Sie können sicher sein, dass uns das in unserem Sicherheitsdenken Sorge macht. Nur: Man muss auch nüchtern den Menschen draußen sagen, was man dagegen tun kann. Ich kann dem teilweise mit verstärkten Polizeistreifen in bestimmten Gegenden begegnen, aber die Erfahrung gerade bei bestimmten kriminellen Kleinstgruppen wie der „militanten gruppe“ zeigt eben, dass sie nicht allein auf bestimmte Straßenzweige oder Bezirke fixiert sind. Wir haben derartige Brandstiftungen in allen Bezirken. Wir haben sie nicht nur in Berlin, sondern in Hamburg, wie Sie gerade den Zeitungen entnehmen konnten, in Niedersachsen und anderswo, und überall bemüht sich Polizei im Einzelfall, derartige Täter zu fassen und aus dem Verkehr zu ziehen. Das kann Polizei tun. Das ist aber auch das Einzige, was Polizei tun kann. Polizei ist nicht in der Lage, nachts auf jeder Straße alle 100 Meter einen Polizisten hinzustellen, um Derartiges zu verhindern. Dazu ist Polizei nicht in der Lage.
auf. Jeder Fraktion steht eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Es beginnt der Kollege Rissmann von der Fraktion der CDU. – Bitte schön, Herr Rissmann! Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Die Berliner Justiz kommt nicht aus den Negativschlagzeilen: Überbelegung im Strafvollzug, Medikamentenskandal mit einem geschassten SPD-Staatssekretär, ansonsten bisher ohne Antworten, unerträgliche Terminstände bei den Berliner Gerichten, was zulasten der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger Berlins geht, und ein Senat, der das Problem der Jugendkriminalität nicht in den Griff bekommt, sondern offenbar an den überkommenen Methoden der Kuschelpädagogik festhält.
Nach kurzer Zeit im Amt, steht die zuständige Senatorin allein da. Sie wirkt wie eine von Schlagzeile zu Schlagzeile Getriebene, ohne konzeptionellen Ansatz, die eben skizzierten Probleme im Bereich der Berliner Justiz in den Griff zu bekommen. Dies trägt an sich schon schwer. Wenn man sich dann aber vor Augen führt, dass Justiz einen absoluten Kernbereich staatlicher Aufgabenwahrnehmung darstellt und den Menschen Sicherheit und Verlässlichkeit geben soll, so muss die Senatorin insbesondere vor diesem Hintergrund darauf achten, dass die Berlinerinnen und Berliner das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht verlieren.
Die Justizsenatorin steht immer stärker unter Druck. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt beispielsweise auch die „BZ“ vom 22. Mai 2007.
Da ich mit Ihrer Reaktion gerechnet habe, fahre ich fort. – Die „Morgenpost“ vom selben Tag schreibt: „Justizsenatorin und Behörde völlig zerstritten.“ Der „Tagesspiegel“ vom 21. Mai 2007 fasst die Situation unter der Überschrift „Krach in der Berliner Justiz“ zusammen.
Damit habe ich – bis vielleicht auf die Damen und Herren, die hier ganz links sitzen – für jeden eine adäquate Zeitung gefunden. Anlass dieser von mir eben zuletzt genannten Berichterstattung war der Schnellschuss der Senatorin im Umgang mit dem Interview eines Berliner Oberstaatsanwalts mit dem Magazin „Der Spiegel“. Der Umgang von Frau von der Aue mit dem Oberstaatsanwalt Reusch und dessen Äußerungen in dem eben genannten Nachrichtenmagazin geht sowohl am Maßstab von Stil und Form gemessen als auch in der Sache fehl.
Zunächst will ich kurz auf die aufgeworfene Stilfrage eingehen. Vor genau zwei Wochen stand die Senatorin an dieser Stelle und kritisierte die Union dafür, dass wir angeblich Mitarbeiter der Justiz unter Verdacht stellen würden. Anlass war damals unser Antrag „Sofortprogramm für die Berliner Justiz, Teil I, Strafvollzug“. In fast schon peinlicher pathetischer Art und Weise stellte sich die Senatorin vermeintlich vor die Mitarbeiter, insbesondere geschah dies auch ohne jeden Grund. Das gilt aber offensichtlich nur dann, wenn es geeignet ist, die CDU anzugreifen. Schon SPD-Staatssekretär a. D. Flügge sieht das anders. Im Rechtausschuss am 16. Mai,
in dem Herr Flügge freiwillig auftrat, kam es zu einem Showdown zwischen SPD-Senatorin und Ex-SPDStaatssekretär, in dessen Verlauf Herr Flügge das von der Senatorin gewählte Verfahren als rechtsstaatswidrig und als Aufforderung zum Denunziantentum bezeichnete. Am Ende seiner Ausführungen stellte Herr Flügge fest: Sowohl aktiven Bediensteten als auch Ruhestandsbeamten gegenüber hat die Senatorin eine Fürsorgepflicht.
Wie ist es nun mit Herrn Oberstaatsanwalt Reusch, der sich in ungewöhnlicher Weise zu Wort gemeldet hat, was uns nur zeigen sollte, wie brisant das Problem der Jugendkriminalität in Berlin ist? – Das Verhalten der Senatorin, die dem Oberstaatsanwalt sozusagen über die Medien disziplinarrechtliche Schritte in Aussicht stellt, wird von der Vereinigung der Berliner Staatsanwälte e. V. als „forsch am Ziel vorbei“ gebrandmarkt. Die erste Vorsitzende dieser Interessenvertretung der Berliner Staatsanwälte, Frau Vera Junker, ist bezeichnenderweise aktive Sozialdemokratin. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der SPD Hermsdorf, Mitglied im Kreisvorstand der SPD Reinickendorf, Mitglied im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen usw.
Der faire Umgang miteinander und die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gebieten es vielmehr, Maßnahmen gegen einen einzelnen Beamten nicht mit Pressebegleitmusik zu umrahmen.
Also: Die Senatorin steht von allen Seiten unter Beschuss. Sie bekommt ihren Laden nicht in den Griff, und die eigene Partei begehrt offenbar auf. Sie steht wohl innerpar
teilich stark unter Druck. Sie ist jetzt zwingend aufgerufen, ihren Umgang mit den Mitarbeitern zu überdenken und nicht aufgrund des Drucks von allen Seiten überzureagieren.
Die „Berliner Zeitung“ vom 23. Mai – also von gestern – titelt deshalb schon mit der Bezeichnung „Frau Gnadenlos“ und berichtet von höchster Verunsicherung und von einem Klima der Angst bei den Mitarbeitern in der Senatsverwaltung für Justiz. Ich fordere Sie, Frau von der Aue, auf: Seien Sie nicht gnadenlos gegen die Mitarbeiter der Justiz, sondern seien Sie gnadenlos gegen Kriminelle, gegen zu viel Bürokratie in Ihrer Behörde und bei den Berliner Gerichten! Seien Sie gnadenlos gegen die Missstände in den Haftanstalten!
Ich darf jetzt in der Sache auf die Äußerungen des Herrn Oberstaatsanwalts Reusch in dem genannten Interview eingehen. Herr Reusch sagte unter anderem, dass die Staatsanwälte in ihrer täglichen Arbeit sehen, dass das Problem förmlich explodiere. Gemeint ist das Problem der jugendlichen Gewalttäter. Ferner stellte er dar – mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitiere ich –:
Wir haben festgestellt, dass die herkömmlichen Methoden unsere Klientel kaum erreichen. Freizeitarbeit, Ermahnungsgespräche, Betreuungsanweisungen, soziale Trainingskurse – das alles perlt an denen ab. Selbst Verhandlungen vor Gericht lassen sie in gelangweilt-belästigter Attitüde über sich ergehen. Erst wenn sie einmal im Knast saßen, bessern sie sich in der Regel.
Ich hätte nun erwartet, Frau Senatorin, dass Sie diese Aussagen eines anerkannten Fachmanns zum Anlass nehmen, um zu handeln, Problemlösungen aufzuzeigen.
Was ist stattdessen passiert? – Dem Fachmann wird quasi ein Maukorb verpasst, indem ihm ohne Chance auf adäquate Gegenwehr via Medien mitgeteilt wird, dass nun gegen ihn zu ermitteln ist. Wir fordern Sie auf, Frau von der Aue: Kehren Sie um auf Ihrem Irrweg und führen Sie eine notwendige, die Probleme ehrlich benennende Debatte. Es ist höchste Zeit, denn im November des letzten Jahres äußerten sich Jugendrichter in einem Interview des „Tagesspiegels“ und brachten, um es hier auf den Punkt zu bringen, ihre Verzweiflung im Bereich der Bekämpfung der Jugendkriminalität zum Ausdruck.
Was ist seitdem passiert? Was hat die Senatorin unternommen? – Nichts! Im Februar 2007 gab der nunmehr pensionierte Leiter der JVA Tegel ein Interview und sagte, der Zeitpunkt möglicher erheblicher Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt rücke immer näher. Was ist seitdem passiert? Was hat die Senatorin unternommen? – Auch hier die selbe Antwort: Nichts! – Noch ein Beispiel, ebenfalls aus Februar 2007: Der Gesamtpersonalrat der Berliner Justiz teilte mit, dass die innere Sicherheit in Haftanstalten auf das Höchste gefährdet sei. Was ist seitdem passiert? Was hat die Senatorin unternommen? – Nichts!
Frau Senatorin! Nutzen Sie dieses Mal die Chance, Verbesserungen in Ihrem Bereich zuzulassen. Bemühen Sie nicht hektisch das Disziplinarrecht. Zwingen Sie uns nicht weiter dazu, Sie zum Jagen tragen zu müssen, sondern handeln Sie!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rissmann! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Lux! Im Rechtsausschuss haben Sie mich wohl gründlich missverstanden. Eine angebliche Tatenlosigkeit der Justiz kann gar kein Problem der SDP sein, weil es sie nur in Ihrer Phantasie gibt.
Herr Lux! Das ist eine Wahrnehmungsstörung, die Sie mit Frau Seibeld teilen. – Verehrte Kollegin Seibeld! Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Gisela von der Aue Probleme schönredet? – Diese angeblich tatenlose, Probleme schönredende Senatorin hat erst einen Missstand in ihrer eigenen Verwaltung erkannt, dann hat sie umgehend eine Untersuchungskommission eingesetzt, sie hat einen ehrgeizigen Termin für die Ergebnisse dieser Kommission genannt und eingehalten, dann hat sie dem Rechtsausschuss einen schonungslosen Bericht vorgelegt und die nötigen Verbesserungen in Angriff genommen. Manchmal frage ich mich wirklich, in welcher Parallelwelt Sie eigentlich leben, wenn Sie Ihre Sicht der Dinge vortragen.
Wir haben heute eine Aktuelle Stunde, weil die Vereinigung Berliner Staatsanwälte der Justizsenatorin einen offenen Brief geschrieben hat. Der Vorwurf: Gisela von der Aue hätte den Eindruck erweckt – so steht es da –, dass in Berlin rechtswidrig Untersuchungshaft verhängt werde. Sie hätte damit die beteiligten Richter und Staatsanwälte einem schlimmen Verdacht ausgesetzt. Hintergrund ist das vielfach zitierte Interview des Leiters der Intensivtäterabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft, Roman Reusch. Die Justizsenatorin hat den Zorn eines Teils der Berliner Staatsanwälte auf sich gezogen, weil sie den Äußerungen eines Staatsanwalts mit großer Entschiedenheit entgegengetreten ist. Die Frage, über die wir heute sprechen, lautet also: Durfte Gisela von der Aue ihrem Staatsanwalt in dieser Form widersprechen, oder musste sie es nicht sogar?
Herr Reusch sagt unmissverständlich, dass er ganz bewusst die Untersuchungshaft einsetzt, um jugendliche Straftäter zu erziehen.
Er sagt es ganz klar: Wir greifen zur Untersuchungshaft als Erziehungsmittel, Herr Gram, lesen Sie es nach. Er legt sogar noch nach:
Wenn wir rechtzeitig U-Haft einsetzen dürften, dann könnten wir damit auch die überfüllten Jugendstrafanstalten entlasten.
Herr Reusch benennt zwei aus seiner Sicht sinnvolle Ziele der U-Haft: Erstes Ziel – Straftäter erziehen, zweites Ziel – dadurch erreichen, dass seltener Strafhaft verhängt werden muss. Die Botschaft versteht jeder, und da hilft es auch nicht, dass Herr Reusch auf Nachfrage versichert, dass er sich dabei an den Rahmen des Haftrechts hält.
Lieber Kollege Rissmann! Beide Zwecke, das wissen Sie, sind vom Gesetz nicht vorgesehen. Untersuchungshaft hat einen einzigen Zweck: zu verhindern, dass die Justiz vor Gericht ohne ihren Angeklagten oder ohne ihre Anklage dasteht. Die Untersuchungshaft wird angeordnet – und zwar von einem Richter und nicht von einem Staatsanwalt –, wenn die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte weglaufen könnte oder dass er die Spuren seiner Tat verwischt. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Nehmen wir mal an, der Beschuldigte wohnt noch bei „Mutti“, um das Wort zu verwenden, so dass keine Gefahr besteht, dass er wegläuft, und die Umstände der Tat sind auch völlig klar. Dann darf der Haftrichter noch in einem dritten Fall Untersuchungshaft verhängen, wenn er nämlich genau weiß, dass dieser spezielle Täter sich keine zwei Stunden am Riemen reißen kann und immer wieder über seine Mitmenschen herfällt. Dann kann er in U-Haft genommen werden, weil er ein Wiederholungstäter ist. U-Haft zu Erziehungszwecken oder U-Haft, um die Strafvollzugsanstalten zu entlasten, gibt es nicht. Das wissen Sie ganz genau, Herr Rissmann.