Ich fordere in Richtung der FDP noch einmal auf, sich zu überlegen, ob die Institution Parlament von Berlin sich nicht einheitlich und geschlossen positionieren muss, um ein klares Signal auszusenden. – Danke!
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die Berliner FDP-Fraktion hat von jeher gegen anitisraelische und antisemitische Tendenzen und Vorfälle unmissverständlich Stellung bezogen. Wir haben uns deswegen hier nicht anzuschließen, sondern wir waren Vorreiter. Bereits am 16. April 2002 hat meine Fraktion anlässlich von Übergriffen auf jüdische Mitbürger und auf Gäste Berlins sowie antiisraelischer Demonstrationen folgende Erklärung abgegeben, die Grundlage einer gemeinsamen Entschließung aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen geworden ist:
Der Schutz des Staates Israel und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes durch die Völkergemeinschaft und ganz besonders durch den Westen sind Essentials liberaler Politik. Eine kritische Einstellung gegenüber der aktuellen Politik der Regierung des Staates Israel rechtfertigt keine offene oder stillschweigende Duldung antiisraelischer Kampagnen, in welchem Rahmen oder aus welchem konkreten Anlass heraus sie auch immer stattfinden. Die historische Erfahrung lehrt, dass es nicht nur einen rechten, sondern auch einen linken Antisemitismus gibt. Die FDP-Fraktion verurteilt jede Spielart von Antisemitismus auf das Schärfste. Die FDP-Fraktion erklärt sich in Anbetracht der antijüdischen Gewaltakte und Androhungen mit der Jüdischen Gemeinde in Berlin solidarisch.
Das Verhältnis der FDP zu Israel lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Dazu hat die FDP auf ihrem Mannheimer Parteitag einen Beschluss gefasst, dessen Kernsätze lauten:
Für die FDP ist das uneingeschränkte Existenzrecht Israels unantastbar. Für uns gehört dies ebenso wie das transatlantische Bündnis, die deutsch-französische Freundschaft oder die europäische Einbettung deutscher Politik zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Die FDP hat diese Politik unter der Verantwortung von Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel über Jahre gestaltet und umgesetzt. Die vielschichtige, enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel ist in erster Linie ein Verdienst liberaler Außenpolitik. Dies wird auch in Zukunft so bleiben. Die deutschen Liberalen bekämpfen Antisemitismus und Antizionismus mit aller Entschiedenheit. Bei uns findet niemand eine politische Heimat für antiisraelische Politik. Kein Widerstandrecht der Welt legitimiert dazu, Selbstmörder zu rekrutieren und Unschuldige mit in den Tod zu reißen.
Die Berliner FDP-Fraktion teilt selbstverständlich diese Aussagen uneingeschränkt. Im Übrigen ist dies einstimmig gefallen, und auch Herr Möllemann hat ganz klar erklärt, dass er zu diesen Aussagen steht.
Das schließt Kritik an der Regierung Israels nicht aus. Diese Kritik hat es immer gegeben. Sie hat das Verhältnis Deutschlands zu Israel nie belastet. Harte politische Auseinandersetzungen und durchaus heftiger Streit in der Sache sind in einer Demokratie notwendig. Das gilt auch für die schwierige Frage nach dem richtigen Weg bei der Lösung des Nahostkonflikts. Die Berliner FDP-Fraktion erwartet aber von allen, die in politischer Verantwortung stehen, ein Handeln und eine Wortwahl, die dieser Verantwortung gerecht werden.
Die Aufnahme des ehemaligen grünen Abgeordneten Jamal Karsli in die FDP und die FDP-Fraktion im Nordrheinwestfälischen Landtag hat die Berliner FDP stets als falsch kritisiert, und zwar von Anfang an. Die Äußerungen Karslis, die er als Mitglied der Grünen gemacht hat, wurden von uns wiederholt öffentlich verurteilt, und zwar von mir bereits vor zwei Wochen. Das war genau an dem Tag, als erstmals bekannt wurde, dass der Kreisverband Recklinghausen Herrn Karsli aufnehmen wollte. Ich habe mich hierzu als Erster positioniert, und zwar mit Rückendeckung meiner gesamten Fraktion. Und auch in der weiteren Debatte hat meine gesamte Fraktion klar positioniert. Namentlich waren das die Herrn Mleczkowski gleich am nächsten Tag – zu lesen in der „Morgenpost“ und der „Welt“ –
und weitere Mitglieder meiner Fraktion. Ebenfalls ist Herr Dr. Jungnickel hervorzuheben. Herr Matz hat eine neue Erklärung abgegeben, die heute im „Tagesspiegel“ zu lesen ist. Es gibt also überhaupt keinen Zweifel an der Haltung von mir persönlich und meiner gesamten Fraktion in dieser Frage. Wir haben von Anfang an verurteilt – auch, weil es angesprochen wurde –, bei der Kritisierung von Herrn Friedman einen Bezug zu seiner Religion herzustellen. Wir haben das von Anfang an klargemacht. Es gibt also keinen Grund, hier irgendetwas anzuzweifeln, was meine Fraktion und den gesamten Landesverband Berlin anbelangt.
Wir haben gestern bzw. am Dienstag einen Entwurf eines Entschließungsantrags der Fraktion der Grünen bekommen. Der Kernsatz lautete wie folgt:
Das Abgeordnetenhaus von Berlin verurteilt diesen Versuch prominenter Mitglieder der FDP, aus wahltaktischen Gesichtspunkten die jüdische Bevölkerung für wachsenden Antisemitismus in der Bundesrepublik mitverantwortlich zu machen.
Aus diesem Kernsatz des ursprünglichen Antragsentwurfs wird klar, um was es hier eigentlich geht. – Das ist übrigens eine Infamie, weil kein einziger FDP-Politiker jemals die jüdische Bevölkerung für den Antisemitismus verantwortlich gemacht hat. – Aber
aus diesem Satz wird ganz klar, um was es hier heute gehen soll. Es existiert kein landespolitischer Bezug. Im Gegensatz zu der Erklärung und der Resolution, die wir auf unsere Initiative hin verabschiedet haben – als es darum ging, dass auf unseren Straßen Leute mit Selbstmordbändern herumliefen und Jüdinnen und Juden im S-Bahnzügen angepöbelt wurden –, haben wir keinen landespolitischen Bezug. Meine Fraktion hat keinerlei Anlass für diese Resolution gegeben. Das Einzige, um das es bei dieser Resolution geht, ist das, was sie vorgibt verhindern zu wollen, nämlich Wahlkampf. Das ist ausschließlich zu Wahlkampfzwekken inszeniert worden. Es gibt keinerlei Ansatz, hier im Landesparlament von Berlin diesen Antrag zu beschließen. Darum geht es, und deswegen werden wir an der Abstimmung darüber nicht teilnehmen. Wir haben uns nicht anzuschließen. Wir haben von Anfang an klar gemacht, um was es in der Sache geht, und deshalb lehne ich es auch insbesondere ab, gerade von den Grünen hierbei eine Vorreiterrolle vorgegaukelt zu bekommen. Herr Karsli – das ist gesagt worden – ist über zehn Jahre bei den Grünen gewesen, und einen Großteil seiner Äußerungen – insbesondere den von mir als besonders verwerflich empfundenen Vergleich mit den Nazi-Methoden – hat er als Abgeordneter der Grünen gemacht. Es ist mir nicht bekannt geworden, dass daraufhin tatsächlich ein Ausschlussverfahren angestrengt wurde – weder von der Partei noch von der Fraktion. Es hat auch keine Strafanzeige durch die Parteichefin Roth gegeben, und es hat darauf auch keinen Entschließungsantrag durch die Berliner Grünen-Fraktion gegeben.
Es wird also völlig klar, worum es hier geht: Wir befinden uns im Wahlkampf. Sie versuchen, an der bereits ausgehenden Flamme dieser mühsamen und elenden Debatte noch einmal ihre Hände zu wärmen und sich auf unsere Kosten in der Berliner Öffentlichkeit zu profilieren. Dies lehnen wir ab, und insoweit nehmen wir an dieser Abstimmung nicht teil.
Für den Senat hat der Bürgermeister Dr. Gysi um das Wort gebeten. Er erhält es damit. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen des Berliner Senats will ich anlässlich dieser Debatte darauf hinweisen, dass der Senat in tiefer Verbundenheit nach wie vor wie in allen Zeiten zur Jüdischen Gemeinde von Berlin und zu allen Menschen jüdischen Glaubens in Berlin steht – auch zu allen Gästen jüdischen Glaubens in Berlin. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Senat alles in seiner Kraft Stehende tun wird, um jede Form von Antisemitismus in dieser Stadt zu unterbinden. Wir werden auch in Zukunft alles, was in unseren Kräften steht, tun, um jüdische Einrichtungen, Synagogen, Friedhöfe und Jüdinnen und Juden in unserer Stadt zu schützen, und dafür sorgen, dass sie für alle Zeit in der deutschen Hauptstadt friedlich mit allen anderen Bürgerinnen und Bürgern zusammenleben können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse somit über den Antrag abstimmen. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU, PDS und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 15/503 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der FDP ist dieser Antrag mit den Stimmen von PDS, Grünen, SPD und CDU angenommen.
Der Abgeordnete Jungnickel bat darum, eine p e r s ö n l i c h e E r k l ä r u n g z u s e i n e m A b s t i m m u n g s v e r h a l t e n abgeben zu können. Er hat dafür eine Redezeit von drei Minuten zur Verfügung. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach § 72 der Geschäftsordnung kann ich erklären, warum ich so abgestimmt habe, wie ich das getan habe: Ich habe mich der Stimme enthalten.
Es ist mir sehr schwer gefallen, diesem Antrag nicht zuzustimmen. [Momper (SPD): Warum haben Sie es nicht gemacht?]
Ausschlaggebend war, dass hier der Name Möllemann auftauchte. Wenn Sie sich selber einmal die Mühe machen, diesen Antrag durchzulesen, werden Sie feststellen: Wenn darin der Name Möllemann fehlen würde, hätten überhaupt keine Schwierigkeiten bestanden, mit der FDP in das Gespräch zu kommen.
Aber es geht noch weiter: Es handelt sich eigentlich um zwei Anträge, nämlich zum einen um den Antrag, der sich mit dem Antisemitismus beschäftigt – und die vielen Redebeiträge haben gezeigt, dass Sie sich ganz anderer Motive bedienen, um diesen Antrag zu rechtfertigen. Die Angelegenheit Möllemann muss von diesem Antrag getrennt werden. Ich habe versucht, mit verschiedenen Abgeordneten hier im Hause in das Gespräch zu kommen, um diesen Antrag so zu ändern, dass der Name Möllemann herausfällt. Sie wissen alle – und Sie wissen auch, wie ich mich in der Öffentlichkeit geäußert habe: Es gibt nicht den geringsten Grund, die Debatte Möllemann niedrig zu hängen. Aber Sie wissen auch alle, dass es um viel Tiefgreifenderes geht als darum, einen solchen – ich möchte fast sagen: oberflächlichen – Entschließungsantrag zur Abstimmung zu bringen. Was in der Zukunft auf uns zukommen wird, das ist eine grundsätzliche Debatte über die Positionierung unserer Gesellschaft. Wir haben überhaupt keinen Grund, hier eine parteipolitische Spielerei zu üben, und das ist die Gefahr, die in dieser Abstimmung enthalten ist.
Gut! Ich höre Widerspruch. Mag schon sein, dass ich mich irre. Okay! Das falsch ausgesprochene Wort wird immer aufgehängt.
Ich möchte nur darauf hinaus: Was uns in der Zukunft in dieser Sache noch bevorsteht, wird uns noch sehr zu schaffen machen. Es gibt nicht den geringsten Grund, anzunehmen, dass der demokratische Konsens verloren geht oder angetastet ist dadurch, dass die FDP zum größten Teil an dieser Abstimmung nicht teilgenommen hat. Wir sind alle in der Verantwortung, diese Frage so zu behandeln, dass wir die Waage sehr genau bedienen.
Mit dem Feld des Antisemitismus und in der Auseinandersetzung mit dem Orient – das ist also keine Sache von Scharon oder von Michel Friedman – ist eine viel tiefergehende Diskussion angestoßen worden, und ich bitte alle, die hier sitzen, und auch alle, die nicht hier sitzen, in der Zukunft diese Unterscheidung zu machen. Wir müssen damit rechnen – und ich befürchte das –, dass sich die Parteienlandschaft in Deutschland spürbar ändern wird. Das muss nicht unbedingt zu einem positiven gesellschaftlichen Entwicklungsprozess führen. Aber ich sehe das so, und deswegen habe ich es für richtig gehalten, Ihnen zu sagen, weshalb ich dieser zu kurz gegriffenen Resolution bzw. diesem Entschließungsantrag nicht zugestimmt habe. – Danke!
Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung des Abgeordnetenhauses findet statt am 13. Juni 2002, 13. 00 Uhr – wie immer in diesem Plenarsaal. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Abend!
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