Protokoll der Sitzung vom 09.03.2000

Der Vertrag eröffnet der Werbung, dem Sponsoring und dem Teleshopping größere Handlungsspielräume. Das finde ich richtig. ARD und ZDF können ihre gesetzlich bestimmten Programme gesichert ausstrahlen, unabhängig davon, ob die Verbreitung digital oder analog erfolgt. Der Vertrag gibt den Landesrundfunkanstalten damit die ihnen zustehende Entwicklungsgarantie.

Die Landesmedienanstalten können noch bis Ende 2003 neue Übertragungstechniken fördern. Der Vertrag regelt in Form eines Moratoriums, dass PCs, die Rundfunkprogramme empfangen können, von der Rundfunkgebühr befreit sind. Er lässt allerdings offen, wie es danach weitergeht. ZDF und ARD werden ermächtigt, Online-Dienste mit vorwiegend programmbezogenem Inhalt anzubieten, allerdings ohne Werbung und Sponsoring.

Unberücksichtigt blieb leider der Berliner Wunsch nach einer ARD-Strukturreform sowie einer Neuregelung der Werbung und des Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hierzu gehört auch zunächst die Debatte, dann eine Entscheidung über die Höhe der Rundfunkgebühren. Die CDU-Fraktion erwartet, dass der Senat bei den Verhandlungen zum Fünften Rundfunkänderungsstaatsvertrag für eine funktionsgerechte Ausstattung des SFB Sorge trägt. Wir erwarten aber auch Fairness im Umgang mit den privaten Sendern. Hierzu gehört auch Wettbewerbsgerechtigkeit. Etwas anderes kann sich Berlin als Medienstandort auch gar nicht leisten.

Abschließend möchte ich noch eine Bemerkung zum Offenen Kanal machen: Bei den neuen Kommunikationsmöglichkeiten, der Qualität des Offenen Kanals und seiner mangelnden Akzeptanz bei den Bürgern stellt sich für uns die Frage nach seiner Berechtigung. Wir haben insoweit mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass es auch bei der SPD Bewegung gibt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der CDU]

Nunmehr hat das Wort für die Fraktion der PDS Frau Abg. Dr. Lötzsch!

Herzlichen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, gleich an den Redebeitrag meines Vorredners, Herrn Braun anzuknüpfen, und auch ein Wort zum Offenen Kanal zu sagen. Das Argument, der Offene Kanal würde bei den Bürgern nicht angenommen werden, ist eine Schimäre, die vor sich hergetragen wird und nicht berücksichtigt, was beim Offenen Kanal wirklich passiert, welche Möglichkeiten – um nur einen Aspekt herauszugreifen – der Offene Kanal bietet, um Schulklassen, Kindern und Jugendlichen konkrete Medienkompetenz zu vermitteln. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie mit den Kollegen Ihrer Fraktion einmal einen Abstecher in die Voltastraße machten, um sich vor Ort mit einer Schulklasse gemeinsam anzuschauen, wie dieser funktioniert.

Sie haben bemängelt, Herr Kollege Braun, dass wir hier im Plenum über den Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag debattieren. Allerdings haben die Koalitionsfraktionen bereits in der letzten Ausschusssitzung erklärt, dass man eigentlich darüber nicht mehr zu diskutieren brauche. Ich bin aber der Meinung, dass das Ergebnis eher unbefriedigend wäre, wenn wir hier im Saal eine Umfrage machten, was der Inhalt des Rundfunkänderungsstaatsvertrages ist. Man müsste vielleicht so vage Fragen stellen, wie es Herr Jauch in seiner Show macht, was ein Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist: a) eine Beschreibung für eine Fernbedienung oder b) ein neues Küchengerät oder c) ein Vertrag zwischen den Bundesländern zur Ausdehnung der Werbung für kommerzielle Sender. Darum geht es hauptsächlich.

Unter diesen erleichterten Bedingungen – Sie haben schon zwei Redebeiträge gehört – würden sicher einige von Ihnen für c) stimmen. Das wäre zumindest einigermaßen von der Richtung her korrekt, sagt aber nichts über das Detail. Der Vertrag wurde notwendig – das wurde hier ausgeführt – um die EU-Fernsehrichtlinie umzusetzen. Allerdings hat man die Möglichkeiten schamlos ausgenutzt, die Werberegelung für die kommerziellen Sender quantitativ und qualitativ auszudehnen. Sie werden also in Zukunft mit noch mehr Werbung im Fernsehen zugeschüttet werden, wenn Sie diesem Vertrag zustimmen. So oft kann man gar nicht aus dem Zimmer gehen, um sich irgendetwas zu holen oder irgendetwas zu erledigen – was auch immer.

Ich möchte die Werbefragen und die Negativa, die wir monieren und die uns veranlassen, in hohem Maß diesen Rundfunkänderungsstaatsvertrag abzulehnen, noch im Konkreten benennen.

Es geht zum einen um die Ausdehnung der Werbezeit. Das Brutto-Prinzip wird neu eingeführt. Die ohnehin schon vorhandene Werbezeit wird in die Werbezeit mit eingerechnet. Die Privaten haben dadurch 500 Millionen DM mehr im Jahr an Einnahmen. Eigenwerbung zählt nicht mehr als Werbung. Der Gesetzestext ist so formuliert, dass sich Schleichwerbung nicht verhindern lässt. Es wird Laufbandwerbung geben, wie es jetzt schon bei n-tv bei den Dax-Werten, den Aktienkursen üblich ist, es wird virtuelle Werbung auf geteilten Bildschirmen geben. Sie schauen sich vielleicht – die Herren unter Ihnen ab und zu – einmal wieder „Pretty Woman“ an. Julia Roberts ist plötzlich nur noch zur Hälfte zu sehen oder in der Mitte durchgeteilt. Das wird Sie dann stören.

Der 20-Minuten-Abstand zwischen den Werbeinseln ist nicht mehr eine Muss-Bestimmung, sondern eine Soll-Bestimmung. Es gibt keine unbegrenzte Übertragung von Großereignissen – bis auf die erwähnten Fußballspiele. Kulturereignisse sind dort überhaupt nicht geregelt. Vielleicht hätten wir so vorgehen sollen, einen Änderungsantrag zu diesem Rundfunkänderungsstaatsvertrag vorzulegen, um einfach durch eine Namensänderrung darauf hinzuweisen, dass uns die Autoren mit diesem Vertrag hineinlegen. Wenn man gesagt hätte, der Titel wird in „Kukident-Vertrag“ oder der „ich-bin-schon-drin-Vertrag“, wäre es vielleicht einigen von Ihnen etwas eher aufgefallen. Einige von Ihnen sind mit der Argumentation und mit der Diskussion nicht so recht zufrieden. Sie diskutieren gern über Werbung, und Werbung in der Stadt – das ist ein Konsens – wird häufig begrenzt. Erinnern Sie sich nur an die Diskussion und das Hin und Her über die Werbung von Claudia Schiffer und anderer I’Ore´al-Werbung an der Gedächtniskirche. Welcher Aufruhr war das!

Hier geht es nicht um Straße und Plätze. Wenn Sie Gesetze machen, geht es ab und zu auch einmal um Sie selbst. Prüfen Sie das an Ihrem eigenen Leben. Es geht um Ihr eigenes Wohnzimmer. Sie sollen dauerhaft mit Werbung zugeschüttet werden. Diese Werbung hat wiederum Einfluss auf den Inhalt, ob Sie einer werberelevante Zielgruppe angehören. Dazu zitiere ich abschließend mit Zustimmung des Präsidenten ein Beispiel von der Internet-Seite des SFB. Da wird für das Jahr 2000 ausgeführt:

Im gemeinsamen SFB-ORB-Vorabendprogramm im Ersten werden auch im Jahr 2000 „Verbotene Liebe“ und „Marienhof“ wieder die erste Stelle bestimmen. Seit ihrem Start im Jahr 1995 konnten die Marktanteile in den werberelevanten Zielgruppen kontinuierlich gesteigert werden. Deshalb wird die Erfolgsstory auch im nächsten Jahrtausend fortgeschrieben und mit täglich neuen emotionalen und alltagsnahen Geschichten in unseren beiden Daily Soaps fortgesetzt werden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag zustimmen und irgendwann merken, Sie gehören nicht mehr zur werberelevanten Zielgruppe, Ihr Wohnzimmer wird zugeschüttet, Ihre Lieblingsschauspieler werden in der Mitte durchgeschnitten, –

Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Schluss kommen!

– sagen Sie nicht, Sie hätten es nicht gewusst. – Schönen Dank!

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Für die Fraktion der SPD hat der Abgeordnete Köhler das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer kurzen, wenngleich trivialen Feststellung beginnen: Die Demokratie ist älter als das Fernsehen. – Das vergessen manche, wenn sie über dieses Medium reden. Manche verwechseln oder setzen Fernsehen mit Demokratie gleich. Das, was im Fernsehen erscheint, ist scheinbar richtig, weil das Visuelle mit dem Akustischen zusammenfällt. Das ist die große

Chance dieses Mediums, aber auch die Gefahr, dass wir seiner Suggestionskraft unterliegen. Wir merken dies aktuell am Beispiel der derzeitigen Big-Brother-Diskussion von RTL2. Ob dieser Voyeurismus verboten gehört, darüber streiten diejenigen, die glauben, etwas davon zu verstehen. Wenn man Sendungen wie „Big Brother“ verbieten möchte, dann nicht mit der Begründung, sie verstoße gegen die Menschenwürde, wie das der Bundesinnenminister gesagt hat, sondern aus meiner Sicht nur wegen exzeptioneller Dummheit. Die Quote – anscheinend der einzig verbliebene Messfaktor – scheint mir Recht zu geben, zumindest das Zuschauerinteresse sinkt rapide. Das Fernsehen ist sehr viel stärker dem Zeitgeist unterworfen als die Demokratie. Wir als Politiker sollten manches auch viel gelassener nehmen als das, was wir über die visuelle Welt, die immer eine fiktive ist, aufnehmen. Das gilt aber auch für unsere Wählerinnen und Wähler. Schließlich gibt es die Demokratie schon länger als das Fernsehen. Siehe oben!

Aus dem Gesetz zum Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, dem die Fraktion der SPD zustimmen wird, möchte ich kurz folgende Punkte hervorheben: 1. Es war immer eine sozialdemokratische Forderung, große Ereignisse unverschlüsselt im Free-TV empfangen zu können. Deswegen sind wir auch froh, dass Olympische Spiele, aber auch Fußballspiele frei empfangen werden können.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Frau Ströver (Grüne): Stimmt doch gar nicht!]

2. Programm und Werbeblöcke müssen klar und deutlich voneinander getrennt werden. Nur so kann sich der Zuschauer eine eigene Meinung bilden. Dies ist immer, Frau Ströver, ein „Hase-und-Igel“-Spiel. Die Programmverantwortlichen erproben neue Sende-, aber auch Werbeformen. Wir haben die Gesetze entsprechend zu schärfen. Werbeformen wie Teleshopping und Sponsoring waren vor Jahren noch nicht bekannt, Frau Lötzsch, jetzt werden sie erstmalig geregelt. Und das ist auch gut so.

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

3. Wichtig ist mir auch, dass Nachrichten wahr und klar sein müssen. In § 10 heißt es:

Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.

Eigentlich ist dies ein Gemeinplatz, doch er zeigt, wie wenig er berücksichtigt wurde, so dass er ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen werden musste.

[Beifall der Frau Abg. Dr. Rusta (SPD)]

Der Vierte Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist nicht sehr spannend. Es ist ein Übergangsgesetz. Der Fünfte Rundfunkänderungsstaatsvertrag wird bald folgen. Dann wird es spannend werden. Dann müssen die bislang ausgeklammerten Fragen beantwortet werden. Bis zum 31. Dezember 2003 ist Rundfunk aus dem Internet gebührenfrei. Danach wird es anders sein. Dann werden wir auch Internetradio oder Internetfernsehen haben. Das wird das bisherige Finanzierungssystem der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über die GEZ erheblich beeinträchtigen und in den Grundfesten erschüttern. Darauf müssen wir dann als Politiker eine Antwort finden, genauso als Demokraten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung und verbinde die Einzelabstimmungen mit der Schlussabstimmung. Der Ausschuss empfiehlt gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen die Annahme des Gesetzes. Wer dem Gesetz zum Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag im Wortlaut der Vorlage Drucksache 14/164 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist das so beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2:

a) Drucksache 14/194:

I. Lesung des Antrags der Fraktion der Grünen über Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Klassenlotterie Berlin und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie (DKLB-Gesetz)

b) Drucksache 14/226:

Antrag der Fraktion der PDS über Änderung der Satzung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie

Es ist eine gemeinsame Beratung bis zu fünf Minuten vorgesehen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Ströver das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man mag es kaum glauben, es sind wirklich 12 Milliarden DM, die jede Woche mittwochs und samstags in die Kassen der Lottogesellschaften in Deutschland fließen. Während bei den Ziehungen nur wenige am Ende den großen Gewinn machen, wissen diese wahrscheinlich gar nicht, wer noch alles so vom Einsatz der Lottospieler profitiert. In Berlin bleiben jedes Jahr ungefähr 150 Millionen DM zur Ausschüttung für den Stiftungsrat Deutsche Klassenlotterie übrig. Die Gewinne der Lottogesellschaft sollen – so steht es im Gesetz – gemeinwohlorientierten Projekten zum Nutzen der Gesellschaft zugute kommen, aber immer wieder – und wir haben es beim letzten Mal, als wir die vom Parlament entsandten Mitglieder gewählt haben, schon thematisiert – wissen wir aus der Vergangenheit, dass sich die Mitglieder des Lottobeirats sehr fürstlich gegenüber der ihnen nahe stehenden Klientel zeigen.

Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir fordern, dass künftig wenigstens alle Fraktionen aus diesem Parlament im Stiftungsrat Deutsche Klassenlotterie beteiligt werden. Nicht etwa, dass das die Mehrheitsverhältnisse ändern würde – das wissen wir natürlich auch.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Wir wollen nur, dass das Prinzip demokratischer Freiheit und demokratischen Verfahrens auch dort ein wenig erkennbar ist und dass damit wenigstens sichtbar ist, dass das nicht nur in einem closed shop Regierungsvertreter und Parlamentsmehrheitsvertreter unter sich ausmachen und über diese immense Summe Geldes verfügen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der PDS]

Es muss endlich Schluss sein mit diesem System. Der Senat – ich will Sie noch einmal namentlich nennen, damit Sie sich alle vergegenwärtigen, wer den neuen Lottorat bildet – schickt Herrn Buwitt, Herrn Böger und Herrn Werthebach in den Stiftungsrat Deutsche Klassenlotterie.

[Beifall des Abg. Czaja (CDU)]

Das Abgeordnetenhaus hat Herrn Landowsky, Herrn LehmannBrauns und Herrn Wowereit gewählt.