Protokoll der Sitzung vom 21.06.2007

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die freuen sich doch schon darauf. So viele Ehrenvorsitzende können Sie nachher gar nicht etablieren, damit alle untergebracht werden können. Ist doch wunderbar! Sie verbiegen sich doch selbst noch in demokratischen Grundfragen wie heute bei dem Thema. Herr Lux hätte sich doch einmal wunderbar absetzen können von seinen beiden zukünftigen Parteifreunden, Lindner und Henkel. Da hat er nachher noch blümig die Kurve gekriegt, dass er rechtfertigen muss, warum Sie dauernd unter einer Decke stecken. Bleiben Sie doch unter dieser Decke! Erklären Sie doch Ihren Wählern einmal, warum Sie so eine neoliberale Politik mitmachen! Erklären Sie es doch mal, Herr Ratzmann, Frau Eichstädt-Bohlig! Machen Sie es doch mal!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Regierender Bürgermeister?

Ja, gerne! Ich habe jetzt Zeit.

Herr Kollege Scholz, Sie haben das Wort für eine Zwischenfrage.

Herr Wowereit! Sind Sie nicht mit mir einer Meinung, dass Ihre Rede nicht eines Regierenden Bürgermeisters würdig ist und dass Sie es nicht nötig haben, für Ihre Fraktion in die Bresche zu springen?

[Oh! von der SPD]

Ihre Bewertung meiner Reden kenne ich ja. Aber ich habe Ihnen gesagt, ich bewege mich in dem Debattenrahmen,

der hier war, nämlich Parteipolitik. Das können Sie so sehen. Das ist keine staatstragende Rede eines Regierenden Bürgermeisters. Die habe ich abgeschlossen mit dem klaren Bekenntnis zu FDGO. Das habe ich Ihnen gesagt. Aber jetzt mache ich das, was Ihre Kollegen gemacht haben, was Herr Lindner gemacht hat, was Herr Lux gemacht hat, zu meinem Koalitionspartner darf ich nicht so kritisch sein. Auf diesem Niveau bewege ich mich jetzt auch. Das macht mir richtig Spaß.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der FDP]

Es übt auch immer für Parteitagsreden. Den Eindruck habe ich gehabt. Nehmen wir mal an, der Kollege Lindner hatte keine Chance, auf seinem Bundesparteitag das Wort zu kriegen. Das ist der einzige Grund. Jeder weiß ja, dass der Herr Westerwelle mit Lindner überhaupt nichts am Hut hat. Aber die Rache kommt, der will in den Bundestag. Da wird er ihn demnächst täglich genießen können. Aber vielleicht geht er auch in Erziehungsurlaub, das wäre auch für alle Beteiligten gut. Das ist jetzt nicht das Entscheidende.

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD]

Aber jetzt ernsthaft: Es ist doch für jede Partei legitim, ob sie FDP, CDU, SPD oder Grüne heißt, sich mit der Linkspartei auseinanderzusetzen; selbstverständlich, das sind ja Wählerinnen und Wähler. Was ich nicht für legitim halte, Herr Lindner: Wählerinnen und Wähler oder Mitglieder einer Partei in der Art und Weise persönlich zu diffamieren, wie Sie das getan haben. Das finde ich nicht in Ordnung, auch in einer Demokratie nicht.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Denn ich unterstelle erst einmal, dass jeder, der dort aus welchen Gründen auch immer die SPD verlassen hat, nicht zu Ihnen gekommen ist, Herr Lindner, oder nicht zu den Grünen, sondern sich dieser Partei angeschlossen hat, das Recht hat, es zu tun. Das ist mein demokratisches Verständnis. Mein demokratisches Verständnis heißt, dass meine Partei und ich selbst aufgefordert sind, darum zu kämpfen, dass die, die das letzte Mal Linkspartei gewählt haben – ob in Berlin oder sonstwo –, das nicht mehr tun, dass sie erkennen, dass die SPD die Partei der sozialen Gerechtigkeit ist, und die SPD wählen. Das ist meine Aufgabe. Und wenn Sie sie überzeugen wollen, dass sie liberal wählen sollen, dann tun Sie es doch, aber diffamieren Sie nicht andere!

Politisch ist die Herausforderung, die wir alle haben – das ist eine Frage an alle Parteien, auch an die CDU, auch an die FDP, erst recht an die Grünen –, sich auseinanderzusetzen, wie man sich mit den Grünen auseinandergesetzt hat. Was hat man zu ihnen alles gesagt, was waren sie für Verfassungsfeinde! Dabei war der Lux ein bisschen vernünftig. Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben ihn so schön umarmt, das war richtig gut. Das ist ein Guter bei Ihnen in der Partei, es würde mich freuen, wenn nur Luxe bei Ihnen wären. Wirklich toll!

[Heiterkeit und vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aber sich auseinanderzusetzen mit den Inhalten, das ist doch unsere Aufgabe. Sie können doch nicht verkennen, dass, bei allem Populismus hin oder her, irgendwo auch etwas getroffen wird als Empfinden bei den Menschen in dieser Republik. Ein Empfinden – da müssen Sie einmal über sich selbst nachdenken, Herr Lindner –, das die Menschen von uns erwarten, und zwar von allen Parteien, dass die Probleme der Menschen gelöst werden, dass die Frage soziale Gerechtigkeit für alle und Teilhabe am öffentlichen Leben für alle in unserer Gesellschaft ein zentrales Thema ist. Da wird die CDU nicht weggucken können, da kann die FDP vielleicht weggucken, das sollte sie aber nicht, die Grünen können es erst recht nicht tun, nämlich die Frage zu stellen: Wie können wir es erreichen, dass Menschen in sozialer Sicherheit leben können, dass die Menschen eine Perspektive bekommen, dass wir alle aufgerufen sind, eine offene, eine freiheitlich-demokratische Grundordnung sicherzustellen, in der Menschen teilhaben können am kulturellen Leben, am sozialen Fortschritt und Aufschwung? Das ist doch unserer Herausforderung, alle miteinander! Wenn wir, die heute in der Regierung sind, das schaffen, dann werden Parteien, die populistisch durch die Gegend rennen und anderen alles versprechen, überhaupt gar keine Chance haben. Wenn die Regierenden versagen, dann können diese Parteien Zuspruch bekommen. Also ein Auftrag an die Regierenden, eine vernünftige Politik zu machen! Dann wird der Boden entzogen! – Schönen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Damit hat die Aktuelle Stunde ihre Erledigung gefunden.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 5 a:

a) Dringliche Beschlussempfehlung

Lohndumping verhindern – Mindestlohn einführen

Beschlussempfehlung WiTechFrau Drs 16/0649 Antrag der Grünen Drs 16/0521

b) Dringliche Beschlussempfehlung

Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns

Beschlussempfehlung WiTechFrau Drs 16/0650 Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0566

c) Dringlicher Antrag

Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns

Antrag der SPD, der Linksfraktion und der Grünen Drs 16/0652

Den drei Dringlichkeiten wird offensichtlich nicht widersprochen.

Der zuletzt genannte Antrag ist textgleich mit dem im Ausschuss angenommenen Antrag Drucksache 16/0566,

dem die Fraktion der Grünen nunmehr beigetreten ist. – Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion, die Linke. Das Wort hat Frau Breitenbach.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sogenannte Mindestlohnkompromiss der großen Koalition hat eines erneut gezeigt: Die Reformbremse in diesem Land heißt CDU.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Was dort vereinbart wurde, ist kein Kompromiss, und es ist schon gar kein Mindestlohn. Dieser Vorgang zeigt nur eine Sache: Die große Koalition hat das Regieren eingestellt, und das bereits zwei Jahre vor der Bundestagswahl.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Das Entsendegesetz soll – so die Vereinbarung – ausgeweitet werden. Dabei müssen sich jedoch die Tarifpartner darauf verständigen, dass dieses Gesetz für ihre Branche gelten soll.

Immer mehr Unternehmen begehen Tarifflucht. Wie kann man in dieser Situation nur auf die Idee kommen, dass sich viele Arbeitgeberverbände darauf einlassen werden, einen Mindestlohn für ihre Branche zu schaffen? Unabhängig davon können große Teile der Beschäftigten vom Arbeitnehmerentsendegesetz nicht profitieren. Für sie gelten keine Tarifverträge. Nur 68 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 53 Prozent der in Ostdeutschland erhalten tarifgebundene Löhne. Aber selbst Tariflöhne sind kein Garant für existenzsichernde Arbeit. Das müsste sich in der Zwischenzeit sogar bis zur CDU herumgesprochen haben. Allein in Berlin und Brandenburg haben wir in der Hälfte der Branchen Tarifverträge, die maximal 1 300 € brutto monatlich vorsehen, und zwar für eine Volltagsstelle. Das ist netto weniger als die derzeit geltende Pfändungsgrenze von rund 1 000 €. Darüber hinaus arbeiten in Deutschland etwa 4 Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn unter 7,50 €, 1,5 Millionen Menschen für weniger als 5 €. Arm trotz Arbeit – das trifft vor allen Dingen Frauen. Sie stellen über 70 Prozent derjenigen, die in der Bundesrepublik Armutslöhne erhalten.

Von Arbeit muss man leben können, deshalb wollen wir einen gesetzlichen Mindestlohn.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Er soll die unterste Grenze abbilden, geringere Löhne darf es nicht geben. Das hebelt weder die Tarifautonomie aus, denn Tarife oberhalb des Mindestlohns sind jederzeit möglich, noch wird die Rolle der Tarifpartner angetastet. Mindestlöhne sind auch keine Jobkiller, wie von der CDU immer wieder behauptet, das zeigen die Erfahrungen in anderen Ländern.

[Volker Thiel (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Mindestlöhne sind nicht nur gesellschafts- und sozialpolitisch vernünftig und notwendig, weil sie Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung verringern, sie sind auch wirtschaftspolitisch geboten und frauenpolitisch zwingend.

Wir freuen uns, dass Berlin mit seiner Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn jetzt nicht mehr so ganz allein steht.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volker Thiel von der Fraktion der FDP?

Ja, bitte!