Dem Antrag auf Gründung einer Task-Force werden wir zustimmen. Eine Überprüfung sämtlicher Sanktionsmöglichkeiten ist längst überfällig. Dass diese als gemeinsames Gremium von Berlin und Brandenburg angelegt sein soll, ist richtig. Berlin und Brandenburg müssen ihre Interessen gemeinsam gegenüber der Bahn vertreten. Auch die Bundesregierung muss als Eigentümerin der Bahn stärker in die Pflicht genommen werden. Deshalb muss es ein Gespräch auf höchster Ebene, also zwischen dem Ministerpräsidenten, Herrn Wowereit und Herrn Ramsauer geben. Ziel eines solchen Treffens muss es sein, dass der Bund im Sinne des Allgemeinwohls ein hartes Kontrollmanagement gegenüber der Bahn beschließt. Es ist nicht ausreichend, den Bund zwar in der Pflicht zu sehen, aber keinen Druck auszuüben, dass dieser im Sinne Brandenburgs aktiv wird.
Auch eine Task-Force für die Erarbeitung kurzfristiger Lösungen ist unserer Ansicht nach nicht genug. Wir müssen langfristiger denken. Berlin und Brandenburg müssen gemeinsam ein nachhaltiges Mobilitätskonzept für die gesamte Hauptstadtregion erarbeiten. Ein solches Konzept ist als Grundlage für die S-Bahn-Ausschreibung im Jahr 2017 unabdingbar und muss deshalb so schnell wie möglich in Angriff genommen werden. Allein Bund, Landesregierung und Bahn zu kritisieren wird der Situation nicht gerecht. Die aktuelle S-Bahn-Katastrophe kommt nicht von ungefähr. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass das Thema ÖPNV bisher von fast allen Parteien sträflich vernachlässigt wurde. Inzwischen ist aber hoffentlich jedem klar geworden, dass im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr eine höhere Priorität als bisher eingeräumt werden muss. Jahrzehntelang hat die Politik zwar ohne mit der Wimper zu zucken Milliarden in den Straßenbau investiert, den Schienenverkehr aber vor die Hunde gehen lassen.
Die Früchte dieser Politik dürfen wir jetzt ernten. Nun mutieren selbst CDU und FDP, die die Bündnisgrünen immer für ihren Einsatz für eine nachhaltige Verkehrspolitik belächelt haben, zu Bahnfahrerparteien. Das freut uns natürlich. Wir gründen darauf unsere Hoffnung, dass sich in Zukunft grundsätzlich etwas an der Verkehrspolitik ändert. Wir brauchen eine politische Priorität für den Schienenverkehr. Das ist nicht nur eine umweltpolitische Notwendigkeit, sondern auch eine gesellschaftspolitische. Mobilität ist ein Kernelement unserer Gesellschaft und Verkehr immer auch eine Frage gesellschaftlicher Teilhabe, besonders in einem Flächenland wie Brandenburg. Daher wiederhole ich meinen Appell an den Herrn Ministerpräsidenten, das S-Bahn-Chaos endlich zur Chefsache zu erklären. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jungclaus. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Die Abgeordnete Wehlan hat das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! DIE LINKE hat gestern schon das über ein Jahr andauernde S-Bahn-Chaos im Rahmen einer Mündlichen Anfrage thematisiert. Heute haben wir hier zwei Anträge von der CDU und der FDP zur Debatte vorliegen. Das ist wieder ein guter Grund, sich über diese Themen noch einmal im Landtag zu verständigen und den aktuellen Stand der Dinge von der Landesregierung zu erfahren.
Der etwas holprig anmutende Prozess der Antragserarbeitung bei der FDP mit einem 1. und einem 2. Neudruck lässt erkennen, dass das Thema nicht ganz so einfach anzupacken ist. Auch die CDU bemühte in ihrem Antrag den Begriff TaskForce, laut Wikipedia eine ursprünglich militärische Bezeichnung für einen temporären Zusammenschluss von verschiedenen Einheiten. Ob uns etwas Militanz beim Thema S-BahnBetrieb wirklich hilft, wage ich zu bezweifeln. Ich hoffe aber doch, dass die für eine Task-Force in der Regel angenommene Größenordnung, Bataillons- bzw. Brigadestärke, auf die von Ihnen gewollten temporären Zusammenschlüsse keine Anwendung findet. Vielleicht war es aber auch nur die Suche nach einem Begriff, der schon in der Wortwahl die schnelle Lösung des Problems vermitteln sollte. Nun gut. Beim Begriff Arbeitskreis, da haben Sie sicher Recht, wäre uns allen auch gleich der richtige Spruch eingefallen: „Wenn ich nicht mehr weiter weiß...“
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will es nicht verniedlichen, sondern möchte damit sagen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, egal ob diese Truppe nun Task-Force heißt oder ob sich die Verhandlungspartner in einer Arbeitsgruppe zusammenfinden oder am runden Tisch. Was aber gar nicht geht, ist - wie in Ihren Anträgen geschehen -, dass der wohl wichtigste Verhandlungspartner, der Eigentümer, völlig ausgeblendet wird. Die Deutsche Bahn AG und damit auch die Berliner SBahn sind öffentliche Unternehmen. Der Eigentümer ist der Bund. Warum also keine Aufforderung an Herrn Ramsauer, diesem Treiben endlich Einhalt zu gebieten?
Wo bleibt Ihre Kritik daran, dass der Bund es zuließ, dass sich dieses öffentliche Unternehmen privatrechtlich so organisierte, dass alles nur noch den Kapital- und Renditeinteressen untergeordnet wird und eben nicht dem öffentlichen Auftrag der Daseinsvorsorge? Was das heißt, beschreiben Sie ja in Ihrem Antrag, nur der Adressat fehlt: unzureichende Informationspolitik; technische Mängel, weil auf Verschleiß gefahren wurde; viel zu wenige Werkstattkapazitäten; drastische Ausdünnung des Wagenangebots mit der Folge, dass Fahrtakte auf Haupt- und Nebenstrecken dramatisch eingeschränkt wurden; Gesundheitsgefährdungen der Fahrgäste wurden dabei wissentlich in Kauf genommen; Entschädigungen der Fahrkarten-Abonnenten erfolgten nur halbherzig. Lassen Sie mich hinzufügen: Am Beginn stand ein verantwortungsloser Personalabbau.
Als späte Einsicht konnten wir in den letzten Tagen nur ein kleinlautes und klägliches, aber längst überfälliges Eingeständnis der Deutschen Bahn hören, dass es Managementfehler gegeben habe. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der S-Bahn wissen längst um diese groben Fehler, wie auch vorgestern Abend in „frontal 21“ berichtet wurde. Ihnen gilt unser Respekt, denn sie hatten und haben auszubaden, was an Unternehmensfehlleistungen zu diesen chaotischen Verhältnissen führte, und sie mussten mit dem mehr als berechtigten Unmut der Fahrgäste umgehen, dessen Ursache sie nicht einmal zu verantworten haben.
Die weitreichenden Entscheidungen, Herr Beyer, wurden Anfang der Neunziger Jahre getroffen, als es um die Bahnreform ging und wo das große Heil zukünftiger Entwicklung im Schienenverkehr in der Privatisierung der Deutschen Bahn AG gesehen wurde. Da haben Sie von CDU und FDP noch Beifall geklatscht. Heute wollen Sie davon nichts mehr wissen und kratzen mit ihrer Zustandsanalyse an der Oberfläche. Mit den Folgen der Entscheidungen von damals müssen wir aber heute umgehen. Hier kann nur die Schlussfolgerung gelten: öffentliches Interesse muss vor Privatinteresse gehen. Darauf müssen jetzt die kommenden langfristigen strategischen Maßnahmen ausgerichtet werden, und dazu gehört für DIE LINKE auch das Thema: Kommunalisierung des Berliner S-Bahn-Betriebes.
Ich unterstütze den von Ihnen, Herr Jungclaus, geforderten langfristigen strategischen Ansatz. Leider kann ich diesen aber nicht in den vorliegenden Anträgen erkennen. Natürlich haben die Länder Berlin und Brandenburg auch ihre Verantwortung wahrzunehmen, und das tun sie ja bereits, wie in den letzten Tagen deutlich wurde. Die Fragen sind beantwortet, warum der S-Bahn-Vertrag unter heutigen Bedingungen völlig unzureichend ist, warum Vertragskündigungen keine Lösung sind, was das mit der schon angesprochenen Bahnreform von 1993 zu tun hat und wie es mit vielerlei juristischen Ansprüchen im Zusammenhang steht.
Deshalb unterstützt DIE LINKE die vom Berliner Senat vorgestellte Variantenprüfung. Es handelt sich hierbei zum einen um die Option einer wettbewerblichen Vergabe eines Teilnetzes, im Weiteren um die Prüfung der Betreibung eines Teilnetzes seitens der BVG und letztlich auch um die Möglichkeit des Erwerbs der S-Bahn durch das Land Berlin.
Vielen Dank, Frau Wehlan. - Wir setzen mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Die Ministerin Lieske erhält das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Anfang meiner Ausführungen den Dank an Frau Wehlan und Frau Kircheis richten, die dieses Thema auf die richtige Grundlage zurückgebracht und den polemischen Ausführungen sowohl von Herrn Genilke als auch von Herrn Beyer etwas entgegengesetzt haben.
Für die Landesregierung Brandenburg stehen natürlich die Interessen der Fahrgäste einschließlich angemessener Entschädigung durch das Unternehmen als Selbstverständlichkeit für ihr Handeln im Vordergrund. Das steht an allererster Stelle, und das sollte uns auch zukünftig entsprechend bewegen.
Die Verkehrsminister der beiden Länder Berlin und Brandenburg - auch mein Vorgänger, Herr Dellmann - nutzten seit Beginn der S-Bahn-Krise die Sanktionsinstrumente des Verkehrsvertrages und stehen seit September mit der DB AG wie auch mit der S-Bahn Berlin GmbH in konkreten Nachverhandlungen zur Anpassung des Vertrags an die wirklich beispiellose Fehlentwicklung des Eisenbahnunternehmens. Da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen.
Herr Genilke, ich kann den Betrag bestätigen, den Herr Vogelsänger gestern genannt hat. Seit August letzten Jahres sind Sanktionen in Höhe von 2,378 Millionen Euro erfolgt, und wir werden damit sicherlich auch fortfahren; denn von einer Normalität des Betriebs auf den Schienen und Linien der S-Bahn ist derzeit überhaupt keine Rede.
Die technische Wartung des rollenden Materials bedarf dabei aus unserer Sicht keiner detaillierten vertraglichen Regelung; denn die S-Bahn Berlin GmbH ist hier in eigener unternehmerischer Verantwortung tätig und damit auch verpflichtet, die Vorgaben der Gewährleistung der bahntechnischen Sicherheit einzuhalten. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Wartungskapazitäten - unter anderem durch die Wiederinbetriebnahme der Werkstatt Friedrichsfelde - erhöht werden konnten. Die aufgetretenen technischen Probleme bzw. Fahrzeugprobleme sind einer der entscheidenden Punkte in der S-Bahn-Krise, in keiner Weise der S-Bahn-Vertrag an sich.
In Berlin eingesetzte S-Bahn-Fahrzeuge sind aufgrund technischer Besonderheiten wie Tunnelhöhe, Achslasten und des Betriebs mit Gleichstrom untypische Spezialfahrzeuge, die nicht durch markttypische Elektrozüge ersetzt werden können. Nur die DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH ist derzeit in der Lage, im S-Bahn-Netz Verkehre zu fahren, da sie allein über die erforderlichen Spezialfahrzeuge verfügt. Es ist letztendlich - das hat auch Frau Wehlan schon zum Ausdruck gebracht - eine Schwäche der Bahnreform aus dem Jahre 1993, dass diese Fahrzeuge der DB AG bzw. der S-Bahn Berlin GmbH übereignet wurden. Das ist gar keine Frage, das sehen wir heute ganz deutlich.
Eine Kündigung des S-Bahn-Vertrages, wie sie hier schon mehrfach im Raum gestanden hat, vermag keineswegs die derzeit bestehenden Probleme zu lösen. Es verschärft sie allenfalls zukünftig. Bei einer sofortigen Kündigung kämen als Alternativen nur der Abschluss eines neues Vertrags - wiederum mit der S-Bahn Berlin GmbH - oder eine hoheitliche Auferlegung auf dieses Unternehmen infrage.
Bei einer Neuverhandlung wird sich die S-Bahn natürlich niemals freiwillig schlechterstellen, als sie derzeit dasteht. Im Vorfeld von abschließenden Festlegungen bezüglich eines Verfahrens zur Vergabe der bis 2017 gebundenen S-Bahn-Leistungen werden alle Optionen geprüft und bewertet werden, einschließlich einer Vergabe des Gesamtnetzes im Wettbewerb. Wettbewerbliche Verfahren gewährleisten am besten, Angebote zu marktüblichen Preisen in allen Teilnetzen zu erlangen. Bislang führten die Monopolstrukturen und die Konkurrenzlosigkeit tendenziell zu überhöhten Kosten bzw. überzogenen Gewinnerwartungen. Die Länder können bei wettbewerblichen Verfahren im Rahmen der Erstellung der Vergabeunterlagen ohne Verhandlungsdruck ihre Maßgaben interessengerecht definieren. Neben den angebotsbezogenen Maßgaben liegt es auch hier in der Hand der Länder, unter anderem soziale Belange und Umweltgesichtspunkte zu formulieren.
Die S-Bahn muss wieder zu den Kunden finden und verlässliche Verkehre bieten. Das ist die wichtigste Aufgabe. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Das Wort erhält noch einmal der Abgeordnete Genilke von der CDU-Fraktion. Ich entschuldige mich ausdrücklich dafür, dass ich vorhin Ihre Redezeit halbiert habe. Sie haben selbstverständlich noch fünf Minuten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist jetzt etwas schwierig, wieder hineinzukommen, das werden Sie mir nachsehen. Aber damit habe ich ja durchaus etwas gemeinsam mit denen, die diese S-Bahn benutzen müssen.
Frau Ministerin, wenn etwas von dem, was ich bezüglich der Vorfälle bei der S-Bahn gesagt habe, nicht stimmt, hätten Sie
die Gelegenheit gehabt, dies hier zu sagen. Mir Polemik zu unterstellen, finde ich unanständig und inakzeptabel.
Frau Lieske hat richtigerweise gesagt: Wir lösen das Problem nicht, wenn wir die Monopolstellung weiter verschärfen. Frau Kircheis sprach gerade vom Privatisierungsgedanken. Ich möchte Sie daran erinnern, dass in den letzten elf Jahren im Bund immer ein SPD-Verkehrsminister im Amt war,
der sich nicht eindeutig gegen die Privatisierung der Bahn gerichtet hat. Wer hat also die Verantwortung in diesem Land gehabt?
- Ach, die Beschlüsse des Hamburger Parteitages, das ist mir doch egal. Ich muss doch das werten, was gewesen ist, und daran müssen Sie sich auch messen lassen. Was wir brauchen, ist der Wettbewerb auf der Schiene.
Wir müssen irgendwann dazu kommen, Infrastruktur und Betrieb zu trennen. Natürlich ist die Infrastruktur des Netzes nicht zu privatisieren und bleibt auch weiterhin beim Bund. Aber was auf der Schiene stattfindet, muss dem Wettbewerb unterliegen.
(Holzschuher [SPD]: Aber die Bahn hat immer funktio- niert, auch ohne Wettbewerb, erst jetzt nicht!)
- Darauf kommen wir noch. Mit Renditeerwartungen von 125 Millionen Euro im letzten Jahr? Sie wollen mir doch nicht erklären, dass das passiert wäre, wenn wir Wettbewerb gehabt hätten.
Ich darf schon vorwegnehmen, was wir im nächsten Tagesordnungspunkt behandeln werden. Wir haben einen völlig überkompensierten Verkehrsvertrag, den großen Verkehrsvertrag, und einen völlig überkompensierten S-Bahn-Vertrag. Die Folgen waren, dass wir Strecken abbestellen mussten und Taktverdichtungen zurückgenommen haben. Das ist doch unser Problem. Herr Jungclaus, Sie können mir glauben: Ich bin jemand, der sich müht, möglichst oft mit der Bahn zu fahren. Aber wenn hier Landtagssitzung ist, traue ich mich das nicht mehr, weil ich Angst haben muss, dass ich erst um 11 Uhr hierherkomme.