Protokoll der Sitzung vom 19.11.2008

Dabei muss man jedoch Folgendes sagen: Es geht nicht um Opfer oder Schuld; denn diejenigen, die in Haft waren, sind dies nicht rechtswidrig, sondern zunächst aufgrund einer rechtmäßigen Handlung - sei es in Untersuchungshaft oder aufgrund eines Urteils, das sich möglicherweise erst nach Jahren aus objektiven Gründen als Fehlurteil herausstellt. In diesen Fällen ist derjenige, der in Haft war, zunächst zu Recht in Haft gewesen. Nachträglich stellt sich dann jedoch vielleicht heraus - das gehört zu einem Rechtsstaat -, dass es doch Unrecht war. Dann muss der Staat - so ist es auch in der Tat - alles tun, um diesem zu Unrecht Inhaftierten zu helfen. Dabei ist in der Tat kaum ein Betrag angemessen; denn derjenige, der über lange Jahre in Haft war, wird nie wieder das Leben führen können, das er vorher hatte - egal, wie viel Geld er dafür auch bekommt. Ich hoffe, dass sich in Deutschland alle, die dafür verantwortlich sind, dieser Problematik bewusst sind.

In Berlin gab es einen sehr offenkundigen dramatischen Fall, der für die Berliner Justizsenatorin Anlass dafür war, diese Forderung aufzustellen. Es bringt jetzt nichts, über konkrete Beträge zu sprechen. Ich denke, es ist ein Ansatz für eine Diskus

sion. Zudem glaube ich, dass auch unser Finanzminister - er ist jetzt nicht anwesend, aber er liest die Sitzungsprotokolle sicherlich sehr intensiv - weiß, dass das keine rein fiskalisch zu entscheidene Frage ist. Wir brauchen diesen Antrag heute wirklich nicht.

Ich weiß auch nicht, ob ein Sendschreiben, wie es von den Linken formuliert wurde, derzeit in Deutschland unbedingt hilfreich wäre.

(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [DIE LINKE])

Die Intention, die hinter Ihrem Antrag steckt, können wir jedoch uneingeschränkt unterstützen.

Herr Kollege Sarrach, ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute. Ich wünsche Ihnen auch, dass Sie niemals in eine Lage versetzt werden, möglicherweise an einem anderen Gericht ein Urteil zu fällen, das dann dazu führt, dass eine solche Entschädigung ausgesprochen werden muss.

Ich denke, dass wir gemeinsam - alle Justizpolitiker in Deutschland - dafür sorgen werden, dass es nicht dazu kommt, dass diejenigen, die zu Unrecht in Haft waren, sich an das Sozialgericht Frankfurt (Oder) wenden müssen, weil sie finanziell keine Alternative mehr haben. Diesbezüglich sind wir in Deutschland hoffentlich auf einem guten Weg. - Ich danke Ihnen persönlich, Herr Sarrach, und den Kollegen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Der Abgeordnete Schuldt spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linksfraktion ist genauso janusköpfig, wie es anscheinend einige der dunkelroten SED-Fortsetzer sind. Was will ich damit sagen? - Auf der einen Seite wird eine völlig legitime Forderung propagiert, der sich die DVU-Fraktion problemlos anschließen kann und der die DVU-Fraktion ihre Zustimmung erteilen wird: die Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht inhaftierte Menschen. Der derzeitige Tagessatz von 11 Euro ist derart lächerlich und absurd, dass man den hierfür Verantwortlichen beinahe wünschen möchte, persönlich zu erfahren, wie erniedrigend und entwürdigend ein solches Almosen ist.

Auf der anderen Seite sind es jedoch vor allem die geistigen Vorväter der Ultralinken, die für schlimmste Haftbedingungen zu DDR-Zeiten verantwortlich waren. Vor diesem Hintergrund brauche ich den Begriff des Wendehalses sicherlich nicht deutlicher zu definieren.

Es ist für die DVU-Fraktion eine Selbstverständlichkeit, sich für die Opfer von Unrecht und Justizirrtum starkzumachen egal, in welcher Zeit dies geschah. Wir werden daher dem vorliegenden Antrag zustimmen.

An die Adresse der SED-Fortsetzer darf ich jedoch die Frage stellen: Woher wollen Sie Ihre politische Glaubwürdigkeit be

ziehen, wenn Sie sich zu den Werten und Unwerten Ihrer geistigen Ahnen derart offenkundig in Widerspruch setzen? - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Der Abgeordnete Werner spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Sarrach, es bedarf Ihres Sendschreibens in der Tat nicht. Richtig ist - das haben alle Vorredner bereits festgestellt -, dass der Betrag der Haftentschädigung bei 11 Euro liegt. Richtig ist, dass an diesem Betrag seit 21 Jahren nichts verändert wurde. Richtig ist auch, dass dies ein lächerlicher Betrag ist; denn eine zu Unrecht erlittene Haft wiedergutzumachen kann man - wie die Kollegen bereits festgestellt haben - nicht an finanziellen Maßstäben festmachen.

Kollege Sarrach, gleichwohl befindet sich der Zug in voller Fahrt. Er wird möglicherweise - hoffentlich morgen - in den Zielbahnhof einfahren.

(Schulze [SPD]: Ein ICE kann es aber nicht sein; denn die sind bei der Überprüfung!)

- Ein IC reicht auch. Wir müssen nicht unbedingt 1. Klasse fahren, Kollege Schulze.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Zug morgen in den Zielbahnhof einfahren wird. Die Frage ist nur noch, auf welchem Gleis. Ob er nun auf dem Gleis mit 100 Euro einfährt oder ob es ein anderes Gleis mit einem hohen zweistelligen Betrag ist, will ich einmal dahingestellt sein lassen. Darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren, und diesbezüglich möchte ich mich auch nicht festlegen.

Richtig ist auch, dass wir dieses Thema am 11. September in der Rechtsausschusssitzung aufgerufen haben. Es war die Koalition, die es auf die Tagesordnung gesetzt hat. Die Kollegen aus der Koalition und die Justizministerin haben sich eindeutig dazu bekannt. Aufgrund dessen ist es schon etwas fragwürdig, Kollege Sarrach, wenn Sie einen Tag, bevor der Zug in den Bahnhof einfahren soll, kommen und das Signal noch einmal auf Rot stellen wollen, damit Sie auch noch bequem einsteigen können. Das bequeme Einsteigen hätten Sie schon eher haben können. Insofern denke und hoffe ich, dass es morgen zu einer vernünftigen Lösung kommen wird.

Inhaltlich, Kollege Sarrach, sind wir in diesem Punkt dicht bei Ihnen. Wir haben großes Vertrauen in unsere Justizministerin, dass sie sich diesbezüglich durchsetzen kann und auch wird.

Ich hoffe natürlich auch, dass die Finanzminister in dieser Hinsicht nicht kleinlich sind; denn es geht nicht um horrende Summen, die einen Landeshaushalt sprengen würden. Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, sprechen wir - bei 11 Euro Haftentschädigung pro Tag - derzeit von einer jährlichen Belastung in Höhe von etwa 40 000 Euro für das Land Brandenburg. Insofern sind das Summen, die überschaubar sind.

Eine abschließende persönliche Bemerkung: Kollege Sarrach, wir haben in diesem Landtag in der Sache sicherlich viel ge

stritten und waren nicht immer einer Meinung. Heute sind wir es in der Sache ausnahmsweise einmal. Auch ich darf Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg in der unabhängigen dritten Gewalt alles Gute und immer eine glückliche Hand bei Ihren Entscheidungen wünschen. Ich denke, dass wir uns wechselseitig in guter Erinnerung behalten werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Frau Ministerin Blechinger spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei so viel Einigkeit im Anliegen brauche ich Ihre Aufmerksamkeit nicht mehr über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich möchte nur noch darauf verweisen, dass die Justizministerkonferenz kein gesetzgebendes Organ ist. Sie kann maximal eine Willensbekundung ausdrücken. Es muss ein Bundesgesetz her. Insofern ist diese Situation sicherlich nicht mehr so vertretbar. Das heißt, es muss zu einer Änderung kommen. Darüber gab es auch Einigung im Rechtsausschuss. Es geht demnach nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Insofern hätte es des Antrags der Linken nicht bedurft. Man hat sich hier eines Themas angenommen, das bereits virulent war. Dies ist das Recht der Opposition.

Der Abgeordnete Sarrach hat sich mit einem im Vergleich zu Beiträgen aus früheren Zeiten sehr moderaten Beitrag vom Landtag und von mir verabschiedet. Auch das ist natürlich das Recht der Opposition, dass Herr Sarrach mir und anderen früher nichts geschenkt hat. Ich wünsche ihm natürlich trotzdem für die Zukunft alles Gute.

Ich möchte nur noch eine Bemerkung zu dem Redebeitrag machen, der ja sehr deutlich gemacht hat, was der Verlust von Freiheit für jemanden bedeutet. Ich hätte mir wirklich wenigstens einen Bruchteil der Sensibilität im Umgang mit der Freiheit eines Menschen in dem Staat, in dem ich über 40 Jahre leben musste, gewünscht. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 4/6906. Wer dem Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag wurde ohne Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 15 und rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Eine Erhöhung des Kindergeldes muss die materielle Lage aller Kinder verbessern - keine Anrechnung einer Erhöhung für Familien, die Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII beziehen

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 4/6901

Die Abgeordnete Wöllert eröffnet die Debatte für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe nach dem, was Frau Dr. Münch heute früh gesagt hatte, gedacht, ich würde jetzt hier mit unserem Antrag Wasser in den Brunnen tragen. Aber nach dem Verlauf der Debatte weiß ich, das wird nicht so sein. Deshalb möchte ich schon noch mal einiges in Erinnerung rufen.

Schlagzeile im „Stern“, 21. Oktober 2008:

„Deutschland verarmt - Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer: In Deutschland haben die Einkommensunterschiede stark zugenommen, berichtet die OECD in einer neuen Studie. Im Vergleich zu anderen Industrienationen hat sich die Lage hierzulande stark verschlechtert. Besonders betroffen: Alleinerziehende und Kinder.“

Vielleicht haben viele von Ihnen am 11. November die Sendung „Frontal 21“ gesehen: „Kein Herz für Arme“. Auch hier ging es darum, dass fast 2 Millionen Kinder nichts von der angekündigten Kindergelderhöhung ab 1. Januar haben werden.

Die Schlagzeilen sind skandalös bzw. zeigen skandalöse Zustände auf, oder man muss sagen, es ist eine skandalöse Politik der Großen Koalition, die einmal zur Kenntnis nimmt, dass in keinem anderen reichen Land die Armut von Kindern in den letzten Jahren so hoch gestiegen ist wie bei uns in Deutschland, und trotzdem sehenden Auges ein Gesetz auf den Weg bringt, nach dem die Armutsschere weiter auseinandergeht; konkret um 120 Euro oder ab dem vierten Kind um 192 Euro pro Monat. Daran ändert auch das Paket für Schulkinder nichts, das Sie den Kindern bis zur 10. Klasse mit auf den Weg geben. Ich möchte Sie bitten, nun nicht mehr von Ungerechtigkeit zu reden, sondern endlich zu handeln und Ungerechtigkeit zu beseitigen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Im November vorigen Jahres wurde hier darüber gesprochen, die Eckregelsätze auch für Kinder zu verändern. Das ist ein Jahr her. Im Mai beschäftigte sich der Bundesrat damit, brachte es auf den Weg und hofft jetzt, dass der Bundestag darüber diskutiert.

Ja, sagen Sie mal, wieso dauert es eigentlich so lange, bei armen Kindern etwas auf den Weg zu bringen, wohingegen es ganz schnell geht - es dauerte nicht mal eine Woche -, einen 500-Milliarden-Euro-Schirm für die Banken aufzuspannen? Das ist eine Politik, die einfach nicht mehr erträglich ist.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Wöllert?

Ja, bitte.

(Schulze [SPD]: Wenn wir das nicht gemacht hätten, hät- ten 80 Millionen nichts mehr! Aber das begreifen Sie of- fensichtlich nicht!)