Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

Schließlich brauchen wir in Berlin – und in Deutschland – eine Reform der Lehreraus- und -fortbildung. Generell ist dazu zu sagen, dass nach meinem Eindruck in der Bundesrepublik Deutschland und auch in Berlin die Studien zu lange dauern und es dann so ist, dass Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie dann endlich, wenn wir Glück haben, mit dem zarten Alter knapp über dreißig erstmals in die Schule kommen können, dass dann danach als Pflicht keine Fortbildung mehr verlangt wird. Viele Lehrerinnen und Lehrer machen das, aber es ist denkbar auch möglich, dass man danach 30 Jahre seinen Beruf ausübt, ohne sich weiter systematisch fortzubilden. Eine der Forderungen muss sein, dass wir eine Fortbildungspflicht für Lehrerinnen und Lehrer einführen und auch dafür Angebote machen, damit man sich in diesem wichtigen Feld weiter entwickeln kann.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Abgn. Dr. Stölzl (CDU) und Goetze (CDU)]

Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass wir auch den Erststudiengang für Lehrerinnen und Lehrer nicht beständig mit einer Fülle von Stoffen überfordern sollen, sondern wir sollten vielmehr der Überlegung näher treten, dass man diese Studien kürzer macht, dafür aber den Lehrerinnen und Lehrern Gelegenheit gibt, nach einer – weiß ich – 15-jährigen Berufsausbildung ein halbes Jahr ein bisschen systematisch an die Universität zu gehen und sich neu mit Überlegungen der Didaktik und Pädagogik zu beschäftigen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Brauer (PDS)]

Das sind einige Schlussfolgerungen. Sie sind auch nicht komplett und noch nicht fertig. Ich denke aber, insgesamt gibt diese Studie uns allen Anlass, zu durchgreifenden Veränderungen zu kommen. Im Übrigen belegt sie ganz augenscheinlich, dass bei der allgemeinen Aussage in der Politik, nämlich dass Bildung Priorität hat und Bildung der einzige Rohstoff ist, den dieses Land hat, und die einzige Qualität hat, mit der dieses Land im internationalen Wettbewerb bestehen kann, dass wir weit davon entfernt sind, mit dieser Prioritätsaussage in einem internationalen Standard bestehen zu können. Es gibt viel zu tun.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Danke schön, Herr Senator! – Frau Dr. Tesch, bitte, erste Nachfrage!

Herr Senator! Die Studie hat auch ergeben, dass gerade in Deutschland die Schere zwischen den lernstarken Schülerinnen und Schülern und den lernschwächeren äußerst groß ist. Ich frage daher: Sind Sie mit mir der Meinung, dass in Deutschland und vielleicht auch in Berlin das didaktische Prinzip, die Lernstärkeren zu fordern und die Lernschwächeren zu fördern, vielleicht nicht immer ausreichend berücksichtigt wird und dass die Lehrerinnen und Lehrer sich oft an dem mittleren Standard orientieren und deshalb noch verstärkter für Binnendifferenzierung geworben werden muss und daher die Lehrerinnen und Lehrer auch dazu befähigt werden müssen?

Bitte schön, Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Tesch! Ich kann gerne bestätigen, zu einem der überraschendsten Ergebnisse in dieser Studie gehört, dass die Bundesrepublik Deutschland vorne liegt im Maß der Ungleichheit, und zwar liegt die Bundesrepublik Deutschland in diesem Fall vor den Vereinigten Staaten. Ich glaube, niemand, der sich bislang damit beschäftigt hat, hätte jemals gedacht, dass man ein solches Ergebnis feststellen kann. Ich denke, dass wir da auch allen Anlass haben, dort zu Veränderungen zu kommen. Richtig ist – ich hatte das schon betont –, dass wir insbesondere auch unserer Didaktik und Methodik verbessern müssen.

Ich will hier aber auch deutlich sagen, das ist nicht ein Prozess, den wir in der Berliner Schule bei Null beginnen. Es hat bereits eine Studie mit dem schönen Namen TIMSS gegeben. Da ging es um die Messung von mathematischen Fähigkeiten. Das war auch eine international angelegte Studie. Als Effekt dieser Studie wird in Berlin schon seit einigen Jahren an der Verbesserung der Didaktik und Methodik des Mathematikunterrichts gearbeitet, sicherlich in dem Sinne, den Sie eben geschildert haben, das heißt, es kommt darauf an, auch die diagnostischen Fähigkeiten von Lehrerinnen und Lehrern zu stärken, damit sie überhaupt erkennen, wo die einzelnen Schülerinnen und Schüler sind, damit sie sie gezielter fordern und fördern können.

Noch eine Frage, Frau Dr. Tesch? – Bitte!

Danke, Herr Präsident! – Herr Senator, Sie haben zu Recht erwähnt, dass bei der PISA-Studie kein Wissen abgefragt wurde, sondern Fähigkeiten, also Strategien statt Faktenkenntnisse. Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Lehrerfortbildung auch darauf eingehen und unsere Lehrerinnen und Lehrer befähigen muss, die Schüler das Lernen zu lehren und nicht Faktenwissen zu übermitteln?

Herr Senator, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Tesch! Sie haben Ihre Frage so wunderbar formuliert – ich bin uneingeschränkt Ihrer Meinung.

Es gibt keine weiteren Fragen.

[Mutlu (Grüne): Ich habe gedrückt!]

Hier ist nichts angekommen. – Dann stellen Sie bitte Ihre Nachfrage!

Vorab eine Bemerkung: Die denkbar falscheste Schlussfolgerung, die man aus dieser Studie ziehen kann, haben die Unionsparteien getan, sie haben nämlich behauptet,

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(B) (D)

die ausländischen Schüler machten das deutsche Schulsystem kaputt. Das ist das denkbar dümmste in Anbetracht der Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien, aus sozial benachteiligten Gebieten und Migrantenkinder am wenigsten europaweit gefördert werden. Das muss man festhalten. Das ist auch ein Resultat dieser Studie. Ich kann alles, was Sie gesagt haben, Herr Böger, unterschreiben.

[Braun (CDU): Fragen!]

Meine Frage ist: Können Sie ein paar konkrete Beispiele nennen, was Sie unmittelbar und kurzfristig tun wollen? Werden Sie z. B. die Klassenfrequenzreduzierungen in sozial benachteiligten Gebieten und in Gebieten mit hohem Migrantenanteil fortsetzen? Wird es endlich in dieser Legislaturperiode eine flächendeckende Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule geben? Werden wir endlich weitere – nicht nur als Floskel, sondern tatsächlich – Ganztagsgrundschulen in Berlin haben, wann und wie viele?

[Niedergesäß (CDU): Das ist ja ein Grundsatzreferat!]

Das war schon fast das ganze schulpolitische Programm. – Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Mutlu! Alle die Projekte, die Sie eben genannt haben, hoffe ich sehr, werden Projekte des künftigen Senats und auch der Koalition sein, die den Senat trägt. Aber der Senat würde sich wahrscheinlich auch freuen, wenn das allgemein getragen werden würde. Sie haben Recht, wir wollen und werden die pädagogische Betreuung in Berlin auf stabile und klare Füße stellen, das heißt, wir wollen in ganz Berlin, nicht nur im Ostteil der Stadt, eine gesicherte Betreuung im Primarbereich haben. Wir wollen auch die Ganztagsgrundschulen ausbauen. Wir wollen auch eine stärkere Orientierung darauf legen, dass insbesondere in sozial belasteten Gebieten die Klassenfrequenzen niedriger bleiben. Ich will hier nur eines noch sagen, Herr Abgeordneter Mutlu: Die PISA-Studie hat allerdings ergeben, dass es keinen direkten proportionalen Zusammenhang zwischen der Steigerung der Qualität und der Größe der Klassen gibt. Es gibt allerdings auch nicht umgekehrt die Aussage: Je größer die Klassen, desto besser die Leistung! – Ich will nur darauf hinweisen, so notwendig das ist, als isolierte Frage wird es insgesamt nicht ausreichen. Man muss sich auch alle anderen Elemente durchlesen und dann zu gemeinsamen Konsequenzen kommen. Dazu werden wir in der kommenden Legislaturperiode viel Zeit verwenden.

Danke schön, Herr Senator! – Weitere Nachfragen liegen hierzu nicht vor.

Dann rufe ich auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Gewalt von der Fraktion der CDU über

Anstieg der Kriminalität in Berlin

Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Welche Ursachen sieht der Senat für den nach Presseberichten vom 7. Dezember 2001 dramatischen Anstieg der Kriminalität in den letzten fünf Monaten, insbesondere bei Gewaltdelikten in Berlin?

2. Hält der Senat angesichts dieser Entwicklung und nach dem 11. September eine personelle Reduzierung der Berliner Polizei für vertretbar?

Der Herr Senator für Inneres dürfte bereit, willens und in der Lage sein, das zu beantworten.

Herr Kollege Gewalt! Seriöse Aussagen zur Entwicklung von Straftaten sind grundsätzlich nur über einen längeren Zeitraum sinnvoll. Aus diesem Grunde wird entsprechend jahrelanger Übung eine Darstellung und Bewertung der Kriminalitätsentwicklung erst nach Vorliegen der polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 2001 möglich sein, die im ersten Quartal 2002 erwartet wird.

Für das zu Ende gehende Jahr lässt sich gleichwohl folgende Trendaussage skizzieren: Bereits im ersten Halbjahr 2001 konnte im Gegensatz zu den Vorjahren ein Anstieg aller von der Berliner Polizei erfassten Delikte festgestellt werden, der bei ca. 3,1 % lag. Bis Ende November 2001 ist dieser Trend mit 3,3 % weitestgehend stabil geblieben. Die Zunahme geht im Wesentlichen auf den Bereich der Vermögensdelikte, hier insbesondere des Betrugs mit rechtswidrig erlangten Kreditkarten, des Computerbetrugs in Verbindung mit dem Missbrauch des Internets und der Urkundenfälschung, sowie auf sonstige Straftaten, wie Beleidigungen und Sachbeschädigungen, zurück. Die Delikte der Gewaltkriminalität weisen vom Trend her gleichfalls einen leichten Anstieg auf, der jedoch unterhalb der Entwicklung aller Straftaten liegt und uneinheitlich ist. Während sich dem Trend nach eine Abnahme bei den besonders gravierenden Straftaten gegen das Leben, bei Raubüberfällen in der Öffentlichkeit, dem Handtaschenraub und den Raubüberfällen auf Geldinstitute und Ähnlichem, abzeichnet, wird es einen Anstieg bei Körperverletzungsdelikten geben, hier auch im Zusammenhang mit vermehrten Anzeigen zur häuslichen Gewalt und im Bereich der Sexualdelikte. Der statistische Anstieg der Vergewaltigungen in diesem Bereich ist aber auch eine Folge der verzögerten DNA-Dateierfassung von Fällen aus dem Jahre 2000. Erst im Anschluss an diese Erfassung kann die Fachdienststelle die Fälle abschließen und in der polizeilichen Statistik erfassen. Außerdem führt glücklicherweise die anhaltende Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber bestimmten Sexualdelikten, wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einem veränderten Anzeigenverhalten, das heißt zu vermehrten Anzeigen.

Zu Ihrer zweiten Frage: Der Senat ist sich der besonderen Bedeutung der Sicherheitslage Berlins, insbesondere auch nach dem 11. September 2001, bewusst. Die Berliner Polizei ist dieser besonderen Sicherheitslage – auch durch Unterstützung anderer Polizeikräfte – bisher uneingeschränkt gerecht geworden.

Danke schön, Herr Senator! – Jetzt gibt es eine Nachfrage des Kollegen Gewalt. Bitte!

Herr Innensenator! Wenn Sie sich der besonderen Sicherheitslage bewusst sind, halten Sie es dann für gerechtfertigt, dass beispielsweise der Freiwillige Polizeidienst – wie man hört – abgeschafft werden soll? Sie haben sich vor einigen Wochen noch vehement für eine Aufstockung dieses Freiwilligen Polizeidienstes eingesetzt.

Herr Senator Dr. Körting!

Herr Kollege Gewalt! Der Senat ist ein Verfassungsorgan, das dem Abgeordnetenhaus gegenüber zuständig und verantwortlich ist für die Politik, die der Senat macht. Der Senat ist kein Gremium, das Parteiverhandlungen zu beurteilen hat. Das einmal vorab.

Im Übrigen weise ich auf Folgendes hin, Herr Kollege: Der Freiwillige Polizeidienst, der besondere Verdienste insbesondere in der Parkraumbewirtschaftung und Ähnlichem hat, ist in diesem Bereich tätig und hat mit der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung der Stadt nichts zu tun.

[Zuruf von der FDP: Und was ist mit dem Objektschutz?]

Danke schön! – Eine weitere Nachfrage des Kollegen Gewalt! Bitte, Herr Kollege!

(A) (C)

(B) (D)

Herr Innensenator! Halten Sie es nicht für problematisch, dass Berlin – wenn ich die 13 Millionen DM einmal ausklammere, die nur der Ausgleich für vorhergehende Kürzungen gewesen sind – mittlerweile das einzige Bundesland sein wird, das im Vergleich zu anderen Ländern, die aufstocken, die Personalstärke der Polizei reduzieren wird – und das nach dem 11. September?

Herr Senator Dr. Körting – bitte!

Herr Kollege Gewalt! Ich weiß nicht, woher Sie die Aussage haben, dass im Vollzugsdienst der Polizei Kürzungen erfolgen sollen. Dem Senat ist dieses nicht bekannt. Vielmehr hat der Senat unmittelbar nach den Terroranschlägen in den USA das Erforderliche veranlasst, und zwar hat er sich bei dem Erforderlichen darauf konzentriert, das zu machen, was terroristischen Angriffen gegenüber wirksam ist, indem er dafür gesorgt hat, dass entsprechende Gelder zur Verfügung gestellt wurden, um im spezifischen Bereich der Terrorismusbekämpfung, insbesondere in der Telekommunikationsüberwachung, in verdeckten Ermittlungen und Ähnlichem, tätig zu werden. Richtig ist, dass der Senat nicht – wie einige andere Bundesländer – alles das, was man in den nächsten fünf Jahren an Investitionen in baulichen und sonstigen Angelegenheiten ohnehin vorhatte, zusammengeschrieben und darüber ein Plakat geklebt hat: „Das ist jetzt ein Antiterrorprogramm.“ Wir haben uns auf das konzentriert, was erforderlich und was sinnvoll ist. Und Terrorismusbekämpfung ist in erster Linie eine Frage der Informationsbeschaffung und nicht so sehr der Präsenz von Polizei auf der Straße.

Danke schön, Herr Senator! – Dann hat sich der Abgeordnete Krestel von der Fraktion der FDP zu einer Nachfrage gemeldet. – Bitte schön!