Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

Wir müssen bei der Teilnahme an einer Demonstration bedenken, in welche Gesellschaft wir uns begeben. Wir können nicht ausschließlich aus einem einzigen Beweg

grund handeln: Uns selbst und anderen demonstrieren, wie friedfertig und wie tolerant wir sind. – Auch wenn das einem inneren Bedürfnis entspringt, beeindruckt es niemanden in der Welt.

Wir müssen auf das Bild, das wir nach draußen abgeben, Acht geben. Gerade in Berlin. Das ist die Stadt, die ihre Freiheit den Amerikanern verdankt. Wenn Sie als die politischen Repräsentanten sich dabei in die Gesellschaft von antiamerikanischen Kräften begeben, dann wird etwas zerstört, und zwar in der breiten Öffentlichkeit Amerikas, und das kann uns noch schwer und lange Jahre verfolgen.

Genau das ist der Punkt, den wir Ihnen nicht durchgehen lassen können. Es geht nicht, dass die politisch Handelnden in dieser Stadt nur ihren eigenen Bedürfnissen hierbei folgen und nicht sehen, welche Folgen das Ganze für das Ansehen dieser Stadt hat. Deswegen war das, was am letzten Samstag geschehen ist, nicht gut für unser Bild in der Welt.

stützen, der den Text der Atlantikbrücke aufnimmt und dem man sich insofern auch anschließen kann. Ich fordere aber zum Abschluss Sie von der FDP-Fraktion noch einmal deutlich auf: Überdenken Sie Ihre Position! Überdenken Sie Ihr Abstimmungsverhalten! Schließen Sie sich womöglich auch unserer Resolution an! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Das Wort hat nun Herr Dr. Steffel.

[Zuruf des Abg. Hahn (FDP)]

Gerade Sie, Herr Hahn, als Präsidiumsmitglied müssten die Praxis kennen und wissen, dass Kurzinterventionen bei uns hier vorne angezeigt werden.

[Gaebler (SPD): Seien Sie lieber ruhig, Herr Hahn!]

Aber wenn Herr Dr. Steffel so freundlich ist, dann haben Sie jetzt das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Entschuldigung, aber ich war nicht so schnell, hierher zu kommen. – Meine Damen und Herren! Herr Müller! Das, was Sie eben abgeliefert haben,

[Doering (PDS): War ziemlich gut!]

mag vielleicht sogar aus Ihrem Herzen gekommen sein. Aber Sie werden verstehen, dass zwischen dem, was Sie da vortragen, und einer abgewogenen politischen Position ein großer Unterschied besteht. Mitunter klafft zwischen dem, was man aus dem Herzen sagt und der politischen Wirkung dessen eine Lücke.

Ihre Einstellung zum Irakkrieg kann ich sogar noch teilen. Ich kritisiere die Politik der Amerikaner in dieser Frage ziemlich deutlich. Ich glaube auch, dass das, was dort möglicherweise nach einer Intervention entsteht – ich denke dabei an den Terrorismus –, vielleicht noch schlimmer werden wird als das, was wir schon erlebt haben. Insofern gebe ich auch vielen, die da ehrlichen Herzens demonstrieren, in der Sache durchaus Recht. Es macht aber einen Unterschied, ob Menschen demonstrieren, die vielleicht einem naiven Bedürfnis folgen, oder politisch Handelnde, die politischen Akteure dieser Stadt, an einer solchen Sache teilnehmen.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Arrogant! – Zuruf der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Und das ist es, was wir kritisieren. Wir als politisch Handelnde,

[Zurufe von der SPD, der PDS und den Grünen]

Repräsentanten, Parlamentarier müssen auf die Wirkung achten, die wir dabei erzielen.

[Unruhe]

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

[Beifall bei der FDP und der CDU]

[Zurufe des Abg. Cramer (Grüne) und des Abg. Gaebler (SPD)]

An einem möglichen Krieg werden diese Demonstrationen nichts ändern. Sie werden daran so wenig ändern wie die Demonstrationen seinerzeit 1982 im Bonner Hofgarten. Auch das hat nichts dazu beigetragen, die Welt zu verändern.

[Gaebler (SPD): Das gilt für das, was Sie hier machen! – Weitere Zurufe von der SPD, der PDS und den Grünen]

Es war ganz anders. Historisch gesehen müssen wir Ronald Reagan dankbar sein, denn durch seine Politik war möglich geworden, dass die Sowjetunion schließlich überwunden wurde. Das war auch die politische Folge seines Handelns. Von Politikern erwartet man politisches Handeln, und das ist manchmal etwas anderes, als einem naiven Herzensbedürfnis zu folgen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Frau Oesterheld (Grüne): Ist ja unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD, der PDS und den Grünen]

Zur Erwiderung hat nun der Abgeordnete Müller das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es lohnt sich nicht wirklich, auf Ihren Redebeitrag einzugehen. Richtig habe ich ihn auch nicht verstanden.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Mir ist nur wichtig, es auch noch einmal von hier vorne zu sagen und nicht nur als Zwischenruf: Ich empfinde es als peinlich – peinlich auch für einen Abgeordneten dieses Parlaments –, es herabzuwürdigen, dass am Wochenende

Und ich sage auch, dass es höchstwahrscheinlich kein heute geeintes Europa – hoffentlich dauerhaft friedliches Europa – gegeben hätte, wenn nicht auch mit militärischer Abschreckung und mit Bedrohung amerikanische und andere Soldaten in Deutschland und in Europa dafür ge

sorgt hätten, dass der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West, zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO, endgültig und hoffentlich für immer gefallen ist. Und ich glaube, es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass es niemanden gab, der so uneingeschränkt die Selbstbestimmung der Deutschen und damit auch die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht hat wie die Amerikaner und insbesondere der damalige Präsident George Bush senior im Rahmen der deutschen Einheit.

Ich hoffe, dass wir uns nicht gegenseitig unterstellen, der eine ist weniger für den Frieden und der andere mehr für den Krieg. Ich betrachte die Debatte als evangelischer Christ, ich habe großen Respekt vor dem, was der Papst gesagt hat, der sehr deutlich Anwendung militärischer Mittel nur als allerletztes Mittel zulässt und der klar gesagt hat, dass Krieg immer das Versagen der Menschheit ist, aber leider Gottes es oft auch in dem historischen Ablauf Versagen von Menschen gab. Ich bin auch sehr sicher, dass das Verhalten des deutschen Bundeskanzlers auf dem Marktplatz in Goslar die Wahrscheinlichkeit auf Krieg eher erhöht und die Chancen für den Frieden eher reduziert hat.

Auch das gehört dann zu einer sachlichen Debatte, die hier möglich sein muss.

500 000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Es ist arrogant, dass Sie sagen, diese Demonstrationen bewirkten nichts – genauso wie die Friedensdemonstration Anfang der 80er Jahre. Es ist peinlich, was Sie hier abliefern.

[Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Steffel. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es tritt bei dieser Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus ein Stück weit das ein, was ich befürchtet habe,

[Brauer (PDS): Ja, wir auch!]

und ich glaube, dass wir damit der Erwartungshaltung der Menschen, die uns zuhören, nur bedingt entsprechen. Denn die Menschen treiben zwei Sorgen um, nämlich zum einen die Sorge um den Frieden, um mögliche Tote und Elend und auch um viele amerikanische, britische und andere Soldaten, die möglicherweise im Irakkrieg zu Tode kommen könnten. Ich kann sehr persönlich sagen – und ich glaube, auch für die CDU-Fraktion: Wir haben außerordentlich großen Respekt vor den Menschen, die am Wochenende ihrem Friedenswunsch Ausdruck verliehen und in Berlin demonstriert haben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir haben auch zur Kenntnis genommen, dass diese Demonstration entgegen anderen Erwartungen sehr friedlich verlaufen ist und sich z. B. die antiamerikanischen Plakate außerordentlich in Grenzen gehalten haben, wie es – hier besteht hoffentlich Konsens zwischen uns – der Respekt gegenüber beispielsweise dem Staat Israel oder der Bevölkerung, aber auch dem Präsidenten der Vereinigten Staaten verlangt.

Und ich sage zum Zweiten: Wir haben auch Menschen in der Stadt, die große Sorge haben, dass das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika – und das hat nichts mit Präsidenten zu tun; Präsidenten haben eine Amtszeit, und dann kommen neue Präsidenten, es sind solche und solche, gute und schlechte, erfolgreiche und weniger erfolgreiche, wie in Deutschland und wie in allen anderen Ländern auch – bleibenden Schaden nimmt. Das ist die Sorge, die viele Menschen umtreibt. Ich sage sehr deutlich, dass die Menschen, die am Wochenende demonstriert haben, wissen müssen, dass es diese Demonstrationen in Berlin niemals hätte geben können, wenn nicht 50 Jahre amerikanische Soldaten und amerikanische Präsidenten auch für die Demonstrationsfreiheit in Berlin eingetreten wären.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich glaube, dass nur der Druck auf Hussein und der gesamte Druck der freien Welt auf Hussein von UNO und allen beteiligten Ländern wirklich die Chance gibt, Krieg zu verhindern. Mir macht Sorgen, dass das deutschamerikanische Verhältnis nach meiner Einschätzung auf lange Sicht großen Schaden genommen hat und dass die Grundlage unserer eigenen Sicherheit, nämlich die atlantische Partnerschaft, aber auch das geschlossene und entschlossene Vorgehen der Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft Schaden genommen hat.

[Frau Ströver (Grüne): Man kann’s auch herbeireden!]

Ich sage auch: Dass wir 50 Jahre lang in Deutschland – und meine Generation betrifft das allumfassend – in gesichertem Frieden leben konnten, verdanken wir mehr der amerikanischen Verlässlichkeit als den Reden von irgendwelchen Friedensbewegungen. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.

[Beifall bei der CDU und der FDP]