Protokoll der Sitzung vom 18.04.2002

Antrag der Fraktion der Grünen über Bleiberechtsregelung für Roma

lfd. Nr. 20, Drucksache 15/354:

Antrag der Fraktion der Grünen über Vermeidung von Obdachlosigkeit und Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bei Entlassung aus der Abschiebungshaft

lfd. Nr. 21, Drucksache 15/355:

Antrag der Fraktion der Grünen über Einrichtung einer Stelle zur Beratung von Migrantinnen, die wegen physischer und psychischer Misshandlung die eheliche Gemeinschaft vor Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsstatus beendet haben

lfd. Nr. 22, Drucksache 15/356:

Antrag der Fraktion der Grünen über Keine Zwangsrückführungen ohne ausreichenden Impfschutz!

Hierzu gehört auch der dringliche Tagesordnungspunkt

lfd. Nr. 22 A, Drucksache 15/381:

Antrag der Fraktion der Grünen über Abschiebestopp für tschetschenische Flüchtlinge

Der Dringlichkeit wird ersichtlich nicht widersprochen.

Für die gemeinsame Beratung aller Anträge der Fraktion der Grünen empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu 10 Minuten pro Fraktion. Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Zu Wort gemeldet hat sich Herr Ratzmann für die Fraktion der Grünen. – Bitte schön, Herr Ratzmann. Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute im Rahmen der Haushaltsberatungen das Hohe Klagelied der uneingelösten Wahlversprechen gehört, und man kann den Eindruck haben, dass dieses Lied – leider muss man sagen – wohl auch im Rahmen der Abschiebepolitik bzw. Flüchtlingspolitik dieses Senats angestimmt werden muss.

In der Koalitionsvereinbarung ist noch nachzulesen, dass der Senat sich anschicken wollte, eine andere Art von Flüchtlingspolitik hier in Berlin zu machen. Leider ist davon nichts oder noch nichts zu erkennen, wenngleich auch – Herr Körting, das sei hier ausdrücklich gesagt – durchaus Ihre Bemühungen, auf dem Papier einige Veränderungen festzuhalten, Anerkennung finden müssen. Ich erinnere da an die Weisung, die Sie im Dezember erlassen haben in Umsetzung des Beschlusses vom Abgeordnetenhaus aus der letzten Wahlperiode betreffend minderjährige Flüchtlinge.

Allein das ist Papier; es fehlt die Praxis. Da schleicht sich so langsam der Eindruck ein, dass das Landeseinwohneramt hier wohl eine gegenüber Ihren politischen Weisungen und Richtlinien sehr abschottete, eingeschränkte und eigene Politik versucht, umzusetzen, die mit einer veränderten Flüchtlingspolitik in dieser Stadt nichts oder noch nichts zu tun hat. Wir haben deshalb mit diesem Strauß von Anträgen versucht, einige der dringendsten Probleme aufzugreifen, die sich im Rahmen der Flüchtlingspolitik stellen.

Eines der vor kurzem ans Tageslicht gekommenen wirklich dringenden Probleme ist die Abschiebepraxis, die sich gegenüber tschetschenischen Flüchtlingen hier durchzusetzen scheint. Die Lage der Tschetschenen, das kann man der Presse seit langem entnehmen, in der Russischen Föderation ist verheerend, katastrophal. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung werden nicht nur gegen tschetschenische Kämpfer

Sicherheitsaktionen gestartet, sondern hauptsächlich auch gegen Zivilisten. Im Rahmen von Säuberungsaktionen kommt es zu Plünderungen, zu Vergewaltigungen und zu Folterungen. Menschen tschetschenischer Herkunft werden in so genannte Filtrationslager gesperrt, ohne dass es dafür in irgendeiner Art und Weise eine juristische Grundlage gibt. Auch hier kommt es zu Folterungen und Vergewaltigungen, leider auch von Minderjährigen.

Amnesty International hat es in einem Bericht im Oktober 2001 aufgegriffen und hat schwere Menschenrechtsverletzungen konstatiert. Auch der UNHCR hat in seinem jüngsten Bericht vom Januar 2002 festgestellt, dass es nicht nur in Tschetschenien, sondern auch in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation eine gesetzlich sanktionierte Sondersituation für Tschetschenen gibt. Beide kommen zu dem Schluss, dass es ein generelles, von offizieller Seite geschürtes Klima der Feindseligkeit in der Russischen Föderation gibt und – ich darf aus dem Bericht von Amnesty International zitieren: –

eine Situation entstanden ist, in der tschetschenische Volkszugehörige praktisch den Status einer ethnischen Gruppe erhalten haben, die außerhalb des Schutzes durch das Gesetz steht und Opfer von Verfolgung und Erpressung und staatlicher Willkür wird.

Dies alles wird durch Herrn Putin veranlasst, der uns dadurch erfreut, dass er seine Reden im Bundestag auf Deutsch halten kann. Nach dem 11. September scheint auch in der Bundesrepublik generell ein Klima zu herrschen, dass unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung sehr viel toleriert wird. Jedenfalls scheint Herr Putin auch für seine Maßnahmen in der Bundesrepublik Verständnis bekommen zu haben, denn es gibt eine geänderte Praxis im Umgang mit tschetschenischen Flüchtlingen. Dies hat dazu geführt, dass auch in Berlin versucht wurde, am Freitag 2 Flüchtlinge abzuschieben. Diese Abschiebung konnte verhindert werden. Wir sind deshalb der Meinung, dass es auf Grund dieser verheerenden Lage geboten ist, die Möglichkeiten des Ausländergesetzes zu nutzen, um einen generellen Abschiebestopp zu verhängen.

[Beifall bei den Grünen]

Lassen Sie mich noch kurz zu den anderen Anträgen kommen, die in die Ausschüsse überwiesen werden. Es war klar, dass hier nicht in aller Ausführlichkeit zu jedem Antrag Stellung genommen werden kann. Sie betreffen, jedenfalls die ersten 3, hauptsächlich das Schicksal der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen oder Rest-Jugoslawien. Wir wollen, dass hier insbesondere die sehr schleppende und auf Verhinderung zielende Praxis der Antragsbearbeitung durch das Landeseinwohneramtes gegenüber traumatisierten Flüchtlingen geändert wird, deshalb die typisierende Zusammenfassung von Fällen, die dazu führen soll, dass die 2 750 Anträge jetzt zügig abgearbeitet werden können.

Wir wollen vor allen Dingen, dass die aus dem Kosovo stammenden Familien, für die jetzt der Abschiebestopp am 31. März abgelaufen ist, nicht vor der Situation stehen, dass ihre Kinder, die kurz vor einer Ausbildungsbeendigung stehen, mit in den Kosovo abgeschoben werden. Wir sind der Meinung, dass es sich langfristig auszahlen wird, wenn wir eher Menschen mit einer guten Ausbildung in diese Gebiete schicken und sie nicht unausgebildet in eine Situation entlassen, in der sie ihre Ausbildung nicht fortsetzen können. Dies nur kurz zur Begründung von dreien der Anträge. Die anderen werden wir dann ausführlich in den Ausschüssen behandeln.

Zum Schluss, Herr Körting, sei noch auf die Situation der Roma hingewiesen. Sie haben sich dankenswerterweise immer dafür eingesetzt, dass auf Grund unserer besonderen historischen Verpflichtung, eine Situation gegeben, in der wir uns dafür einsetzen müssen, dass diese Menschen, die zum Teil seit 13 Jahren hier mit ihren Familien leben und integriert sind, längerfristig hier bleiben können. Wir können Sie nur auffordern, dieses Versprechen umzusetzen, es einzulösen und insbesondere dafür zu sorgen, dass auch die Ausländerbehörde letztendlich diese Weisungen umsetzt. Vielleicht ist es notwendig, nicht nur gegenüber dem Polizeipräsidenten andere personelle Konsequenzen

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zu ziehen, sondern bei der Ausländerbehörde die Behördenleitung auszuwechseln und mehr darauf zu achten, dass die von diesem Haus beschlossenen Vorgaben umgesetzt werden können. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Kleineidam das Wort! – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Ratzmann hat seine Rede mit einer massiven Kritik gegenüber der Koalition begonnen und eine neue Flüchtlingspolitik angemahnt.

[Wieland (Grüne): So habe ich ihn gar nicht verstanden!]

So richtig die hier vorgelegten sieben Anträge im Ziel sind, ob das nun der neue, große Wurf für eine neue Flüchtlingspolitik ist, wage ich zu bezweifeln.

[Mutlu (Grüne): Ist doch egal, unterstützen Sie ihn einfach!]

Herr Mutlu, hören Sie gut zu, ich habe eben bereits angedeutet, dass ich die Anliegen dieser Anträge sehr gut nachempfinden kann. Deshalb erlauben Sie mir einige Worte zum Inhalt Ihrer Anträge.

Vorausschicken möchte ich allerdings noch eine Bemerkung zu einer Frage, die sich hier leider häufig stellt. Die Anträge laufen in einigen Punkten darauf hinaus, dass wir den Senat beauftragen, mit Weisungen Verwaltungsrichtlinien, neue Vorschriften zu schaffen. Ich möchte zumindest in der Diskussion in den Ausschüssen hinterfragen, ob es wirklich Aufgabe des Abgeordnetenhauses ist, Verwaltungsvorschriften en masse zu produzieren. An sich sind Verwaltungsvorschriften dazu da, dass die Exekutive eine einheitliche Gesetzesanwendung sicherstellt. Diese Aufgaben sollten wir der Exekutive nicht dauernd abnehmen. [Beifall bei der SPD]

Das ist eine grundsätzliche Bemerkung. Es mag im Einzelfall etwas anderes gelten, das müssen wir dann in der Diskussion klären. [Mutlu (Grüne): Aha!]

Zu den einzelnen Anträgen: Beschleunigung der Entscheidungen über Aufenthaltsbefugnisse für traumatisierte Flüchtlinge. In dieser Sache sind wir völlig d’accord, die Bearbeitung dauert uns zu lange. Der Innensenator hat diesem Problem bereits dadurch Rechnung getragen, dass er das Personal aufgestockt hat. Dennoch teilen wir Ihre Ansicht, dass weitere Maßnahmen zu einer beschleunigten Bearbeitung der Anträge wünschenswert sind. Ob das dann im Detail so, wie von Ihnen vorgeschlagen, durchgeführt werden kann, müssen wir prüfen. Wir müssen uns im Rahmen der rechtlichen Vorgaben bewegen. Aber ich denke, dass wir hier in einer konstruktiven Diskussion zu angemessenen Ergebnissen kommen werden.

Der nächste Antrag: Vorübergehender Verbleib von Flüchtlingen, die sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden bzw. in einem Studium. Auch hier ist das Problem zutreffend beschrieben. Es macht tatsächlich wenig Sinn, wenn Personen in der Schul- und Berufsausbildung langjährig gefördert und dann eventuell kurz vor dem Abschluss der Ausbildung abgeschoben werden. Aber auch hier haben wir gesetzliche Vorgaben. Diese müssen wir ausloten, und in diesem Sinne sollten wir zu einer pragmatischen Lösung bei den Diskussionen im Ausschuss kommen.

Der Antrag Drucksache 15/353 – Bleiberechtsregelung für Roma, das freut einen zu lesen, wenn die Opposition aus dem Koalitionsvertrag fast wörtlich abschreibt

[Ritzmann (FDP): Das haben die Grünen doch da hinein geschrieben!]

und auch in der Begründung finde ich sinngemäß die Äußerungen des SPD-Innensenators aus den Koalitionsverhandlungen wiedergegeben. Vielleicht können wir uns darauf einigen, in welcher Reihenfolge wir unser Fünf-Jahres-Arbeitsprogramm hier einbringen. Wenn Sie uns dann die Arbeit abnehmen, jeweils inhaltlich die Koalitionsvereinbarung hier abzuarbeiten und die Anträge vorzulegen, dann haben wir damit wenig Probleme. [Beifall bei der SPD – Ritzmann (FDP): Aber umsetzen müssen Sie selbst! – Mutlu (Grüne): Freuen Sie sich doch, dass wir Sie unterstützen! – Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Zum Antrag Vermeidung von Obdachlosigkeit bei Entlassung aus der Abschiebehaft: Auch hier ist ein Problem benannt, das zweifelsohne besteht. Auch hier müssen wir ganz pragmatisch schauen, wie das gelöst werden kann. Ich ahne, dass uns hier die Verwaltung mit diversen verwaltungsrechtlichen und finanziellen Problemen konfrontieren wird, aus welchem Topf was finanziert werden muss. Ich hoffe, dass wir zu einer pragmatischen Lösung kommen. So viele Fälle werden es nicht sein und es sollte im Einzelfall eine Lösung gefunden werden.

Der Antrag zur Einrichtung einer Beratungsstelle für Migrantinnen, die – aus welchen Gründen auch immer – eine eheliche Gemeinschaft verlassen wollen, aber noch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht haben, ist ein Problem. Die rot-grüne Bundesregierung hat dieses Problem bereits entschärft, indem sie vor zwei Jahren das Ausländergesetz geändert und die Jahresfrist von vier auf zwei Jahre verkürzt hat. Gleichwohl – das ist auch unstrittig – bestehen hier immer noch Probleme. Beratung ist erforderlich, Hilfe ist erforderlich. Ob das unbedingt im Rahmen einer Beratungsstelle bei der Ausländerbehörde sein muss, wage ich zu bezweifeln. Das sollten wir noch einmal im Detail diskutieren, ob das der Weisheit letzter Schluss ist.

[Mutlu (Grüne): Vielleicht wechseln Sie dort einmal den Chef aus!]

Schließlich Ihr Antrag Keine Zwangsrückführungen ohne ausreichenden Impfschutz: In Ihrer Begründung beziehen Sie sich auf einen Einzelfall. Ich überblicke heute das Problem noch nicht. Das müssen wir sicher näher aufklären. So, wie der Antrag formuliert ist, würde er sogar Zwangsimpfungen mit einschließen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich gemeint ist. So könnte ich dem nicht zustimmen, aber auch das müssen wir im Einzelnen diskutieren.

Eine letzte Bemerkung zu dem vorgelegten Dringlichkeitsantrag. Der Kollege Ratzmann hat die Problematik beschrieben. Wir befinden uns in der Bundesrepublik sicher in einer misslichen Lage, auf der einen Seite ist wünschenswert zu vernünftigen politischen Verhältnissen zum heutigen Russland zu kommen – im Gegensatz zur Vergangenheit –, andererseits ist den Menschenrechten ausreichend Rechnung zu tragen. Ich hoffe und plädiere dafür, dass wir in der nächsten Innenausschusssitzung am 13. Mai diesen Antrag auf die Tagesordnung nehmen, weil wir den Sachverhalt schnell klären müssen. Ich erwarte, dass wir dann alle Stellungnahmen, auch die der nichtstaatlichen Organisationen, vorliegen haben, damit wir uns ein Bild machen und zu einem vernünftigen Ergebnis kommen können. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Kleineidam! Das Wort für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Henkel! – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den in Rede stehenden Anträgen bleibt es dabei, dass wir als CDU-Fraktion selbstverständlich bei Einzelfällen humanitärer Schicksale, die es in der Tat gibt, mithelfen, diese Fälle zu lösen. Die vor uns liegenden Anträge stehen allesamt im Zeichen humanitärer Gründe. Wir sprechen hier von Menschen, die nach Deutschland, nach Berlin gekommen sind, damit sie eine