Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 18. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und die Zuhörer und Zuschauer recht herzlich.

Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich.]

Meine Damen und Herren! Ich möchte heute eines Mannes gedenken, der sich um die Schulpolitik in Berlin verdient gemacht hat.

Im Alter von 79 Jahren ist am 3. November der f r ü h e r e A b g e o r d n e t e G ü n t e r Z e m l a g e s t o r b e n. Er gehörte von 1967 bis 1985, also 18 Jahre lang, als Abgeordneter der CDU-Fraktion dem Abgeordnetenhaus von Berlin an.

Heute ist er auf einem Friedhof in Reinickendorf beigesetzt worden.

Günter Zemla hat sich beruflich und politisch mit ganzer Kraft für die Berliner Schule engagiert. Er war Lehrer aus Leidenschaft und zutiefst davon überzeugt, dass bereits an der Grundschule die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsweg geschaffen werden müssen. Er setzte sich dafür ein, die Grundwerte unserer Gesellschaft und die Grundlagen unseres Zusammenlebens schon in den ersten Schuljahren zu vermitteln, weil in diesem frühen Lebensalter die Aufnahmebereitschaft dafür am größten ist.

Zu Recht sah er Bildung als beste und wichtigste Investition in die Zukunft an. Daran orientierte sich auch sein persönliches politisches Wirken. Mit seiner profunden Sachkenntnis und seinem leidenschaftlichen Engagement erwarb er sich als profilierter Schulpolitiker über die Parteigrenzen hinweg großes Ansehen. Seine Erfahrungen als langjähriger Rektor einer Grundschule brachte er in die politische Arbeit ein, und das Parlament hat auf vielfältige Weise davon profitiert.

Dafür gilt ihm unser Dank.

Eine Anmerkung aus dem persönlichen Bereich sei an dieser Stelle gestattet: Es hat Günter Zemla immer mit väterlichem Stolz erfüllt, dass er zehn Jahre lang gemeinsam mit seiner Tochter, der ehemaligen Stellvertretenden Parlamentspräsidentin Gabriele Wiechatzek, dem Abgeordnetenhaus angehörte. Ihr und Ihrer Familie gilt in dieser Stunde unsere tiefe Anteilnahme. – Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren! Freud und Leid liegen oft dicht beieinander. So haben wir heute nicht nur ein oder zwei, sondern wir haben drei Geburtstagskinder – und zwar alles Damen.

Zum G e b u r t s t a g gratulieren wir ganz herzlich F r a u F r i e d e r i k e G a l l a n d von der Fraktion der CDU

[Allgemeiner Beifall]

und der A b g e o r d n e t e n A n n e l i e s H e r r m a n n ebenfalls aus der Fraktion der CDU

[Allgemeiner Beifall]

Das dritte Geburtstagskind in diesem Kreis ist F r a u C a r o l a F r e u n d l von der Fraktion der PDS. Frau Freundl, h e r z l i c h e n G l ü c k w u n s c h !

[Allgemeiner Beifall]

Nun kommen wir zum Geschäftlichen. Die Fraktion der PDS hat ihren A n t r a g über Beteiligung der Öffentlichkeit am Planfeststellungsverfahren für den Flughafen Berlin Brandenburg International – D r u c k s a c h e 14/370 – z u r ü c k g e z o g e n.

Weiterhin bittet die Fraktion der PDS darum, dass ihr A n t r a g über endgültiger Verzicht auf Neubau eines Hafens in Späthfelde – D r u c k s a c h e 14/737 –, den wir in unserer letzten Sitzung zur Beratung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz – federführend – und an den Aus

schuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie überwiesen hatten, z u s ä t z l i c h m i t b e r a t e n d an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr ü b e r w i e s e n wird. Ich lasse darüber abstimmen. Wer diesem Überweisungswunsch folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Bei einigen Gegenstimmen ist diese Überweisung so beschlossen!

Am Montag sind zum gleichen Zeitpunkt vier A n t r ä g e auf Durchführung einer A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen, und zwar:

1. Antrag der Fraktion der Fraktion der CDU zum Thema: „Unsere Schulen – unsere Zukunft“,

2. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Soziale Verantwortung und ökonomische Vernunft – das neue Gesundheitsunternehmen als Chance für Berlin“,

3. Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: „BBF-Privatisierung nach der Einigung von Hochtief und IVG: alles im Lot?“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berlin – Metropole der Schwulen- und Lesbenbewegung – sagt Ja zur „Eingetragenen Partnerschaft“.

Im Ältestenrat hatten am Dienstag PDS und Bündnis 90/Die Grünen signalisiert, sich für das Thema der Fraktion der SPD zu entscheiden. Dennoch soll zur Aktualität der Anträge, wie mir mitgeteilt wird, gesprochen werden. Deshalb frage ich die Fraktion der CDU nach Wortmeldungen für die Begründung der Aktualität. – Herr Abgeordneter Schlede, bitte sehr, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme gerade von einem Bildungskongress, wie sie zurzeit Konjunktur haben, in diesem Falle der beiden großen Kirchen mit der Überschrift: „Tempi – Bildungsprobleme angesichts des Faktors Beschleunigung in unserer Welt“. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in dieser Woche einen Kongress zur Erziehung gegen Rechtsextremismus abgehalten. Wir haben am letzten Sonnabend eine doch recht beachtliche Demonstration von Eltern, Schülern und Lehrern gegen Bildungsnotstand in unserer Stadt gehabt. Das ist die zweite in diesem Jahr. Es spielt auch keine Rolle, ob sie 30 000 oder 35 000 oder nur 25 000 Teilnehmer hatte. Die Fragen und Forderungen an die Bildungspolitik sind unüberhörbar. Es handelt sich hierbei ausdrücklich um sehr selbstbewusste Bürger und Bürgerinnen, die nicht mehr damit zufrieden sind, dass man ihnen gestanzte Antworten und die Rezepte der Vergangenheit liefert, sondern sie fragen sehr wohl nach, wie es mit der Zukunft ihrer Kinder aussieht. Die Fragen betreffen vor allen Dingen die Verlässlichkeit der Schule. Man hat gegen Unterrichtsausfall demonstriert. Die Fragen betreffen das Betreuungsangebot der Schule, von der Schulstation bis zum Produktiven Lernen. Die Frage nach Klassengrößen wird gestellt, nach der Stärkung der Eigenverantwortung von Schulen, nach Fachlehrerversorgung und Lehrernachwuchs angesichts der Tatsache, dass es eine unglaubliche Abnahme von nachfragenden Studenten für die naturwissenschaftlichen Fächer Biologie, Chemie und Physik gibt, wir uns in der Schule offensichtlich auch keine Computerfachleute mehr leisten können, weil sie nicht mehr bezahlbar sind. Es ist angesichts der Orientierungslosigkeit nach der Verbindlichkeit von Wertevermittlung in der Schule gefragt worden. Es wird gefragt nach dem Zustand der Schulen, nach dem Äußeren, nach der technischen Ausstattung, nach Lehr- und Lernmitteln. Diese Fragen stellt man an die Politik, also auch an uns. Es ist nach meinem Dafürhalten die ureigene Aufgabe des Parlaments – abgeleitet von dem lateinischen Begriff „parlare“; ich übersetze frei –, öffentliche Erörterungen durchzuführen, dieses hier in diesem Parlament zu erörtern. Wir können uns dem nicht entziehen.

Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Ich bin seit fast genau einem Jahr in diesem Parlament. Mein Eindruck ist, dass die Arbeit oft durch ein hohes Maß an Regeln – man darf manchmal auch sagen: an Formalismus – geprägt wird. Regeln sind gut, weil sie die Verlässlichkeit und einen ordentlichen

Ablauf der Geschäfte garantieren. Aber man muss sicherlich auch daran denken, dass die Regeln nicht zum Selbstzweck werden, sondern Kreativität und Spontaneität nicht ausschließen.

Wir haben zurzeit in der Stadt, sicherlich neben vielen anderen, zwei hervorragende Themen – das, worüber wir heute reden werden, nämlich das Krankenhausreformgesetz, und fraglos die Situation in der Bildung. Für mich wäre es denkbar, dass man zu zwei aktuellen Themen in diesem Hause debattiert. Das scheint aber auf Grund der Regularien schlecht möglich zu sein. Es wird auch für die Zukunft eine Frage der Glaubwürdigkeit dieses Hauses sein, dass das, was offensichtlich aktuellster und drängendster Natur ist, in diesem Hause unmittelbar besprochen wird. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Abgeordnete Helbig zur Begründung das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Sicherheit ist das Thema, das sich die CDU-Fraktion vorgenommen hat, ein wichtiges Thema.

[Beifall des Abg. Kittelmann (CDU)]

Dennoch sind wir der Auffassung, dass das Thema „Soziale Verantwortung und ökonomische Vernunft – das neue Gesundheitsunternehmen als Chance für Berlin“ heute zu dieser Stunde weitaus aktueller ist.

Die Zukunft der städtischen Krankenhäuser bewegt in diesen Tagen die Stadt in besonderer Weise. Bürgerinnen und Bürger als Patienten und insbesondere die 17 000 betroffenen Beschäftigten möchten wissen, wie es weitergeht. Wir werden hier heute eine historische Entscheidung treffen, wenn wir die Grundlagen für den größten Krankenhausbetrieb der Bundesrepublik beschließen. Nach den Turbulenzen der letzten Wochen in der Öffentlichkeit sollte uns dieses Thema wert sein, ihm eine Aktuelle Stunde zu widmen und im demokratischen Dialog das Für und Wider noch einmal zu diskutieren. – Ich bitte um Ihre Zustimmung!

[Beifall bei der SPD – Beifall der Frau Abg. Herrmann, Annelies (CDU)]

Wünscht die Fraktion der PDS die Begründung? – Bitte sehr, dann haben Sie das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, es gibt mehrere aktuelle Themen, die dringend der Beratung bedürfen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass das Parlament sonst nicht wüsste, womit es sich beschäftigen sollte, sondern mit der katastrophalen Situation in diesem Land, in Berlin!

Zu dieser katastrophalen Situation gehört auch die nochmalige, die wiederholte gerichtlich angemahnte, durch ein Gericht festgestellte Fehlleistung öffentlicher Auftraggeber bei der Privatisierung der Flughafenholding und bei der privaten Errichtung des Großflughafens Schönefeld. Nun können Sie wieder sagen: Die PDS beantragt dieses Thema, damit es weiter schlechtgeredet wird. – Dieses größte aller Infrastrukturprojekte, das wir in Ostdeutschland haben, schlechtreden, meine Damen und Herren von der Koalition, das machen Sie ganz allein. Der Regierende Bürgermeister ist da mit seinen letzten Äußerungen federführend, in dem er über die Köpfe der Anwohnerinnen und Anwohner von Tempelhof hinweg einfach in die Welt setzt, Tempelhof bleibe immer und ewig offen.

Die Aktuelle Stunde bietet die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat sich zum zweiten Mal mit den Fehlleistungen der Auftraggeber beschäftigen müssen. Der Ausschluss von Hochtief hätte einer gerichtlichen Überprüfung nicht Stand gehalten. Deswegen war es im Interesse

einiger maßgeblicher Damen und Herren – hauptsächlich Herren –, dass es zu einer außergerichtlichen Einigung gekommen ist. Nichtsdestotrotz sind die Fehlleistungen der Auftraggeber gerade hier im Parlament weiterhin zu beleuchten. Es herrscht offensichtlich nicht nur Dilettantismus, sondern ein rigoroses Hinwegsetzen über Regeln in einem Vergabeverfahren, wie es der Flughafen ist. Wenn ein Gericht in der mündlichen Verhandlung feststellt, dass die Auftraggeberseite sich offensichtlich selbst nicht an die Regeln hält, die es den Bietern auferlegt hat, und dass sich die PPS, als die von den Auftraggebern befugte Stelle, im Vergabeverfahren nicht neutral verhält, dann ist das Grund genug für eine Erörterung im Parlament.

Entgegen der Verlautbarungen in der Presse, dass das alles Schnee von gestern sei, müssen wir klipp und klar konstatieren, dass die Kuh nicht vom Eis ist. Dieses Vergabeverfahren ist noch längst nicht in trockenen Tüchern. Die nun entstandene Situation hat nichts mehr mit Wettbewerb zu tun, sondern eher mit einer Schlachtbank der Bieter, auf der sich die öffentliche Hand als Auftraggeber befindet. Der Bieter ist nunmehr ein gemeinsames Konsortium. Das hat haushaltsrechtliche Auswirkungen in ungeklärter Höhe. Auch dieser Punkt muss hier besprochen werden. Im jetzigen Haushaltsentwurf für 2001 sind diesbezüglich keinerlei Regelungen getroffen worden. Beispielsweise wird die Privatisierung der BBF auch im Jahr 2000 nicht über den Tisch gehen können. Das sind Themen, die hier aktuell besprochen werden müssen. Deshalb haben wir beantragt, dieses Thema zu einer Aktuellen Stunde zu machen, damit die Euphorie, die gerne verbreitet wird, einer sachlichen Kritik – entsprechend der neuen Situation – unterzogen werden kann.

[Beifall bei der PDS]

Nun hat Herr Weinschütz von der Fraktion der Grünen das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag letzter Woche hat der Deutsche Bundestag die Einführung von Eingetragenen Lebenspartnerschaften für lesbische und schwule Paare beschlossen. Erstmals in der deutschen Geschichte wird es damit möglich, dass solche Partnerschaften rechtlich anerkannt und abgesichert werden. Menschen, die mit allen Konsequenzen auf Dauer füreinander einstehen wollen, erhalten Rechtssicherheit. Dies ist ein Meilenstein auf dem Weg, bestehende Diskriminierungen von Lesben und Schwulen abzubauen. Es ist ein epochemachender Schritt zu ihrer rechtlichen Gleichstellung.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Berlin ist in diesem Zusammenhang nicht irgendein Bundesland. Die deutsche Lesben- und Schwulenbewegung nahm hier ihren Anfang. Schon in den zwanziger Jahren gab es hier eine blühende Kultur. Auch heute ist Berlin wieder ihre Hauptstadt. In keiner anderen deutschen Stadt leben so viele Lesben und Schwule wie hier. Diese haben ein Recht darauf zu erfahren, was ihre Abgeordneten über die Lebenspartnerschaften denken. Dies gilt umso mehr, als der Berliner Senat im Bundesrat am 1. Dezember diesen Jahres dazu Stellung beziehen muss. Wir wollen wissen, ob die lesbischen und schwulen Berlinerinnen und Berliner mit einem klaren Ja vom Senat rechnen können. Alles andere als ein Ja wäre nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Schwulen und Lesben, sondern aller Bürgerinnen und Bürger, denen gleiche Bürgerrechte für alle ein Anliegen sind.