Protokoll der Sitzung vom 02.07.2010

Ich bitte Sie um die Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Bernig. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion der CDU fort. Die Abgeordnete Schier erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rechtsgrundlage der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist Artikel 45 des Ver

trages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Freizügigkeit ist außerdem als Grundrecht in Artikel 15 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in der Tat ein viel diskutiertes Thema, mit dem aber auch immer wieder Ängste geschürt werden.

Natürlich muss in den grenznahen Regionen mit einem stärkeren Druck auf den regionalen Arbeitsmarkt durch Pendler aus den EU-Nachbarstaaten gerechnet werden. Diesen Druck muss man aber nicht fürchten. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit bietet in erster Linie Chancen. Die anderen EU-Länder gehen mit dem Thema weitaus entspannter um. Belgien, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg lassen beispielsweise eine Ausnahme für Mangelberufe zu. In den restlichen Mitgliedsstaaten der Union gelten keine Einschränkungen.

Ähnliche Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit wie bei uns gibt es nur in Österreich. Wir haben die Regelungen zur Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit maximal ausgeschöpft und uns darauf eingestellt.

Vor dem Hintergrund rückläufiger Bevölkerungszahlen und des bereits bestehenden Fachkräftemangels in einigen Branchen werden vielen Betrieben qualifizierte Zuwanderer willkommen sein. Wirtschaftswachstum und damit Wohlstand und soziale Sicherheit kann man eben nur garantieren, wenn es genügend erwerbstätige Menschen gibt. Wir sind doch heute schon froh über jeden Arzt, den wir aus Österreich nach dem Studium abwerben können, weil es uns nicht gelingt, aus eigener Kraft dem Ärztemangel in strukturschwachen Regionen entgegenzuwirken. Das gehört auch dazu.

Auch hinsichtlich der eigenen Arbeitslosenquote muss man die ausländischen Arbeitnehmer nicht fürchten, denn trotz einer Arbeitslosenquote von 11,8 % haben wir 13 453 gemeldete ungeförderte offene Stellen.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, man sollte den wachsenden Arbeitsmarkt in Polen nicht unterschätzen. Wer sagt uns denn, dass es nicht auch Wanderungsbewegungen von Deutschland nach Polen gibt?

Dass die Landesregierung noch im I. Quartal 2011 einen entsprechenden Bericht vorlegen soll, ändert nichts an der Situation. Aber wenn Sie Ihre eigene Verwaltung gern mit Berichterstattungen beschäftigen, haben wir nichts dagegen. Ich bin gespannt auf die seherischen Fähigkeiten. In Ihrem Antrag steht zum Beispiel, dass die Landesregierung darüber Auskunft geben soll, wie sich der Arbeitsmarkt nach dem 1. Mai 2011 entwickeln soll. Auf die Aussagen dazu bin ich gespannt.

Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist gut gemeint; wir halten ihn aber für etwas überzogen. Das Miteinander der Menschen an der deutsch-polnischen Grenze ist schon weiter gediehen, als Ihr Antrag vermuten lässt. Derjenige, der im jeweils anderen Land arbeiten möchte, erlernt auch die Sprache des Nachbarn, und gemeinsame kulturelle Veranstaltungen und freundschaftliche Kontakte gibt es schon lange. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Die Menschen jenseits und diesseits der Grenze werden ihn vernünftiger gestalten, als viele von uns annehmen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer.

(Beifall CDU und vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Der Abgeordnete Baer hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorbereitet sein ist in vielen Situationen des Lebens wichtig. Vorbereitet sein bedeutet: Man hat sich mit den konkreten Veränderungen auseinandergesetzt. Man kennt das Für und Wider und hat auf Fragen bereits Anworten.

Ab dem 1. Mai 2011 gilt auch in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie gehört zu den Grundfreiheiten der Europäischen Union. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den 2004 beigetretenen Mitgliedsstaaten galt in Deutschland, wie wir wissen, in allen Branchen eine Einschränkung für sieben Jahre. Diese Frist ist im nächsten Jahr abgelaufen. Wir sollten in Brandenburg darauf vorbereitet sein; daher der gemeinsame Antrag der SPD und der Linken. Es ist an uns, die Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die Festlegung sozialer Mindeststandards zu gestalten. Dazu zählen übrigens auch ein gesetzlicher Mindestlohn und die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Vorbereitet sein bedeutet auch, die jetzige Situation auf dem Arbeitsmarkt genau zu kennen und sie zu analysieren: Was wurde bereits getan? Welche Rahmenbedingungen wurden bereits geschaffen? Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, dem Landtag einen entsprechenden Bericht vorzulegen und die daraus abgeleiteten Handlungsoptionen vorzustellen. Wir müssen informieren und aufklären und in der Bevölkerung möglichen Ängsten - mein Kollege Bernig hat darauf Bezug genommen - im Zusammenhang mit der kommende Arbeitnehmerfreizügigkeit begegnen.

Wir brauchen in Brandenburg Kontrollen gegen Schwarzarbeit und Lohndumping, und wir sollten die Brandenburger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch entsprechende Qualifizierung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorbereiten. Vorbereitung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bedeutet auch, in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Kammern, zuständigen Behörden und Institutionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch und gerade aus dem Ausland über ihre Schutz- und Arbeitsrechte zu informieren und zu beraten.

Die Zukunft liegt in der gemeinsamen Wirtschafts- und Arbeitsmarktregion Berlin-Brandenburg-Westpolen. Daher sollten wir im Land Brandenburg eng mit den Nachbarwoiwodschaften zusammenarbeiten. Genau das streben wir mit unserem Antrag an; dies sagt er aus. Wir stellen dabei eben nicht auf den einseitigen Aspekt der Fachkräftegewinnung ab, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von FDP und GRÜNE/B90; Ihr Antrag greift da leider etwas zu kurz. Uns geht es eben nicht nur darum, polnische Arbeitnehmer abzuwerben; Polen hat selbst ein Fachkräfteproblem. Vielmehr geht es um ein faires Miteinander, um ein gemeinsames Gestalten, und wir sehen gute Chancen beiderseits der Grenze im Schulterschluss mit der polnischen Seite.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit kommt. Wir sollten bestens auf sie vorbereitet sein. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Baer. - Für die FDP-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Büttner zu uns.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am siebenten Jahrestag des Beitritts Polens zur Europäischen Union wird endlich, muss man sagen - die letzte große Hürde in der Kooperation mit unserem östlichen Nachbarn fallen. Sieben Jahre hat sich Deutschland gegen die Öffnung seines Arbeitsmarktes für Beschäftigte aus osteuropäischen Staaten gewehrt. Deutschland hält als eines der letzten Länder der Europäischen Union seinen Binnenmarkt für Arbeitskräfte aus Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern geschlossen. Sowohl die rot-grüne als auch die schwarz-rote Bundesregierung haben sich entschieden, die vollen sieben Jahre bis zum Eintritt der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu nutzen.

Damals - zum Zeitpunkt der Entscheidung - gab es etwa 5 Millionen Arbeitslose. Da mag es legitim erscheinen, den Arbeitsmarkt abzuschotten. Die damalige Entscheidung war dennoch falsch, weil sie am Kernproblem des deutschen Arbeitsmarktes vorbeiging.

Wir in Brandenburg haben nach wie vor ein Qualifizierungsproblem. Herr Minister Baaske, bevor Sie nachher sagen, dass Sie erhebliche Mittel für die Qualifizierung aufwenden, sage ich Ihnen: Da mögen Sie Recht haben. Dennoch wird es mit dem Förderprogramm der LASA allein nicht gelingen, das Fachkräfteproblem in Brandenburg zu beheben.

Lassen Sie mich kurz die gegenwärtige Situation skizzieren. Die Zahl der Arbeitslosen ist mittlerweile deutlich gesunken, liegt jedoch weiterhin auf hohem Niveau. Zugleich leidet unser Land an einem zunehmenden Mangel an Fachkräften. Weniger als ein Drittel der Menschen in Brandenburg gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Schon heute klagen viele Unternehmen über Nachwuchsmangel. Gleichzeitig finden aber viele Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz. Die Löhne sind in den vergangenen Jahren nur marginal gestiegen.

Lieber Herr Kollege Baer, Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt, sich vorzubereiten, und nun wollen Sie mit Ihrem Antrag der Landesregierung allen Ernstes noch einmal zehn Monate einräumen unmittelbar vor Einsetzen dieser Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Herr Dr. Bernig, in Vorbereitung meiner Rede zu diesem Antrag habe ich mir eingehend angeschaut, was Sie als Fraktion dazu gesagt haben. Ich kann Ihnen mitteilen: Ich sehe durchaus Übereinstimmung. Jedoch habe ich bei Ihrem Redebeitrag hinsichtlich der Möglichkeiten der Ministerien während der Sommerpause etwas nicht verstanden. Es werden doch wohl nicht alle Ministerien gleichzeitig im Urlaub sein und erst nach der Sommerpause wieder arbeiten können. Meines Erachtens sind

die von uns eingeplanten fünf Monate zeitlich eine durchaus realistische Perspektive.

Warum der Mindestlohn nicht in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP erscheint, ist Ihnen sicherlich ergründlich. Dennoch herrscht eine grundsätzliche Übereinstimmung. Ich möchte Ihnen folgendes Zitat vorlesen:

„Die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Rahmen der Freizügigkeit von Personen ist neben der Freiheit des Warenverkehrs, des Kapital- und Zahlungsverkehrs sowie der Dienstleistung eine der vier Grundfreiheiten, die der Zusammenarbeit in der Europäischen Union zugrunde liegen.“

Ich glaube, das ist genau der Punkt, in dem wir mit Ihnen übereinstimmen. Es handelt sich dabei nämlich um ein Zitat aus dem Jahre 2008 Ihres Kollegen Görke.

Meine Damen und Herren, wir Liberale haben den Anspruch, die sich aus der Öffnung der Arbeitsmärkte ergebenden Chancen zu nutzen, um das Fachkräfteproblem in unserem Land in den Griff zu bekommen und um gleichzeitig ein deutliches Zeichen für das Zusammenwachsen zweier befreundeter europäischer Staaten zu setzen.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Die Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist dabei natürlich nur ein Teilaspekt zur Fachkräftesicherung. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir zur Abfederung des Fachkräftemangels in Brandenburg - in höherem Maße als von vielen angenommen - auf gut ausgebildete polnische Arbeitnehmer zurückgreifen müssen. Die Anrechenbarkeit ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse muss dringend verbessert werden. Die Bundesregierung hat dazu im Dezember 2009 Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir möchten ein transparentes, unbürokratisches und faires System der Anrechnung von im Ausland erbrachten Leistungen. Wir können nicht länger akzeptieren, dass im Ausland gut ausgebildete Menschen in Deutschland keinen oder lediglich einen Job finden, der nicht ihren Qualifikationen entspricht.

(Beifall GRÜNE/B90 und des Abgeordneten Dr. Bernig [DIE LINKE])

Diese Praxis ist demütigend und nimmt den Menschen die Motivation, ihr Wissen und ihre Erfahrung für dieses, für unser Land einzusetzen. Ich bin überzeugt, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf schon bald in die parlamentarischen Beratungen einbringen wird. Sie, verehrte Ministerinnen und Minister, stehen in der Pflicht, den Gesetzgebungsprozess im Bundesrat konstruktiv zu begleiten oder eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen.

Als Fraktion haben wir uns die aktuellen polnischen Arbeitsmarkt- und Einkommensdaten angeschaut. Seit dem EU-Beitritt Polens sind die Löhne der Beschäftigten pro Jahr im Durchschnitt stärker gestiegen als in Deutschland. Polnische Arbeitnehmer verdienen mittlerweile zwischen 800 und 1 100 Euro monatlich. Dies mag aus unserer Sicht noch immer weniger sein als hierzulande, bei weiterhin steigenden Löhnen wird sich jedoch die Einkommensschere zwischen Ostdeutschland und Polen weiter schließen. Von sogenannten Billigarbeitern, die zum Lohndumping beitragen, kann also keine Rede sein.

Setzen Sie sich - wie wir - für nachhaltige Strukturreformen ein: den Blick immer auf die Vorteile gerichtet, die ein gemeinsamer Arbeitsmarkt Brandenburg-Westpolen mit sich bringt, eine Vielzahl hervorragend ausgebildeter Arbeitskräfte für den Brandenburger Arbeitsmarkt, gute Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung, Toleranz und Offenheit gegenüber der anderen Kultur und nicht zuletzt eine Steigerung der Lebensqualität auf beiden Seiten der Oder. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Der Abgeordnete Vogel erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Kleinmut - dein Name ist SPD“,

(Beifall CDU und FDP)

- so lautete der Zwischenruf meiner Kollegin Ursula Nonnemacher in der heutigen Debatte zur Länderfusion von Berlin und Brandenburg.

Kleinmut und Verzagtheit sprechen auch aus diesem Antrag. Aber es ist noch viel schlimmer: Eigentlich müssten die Abgeordneten von SPD und Linken während der Beratung dieses Antrags die Sitzplätze rechts außen im Plenarsaal einnehmen, denn es ist schlimm, wie SPD und die Linke in Ihrem Antrag versuchen, die zu Beginn des Jahrzehnts auch auf Brandenburger Initiative eingeführte Beschränkung der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland nachträglich zu rechtfertigen. Wenn die SPD die bisherige Sperrung des Arbeitsmarktes für polnische Arbeitskräfte in diesem Antrag für unumgänglich erklärt, weil die Bundesrepublik bislang versäumt hat, „hinreichend nationale Regelungen gegen Lohn-Dumping und ruinösen Lohnwettbewerb einzuführen“, dann frage ich mich, wer in den letzten elf Jahren in der Bundesregierung, erst unter Rot-Grün und dann unter Schwarz-Rot, das Arbeitsministerium geleitet hat.

(Frau Hackenschmidt [SPD]: Richtig, Rot-Grün!)

Sie blenden aus, dass Sie in diesen elf Jahren auch an der Erarbeitung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beteiligt waren, deren wesentlicher Bestandteil die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist. Inzwischen sollte es doch für jeden offenkundig sein: Die Beschränkung der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit ist kein Schutz-, sondern ein Ausgrenzungsinstrument.

(Beifall GRÜNE/B90)

Es ist nicht nur ein Instrument zur Ausgrenzung der Bürgerinnen und Bürger unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarländer, sondern auch eines, das dafür sorgt, dass Deutschland sich selbst aus dem Rennen um die besten Köpfe und Hände wirft bzw. schon geworfen hat. Freizügigkeit der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union gehört zu den wichtigsten Elementen der europäischen Integration. Statt sich im Interesse

unseres Bundeslandes zu glühenden Befürwortern offener Grenzen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aufzuschwingen, berufen Sie sich, meine Damen und Herren von SPD und Linke, auf unbestritten vorhandene Ängste vieler Menschen in unserem Land vor unserem Nachbarland Polen und machen diese zum Ausgangspunkt Ihres Antrags.