1. Wie schätzt der Senat die weitere zu erwartende Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2002 ein, auch angesichts der sich verstärkenden positiven Signale der Konjunkturentwicklung in der Berliner Wirtschaft, vor allem für das produzierende Gewerbe?
2. Worauf ist diese Entwicklung vor allen Dingen zurückzuführen, und welche Maßnahmen sind geplant, um die positive Konjunkturentwicklung zu stabilisieren?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Krug! Für die wirtschaftliche Entwicklung in Berlin ist ein realistischer und damit, so würde ich sagen, ein verhaltener Optimismus angezeigt. Die von der IHK
befragten Unternehmen sprechen von einer „zaghaften Stabilisierung“. Wir erwarten bundesweit eine konjunkturelle Aufwärtsbewegung. Sie wird insbesondere gestützt durch die Erholung in den USA und durch günstige monetäre Rahmenbedingungen. Das wird auch auf Berlin ausstrahlen.
Durch wieder stärkere überregionale Impulse werden sich die wirtschaftlichen Aktivitäten der Stadt erholen.
Hier beobachten wir, dass sich die Auftragsbücher der Berliner Industrieunternehmen spürbar gefüllt haben. Wir rechnen damit, dass das zweite Halbjahr 2002 deutlich besser wird als das erste Halbjahr 2002. Im Gefolge der Wirtschaftserholung wird es auch zu einer leichten tendenziellen Besserung auf dem Arbeitsmarkt kommen.
Zu Ihrer 2. Frage: Auslöser für die merkliche Belebung der Industrienachfrage war der kräftige Zustrom der Aufträge aus dem – –
[Das Mobiltelefon von StS Strauch klingelt. – Ritzmann (FDP): Was Klassisches! – Henkel (CDU): Gysi! – Allgemeine Heiterkeit und Beifall]
Die Ordertätigkeit, die schon Ende 2001 auf Grund einer außergewöhnlichen Häufung von Großaufträgen deutlich gestiegen war, hat sich in den ersten vier Monaten weiter verbessert. Hier haben wir Zahlen, die ich interessant finde – Die hatte ich schon vorher, Herr Präsident! –: Das Bestellvolumen im Zeitraum Januar bis April 2002 übertraf den Vorjahresstand noch einmal um 5,5 Prozent, bundesweit dagegen waren es minus 3 Prozent. Die Exportabschlüsse legten dabei real um 17 Prozent zu, in Deutschland nur plus 0,5 Prozent. Die Nachfrage inländischer Kunden gab zwar in Berlin um 3,5 Prozent nach, aber weniger in Gesamtdeutschland, da waren es 6 Prozent.
Es gibt außerdem einige Hinweise auf eine Stabilisierung der Vergabetätigkeit. Und schließlich haben wir auch gewisse Ansätze dafür, dass die Bauwirtschaft insbesondere durch mehr Aufträge im gewerblichen Hochbau wieder etwas mehr Tritt fasst. Gleichwohl sind die Daten keineswegs einheitlich. Wir haben insbesondere im Handel und im Gastgewerbe eine ganz schwierige Situation.
Sie haben außerdem gefragt, wie wir denn die verhalten positive Konjunkturentwicklung unterstützen wollen. Das erste und wichtigste ist die Verabschiedung des Doppelhaushalts. Wir können dann nämlich wieder die GA-Förderung einsetzen. Damit bewegen wir ein Volumen von rund 700 Millionen $ insgesamt.
Das wird sich hier sicherlich sehr positiv auswirken. Wir haben außerdem vor – das ist ein weiteres wichtiges Element –, bürokratische Hemmnisse abzubauen und dadurch wirtschaftliche Tätigkeit anzukurbeln.
Schließlich sehen Sie ja ausnahmsweise mich mit einem nicht abgestellten Handy hier stehen, weil Senator Dr. Gysi gerade in den USA und Kanada ist und sich dort einsetzt für den Wirtschaftsstandort Berlin, natürlich mit dem Ziel, weitere Investoren nach Berlin zu holen.
[Beifall bei der PDS und der SPD – Wieland (Grüne): Was bringt er denn mit? – Mutlu (Grüne): Coca Cola! – Heiterkeit – Sen Strieder: Schluss mit eurem Antiamerikanismus!]
Vielen Dank, Herr Staatssekretär für diese aktuellen Antworten, von denen wir noch weitere erwarten können. – Es stellt sich natürlich auch die Frage nach den Kernkompetenzen der Berliner Wirtschaft. Auch hierzu sollte man doch noch etwas sagen: Welche Kernkompetenzen sehen Sie, vor allen Dingen auch in dem von Ihnen angesprochenen verarbeitenden Gewerbe?
Träger des Exportvolumens waren die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Fahrzeugindustrie, also eigentlich die Old-Economy in diesem Fall. Zu den Kernkompetenzen gehören aber auch einige Bereiche aus der New-Economy. Ich erwähne als Beispiel nur die Biotechnologie, deswegen besonders, weil Senator Dr. Gysi in Toronto eben auch eine große biotechnologische Messe besucht hat, auf der immerhin 18 Berliner Unternehmen vertreten sind.
Herr Staatssekretär! Erinnern Sie sich an die seinerzeitigen Worte des seinerzeitigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen – 1998, Schröder –, der damalig sich abzeichnende Aufschwung sei bereits im Vorgriff auf einen zu erfolgenden Regierungswechsel – nämlich dass er Bundeskanzler wird? Meinen Sie nicht auch, dass sich die zarten Pflänzchen einer konjunkturellen Erholung bereits im Vorgriff auf den allgemein erwarteten Wechsel der Bundesregierung am 22. September zeigen?
Entwicklungen haben meist einen Vorund einen Nachlauf. Es scheint mir ganz wichtig zu sein, auch daran zu erinnern – Senator Strieder hat es in einem anderen Zusammenhang gemacht –, dass unternehmerische Entscheidungen und unternehmerische Prognosen von Unternehmen getroffen werden. Die Unternehmen ziehen eine Regierung in Erwägung, aber nicht nur das, sondern auch das konjunkturelle Umfeld, Kreditbedingungen und Ähnliches.
All das wirkt sich dann auf Aussagen aus. Mit Prognosen ist das immer so eine Sache. Wenn man sie sicher voraussagen könnte, wären Prognosen keine Prognosen mehr. Sie drücken eine Erwartung aus.
Ich beziehe mich da auch ausdrücklich auf die Konjunkturumfrage der IHK. Der Anteil der Berliner Unternehmen, die jetzt wieder in der Mehrzahl der Überzeugung, dass es im zweiten Halbjahr besser wird, überwiegt jetzt wieder die Zahl der Skeptiker. Das zweite Halbjahr 2002 beginnt bekanntlich am 1. Juli.
Herr Staatssekretär, eine Nachfrage: In der letzten Woche wurde auch ein Gutachten vorgelegt, in dem ein überraschendes Ergebnis war, dass die Kooperation zwischen dem produzierenden Gewerbe und dem Dienstleistungsgewerbe in der Stadt deutlich stärker ist, als es viele Leute erwartet
haben. Gibt es bei Ihnen, im Senat oder in der Wirtschaftsverwaltung, schon erste Ideen, wie diese Zusammenarbeit zwischen der „Old“ und der „New Economy“ weiter verstärkt werden kann, um den Wirtschaftsstandort Berlin insgesamt zu stärken?
Das Erste ist schon mal, dass man aufhören sollte, immer nur von der „Stadt der Dienstleistung“ zu reden. Die „Stadt der Dienstleistung“ ist auch eine „Stadt der Produktion“, und zwar in der Produktion, ein Handwerk wie auch in der Industrie.
Ich finde es bemerkenswert – das wird häufig vergessen –, dass die Dienstleistung etwa ein Drittel ihres Umsatzes mit der Industrie macht, mit dem produzierenden Gewerbe insgesamt. Wir sitzen auch an ganz realen Tischen und haben ganz reale Mobiltelefone in der Hand. Das heißt, wir brauchen die materielle Basis. Ohne sie geht es einer Stadt nicht gut. Allein schon diese Einsicht und auch die entsprechende Darstellung dieser Stadt nach außen ist ein wichtiger Schritt.
Der andere ist, dass wir – etwa in Adlershof, etwa in Buch – genau dieses probieren: das produzierende Gewerbe mit den Dienstleistungen zusammenzuführen, und da wiederum den wissenschaftlichen Bereich mit dem unternehmerischen Bereich. Das scheint mir die richtige Strategie zu sein.
Wenn Sie diese Studie erwähnen, füge ich an, dass die schwierige Situation, die die Industrie durchlaufen hat, auch dazu geführt hat, dass sie sich maßgeblich modernisiert hat und jetzt vergleichsweise gut aufgestellt ist. Sie ist sehr viel kleiner geworden, aber sie ist leistungsfähiger geworden.
Herr Staatssekretär! Ich komme auf die von Ihnen gerade angesprochene Studie zurück. Sie enthält indirekt – oder vielleicht sogar sehr direkt – auch Kritik an der bisherigen Einschätzung, dass eine Überbewertung des Dienstleistungssektors zu Ungunsten des produzierenden Gewerbes vorgelegen hat.