Wortmeldungen – in der ersten Rederunde bis zu zehn Minuten pro Fraktion – liegen vor. Für die SPD-Fraktion hat sich die Abgeordnete Hertel gemeldet. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 1. Mai ist ein Feiertag. Er wird Tag der Arbeit genannt. In Berlin ist er leider aber auch seit 17 Jahren ein Tag der Gewalt. Seit 1987 versuchten Polizei und Politik mit teils ganz unterschiedlichen Konzeptionen, dieser Gewalt Herr zu werden, sie zu verhindern. Allerdings muss übereinstimmend gesagt werden: mit relativ wenig Erfolg.
Es ist schon lange nicht mehr nur der 1. Mai, sondern, wie in den letzten Jahren schwerpunktmäßig im Prenzlauer Berg immer wieder zu erkennen war, auch der 30. April, die sog. Walpurgisnacht. Diese kann als Ouvertüre zum 1. Mai gewertet werden und hat grundsätzlich mit schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei geendet.
Die Polizeitaktik änderte sich unter dem SPD-PDSgeführten Senat, und zwar hin zu einer Strategie der sogenannten ausgestreckten Hand. Es gab keine Verbote, aber einen Polizeieinsatz dort, wo er notwendig war. Das Resultat war nicht das Ende der Gewalt, aber ihre Eindämmung. Das war ein erster Hoffnungsschimmer.
In diesem Sinn ging es im Jahr 2003 weiter. Das Prinzip der ausgestreckten Hand war Erfolg versprechend, obwohl in Einzelfällen, beispielsweise in der Mariannenstraße, wo wieder Autos brannten, Polizeieinsätze wesentlich zügiger hätten erfolgen müssen.
Entsprechend modifiziert hieß es in diesem Jahr weiterhin: ausgestreckte Hand; wenn sie aber ausgeschlagen wird, dann wird umgehend zugegriffen. Die „Berliner Morgenpost“ titelte: „Die Spaßverderberstrategie“. – Die sah beispielsweise so aus: Die Walpurgisnacht musste mangels ausreichender Wurfgeschosse, nämlich Flaschen, friedlich enden. Die Polizeiführung hatte keine Flaschen zugelassen und alle vor Betreten des Platzes aufgefordert – und darauf hat sie gedrungen –, die mitgebrachten Getränke in bereitgestellte Plastikbecher umzufüllen. Dies geschah übrigens in Zusammenarbeit mit den anliegenden Kiosken und Imbissbuden, die sich bereit erklärten, an diesem Abend möglichst keine Flaschen zu verkaufen oder deren Inhalt in Plastikbecher umzufüllen. Dies ist ein erster Punkt, der zeigt, wo eine wirkliche Wende in der Zusammenarbeit mit vermeintlich unbeteiligten Bürgern eingetreten ist.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, Sie werden mit mir übereinstimmen, dass der Misserfolg grundsätzlich keinen Vater hat und der Erfolg stets eine Vielzahl. Wenn sich selbst der innenpolitische Sprecher der Opposition in den lobendsten Worten zur Polizeitaktik und zum Ablauf des 1. Mais äußert, wenn er sich also zu den Gewinnern zählen will, dann muss dieser 1. Mai ein
grandioser Erfolg gewesen sein. Es ist in diesem Jahr unter der Ägide des als Sicherheitsrisiko deklarierten Innensenators Körting gelungen, nicht das Gewaltritual zu durchbrechen, davon kann bei 348 Freiheitsentziehungen – davon 270 Straftätern, 113, dem Haftrichter vorgeführten Straftätern und 95 Haftbefehlen – mit Sicherheit nicht die Rede sein und ganz bestimmt nicht bei 250 verletzten Polizeibeamten. Aber es gibt eine Wende in diesem Gewaltphänomen: Es sind nämlich, und zwar nicht zuletzt, die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, die Bürgerinnen und Bürger, die den 1. Mai nicht mehr so erleben wollen, wie wir ihn kennen. Sie haben Lob und Anerkennung dafür verdient, dass sie sich ihren Kiez zurückerobern wollen, und auf sie wird es ankommen. Diese Bürgerinnen und Bürger wollen am 1. Mai nur feiern, und wir, Herr Henkel, werden auch weiterhin alles dafür tun, damit das auch in Zukunft möglich sein wird. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt einen Gewinner dieses 1. Mais, und das ist zunächst einmal die Stadt. Ich maße mir da nichts weiter an als das, was tatsächlich gefühlt worden ist. Aber für die heutige Aktuelle Stunde müsste man – zumal nach der abgegebenen Begründung des Kollegen Wolf – ein wenig schmunzeln, wenn die Sache an sich nicht so ernst wäre. Vielleicht ist das aber Ihr Abschiedsgeschenk an Wolfgang Wieland, damit er sich hier mit Aplomb verabschieden kann, bevor er nach dem Scheitern der Grünen bei den anstehenden Landtagswahlen seinen politischen Ruhestand in Brandenburg genießen kann. – Herr Wieland! Es sei Ihnen von dieser Stelle herzlich gegönnt.
Am darauf folgenden Tag hätte in Kreuzberg – so wird der Innensenator zitiert – derjenige, der Autos hätte anzünden wollen, diese selbst mitbringen müssen. Denn in dem gefährdeten Bereich war – mit einer Ausnahme – kein Auto mehr vorhanden. Sie waren rechtzeitig abgeschleppt worden. Eine private Randbemerkung: Wer will nach so vielen Jahren Randale am 1. Mai in diesem Bereich noch sein Auto abstellen?
Darüber hinaus haben sehr effizient arbeitende verdeckte Ermittler – ausgestattet mit einem reichen Erfahrungsschatz und interner Erkenntnisse über ihre Klientel – potentielle Störer rechtzeitig erkannt. Sie haben diese entweder an Straftaten gehindert oder ihren uniformierten Kollegen die für einen Zugriff erforderliche Identifikation ermöglicht.
Man kann Walpurgisnacht und 1. Mai wie folgt kennzeichnen: kluge Zurückhaltung, wo geboten, und rigoroses Eingreifen, wo erforderlich. Und – drei Ausrufezeichen – es gab keinen falschen Solidarisierungseffekt bei unbeteiligten Passanten oder Anwohnern mit vermeintlichen Demonstranten gegen die Polizei, sondern das Gegenteil war der Fall: Die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger hatten die klare Haltung, sich ihren Stadtteil und ihr „Myfest“ nicht mehr kaputtmachen zu lassen.
Derjenige, der sich wie ich in der Walpurgisnacht und am 1. Mai in den entsprechenden Gebieten aufgehalten hat, konnte zum ersten Mal in dieser Stringenz erleben und beobachten, wie Polizisten teilweise mit Freude in den Gebieten begrüßt wurden. Sie waren willkommen. Sie wurden nicht – wie in den vergangenen Jahren – mit Zweifel und Skepsis betrachtet. Die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger waren froh, Polizisten in ihren Straßen zu sehen, die ihnen halfen, sie vor Randalieren und Krawallmachern zu schützen.
Es gilt nicht als schicklich, sich selbst zu loben. Darum zitiere ich aus der Presse der letzten Tage:
Körtings Meisterstück Die Polizei hat es richtig gemacht Polizei verdirbt Randalieren den Spaß Lob für die Polizei Der Einsatz am 1. Mai war ein Erfolg
Nicht immer muss wahr sein, was in der Presse steht. Wer weiß das besser als wir? – Aber wen fragt man nun, um eine objektive Meinung zu haben?
Meine Damen und Herren! Da entzieht sich die Mehrheit von Rot-Rot einer Debatte über Berlins Potentiale in der Wissenschaft und Kultur und somit auch einer Debatte um das schwächste aller Senatsmitglieder, nämlich einer Debatte über einen vollkommen konzeptionslosen und durchsetzungsschwachen Senator Flierl, dessen einziger Punkt auf der Habenseite ganz offensichtlich die Tatsache ist, dass er der einzige PDS-Politiker im Kabinett Wowereit mit einer Ostbiographie ist. – Schade eigentlich!
Stattdessen beantragt die rote Koalition eine Aktuelle Stunde zum Thema „1. Mai in Kreuzberg – Engagement der Anwohner und Polizeikonzept haben sich bewährt“. An dieser Stelle könnte man mit einem kurzen und knappen Ja die Aktuelle Stunde für erledigt erklären.
Denn dieser 1. Mai unterschied sich in der politischen Würdigung aller hier im Abgeordnetenhaus vertretenen
In erster Linie bezieht sich das auf die Forderung nach einem schnellen und konsequenten Eingreifen der Polizei, nach einer räumlichen Nähe der Polizei zu potentiellen Gewalttätern sowie auf das Aussprechen von Platzverweisen und die Durchsetzung von Aufenthaltsverboten. Von Anfang an zeigten die Einsatzkräfte eine starke Präsenz an den neuralgischen Punkten und ließen – anders als noch im letzten Jahr – rechtsfreie Räume nicht zu. Inso
fern bestimmte in diesem Jahr wieder das Legalitätsprinzip das polizeiliche Handeln. Deshalb kann man die diesjährige Walpurgisnacht und die Geschehnisse rund um den Mauerpark am 30. April und am 1. Mai aus polizeitaktischer Sicht als erfolgreich betrachten.
Herauszuheben ist an dieser Stelle ganz sicher eine relativ einfache und unspektakuläre, im Ergebnis allerdings ebenso Erfolg versprechende Entscheidung, nämlich das Flaschenverbot am Mauerpark. Wir alle erinnern uns, welche Szenen sich im letzten Jahr an dieser Stelle und an diesem Ort ereigneten. Und überhaupt: Der verstärkte Einsatz so genannter Präventionskräfte, der Einsatz von Antikonfliktteams, das Durchsetzen des so genannten AHA-Konzepts sowie die Unterstützung durch die OGJs und der Einsatz von Videotechnik waren in der Summe Maßnahmen, die die jeweiligen Situationen vor Ort, für die dieses Mal auch der Polizeiführer vor Ort Verantwortung trug, die Situation dort mehr als nur beherrschbar machten. Und natürlich war es auch für meine Fraktion ein Erfolg versprechendes Element, dass es in diesem Jahr wieder zu einem, dieses Mal sogar verstärkten Engagement und Zusammenwirken zwischen Polizei, Anwohnern und Bezirksamt gekommen ist, die unter Hinzuziehung und Einbindung von verschiedenen türkischen und arabischen Vereinen in Kreuzberg das „Myfest“ organisierten und somit ein bürgerschaftliches Engagement freisetzten, welches deutlich machte, dass die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger es sich nicht länger bieten lassen wollen, alljährlich zum Schauplatz wüster Auseinandersetzungen zu werden.
Fraktionen zwar nach wie vor in Einzelthemen, aber ist insgesamt am vergangenen Montag im Innenausschuss als ein 1. Mai gelobt worden, bei dem – in Abkehr einer völlig verfehlten Deeskalationsstrategie der letzten beiden Jahre – das Polizeikonzept diesmal aufging.
Insofern fragt man sich, ob es in unserer Stadt, in der es Dank der desaströsen Politik von Rot-Rot an jeder Ecke knackt und knirscht, nicht wichtigere Themen gibt, als einen in der Summe relativ gut verlaufenen 1. Mai zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde zu machen. Aber wenn Sie das so wollen – –
Ach, Herr Kollege! Seit Sie hier im Parlament sitzen, wissen wir, dass in der Politik so mancher glänzt, der keinen Schimmer hat.
Aber wenn Sie das so wollen, wenn Sie sich über diesen 1. Mai unterhalten wollen, dann werden wir das tun, und meine Fraktion wird sich dem nicht verschließen.
Wie war es an diesem 1. Mai bzw. an den Tagen davor? – Vom 28. April bis 2. Mai sahen sich die Berliner Polizei und die sie unterstützenden Kräfte aus anderen Bundesländern mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert. Da war zum einen der Besuch des israelischen Staatspräsidenten Katzav zu bewältigen sowie der Besuch des amerikanischen Außenministers Powell und die OSZE-Konferenz mit 400 Regierungsvertretern aus 55 Ländern. Bei dieser großen Herausforderung leistete die Berliner Polizei – trotz der enorm demotivierenden Politik durch den SPD-PDS-Senat – eine gute Arbeit und stellte wieder einmal unter Beweis, wie professionell sie mit Großlagen umgeht.
Insgesamt stellt meine Fraktion mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass der Herr Innensenator offensichtlich aus seinen Fehlern, die ihm noch in den letzten Jahren im Zusammenhang mit den Geschehnissen um den 1. Mai unterliefen, gelernt hat. Das uns von der Polizeiführung vorgestellte Konzept machte bereits in der Theorie einen guten Eindruck und bewährte sich aus unserer Sicht auch in der Praxis. Bei diesem Konzept stellen wir auch ein Stück weit mit Genugtuung fest, dass unsere Vorschläge – insbesondere aus dem letzten Jahr – aufgenommen wurden und dass sich darin auch Elemente aus dem Jahr 2001 wiederfanden.