Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Frage richtet sich an die Senatorin für Justiz. Frau Senatorin! Ich nehme Bezug auf die heute in den Medien dargestellten Vorgänge in der JVA Tegel, Teilanstalt I, wo zahlreiche Bedienstete am gestrigen Tage schwer verletzt wurden. Wie stellt sich dieser Vorgang im Einzelnen dar? Wie viele Beamte wurden verletzt und müssen noch ärztlich behandelt werden? Wie erklären Sie sich diesen Vorfall?

Frau Senatorin von der Aue – bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Rissmann! Auf Grund der vorläufigen Berichterstattung aus der Justizvollzugsanstalt Tegel stellt sich der Ablauf wie folgt dar: Am 24. April wurde ein Inhaftierter wegen psychischer Auffälligkeiten in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht. Am folgenden Tag stellte ein Arzt fest, dass sich dieser Inhaftierte beruhigt hatte.

Trotzdem sollte er noch weiter zur Beobachtung in diesem Haftraum verbleiben. Mittags wurde er dort von drei Justizvollzugsbediensteten mit dem Essen versorgt. Er hat das Essen dort im Vorraum dieses besonders gesicherten Haftraums eingenommen, war dabei zwar verwirrt, aber relativ ruhig. Im Verlauf dieser Einnahme des Mittagsessens wurde er zunehmend unruhig und rabiat. Daraufhin haben die beiden inzwischen nur noch verbliebenen Justizvollzugsbediensteten versucht, ihn ruhig in den Haftraum zurückzuschieben. Dabei ist es dann zu einem Handgemenge gekommen, im Verlaufe dessen ein Justizvollzugsbediensteter durch einen Faustschlag zu Boden gestreckt wurde. Ihm fiel dabei das Schlüsselbund aus der Hand. Der Inhaftierte hat sich dieses Schlüsselbunds bemächtigt und auf den weiteren Vollzugsbediensteten eingeschlagen. Es ist noch gelungen, über Funk Alarm zu schlagen. Daraufhin sind weitere Kollegen den beiden zu Hilfe geeilt, und im Zuge dieses Handgemenges sind noch weitere Justizvollzugsbedienstete verletzt worden. Schließlich konnte der Inhaftierte mithilfe des Einsatzes von Pfefferspray überwältigt werden.

Es sind fünf Justizvollzugsbedienstete verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden, von denen sich zum Glück nur noch einer im Krankenhaus aufhält. Die anderen konnten mit ihren Verletzungen nach Hause entlassen werden. Drei Vollzugsbedienstete sind zwar nicht verletzt, aber zunächst zur Vorsicht im Krankenhaus aufgenommen worden, weil verschiedene gesundheitliche Probleme infolge der Aufregung entstanden sind. Der Inhaftierte konnte inzwischen ruhiggestellt werden und befindet sich immer noch zur Beobachtung in diesem Haftraum.

Diese Situation war für die Bediensteten unvorhersehbar, und sie haben nach meinem Dafürhalten umsichtig, konsequent und schnell agiert. Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich würdigen, dass die Bediensteten ohne Rücksicht auf eigene mögliche Verletzungen ganz entschlossen vorgegangen sind, und wünsche Ihnen, dass sie sich schnell und umfassend von diesen Verletzungen wieder erholen.

Weitere Ausführungen, Herr Abgeordneter Rissmann, kann ich Ihnen zu diesen Vorgängen noch nicht abschließend machen, weil die Bediensteten zurzeit noch nicht im Dienst befindlich, sondern noch krankgeschrieben sind und erst weitere Befragungen durchgeführt werden müssen. – Vielen Dank!

Danke schön, Frau Senatorin von der Aue! – Eine Nachfrage des Kollegen Rissmann. – Bitte schön!

Herr Präsident! Frau Senatorin! Zunächst danke ich Ihnen für Ihre ausgiebige Antwort. Ich frage nach: Wieso gab es, sofern meine Informationen zutreffen, über einen Zeitraum von vier Stunden Anstaltsalarm in Tegel, und können Sie aus heutiger Sicht ausschließen, dass es sich hierbei nicht nur um einen Einzelfall gehandelt hat und eben nicht strukturelle Defizite in den Vollzugsanstalten dafür verantwortlich sind, dass es zu solchen Vorfällen kommt?

Frau Senatorin von der Aue – bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Abgeordneter Rissmann! Der Alarm ist ausgelöst worden wegen der Unübersichtlichkeit der Situation. Das ist üblich. Der Alarm ist wieder abgestellt worden, nachdem der Staatssekretär unverzüglich in die Justizvollzugsanstalt geeilt war. Ich kann Ihnen nach meinen bisherigen Erkenntnissen sagen, dass dieser Vorfall weder durch einen Mangel an Justizvollzugsbediensteten noch durch einen Mangel innerhalb der Organisation zu erklären ist. Das sind Vorfälle, die in einer Vollzugsanstalt bedauerlicherweise nie verhindert werden können. Ich finde, dass gerade in diesem Fall die Anstalt gut und sehr schnell reagiert hat. Sie werden in einem Fall, wo jemand durch psychische Schwierigkeiten unberechenbar wird, immer Situationen erleben, die einen besonderen Einsatz erfordern. Wir werden aber, Herr Abgeordneter Rissmann, diesen Fall noch weiter untersuchen und werden Ihnen und allen anderen Abgeordneten im Rechtsausschuss darüber Bericht erstatten, sobald wir die Erkenntnisse vollständig usammengetragen haben. z

Danke schön, Frau Senatorin!

Jetzt geht es weiter mit der Linksfraktion. Herr Liebich hat das Wort zu einer Anfrage. – Bitte, Herr Liebich!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich habe eine Frage an den Wirtschaftssenator. – Herr Wolf! Wie bewerten Sie es aus Sicht der Berliner Wirtschaft, dass gegenwärtig in nahezu allen Fraktionen des Deutschen Bundestags und Teilen der Bundesregierung intensiv über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns diskutiert wird, während dieses im letzten Bundestagswahlkampf lediglich die Linkspartei.PDS gefordert hat?

[Gelächter bei den Grünen und der FDP – Özcan Mutlu (Grüne): Eine tolle „spontane“ Frage! ]

Danke schön, Herr Liebich! – Herr Senator Wolf, bitte!

Sehr geehrter Herr Liebich! Herr Kollege Dr. Lindner weist mich gerade darauf hin, dass diese Diskussionen nicht in allen Fraktionen des Deutschen Bundestags geführt wird. Das ist zutreffend. Bei den Liberalen gibt es dazu meines Wissens keinerlei Diskussionen, sondern ein gefestigtes Vorurteil, dass Mindestlöhne für die Wirtschaft schädlich sind.

Ansonsten begrüße ich diese Entwicklung. Das ist eine längst überfällig Diskussion. Ich würde es allerdings begrüßen, wenn diese Diskussion auch in eine positive Beschlussfassung münden würde, sodass sich entsprechende Mehrheiten im Deutschen Bundestag finden, damit wir in der Bundesrepublik den Anschluss an die in Europa übliche Regelung finden. 20 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben einen gesetzlichen Mindestlohn und haben damit gute Erfahrungen gemacht.

Dass das Thema Mindestlöhne ein sehr dringendes Thema ist, sieht man daran, dass in der Bundesrepublik 4,9 Millionen Menschen Stundenlöhne unter 7,50 € brutto erhalten und dass es ca. 1,9 Millionen Menschen sind, die immer noch Stundenlöhne unter 5 € erhalten. Das sind keine existenzsichernden Löhne. Wenn sie eine Vollzeitarbeit haben, sind sie damit immer noch unter dem Existenzminimum. Deshalb haben wir mittlerweile auch im Bereich des SGB II, also Arbeitslosengeld II, ca. eine Million Aufstocker, die auf ihren Lohn, der nicht existenzsichernd ist, noch Zuschläge bekommen müssen. Ich denke, dass das ein Zustand ist, der aus mehreren Gründen dringend beendet werden muss. Erstens aus sozialpolitischen Gründen, weil es nicht hinnehmbar ist, dass man durch eine Vollzeitarbeit nicht in der Lage ist, seine Existenz zu sichern, sondern weiter auf staatliche Transfers oder auf Unterstützung durch Familienmitglieder angewiesen ist.

Zum Weiteren ist das auch wirtschaftspolitisch aus mehreren Gründen geboten. Erstens stabilisiert das die Inlandsnachfrage, die Binnennachfrage. Das würde übrigens zusätzliche Milliarden in die Sozialversicherung bringen. Das würde auch den Staat von Transferzahlungen für Aufstocker entlasten, was gegenwärtig eine Subventionierung von Niedriglöhnen ist, und es würde dem unlauteren Wettbewerb nach unten Einhalt gebieten. Deshalb gibt es mittlerweile auch aus der Wirtschaft viele Unternehmen und Branchen, die einen gesetzlichen Mindestlohn fordern. Die Gebäudereiniger haben es unlängst durchgesetzt, unter anderem auch aufgrund der Forderung von Unternehmen aus der Gebäudereinigerbranche. Ein Un

ternehmen wie Securitas, die im Bereich des Wachschutzes aktiv sind, und wo teilweise – nicht bei Securitas, aber bei anderen Unternehmen – Dumpinglöhne gezahlt werden, in Thüringen ca. 3 €, hier wird auch ein Mindestlohn gefordert. Vielleicht ist das ein Punkt, der auch die Liberalen einmal dazu bringt, nachzudenken, die sich immer als Interessenvertreter von Unternehmen sehen.

[Christoph Meyer (FDP): Wir denken ständig nach!]

Ich bekomme gerade mitgeteilt, dass die Liberalen ständig nachdenken. – Ich nehme das erfreut zur Kenntnis. Ich hoffe nur, dass das auch bald zu einem Ergebnis führt und dass Sie dann mit dazu beitragen, dass wir endlich diesen Rückstand der Bundesrepublik gegenüber dem europäischen Standard aufholen.

Das europäische Beispiel zeigt im Übrigen auch, dass die Legende, die gelegentlich immer noch in der Bundesrepublik verbreitet wird, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten, nicht auf Tatsachen beruht. Großbritannien und Frankreich haben hohe Mindestlöhne. Mit der Einführung des Mindestlohns in Großbritannien, der relativ hoch ist, hat es keinen Verlust von Arbeitsplätzen, sondern einen Aufschwung der Wirtschaft in Großbritannien gegeben, während wir in der Bundesrepublik Deutschland lange Jahre Stagnation hatten. Übrigens ist es auch eine Voraussetzung dafür, dass wir Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa gegenüber den osteuropäischen Beitrittsstaaten herstellen können, wenn Mindeststandards gewährleistet sind. Auch das ist eine alte Forderung der Liberalen, die Freizügigkeit herzustellen. Wir sind aber der Meinung, Freizügigkeit muss mit Regeln verbunden werden. Wir sind gegen einen Markt, der keine Regeln kennt. Jedes vernünftige Spiel hat Regeln, und deshalb müssen sie von der Politik durchgesetzt werden.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Herr Senator! – Eine Nachfrage des Kollegen Liebich. – Bitte schön, Herr Liebich, Sie haben das Wort!

Herr Wolf! Können Sie sich Initiativen des Landes Berlin vorstellen, um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns – nicht nur die Debatte darüber, sondern möglichst auch das Ergebnis – voranzutreiben?

Herr Senator Wolf!

Herr Liebich! Das Land Berlin ist diesbezüglich schon aktiv geworden.

[Özcan Mutlu (Grüne): Wow!]

Wir haben in der Diskussion um die Herstellung der Freizügigkeit gegenüber der Bundesregierung für die Einführung von Mindestlöhnen und dann für eine möglichst rasche Herstellung von Freizügigkeit durch Aufhebung der Übergangsregelung gegenüber den Beitrittsländern plädiert. Leider haben wir uns mit dieser Position nicht durchsetzen können.

Wir haben im Rahmen der Arbeits- und der Wirtschaftsministerkonferenzen ebenfalls für einen Mindestlohn plädiert. In wenigen Tagen wird auch wieder eine Wirtschaftsministerkonferenz stattfinden, wo vonseiten des Landes Berlin eine entsprechende Position eingebracht wird. Das Gleiche wird im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates geschehen. Wie ich gehört habe, erwägen die Fraktionen auch, den Senat aufzufordern, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen. Ich fände es hilfreich – das ist meine persönliche Auffassung, der Senat ist damit noch nicht befasst –, wenn der Senat die Aktivitäten auch weiter fortführte.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Senator!

Für die Fraktion der Grünen hat jetzt der Abgeordnete Mutlu das Wort.

Danke, Frau Präsidentin! – Ich frage den Senator für Bildung: Herr Senator Dr. Zöllner! Wir bewerten Sie die jüngste Pressemeldung zu massiven Kürzungen der Mittel für „Deutsch als Zweitsprache“ von derzeit 762 Vollzeitlehrerstellen auf lediglich 575 Vollzeitlehrerstellen, und was sind die Beweggründe für die Kürzungen in Anbetracht der letzten Sprachstandserhebung, wonach 24 % aller Schulanfängerinnen und -anfänger und 67 % der Schulanfänger mit Migrationshintergrund einer intensiven Sprachförderung bedürfen?

Danke, Herr Mutlu! – Die Frage beantwortet Herr Senator Dr. Zöllner.

Der erwähnte Pressebericht bezieht sich auf einen internen Schriftwechsel meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb der Schulaufsicht. Als ich davon Kenntnis bekommen habe, habe ich diese Aktivitäten sofort eingestellt. Damit erübrigt sich jede weitere Diskussion über eine Begründung.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Vielen Dank, Herr Senator Dr. Zöllner! – Herr Mutlu hat eine Nachfrage. – Bitte!

Herr Senator! Gehe ich richtig in der Annahme, dass die 762 Vollzeitlehrerstellen auch im nächsten Schuljahr zur Verfügung stehen? Wird es auch keine Veränderung der Verteilung der Förderstunden geben? In dem internen Schriftwechsel, von dem Sie reden, ist auch die Absicht bekundet, dass Stunden lediglich nach einem Anteil von Migrantenkindern zugeteilt werden und die Förderbedürftigkeit und etwaige Förderkonzepte ganz unberücksichtigt bleiben. Ist davon auszugehen, dass diese neue Methode nicht eingeführt wird?

Herr Senator Dr. Zöllner – bitte!

Erstens: Sie gehen recht in der Annahme, dass dieser Senat, getragen von den beiden Koalitionsparteien, die Anzahl von Förderstunden für Migrantinnen und Migranten, wenn er sie verändert, immer nur erhöht.

Zweitens: Sie haben recht, dass sich daraus keinerlei Veränderungen in den Zuweisungsmodi für das nächste Schuljahr ergeben, was nicht bedeutet, dass man zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht auch über die Optimierung eines solchen Systems nachdenkt.

Vielen Dank, Herr Senator Dr. Zöllner!

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Czaja die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich frage Finanzsenator Sarrazin: Inwiefern kann der Senat die von Staatssekretärin Iris Spranger gesammelten und in der „Berliner Zeitung“ – –

Herr Czaja! Darf Sie kurz unterbrechen? In der Spontanen Fragestunde kann man den Herrn Senator nur befragen, wenn er da ist. Leider ist er nicht anwesend, auch nicht die Staatssekretärin.

Da die Staatssekretärin ebenfalls nicht anwesend ist, richte ich die Frage an den Sportsenator, der anwesend ist und die Frage auch sicher beantworten kann. – Ich wiederho

le: Inwiefern kann der Senat die von Staatssekretärin Iris Spranger gesammelten und in der „Berliner Zeitung“ vom 25. April abgedruckten Eindrücke bestätigen, dass im Sport- und Erholungszentrum SEZ künftig kein Schwimmsport mehr möglich sein wird, da die Schwimmbecken einer neuen Nutzung, etwa für Basketball, Fußball oder andere Ballsportarten, zugeführt werden sollen?