Protokoll der Sitzung vom 21.03.2002

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kaczmarek! Da kann ich natürlich nur zustimmen: Wer Phrasen sät, der wird Unsinn ernten. – Sie waren gerade das lebendige Beispiel dafür.

[Heiterkeit – Zurufe von der CDU und der FDP]

Es geht um die Westtangente, und die Älteren in diesem Hause wissen wahrscheinlich noch, wie das damals war: Sie wurde jahre- und jahrzehntelang von der SPD propagiert, aber dann kam Hans-Jochen Vogel. Er kam im Januar 1981 aus München, wo er ein Verkehrskonzept für die Olympiade 1972 entwickelt hatte. Er war es übrigens, der vor 30 Jahren schon gesagt hat: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. – Er kam also nach Berlin, hat sich das Desaster angeschaut und dann, Gott sei Dank, zusammen mit der FDP gegen die CDU – und mit unserer Zustimmung – das Projekt Westtangente beerdigt. Dafür danken wir Hans-Jochen Vogel heute noch, und wir danken auch der damaligen FDP, weil sie im Parlament für eine entsprechende Mehrheit gesorgt hat. Also, bleiben Sie sich doch wenigstens treu nach 30 Jahren!

[Beifall bei den Grünen – Ritzmann (FDP): Es geht doch nicht um die FDP!]

Dass es sich hier nicht um die Westtangente handeln sollte, ist ebenfalls eine Chimäre. Das wissen Sie auch. Denn dann kam Diepgen. Der traute sich nicht, den Senatsbeschluss von RotGelb zu kippen. Also hielt er daran fest und nannte die Westtangente einfach „Nord-Süd-Straße“ oder „Stadtstraße“. Wie nennen Sie sie? – Das ist auch völlig egal, aber Sie wollen ebenfalls zweimal drei Fahrspuren haben. Das steht in Ihrem Antrag. Also reden Sie nicht von einer kleinen Straße! Die FDP will die Neuauflage der Westtangente zum 27. Mal. Das kennen wir. Aber so weit sind Sie zurück: Mindestens 30 Jahre! – Wenn Sie in der Gegenwart ankommen wollen, müssen Sie sich anstrengen. Aber eigentlich geht es darum, die Zukunft zu gestalten und nicht die Vergangenheit.

[Zuruf des Abg. Mleczkowski (FDP)]

Jetzt sagen Sie auch noch, das sei ökologisch. Das finde ich spannend. Nach Ihrer Auffassung soll der Autoverkehr ökologisch sein. Je mehr Emissionen, desto ökologischer! Wunderbar! – Und dann sagen Sie auch noch, Herr Lindner, die Straße wäre nötig, damit die Straßenbahn durch die Potsdamer Straße fahren könne.

[Heiterkeit bei der FDP]

Ich kann mich aber erinnern, dass Sie und die CDU gegen die Straßenbahn in der Potsdamer und Leipziger Straße vehement zu Felde gezogen sind.

[Zurufe von der FDP]

Jetzt benutzen Sie die von Ihnen abgelehnte Straßenbahn, um die von uns abgelehnte Straße zu begründen. Ein bisschen besser könnten Sie da schon sein! Wenigstens ein bisschen logisch!

Herr Cramer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich habe keine Zeit! – Dann wollen Sie den Durchbruch am Gleisdreieck. Ich kann Ihnen dazu sagen: Um das Gleisdreieck – dass ein Park dorthin kommt und dass die Ausgleichsmaßnahmen für den Potsdamer Platz realisiert werden – gibt es einen jahrelangen Streit mit der Vivico. Die Verhandlungen stehen kurz vor dem Abschluss. Wenn Sie jetzt kommen und in diese komplizierte Planung auch noch eine Straße einbauen wollen, dann können Sie diesen Park für mindestens zehn Jahre vergessen. Sie haben ja mit Ökologie nichts am Hut. Vielleicht können Sie diese Fläche dann bebauen. Aber das wäre wirklich stadtunverträglich. Das wollen wir nicht, und an dem Punkt ist es auch wirklich gut, wenn Sie keine Mehrheit finden. Dazu rufe ich auch auf.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

(A) (C)

(B) (D)

Dann haben Sie noch eine Sache im Köcher: „Viele sind für diese Straße“ sagte Herr von Lüdecke. – Aber wissen Sie: Daimler-Chrysler, das sind die einzig Relevanten, die diese Straße wollen. Dass Sie der Büttel der Großindustrie sind, wissen wir.

[Heiterkeit]

Wohin das führen kann – z. B. in Köln –, wissen wir auch.

[Zurufe von der FDP – Unruhe]

Seien Sie also vorsichtig, wenn Sie sich auf so etwas berufen!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

An einem Punkt – und damit komme ich auch zum Schluss – sind Sie wirklich Realist: Sie sagen, Berlin habe kein Geld, und jetzt soll es der Private finanzieren.

[Zuruf des Abg. Krestel (FDP)]

Die Privaten wollen Geschäfte machen. Die Privaten müssen höhere Zinsen zahlen als das Land mit Kommunalkrediten. Jetzt sollen also bessere Gewinne anfallen, die Straße soll finanziert werden, und in den Koalitionsverhandlungen haben Sie auch immer gesagt: Das darf nicht zu Lasten Berlins gehen. – Also, diese eierlegende Milchwollsau müssen Sie erst bringen, dann können Sie diese Straße bauen.

[Heiterkeit – Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Sagen Sie lieber: Wir haben kein Geld für diese Straße. Wir haben Besseres zu tun. – Hören Sie auf, diese Straße zu propagieren! Herr Gaebler, ich kann nur sagen: Es geht nicht um „Back to the Sixties!“, sondern es geht um „Back to the Fifties!“ So sieht die FDP aus, und so ist ihre verkehrspolitische Konzeption.

[Oh! von der FDP – Heiterkeit]

Die FDP hat weder Gegenwart noch Zukunft. – Ich bitte Sie, diesen Antrag abzulehnen!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Der Ältestenrat empfiehlt zum Antrag der FDP die Überweisung federführend an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr, an den Ausschuss für Stadtentwicklung sowie an den Hauptausschuss. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das war dann einstimmig.

[Unruhe]

Ich rufe jetzt noch einmal die l f d. N r. 1 8 auf. Dabei war die Drucksache 15/285 noch unklar. – Ich bitte doch von Jubelbekundungen abzusehen oder sie möglichst so leise in den letzten Bankreihen vorzunehmen, dass wir aus rein zeitlichen Gründen gleichwohl weiter fortfahren können. – Herr Lindner! Ich wollte nur sagen: Jubelbekundungen hinten, dann können wir hier vorne weiter fortfahren!

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die Drucksache 15/285 an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales – federführend – und an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz – mitberatend – überwiesen wird. – Ich stelle das Einvernehmen dazu fest.

Ich teile nachträglich zum Ta g e s o r d n u n g s p u n k t 11 A mit, dass der Abgeordnete Krestel von der Fraktion der FDP mit Zeugen versichert hat, dass er an der namentlichen Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt teilgenommen hat, er in der Liste aber ohne Stimmabgabe aufgeführt ist. Herr Krestel erklärt, mit Ja abgestimmt zu haben. Wir werden diese Angabe korrigieren. Ich mache aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass darüber im Ältestenrat gesprochen werden muss und dann wahrscheinlich wieder die alte Übung eingeführt wird, dass nur das gilt, was ausgedruckt ist. – Im vorliegenden Fall handelt es sich offenkundig um ein Versehen, und das wollen wir auch korrigieren.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 24:

a) Drucksache 15/293:

Antrag der Fraktion der CDU über keine Verschlechterungen der Standards im Kinderbetreuungsbereich

b) Drucksache 15/294:

Antrag der Fraktion der CDU über Tagespflege nicht kaputt sparen

Für die gemeinsame Beratung steht jeder Fraktion eine Redezeit von fünf Minuten zur Verfügung. – Herr Steuer hat sich dazu zu Wort gemeldet und erhält es hiermit auch. – Bitte schön, Herr Steuer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen versprechen, dass ich das ganz kurz halten werde. In der Koalitionsvereinbarung heißt es – ich zitiere –, dass die Kitas als Bildungs- und Erziehungseinrichtung weiter entwickelt werden sollen. – Außer mir fragen sich noch viele andere Berlinerinnen und Berliner, wie das mit den im Anhang bereits angekündigten Sparmaßnahmen zusammengeht. Am vergangenen Wochenende haben Sie diese Maßnahmen nochmals konkretisiert und damit den Widerspruch zwischen Hauptteil und Anhang der Koalitionsvereinbarung untermauert. Da ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass Sie – also der selbsternannte Senat zur Rettung der Stadt – hier Widersprüchliches notiert, habe ich mir Mühe gegeben, Sie zu verstehen. Vielleicht liegt der Schlüssel in den zwei Wörtern „weiter entwickeln“. Die neue Rechtschreibung scheint neue sprachliche Horizonte zu eröffnen. „Weiter entwickeln“ – also weiterhin Veränderung betreiben – scheint etwas anderes zu sein als das alte deutsche Wort „weiterentwickeln“ – im Sinne von „etwas Positives verbessern“. – Ich bitte diese Doppelung „positiv“ und „verbessern“ zu entschuldigen, aber wer weiß, was aus dem Wort „verbessern“ sonst noch alles interpretiert werden kann. Also, schauen wir uns doch Ihre „Entwicklung“ der Betreuung von Berliner Kindern an und überlegen wir dann gemeinsam, wie wir auch die aufgebrachten Eltern, Erzieherinnen und letztlich Journalisten von Ihrer „Entwicklung“ überzeugen können. interjection: [Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)] Sie wollen zusätzliche Bildungsinhalte in die Kita bringen und kürzen dafür die Personalzumessung der Kitaleitung. Sie wollen einen Schwerpunkt auf die Integration von ausländischen Kindern legen und erhöhen dafür die Gruppengröße von 16 auf 21. Sie wollen die Ausbildung Berliner Jugendlicher verbessern und nehmen den Erzieherpraktikanten eine gute Ausbildung, indem Sie sie auf die Erzieherstellen in der Kita anrechnen. Sie wollen sparen und streichen bei der günstigen, intensivsten und menschlichsten Form der Kinderbetreuung, der Tagespflege. Wenn es also keinen Widerspruch in der Koalitionsvereinbarung gibt und all dies durch die zwei Wörter „weiter entwickeln“ wiedergegeben wird, dann wäre ich dafür, zu der alten Rechtschreibung zurückzukehren. Auf dem Rücken besonders engagierter Berlinerinnen und Berliner darf der Landeshaushalt nicht saniert werden. interjection: [Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)] Wir verweigern uns Einsparungen nicht. Aber wir fordern von Senator Böger Ehrlichkeit und eine Konzeption, an der sich auch die Berlinerinnen und Berliner orientieren können. Gemeinsam mit vielen Berlinerinnen und Berlinern fordern wir daher die Rücknahme dieser Einsparmaßnahmen, denn sie verschlechtern augenfällig die Qualität, entgegen Ihrer Ankündigung in der Koalitionsvereinbarung, statt sie zu verbessern. interjection: [Beifall bei der CDU – Mutlu (Grüne): Das war eine sehr kurze Rede?]

Danke schön! – Für die SPDFraktion hat nunmehr Frau Abgeordnete Müller das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Eigentlich wollte ich mir zu diesem Zeitpunkt die Rede ersparen. Aber Herr Steuer hat mich mit seinen Worten doch ein Stück herausgefordert. Ich möchte daran erinnern und erwähnen, was Herr Steuer schlicht und ergreifend vergessen hat, sicherlich bei seinen Betrachtungen über die deutsche Rechtschreibung. Vielleicht ist es angebracht, dass Sie in einer stillen Stunde sich damit auseinandersetzen und die entsprechenden Erklärungen finden.

Sie haben einiges kritisiert. Na sicher, es geht um die Konsolidierung des Haushalts. Wir hätten auch gerne eine andere Haushaltssituation vorgefunden

[Wieland (Grüne): Och!]

und den Kitastandard noch weiter erhöhen können. Leider lässt das der Haushalt nicht zu. Herr Steuer, Sie haben vergessen, das aufzuzählen, wo der Standard tatsächlich verbessert wird.