht für Volksinitiativen - wenn sie regieren würde. Da haben Sie ja früher einmal Erfahrungen gesammelt. - Von daher kommt mir das alles ein bisschen komisch vor.

Nun schaue ich mir anhand Ihres Antrags einmal an, was Sie sich hier vorstellen. Dazu zitiere ich aus Ihrem Antrag:

„Zugleich werden weitere Bereiche erkennbar, für die die Bürgerinnen und Bürger einen gesellschaftlichen Umbau zugunsten sozialer Gerechtigkeit, sozialer Chancen für alle und auch ökologischer Nachhaltigkeit erwarten. Arbeit, von der man leben kann, ein zukunftsträchtiges Bildungssystem, die Beseitigung der Kinderarmut, aber auch der solidarische Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Regionen Brandenburgs, eine zukunftsfähige Energiepolitik und die gleichberechtigte Kooperation mit unseren Nachbarn...“

All das fordern Sie. Das ist ja klasse. Auf der einen Seite fordern Sie, den Braunkohlenabbau einzustellen, auf der anderen

Seite fordern Sie Arbeitsplätze. Zunächst einmal muss man hier feststellen, dass dies eine Volksinitiative zum Abbau von Arbeitsplätzen durch Einstellung des Braunkohleabbaus ist. Das sagen Sie aber nicht.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Die nächste Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wo kommt der Strom eigentlich her? Wenn der Strom nicht mehr aus der Dose kommt, dann machen Sie eben die nächste Volksinitiative „für Strom aus der Dose“. Sie scheinen mit dem Strom zu schwimmen, ohne zu wissen, wo Sie ankommen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das ist das Problem, um das es geht. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Erneuerbare Energien - dieses Thema allein funktioniert nicht. Darum plädiere ich für einen ganzheitlichen Ansatz.

Damit komme ich zum Thema Kinderarmut, das Sie in Ihrem Antrag auch erwähnen. Dass es in unserem Land und auch anderswo materielle Kinderarmut gibt, das wissen wir.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Scharfenberg [DIE LINKE])

- Warten Sie bitte ab! - Ich selbst bin wirklich in Armut groß geworden, 1945, 1946, 1947. Trotzdem ist aus mir etwas geworden, wenn Sie das auch überraschen mag. Aber ich möchte eigentlich etwas ganz anderes sagen: Was Sie in Ihren Darlegungen immer wieder vergessen, ist, dass es neben der finanziellen Armut Armut an elterlicher Zuwendung gibt.

(Beifall bei CDU und SPD)

Armut an familiärer Bindung, Armut an Gemeinschaft, Armut an Erziehung, Armut an emotionaler Gemeinsamkeit - woher kommt denn die Gewaltbereitschaft eines Teils unserer Jugend? Das hat doch nichts mit Kinderarmut zu tun!

(Beifall bei CDU und SPD)

Das kann ein Erklärungsmodell sein, aber nicht das Erklärungsmodell für das Ganze.

Darum meine Bitte, wenn Sie das im Gesamtzusammenhang sehen wollen: Machen Sie ein Hearing! All die Themen, die Sie hier aufgeschrieben haben, sind wichtig. All das könnte erörtert werden, in diesem Landtag, in den Ausschüssen, mit Fachleuten. Dann können wir sehen, ob wir zu gemeinsamen Ergebnissen kommen.

Auch ich leide darunter, wenn ich arme Kinder sehe. Ich leide aber auch darunter, wenn ich verwahrloste Kinder sehe, wobei diese Verwahrlosung nichts mit materieller Armut zu tun hat. Solche Fragen müssen wir im Zusammenhang angehen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine ganze Menge erreicht.

(Beifall bei CDU und SPD)

Lassen Sie mich einen letzten Gedanken ansprechen. Das richte ich an uns alle. Wir sind von den Bürgern gewählt, weil wir für ein Programm stehen, für eine Partei stehen, als Person, für eine Region. Wir können doch nicht dann, wenn die Zeiten

schwierig werden, die uns gestellte Aufgabe an den Wähler zurückgeben und ihm sagen: Mach doch einmal eine Volksinitiative; dann werden wir sehen. - Wir können doch nicht aus Feigheit vor dem Wähler uns scheuen, ihm die Wahrheit zu sagen darüber, wie die Lage wirklich ist. Das ist etwas, worüber sich jeder selbst klar werden muss. Ich meine, dass wir als gewählte Parlamentarier die Aufgabe haben, Dinge auch dann anzusprechen, wenn sie schwierig sind.

(Beifall bei CDU und SPD)

Unsere Bürger sind viel weiter, als viele von uns offenbar annehmen. Jeder weiß, dass er für eine Leistung, die er bekommt, bezahlen muss.

Jetzt blinkt das Licht. Herr Präsident, lassen Sie mich bitte nur noch kurz zusammenfassen.

In der Demokratie geht es um die Mehrheit der Bürger. Versuchen Sie bitte nicht, die Mehrheit der Bürger auseinanderzudividieren in solidarische Mehrheit und unsolidarische Mehrheit - das halte ich für ganz gefährlich; demokratietheoretisch ist es ohnehin falsch -, weil Sie damit die Definitionsmacht in Anspruch nehmen, welches eine gute und welches eine schlechte Mehrheit ist. Dazu empfehle ich Ihnen auch einen Blick in die Geschichtsbücher. Da können Sie alles nachlesen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich halte den Antrag der Linkspartei für überflüssig.

(Beifall bei CDU und SPD - Dr. Scharfenberg [DIE LIN- KE]: Das war aber der falsche Schluss! - Weitere Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Innenminister, für diesen erfrischenden Redebeitrag. Bevor ich jetzt die nächste Rednerin aufrufe, begrüße ich in unserer Mitte Herrn Dr. Human Hamudi. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Außenpolitik und Verfassungsrevision des Abgeordnetenhauses des Irak. Herzlich willkommen in unseren Reihen!

(Allgemeiner Beifall)

Jetzt erteile ich für die letzten drei Minuten Redezeit das Wort noch einmal der antragstellenden Fraktion. Bitte, Frau Abgeordnete Kaiser.

Herr Schönbohm, Sie haben eben nicht nur die Uhr aus dem Auge verloren, sondern auch die Geschichte. Die Verfassung des Landes Brandenburg wurde nämlich durch eine Mehrheit im Land Brandenburg angenommen, aber gegen den ausdrücklichen Willen der damaligen CDU-Fraktion.

(Zurufe von der CDU)

Zum Glück sind wir miteinander lernfähig. Wir sollten einander wirklich nicht unterstellen, dass wir es nicht seien. Lernfähigkeit in der Politik führt auch zu Handlungsfähigkeit.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Was den Dissens wegen der „solidarischen Mehrheit“ betrifft, so empfehle ich Ihnen einen Blick in die Unterlagen Ihres Koalitionspartners. Wegen der „solidarischen Mehrheit“ gibt es nämlich offenbar einen Dissens zwischen Herrn Schönbohm und Herrn Platzeck. Klären Sie das!

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Genau, Herr Schönbohm, die Summe der Egoismen ist eben nicht das Allgemeinwohl; völlig klar. Deshalb plädieren wir dafür, dass, bitte schön, nicht jede buchhalterisch geprägte Haushaltsdebatte an jedem Ort einzeln nur die Ausgaben und Interessen des jeweiligen Haushalts betrachtet; denn wegen dieser Art von Haushaltspolitik, die dann eben auch egoistisch ist oder wird, haben wir inzwischen in der Bundesrepublik Kinder- und Altersarmut und ein Bildungssystem, das international kritisiert wird.

Also: Das Gemeinwohl muss uns Anlass sein, dass die Haushaltspolitik solidarisch und übergreifend geführt wird. Dafür wären wir.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Da waren wir - das sage ich Ihnen, Herr Kollege Lunacek wahrscheinlich doch wieder in rhetorischen Debatten verfangen. Ich weiß auch nicht so recht, was ich mit der CDU hier machen soll, weil: Die einen beschließen die soziale Revolution im Landkreis, die anderen plädieren dagegen. Regeln Sie das erst einmal untereinander!

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir waren der Auffassung, dass solidarische Mehrheiten, nämlich Bürgerinnen und Bürger, in diesem Land gehandelt und Volksinitiativen gestartet haben. Die Blockaden habe ich benannt: in der Abwasserpolitik, in der Energiepolitik, in der Bildungspolitik. Da reden wir seit Jahren über Finnland. Nichts bewegt sich. Ich bitte Sie! Sie regieren in diesem Land. Brechen Sie diese Blockaden auf! Wir haben auf ein Signal von Ihnen gewartet.

Was die Energiepolitik betrifft: Niemand behauptet, hier alle Antworten zu haben. Auch wir nicht; das habe ich auch nicht gesagt. Aber lassen Sie uns den Energiedialog beginnen. Wir haben 40 Jahre Zeit, wir haben die Chance, etwas Zukunftsfähiges miteinander zu gestalten.

Ich denke, es ist - wenn es hier um Feigheit geht - auch nicht zu vermeiden, vor dem Wähler unbequeme Sachen zu sagen. Gestern wurde in der Fraktionssitzung der Erhalt der Schulstandorte in Wittstock beschlossen - heute erwarten wir hier von Ihnen einen Antrag oder ein Signal, dass das auch durchgesetzt wird. Bitte handeln Sie! Sie regieren.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Lernfähigkeit in der Politik lässt sich auch an der Geschichte der Volksinitiativen belegen. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Etwa 150 000 Unterschriften bei der Kita-Volksinitiative haben Sie lange ignoriert. Jetzt wollen wir uns Gott sei Dank gemeinsam für eine bessere Qualität und mehr Personal bewegen.

Uns war es wichtig, heute zu zeigen: Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger demokratisch engagieren, können sie Erfolg haben, weil: Regierende Politik muss dann reagieren. Ich bitte Sie, Herr Baaske: Solidarische Mehrheiten sollte man nicht nur auf den Lippen tragen. Kita, Kinderarmut, Mittagessen, Energiedebatte, Bildungspolitik - die Aufgaben liegen auf dem Tisch. Packen Sie sie an! Handeln Sie!

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und des Abgeordne- ten Schulze [SPD])

Meine Damen und Herren! Damit schließe ich den Tagesordnungspunkt 1.

Da wir heute einen etwas anderen Zeitablauf als gewohnt haben, frage ich einmal ins Plenum, was Sie von dem Vorschlag halten, die Mittagspause durchzumachen und trotzdem ausreichende Präsenz hier zu garantieren. Gibt es für diesen Vorschlag mehrheitliche Zustimmung oder mehrheitlich Bedenken dagegen?