Protokoll der Sitzung vom 24.03.2011

Minister Vogelsänger antwortet.

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Jungclaus! Erst einmal einen schön Gruß an Herrn

Europaabgeordneten Cramer, der sich ja sehr für dieses Projekt einsetzt. Ich finde es gut, wenn sich Abgeordnete für Projekte einsetzen; das ist immer etwas Positives.

Ich will die Euphorie etwas dämpfen. Die Senatsverwaltung von Berlin hat Ende Dezember 2010 einen Finanzbeitrag in Höhe von 1 Million Euro für die - offizieller Arbeitstitel der DB AG - „Herstellung einer Unterquerung der S-Bahn Lichtenrade, Blankenfelde-Mahlow zum Zwecke des Lückenschlusses des Postenweges der ehemaligen DDR-Grenztruppen im Gemeindegebiet von Blankenfelde-Mahlow“ in Aussicht gestellt. Ich bin immer etwas vorsichtig; das muss ja auch entsprechend untersetzt werden.

Daraufhin ist eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Senatsverwaltung von Berlin, der Regierung des Landes Brandenburg, der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, der Deutschen Bahn AG und des Landkreises Teltow-Fläming gebildet worden. Im Ergebnis wurde deutlich, dass das Land Brandenburg die Baulast des Mauerradweges nicht übernehmen wird. Insofern wird das Land Brandenburg - es ist nicht berechtigt dazu - auch nicht die Aufnahme in das laufende Planfeststellungsverfahren beim Eisenbahn-Bundesamt beantragen. Wer das dann macht, muss in der Arbeitsgruppe geklärt werden.

Herr Jungclaus hat Nachfragen.

Nachdem bisher für die Landesregierung immer die Finanzierung der Hauptgrund für ihre Argumentation war, dass das nicht ihre Baustelle sei, möchte ich gern an Ihre letzte Aussage anknüpfen, Herr Minister, und Sie fragen: Was ist aus Ihrer Sicht noch notwendig, um dieses Projekt fortzuschreiben?

Herr Abgeordneter Jungclaus, es gibt ein Protokoll von dieser Unterredung. Ich schlage vor, dass wir uns am Rande einer Ausschusssitzung über den weiteren Fortgang unterhalten. Das halte ich für zielführender. - Danke.

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Wir haben eine Situation, die in diesem Landtag außerordentlich selten ist: Die Fragen sind alle.

Ich schließe deshalb Tagesordnungspunkt 2 und entlasse Sie bis 12.30 Uhr - statt, wie geplant, bis 13.00 Uhr - in die Mittagspause. Ich bitte darum, die angesetzten Ausschusssitzungen entsprechend vorzuziehen, damit alle Abgeordneten nach der Pause wieder pünktlich im Plenarsaal sind.

(Unterbrechung der Sitzung: 11.42 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 12.32 Uhr)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir kommen zum zweiten Teil der heutigen Sitzung.

Ich eröffne Tagesordnungspunkt 3:

Vorbereitung auf die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai 2011 - wirksame Schritte hin zu einem gemeinsamen deutsch-polnischen Arbeitsmarkt an Oder und Neiße (gemäß Beschluss des Landtages vom 02.07.2010 - Drs. 5/1481-B)

Bericht der Landesregierung

Drucksache 5/2911

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung. Herr Minister Baaske, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten Tag! Ich werde versuchen, gegen das Suppenkoma anzukämpfen und Sie wenigstens ein bisschen wach zu halten, wenngleich das Thema nicht mehr so spannend ist; in den vergangenen Tagen wurde schon viel darüber geschrieben und gemutmaßt.

Schon als der Landtag beschlossen hat, dass wir, die Landesregierung, einen Bericht vorlegen sollen, habe ich gesagt: Wir werden uns bei den Zahlen nicht festlegen, weil das alles noch im sehr vagen Bereich ist.

Aber wir haben es uns nicht leicht gemacht. Wir sind aus Brandenburg nach Polen gefahren - drei Tage waren wir unterwegs und haben dort mit Gewerkschaftern, Arbeitgebern und Verbandsvertretern, insbesondere auch mit deutschen Unternehmerinnen und Unternehmern gesprochen, um mit ihnen zu erörtern, wie aus der polnischen bzw. aus der polnisch-deutschen Sicht der 1. Mai 2011 gesehen wird. Die Gespräche haben eine Reihe von Erkenntnissen gebracht, die auch in den Bericht eingeflossen sind.

Ich denke, wenn sich 75 % der Deutschen Sorgen über die am 1. Mai 2011 eintretende Arbeitnehmerfreizügigkeit machen - so habe ich es in einigen Umfragen gelesen -, dann spricht das durchaus Bände. Viele verkennen, dass es lediglich darum geht, dass es in Europa - und damit auch nach Deutschland - schon heute ganz viel Freizügigkeit gibt; es kommen lediglich acht neue Staaten hinzu.

Wir werden einfach abwarten und sehen müssen, was in fünf Wochen passiert. Wenn tatsächlich die Befürchtungen wahr werden, dass wir hier von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überspült werden und dass Leuten hier gekündigt wird, müssten wir noch einmal extra reagieren.

Als Polen in die EU aufgenommen wurde, war Deutschland eines der Länder, die auf der Sieben-Jahres-Frist beharrt haben. Es gab aber auch Länder, die von vornherein gesagt haben: Wir richten die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein. England und Irland waren solche Länder. Damals sind fast zwei Millionen Polen nach England und Irland gegangen. Das ist eine Zahl, die einem schon ein bisschen Angst einjagen kann. Da muss man sich schon Sorgen darüber machen, was hier passieren könnte. Aber nach all dem, was die neuesten Studien hergeben und was

auch unsere Gespräche in Polen gezeigt haben, sind diese Ängste zunächst unbegründet. Die BA rechnet mit einigen Tausend Arbeitnehmern - 4 000 bis 5 000 -, die hierherkommen. Das ist keine Dimension, angesichts derer man Angst haben müsste, dass wir hier überrannt werden.

Eine wichtige Vokabel in Bezug auf diesen Bereich ist der Mindestlohn. Ich glaube, dass man am ehesten durch Mindestlöhne den deutschen Arbeitsmarkt sichern kann. In den letzten Monaten habe ich von einigen Verleihern erfahren, dass große Verleihunternehmer in Polen schon Zweigstellen und Assekuranzen aufgemacht haben, um dort polnische Leiharbeitnehmer einzustellen, mit denen sie dann, wenn hier kein Mindestlohn existieren würde, auf den deutschen Markt kämen. So, wie mir berichtet wurde, hat die Vereinbarung, die wir im Zuge der HartzIV-Gesetzgebung getroffen haben, dazu geführt, dass diese Unternehmen von ihrem Vorhaben Abstand genommen haben. Denn es ist damit zu rechnen, dass wir in der Verleihbranche einen Mindestlohn bekommen, der deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechend schützt.

Herr Minister, lassen Sie eine Frage der Abgeordneten Blechinger zu?

Aber sicher doch.

Bitte, Frau Blechinger.

Herr Minister, in Ihrem Bericht steht auf Seite 11:

„Durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn könnten der deutsche Arbeitsmarkt ebenso wie entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirkungsvoll und zuverlässig vor ,Lohndumping und Billigkonkurrenz‘ geschützt werden.“

Sie wissen, dass ein Lohn unterhalb des Mindestlohnes immer das Einverständnis beider Seiten voraussetzt. Wie wollen Sie verhindern, dass Arbeitsverträge über 30 Stunden abgeschlossen werden, während der Arbeitnehmer in Wirklichkeit 40 Stunden arbeitet, wie es teilweise schon gängige Praxis ist?

Herr Minister!

Sehen Sie, Frau Kollegin Blechinger, das ist so das Problem mit den Zwischenfragen: Dazu wäre ich noch gekommen. - Sie meinen die sogenannten Alibiverträge, die man abschließen kann. Die haben wir schon vor zehn Jahren hier auf den Baustellen bei portugiesischen und spanischen Arbeitnehmern gehabt. Da haben wir schon seit zehn Jahren einen Baumindestlohn. Das gab es aber. Da wurde hineingeschrieben: 8,50 Euro werden gezahlt. - Tatsächlich wurden 5 Euro ausgezahlt. 3,50 Euro sollten bei der Heimkehr in Portugal nachgezahlt werden.

Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass es das weiterhin geben wird. Immerhin gibt es aber in Polen, Tschechien, Spanien und Portugal auch einen Gesetzgebungsprozess, der das verhindern kann. In der Tat gab es in Portugal einige Arbeitnehmer, die mit Unterstützung der Gewerkschaften zum Gericht gegangen sind und gesagt haben: „Hier ist der Vertrag. Da steht ,8,50 Euro’ drin. Jetzt wollen wir die 3,50 Euro nachgezahlt haben.“ Das hat dazu geführt, dass die Arbeitgeber, die das damals in Berlin auf Baustellen gemacht haben, das dann nicht mehr getan haben. Vielfach hat es sogar dazu geführt, dass sie ihre Existenz aufgeben mussten, weil sie sich erheblich überhoben hatten und Nachzahlungen im Bereich von vielen Hunderttausend Euro anstanden.

Ich setze da auf den Rechtsstaat, der sicherstellt, dass so etwas nicht passiert. Ähnliches haben wir auch beim Mindestlohn in der Reinigungsbranche. Wenn da 6,70 Euro die Stunde gezahlt werden, wenn Räume zu reinigen sind, ist das eine Sache. In der Regel heißt aber zum Beispiel der Auftrag an den Arbeitnehmer: „Reinige mal die Schule, dafür stehen dir zehn Stunden zur Verfügung.“ Am Ende wird es in zehn Stunden nicht zu machen sein, sondern es werden 13 oder 15 Stunden gebraucht. So wird auch in dieser Branche der Mindestlohn unterlaufen. Das sind aber Erscheinungen, denen man begegnen kann, indem man das in Tarifverträgen über Flächen und nicht nur über Stundensätze regelt. Ich denke, gegen so etwas kann man schon ankämpfen.

Ähnliches gilt auch für die Schwarzarbeit, die hier immer erwähnt wurde. Ich will dazu ganz deutlich sagen: Es sind nicht unbedingt nur polnische bzw. ausländische Arbeitnehmer, die hier schwarz arbeiten. Das gilt sehr wohl auch für die Deutschen. Ich höre immer wieder, dass, wenn am Wochenende oder abends schwarz gearbeitet wird, der Firmenwagen vor der Tür steht. Auf dem steht: Handwerksmeister soundso. Die Kollegen arbeiten dann womöglich mit Kenntnis des Handwerksmeisters schwarz. Wie das untereinander verrechnet wird, sei dahingestellt.

All das sind Dinge, die man natürlich angehen muss. Trotzdem kann man auch viel dagegen tun, indem man zum Beispiel einen gesetzlichen Mindestlohn vereinbart. Das wissen Sie auch. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass das, was womöglich im Mai auf uns zukommen wird, noch mal den Druck vonseiten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf CDU und FDP erhöhen wird.

Wir haben mit vielen Bereichen in Polen eine gute Zusammenarbeit. Auch das muss man noch einmal deutlich sagen. Es ist auch wichtig, dass es über den Mai hinaus trägt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände miteinander reden. Aber auch Politiker sollten miteinander reden.

Wir haben im vergangenen Jahr eine Vereinbarung mit dem Marschall von Lubuskie geschlossen. Danach haben wir eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich sehr intensiv um die Angelegenheit kümmert. Es gab schon die ersten Meetings. Es wird weitere Meetings geben. Dabei wollen wir ganz konkret nachvollziehen, was im Mai passiert. Dann werden wir sehen, wie und ob man reagieren muss.

Ich glaube, die Zukunft wird darin bestehen, dass wir - ähnlich ist es ja inzwischen schon in Bezug auf das Saarland und Frankreich - in der Region einen gemeinsamen Arbeitsmarkt bekom

men. Europa wird weiter zusammenwachsen. Es wird zuerst an den Grenzen zusammenwachsen. Dabei ist natürlich wichtig, dass wir soziale Standards vereinbaren, die es eben nicht ermöglichen, dass man dorthin fährt, um für Dumpinglöhne zu arbeiten, von denen man nicht leben kann. Das können wir so nicht zulassen. Da haben wir in Europa gemeinsam noch einiges zu tun.

Was die Fachkräfteproblematik angeht, so glaube ich nicht, dass wir diese Problematik ab Mai als erledigt betrachten können. Mit einer großen Zuwanderung im Bereich von Ingenieuren und Angehörigen anderer Berufe ist nicht zu rechnen. Wir waren in Breslau und haben dort mit einigen Firmenchefs gesprochen. Auch die suchen händeringend Ingenieure. Im Übrigen zahlen die den gesuchten Ingenieuren inzwischen fast die gleichen Löhne, wie sie hier in Deutschland gezahlt werden müssten. Auch darauf sollten wir nicht in erster Linie setzen. Wenn es auf dem Arbeitsmarkt Verdrängung gibt, dann zuerst im Niedriglohnbereich. Das wird viel weniger in dem Bereich geschehen, wo tatsächlich Fachkräfte benötigt werden.

Das bedeutet als Resümee: Wir müssen die Sorgen und Ängste ernst nehmen, aber auch die Chancen nutzen. Es liegt an uns, das Beste daraus zu machen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Minister Baaske. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Schier hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zeitplan hat uns ein wenig durcheinandergewirbelt. Wir hatten um 12.15 Uhr eine Ausstellungseröffnung. Die Ausstellung - jetzt kommt ein kleiner Werbeblock - heißt: „Ab auf die Insel“. Oben in der Fraktion sind Bilder von Fuerteventura zu sehen. Deswegen sind wir so zart besaitet. Ich spreche aber die Einladung aus, vielleicht einmal zu uns zu kommen und sich die Bilder anzugucken.

Zurück zum Thema: Seit 2003 wissen wir, dass der 1. Mai 2011 mit der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit kommen wird. Dass wir eine andere Sichtweise auf den Bericht haben, Herr Minister, werden Sie sicher verstehen. In der Sozialausschusssitzung - Sie haben das gerade angerissen - am 12. Januar 2011 wurde uns berichtet, dass eine Arbeitsgruppe gebildet wurde. Diese hat erstmalig im Dezember 2010 getagt. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, eine Analyse zur Entwicklung der Bevölkerung, des Arbeitsmarktes und der Beschäftigung zu erstellen. Es soll eine Bestandsaufnahme existierender grenzüberschreitender Projekte vorgenommen werden. Und so weiter, und so weiter.

Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen! Wenn wir, wie angekündigt, diesen Bericht am Jahresende 2011 bekommen, sind wahrscheinlich alle Messen gesungen. Wir wissen, dass wir einen Fachkräftemangel haben und dass ausländische - in diesem Fall polnische - Fachkräfte eine Bereicherung darstellen. Die Vorteile der Arbeitnehmerfreizügigkeit können sich erst mit der Entwicklung grenzüberschreitender regionaler Arbeitsmärk

te voll entfalten. Die Akteure vor Ort sind schon viel weiter. Gerade im Grenzgebiet arbeiten polnische Firmen in Deutschland genauso selbstverständlich wie deutsche Firmen in Polen.

In dem vorliegenden Bericht vermisse ich Vorschläge, wie den Vorbehalten und Sorgen unserer Bürger entgegengewirkt werden kann. Grundsätzlich gilt doch, dass die Brandenburger umfassend und rechtzeitig über die sich daraus ergebenden Veränderungen und Chancen informiert werden müssen.